Wie so oft war die Aktion Lebendiges Deutsch im vergangenen Monat wieder absolut vorhersagbar. Gesucht waren Alternativen für das Drive-In-Kino und den Drive-In-Schnellimbiss. Ich hatte das zugegebenerweise offen herumliegende Wort Autokino und auf Nachfrage auch das weniger offensichtliche Autoimbiss vorgeschlagen und die Aktioneure müssen eingesehen haben, dass diese Vorschläge nicht zu toppen sind: Weiterlesen
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Die Ich-hänge-Substantive-an-Wortgruppen-Technik: Phrasenkomposita
Ich bereite gerade ein Referat vor. Es könnte das letzte meines Studiums sein. Ist das nicht gruselig?
Das Referat ist für ein Examenskolloquium in der deskriptiven Sprachwissenschaft, und es geht um Komposition. Das ist, ganz einfach gesagt, wenn man zwei (oder mehr) Wörter zu einem neuen zusammenfügt. Wie zum Beispiel Sprache+Blog=Sprachblog:
Eine ganz skurrile Unterart der Komposita sind die sogenannten “Phrasenkomposita”. Das sind Zusammensetzungen, bei denen das Erstglied nicht etwa ein Substantiv oder ein Adjektiv ist, sondern eine ganze Wortgruppe (“Phrase”). Ein paar Beispiele:
- Schönes-Wochenende-Ticket
- Trimm-dich-Pfad Weiterlesen
Will sell ebber?
Nummer 2 in der Reihe “Badische Wörter seltsamen Ursprungs”: ebber ‘jemand’.
[Nachtrag: Eben habe ich ein Verwendungsbeispiel in meinen Aufnahmen gefunden – es geht um erhaltene Burgen im Mittelrheintal:
ja, äh, wuhnd doo na no ebber drin? (ja, äh, wohnt da denn noch jemand drin?)
]
Mal wieder kein erkennbarer Bezug zum hochdeutschen Wort – aber dafür ähnelt es einem anderen Dialektwort auffällig: ebbis ‘etwas’, unbetont auch oft ebbs. Beide Wörter sind sogenannte “Indefinitpronomen”, also Pronomen, die nicht näher Bestimmtes bezeichnen.
Das dialektale ebbis ist historisch mit dem hochdeutschen etwas verwandt.
Das Grimmsche Wörterbuch gibt althochdeutsch ëddeshuaʒ und mittelhochdeutsch ët(e)swaʒ an, das schließlich zu unserem heutigen etwas wurde. Es kennt aber auch die Formen eppas, eppes, die es als von der “Volkssprache” assimiliert bezeichnet.
Das deutet darauf hin, dass das Wort nicht nur im Badischen auftaucht – und siehe da: In zahlreichen Dialektwörterbüchern findet es sich, z.B. im Pfälzischen (ębəs, ębis, abəs), Rheinischen (ębəs, mit der weiteren Bedeutung ‘sehr’), Elsässischen (eppis) und Lothringischen (èpəs, èbs, èbəs). Im Lothringischen Wörterbuch steht als Anmerkung dabei: “Kommt in fast allen ober- und mitteldeutschen Maa. [=Mundarten] vor”. Ostmitteldeutsche Wörterbücher gibt’s leider nicht online, Hinweise dazu werden dankbarst aufgenommen!
Jetzt aber zu ebber! Das Wort ähnelt ebbis nicht umsonst, es geht nämlich auf eine ähnliche Grundlage zurück:
- mhd. ëtes-was
- mhd. ëtes-wër
Im Mittelhochdeutschen (und auch schon früher) wurden die Indefinitpronomen also regelmäßig gebildet, und zwar aus etes und dem entsprechenden Fragepronomen (was für Dinge, wer für Menschen).
Außerdem konnte etes auch vor -lîch (etlich), -wâ (‘irgendwo’), -war (‘irgendwohin’), -wenne (‘manchmal’) und -wie (‘irgendwie’) stehen, immer mit der unbestimmten Bedeutung. Leider bin ich grade fern von meinem etymologischen Wörterbuch, aber wenn wir wieder glücklich vereint sind, werde ich mal nachschauen, ob für etes zu einer früheren Zeit eine konkretere Bedeutung belegt ist.
ebber ist also eine Variante von etwer, das es im Neuhochdeutschen nicht mehr gibt. Statt dessen verwenden wir jemand oder irgendwer.
Wie ebbis ist auch ebber weiter verbreitet: Im Pfälzischen (ębər, ębɒr), Elsässischen (epper) und Lothringischen (èbər). Das Elsässische kennt darüber hinaus auch noch eppe ‘etwa’ und eppen(e) ‘irgendwann, von Zeit zu Zeit’ (wahrscheinlich aus mhd. eteswenne).
Von tw zu bb
Wie konnte aber et-w… zu eb… werden? Die Grimms sprechen von einer Assimilation, aber hier wird ja nicht t zu w oder w zu t, sondern es verändern sich gleich beide Laute. Das ist eine sogenannte “reziproke Assimilation”, bei der sich die beiden Laute gegenseitig beeinflussen. Das neue [b] beinhaltet also Merkmale der beiden vorherigen Laute (grün = Stimmhaftigkeit, blau = Artikulationsort, orange = Artikulationsart):
- <t> ist ein stimmloser alveolarer Plosiv [t]
- <w>
- war früher mal ein labialisierter stimmhafter velarer Approximant (=Halbvokal) [w] – wie heute noch im Englischen –
- und ist jetzt ein stimmhafter labiodentaler Frikativ [v]
- <b> ist ein stimmhafter bilabialer Plosiv
Nun ist es etwas schwierig zu sagen, was genau wann passiert ist. Ist ebber entstanden, als wir noch ein [w] hatten, oder erst, als es schon ein [v] war? Ich tippe auf ersteres. Dann hätte das [t] seinen Artikulationsort verlagert, um dem [w] entgegenzukommen. Das [w] ist velar, das heißt der Zungenrücken ist bei der Bildung hinten am Gaumen, aber wichtiger ist hier, dass es labialisiert ist. Das bedeutet, dass man bei der Bildung beide Lippen benutzt. Wenn man zur Bildung eines Plosivs, was das [t] ja ist, die Lippen einsetzt, dann wird er bilabial und somit ein [b] oder [p]. Wir hätten also den Zwischenschritt *ebwas.
In einem zweiten Schritt hätte dann das [b] auf das [w] eingewirkt und es in seiner Artikulationsart verändert: Vom Halbvokal zum Plosiv. Et voilà, ebbas.1 Übrigens: Heute schreibt man zwar noch <bb>, aber in Wirklichkeit ist es längst auf einen b-Laut zusammengeschrumpft. (Den Vorgang nennt man “Degemination”.)
Das [a] wurde später oft abgeschwächt, sodass man dialektal meist ebbes hat. Woher das alemannische [i] stammt, kann ich leider nicht schlüssig erklären. Das Alemannische ist aber sehr i-phil, vielleicht wurde die abgeschwächte Endung einfach als ehemaliges [i] analysiert und dann wieder verstärkt. Das ist jetzt aber reine Spekulation!
Einen ganz ähnlichen Vorgang kann man übrigens zum Lateinischen hin beobachten: aus indogermanischem *dw wurde im Lateinischen b (z.B. *dwis ‘zweimal’ > bis). Im Deutschen hingegen haben wir das ursprüngliche *dw beibehalten, es wurde lediglich durch andere Lautwandelprozesse verändert (indogerm. *dw > germ. tw (1. Lautverschiebung) > ahd. zw (2. Lautverschiebung)).
Flug-Hund, Meer-Katze, Fleder-Maus
Habt Ihr schon mal drüber nachgedacht, dass viele Tiere nach Tieren benannt sind? Obwohl sie gar nicht miteinander verwandt sind? Also z.B. eine Meerkatze keine Katze ist?
Meistens ist der Tierbestandteil ein Wort für ein schon lange domestiziertes Tier – ist ja logisch, dass man von Bekanntem ausgeht, um Unbekanntes zu benennen. In meiner Sammlung besonders prominent1:
Das Schwein
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Das Pferd
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Der Hund
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Die Katze
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Der Bär
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Der Igel
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Und sonst noch so?
- Fledermaus
- Seewolf (Fischfamilie)
- Seeelefant (Robbenart)
- Seeratte (Fischart, siehe Seekatze)
- Seehase (Fischart, Schneckenart)
- Seekuh
- Wasserfloh (Kleinkrebs)
- Walfisch
Woran liegt’s?
Die Gründe für solche Benennungen sind wahrscheinlich sehr vielfältig, jedes Wort hat seine eigene Etymologie.
Bei vielen Bezeichnungen ist ganz klar, dass man niemals dachte, das Tier gehöre zu der Gattung, nach der es benannt ist (Heupferd, Meerschweinchen, Seehase). Warum dann die Benennung? Der kognitive Prozess, der hier häufig mitspielt, nennt sich “Metapher”. Ja, genau, das gibt es nicht nur in Gedichten. Ein Heupferd könnte zum Beispiel nach dem Pferd benannt sein, weil es ebenfalls springt. Ein Wasserfloh könnte so heißen, weil er ähnlich klein wie ein Floh ist. Eine Eichkatze kann so gut klettern wie eine Katze. Ein Seepferdchen sieht einem Pferdekopf ähnlich.
Überhaupt ist die Gruppe der See-Irgendwasse ziemlich groß – vielleicht weil man versuchte, das Seetierreich ähnlich dem Landtierreich zu strukturieren? (Natürlich nicht bewusst. Und natürlich ist das nur eine wilde Vermutung.)
Es gibt aber auch eine Gruppe von Wörtern, bei denen man das Tier YX wirklich als eine Art von X betrachtete. Dazu gehören z.B. die Walfische, die man lange für eine Fischart hielt. (Natürlich entstanden die meisten Wörter, bevor unsere heutige Taxonomie entstand, sie waren also nicht wirklich “Fehlbenennungen”.)
Und schließlich gibt es auch noch die beliebten Volksetymologien: Das Tier hieß ursprünglich ganz anders, das Wort ähnelte aber einem bekannten Tier und wurde so daran angeschlossen. So nimmt man an, dass Meerkatze auf altindisch markáta- ‘Affe’ zurückzuführen ist. Schon im Althochdeutschen wurde es aber als mer(i)kazza bezeichnet.
Auch noch wichtig ist, dass viele dieser Wörter keine deutschen Bildungen sind, sondern Übersetzungen aus einer anderen Sprache. So stammt der Seehund aus dem Niederländischen oder Niederdeutschen und das Flusspferd aus dem Griechischen.
Falls Ihr noch weitere Tiere kennt, die nach Tieren benannt sind … ich freue mich über Kommentare! Auch über Beispiele aus anderen Sprachen oder Hinweise zur Herkunft der schon genannten Wörter.
Welli? Selli! Rätsellösen mit der Mittelhochdeutschen Grammatik
Nico, der Gewinner der Schplock-Jubiläumsverlosung 2009, hat sich nicht damit begnügt, ein Buch von mir geschickt zu bekommen – nein, er hat mir auch postwendend ein Buch zurückgeschickt. Jippie! Und zwar die Mittelhochdeutsche Grammatik von Paul/Mitzka in der 18. Auflage, die (und deren Nachfolgerinnen) ich tatsächlich noch nicht besaß. Ich habe mich enorm gefreut und gleich angefangen, zu lesen. Bereits auf Seite 27 habe ich dann etwas herausgefunden, was ich Euch auf keinen Fall vorenthalten will …
Im Alemannischen gibt es die Wörter seller, selli, sell. Sie entsprechen ungefähr dem hochdeutschen ‘jener, jene, jenes’/‘dieser, diese, dieses’/‘der, die, das’. Das sind Demonstrativpronomen, aber zu dem Thema schreibe ich mal gesondert was. Jetzt geht es nur darum, dass ich jahrelang gerätselt habe, woher die Formen kommen.
Hier ein Beispiel aus meinen Aufnahmen für die Magisterarbeit – ich hatte danach gefragt, welche Spiele es früher gab:
Un die Kardeschbiile, des hämmer au gho. Des het mo gwänlich vun de Vewonde irgendwie mol gschengt griegt, waisch, un … ja. Sell hämmer au gho. Un mer hänau fil gschbielt …
[Und diese Kartenspiele, das haben wir auch gehabt. Das hat man gewöhnlich von den Verwandten irgendwie mal geschenkt gekriegt, weißt du, und … ja. Das haben wir auch gehabt. Und wir haben auch viel gespielt …]1
Formal hat sell weder mit dies noch mit jenes etwas gemein, und sonst ist mir auch kein neuhochdeutsches Wort eingefallen, dem es entsprechen könnte. Ich habe immer mal wieder von Leuten den Vorschlag gehört, es könnte mit dem französischen cela ‘das’ oder celle, celui ‘die, der’ zu tun haben. Da ist aber nichts dran. Es gibt ein hochdeutsches Wort. Die Mittelhochdeutsche Grammatik hat mir auf die Sprünge geholfen:
Die neuhochdeutsche Entsprechung ist solcher (solche, solches). Im Althochdeutschen lautete es noch solihêr oder solher2. Es gab aber die Tendenz dazu, ein h in unbetonter Silbe nur noch ganz schwach und schließlich gar nicht mehr auszusprechen. Das führte zur südalemannischen Form solêr.
Gleichzeitig machte auch das Wort welcher in seiner althochdeutschen Form uuelihêr, uuelher3 diese Entwicklung mit und wurde zu weler. (Auch das gibt es noch heute als weller, welli, wells.)
Und schließlich nahm sich soler das weler zum Vorbild und beseitigte das o zugunsten des e-Lautes. Das nennt man Analogie, das eine Wort benutzt das andere als Muster, um mehr Regelmäßigkeit in die Formen zu bringen.
Seller übernahm schließlich im Alemannischen die Funktions des Demonstrativpronomens, in Aufgabenteilung mit den Artikeln. Die alten Demonstrativpronomen dieser und jener finden sich im Dialekt überhaupt nicht mehr. Und wenn man die ursprüngliche Bedeutung ‘solcher’ ausdrücken will, sagt man einfach so einer.
Heute Nacht werde ich ruhig schlafen können.
Kaum zu glauben
Gestern habe ich in meinem Beitrag zum Wort empfindlich Folgendes geschrieben:
wenn ein bestimmter Verbstamm (oder auch Substantivstamm) nicht bereits mit dem Suffix -lich in der Sprache existiert, können wir das entsprechende Wort nicht einfach erfinden: vorstell-lich oder glaublich gibt es ebensowenig wie esslich/verschlinglich oder spürlich, obwohl wir die bedeutungsverwandten Wörter unglaublich, köstlich und eben empfindlich haben. Das Suffix -lich ist sprachgeschichtlich sehr alt und nicht länger produktiv.
Das war natürlich eine sehr absolute Aussage über einen Phänomenbereich, in dem es nichts Absolutes gibt. Weiterlesen
Sprachliche Empfindlichkeiten
Letzte Woche wies mich Sprachblogleser „Jim“ per E‑Mail auf einen Beitrag im Blog der Berliner Rechtsanwaltskanzlei Hoenig hin, in dem sich der Autor über die Logik des Wortes empfindlich Gedanken macht. Ich zitiere den Beitrag hier in ganzer Länge (da der Autor des Zitats Rechtsanwalt ist, weise ich vorsorglich darauf hin, dass ich mich zur Rechtfertigung dieses Vollzitates auf §51 des Urhebergesetzes, insbesondere auf Satz 2, Nr. 1 berufe):
Aus einem Haftbefehl:
Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Das ist Quatsch. Sprachlich jedenfalls. Denn nicht die Freiheitsstrafe ist empfindlich, sondern allenfalls der Beschuldigte.
Jim stellt dazu folgende Überlegungen an: Weiterlesen
Fronleichnam frönt den Leichen
Fronleichnam als (katholischen) Feiertag gibt es seit 1246 immer am zweiten Donnerstag nach Pfingsten. Das Fest ist auf keinen konkreten biblischen Anlass zurückzuführen – gefeiert wird die körperliche Gegenwart Jesu in Hostie und Messwein bei der Wandlung. (Stichwort Transsubstantiation)
Es handelt sich mal wieder um einen Feiertag, dessen Etymologie im Religionsunterricht alljährlich durchgekaut wurde – aber den fern vom katholischen Glauben Aufgewachsenen unter Euch kann ich vielleicht noch was Neues erzählen. Dazu werde ich das Wort Fronleichnam einmal auseinandernehmen …
Fronleichnam und Frondienst
Das Erstglied Fron gibt es als eigenständiges Wort kaum noch. Wie das gleichbedeutende Frondienst ‘zwangsweise Dienstleistungen in Form von körperlichen Arbeiten für unterschiedliche Herrschaftsträger’ steht es zwar im Wörterbuch, wird aber viel seltener benutzt als letzteres. Bei Google habe ich für Fron quasi keine modernen Verwendungen gefunden. Für Frondienst schon:
“Der Samstag sollte im Bedarfsfall wieder Werktag ohne Zuschläge sein. Die Leute gehen doch eigentlich gern zur Arbeit, das ist doch kein Frondienst”, sagte von Pierer der “Bild”-Zeitung. (Manager Magazin)
Private Altersvorsorge im Frondienst für die öffentliche Hand (Yahoo Nachrichten)
In der Schweiz wird Frondienst ganz neutral benutzt, für ‘freiwilliger Arbeitseinsatz’:
Jeder geleistete Frondienst-Halbtag wird auf unserem Frondienst-Ausweis vermerkt. Für zehn Frondienst-Halbtage gibt es eine Gratis-Übernachtung in einer unserer Clubhütten für zwei Personen. (Schweizerischer Alpinclub Sektion Blümlisalp)
Frondienst durch Vereinsmitglieder und weitere Interessierte ist einer der Stützpfeiler des Typoramas. (Typorama)
Was war aber die ursprüngliche, wörtliche Bedeutung?
Die Basis bildet das althochdeutsche frō ‘Herr’1, beziehungsweise dessen Genitiv Plural, frōno ‘der Herren/der Götter’. Diese Genitivform konnte auch als Adjektiv gebraucht werden und hieß dann ‘rechtlich, gerichtlich, öffentlich’ (bezogen auf den weltlichen Herren und seinen Machtbereich) oder ‘göttlich’.
Die weltliche Bedeutung führte zu Wörtern wie Fronbote ‘Gerichtsbote’ und Frondienst ‘Herrendienst’ (daraus verkürzt dann Fron). Auch das deutsche Wort frönen ist mit Fron eng verwandt (es hieß ursprünglich ‘dienen, unterworfen sein’).
Die religiöse Bedeutung bescherte uns Fronleichnam.
Herzlichen Fronleichnam!
Also heißt Fronleichnam ‘göttlicher Leichnam/Leichnam des Herren’? Nein, das ist noch nicht die ganze Wahrheit. Das Zweitglied hatte früher einmal eine andere Bedeutung: Im Alt- und Mittelhochdeutschen gab es das Wort līch ‘Körper, Fleisch, Leiche’, und von ihm abgeleitet die Form līch-hinamo ‘Körper’. Das hinamo kommt vom westgermanischen hamōn ‘Hülle, Kleidung, Leib’. Die Verbindung der beiden Wörter war wahrscheinlich ursprünglich poetisch und hieß so etwas wie ‘Hülle des Fleisches’ oder ‘Gefäß des Lebens’ und somit letztlich ‘Körper’.
Das Wort Körper gibt es erst seit dem Mittelhochdeutschen (denn es hat ja ein p!). Es war eine Entlehnung des lateinischen corpus und verdrängte das bis dahin übliche līch. Erhalten hat es sich dann nur in der früheren Nebenbedeutung ‘toter Körper, Leiche’.
Fronleichnam heißt somit ‘Körper/Leib des Herren’ und ist eine Teilübersetzung der lateinischen Festbezeichnung corpus christi ‘Körper/Leib Christi’. Der Bezug zum Gefeierten wird sofort klar: Es geht ja um die körperliche Präsenz in der Eucharistie.
Ende gut, alles gut? Ja, aber eines muss ich doch noch schnell loswerden: Das alte Wort līch ‘Körper, Fleisch, Leiche’ hat noch eine andere Entwicklung mitgemacht. Es konnte an ein anderes Wort (x) angehängt werden, das dann die Bedeutung ‘einer, dessen Körper/Gestalt x ist’ bekam. Nach und nach wurde -līch dann zu einer reinen Adjektivendung, ‘etwas, das in der Art von x ist’: fröh-lich, freund-lich, herz-lich, … Dabei verlor es auch sein langes ī und ist heute nur noch ein kurzes -lich. Durch das i in der Endung gab es, wo möglich, Umlaut: gründ-lich, höf-lich, schwärz-lich.
[Lesetipp] Mein Name ist Hasentochter
Bei der FAZ gab’s am Dienstag einen schönen Artikel zu Namengebung in Island: Egils Töchter und Helgas Sohn.
In Island trägt man nämlich normalerweise keinen Familiennamen, sondern einen Vaters- oder Muttersnamen. An den Vornamen eines Elternteils (früher war es immer der Name des Vaters, mittlerweile ist auch der der Mutter möglich) wird einfach -dóttir ‘-tochter’ bzw. -son ‘-sohn’ angehängt. Einen solchen Namen bezeichnet man als “Beinamen”.
Zur allgemeinen Verwirrung habe ich ein Schema gebastelt, das die möglichen Kombinationen darstellt. Oben die Eltern (der Übersichtlichkeit halber ohne Beinamen), unten die Kinder (Helga und Ragnar sind ihre Rufnamen). Die Pfeile von den Vornamen der Kinder aus zeigen an, dass das Zweitglied des Beinamens durch das Geschlecht bestimmt wird (was ja eigentlich logisch ist):
Im Telefonbuch sind die Isländer unter ihren Vornamen zu finden. Möglich ist das natürlich nur, weil Island so überschaubar ist – Familiennamen entstanden nämlich in den meisten Ländern als Reaktion auf die wachsenden Bevölkerungszahlen.
Der Artikel erklärt auch, was passiert, wenn Ausländer Isländer werden wollen, warum manche Isländer doch einen Familiennamen haben und was es mit den “Mittelnamen” auf sich hat. Lesenswert!
Ein Rohling muss kein Wüstling sein
Das versprochene zweite Computerwort − diesmal viel alltäglicher: Rohling. Eine unbeschriebene CD oder DVD. Ich kenne das Wort schon ewig und habe noch nie darüber nachgedacht, aber kürzlich war mir meditativ zumute:
Rohling ist eine Wortbildung auf -ling wie Abkömmling, Erstling, Sonderling, Günstling, Däumling, Schädling, Flüchtling …
Wen mögen die Linge?
Das Suffix -ling sorgt dafür, dass das Wort, an das es angehängt wird, ein Substantiv wird. Dabei ist die Ausgangsbasis ziemlich egal, das -ling gibt es bei vielen Wortarten:
Substantiv | Hof | → Höfling |
Adjektiv | schwach | → Schwächling |
Verb | saugen | → Säugling |
(Wie man sieht, gibt es in der Regel Umlaut, wegen dem [i] in -ling.)
Wirklich jeden?
Jein. Substantivierungen mit -ling gibt es zwar zu verschiedenen Wortarten, aber ganz wichtig für die Zuneigung der Linge ist natürlich, welche Wortarten sie heute noch mögen. Neubildungen nach dem Muster von Häuptling oder Lehrling gibt es heute quasi nicht mehr1, die Schwächlinge hingegen blühen auf: Das Suffix kann mittlerweile (fast) nur noch an Adjektive treten. Der Duden-Newsletter gibt z.B. Naivling und Primitivling als Neuschöpfungen an.
Und wer sind sie überhaupt?
Die Linge sind vielseitig. Es gab sie schon im Althochdeutschen und sie bildeten damals laut Kluge “Zugehörigkeitssubstantive”. Der Häftling gehört also in die Haft, der Hänfling in den Hanf, der Fremdling in die Fremde und der Fäustling an die Faust. Jagut. Sehr allgemein.
Die Bildungen gehen auf ein -ing zurück, z.B. in edil+ing, lantsidil+ing ‘Landsasse’. Das l im Auslaut solcher Wörter wurde dann als Teil der Endung reanalysiert, -ing wurde zu -ling.
Die entstandenen Substantive sind größtenteils Menschen (Sprössling, Liebling, Fremdling, Eindringling, Zögling), es sind aber auch Tiere dabei (Schmetterling, Frischling, Nestling, Sperling), gelegentlich Pflanzen (Pfifferling < mhd. pfefferlinc zu Pfeffer, Schößling, Schierling < ahd. skeriling zu *skarna- ‘Mist’) und sogar Dinge (Schilling, Fäustling) und Abstrakta (Frühling).
Linge sind doof!
Die heute noch produktiven Substantive auf -ling sind i.d.R. abwertende Personenbezeichnungen (fast ausschließlich für Männer verwendbar), meistens sucht man sich für sie auch gleich negative Basen aus, wie Aggressivling, Aufdringling, …
Diese negative Wertung ist sehr stark, es gibt keine positiven neuen Linge. Das böse Vorurteil wird aber natürlich nicht von allen älteren Bildungen geteilt, die Bezeichnungen für Nicht-Menschen sind neutral, die für Menschen können negativ sein, müssen es aber nicht. (Ein netter Dialog zum Thema.) Vielleicht ist die abwertende Bedeutung über den Zwischenschritt der Verkleinerung entstanden (wie bei Säugling oder auch den Tierjungen – Frischling – oder kleinen Tieren – Sperling, Bläuling). Weinrich et al. (2003) sind der Meinung, dass die negative Bedeutung zunächst nur im negativen Adjektiv steckte und von dort aus quasi auf die Endung überging, die sich dann auch an neutrale Wörter hängen konnte, um sie schlecht zu machen: Schreiberling. Leider erschöpfen sich meine kursorischen Nachforschungen aus Zeitgründen hier.
Ist ein Rohling brutal?
Jetzt aber endlich zur unbeschriebenen CD! Das Wort Rohling gab es schon lange vor den CDs in Nicht-Computerbedeutung, und zwar gleich doppelt:
- ein brutaler Mensch
- “Guß- oder Schmiedeteil, der zum Werkstück weiterverarbeitet wird.” (aus: Das neue Taschenlexikon in 20 Bänden, 1992)
Hier ist schön zu erkennen, dass das Wort einmal negativ ist (wenn es einen Menschen bezeichnet) und einmal neutral (bei einem Ding).
Ob die beiden Bedeutungen auf eine Ursprungsform zurückgehen (d.h. von einem Objekt auf einen Menschen übertragen), konnte ich nicht herausfinden, sie können durchaus unabhängig voneinander gebildet worden sein. Grimms Wörterbuch kennt nur den groben Menschen (und gleichnamige Pilze und Frösche), was aber wegen der technischeren Bezeichnung des Metallteils nicht viel heißen muss:
RÖHLING, m., auch rohling, homo rudis, gebildet wie frischling, neuling. bei MAALER der ihm eigenen form rouw entsprechend röuwling (der) ferus (vgl. roh I): die witwe merkte wohl, wo es den rohling drückte. KLINGER 6, 215;
Trotz Unergiebigkeit der Literatur (Das Taschenlexikon kennt ihn noch nicht, Wikipedia ist ungewöhnlich kurz angebunden und Kluge gibt erst recht nichts her) wage ich es zu behaupten, dass der CD-Rohling wohl von der zweiten Bedeutung herkommt. Ebenso wie das Metallteil ist die unbeschriebene CD für unsere Zwecke “formbar” und erhält erst so ihre Bedeutung. Erscheint mir sehr plausibel. Auch wenn die gewalttätige Erklärung irgendwie schöner wäre.