Schlagwort-Archive: Unwort des Jahres

Unwort des Jahres: Anti-Abschiebe-Industrie

Von Anatol Stefanowitsch

Die Sprachkri­tis­che Aktion hat ger­ade das Unwort des Jahres bekan­nt­gegeben: Anti-Abschiebe-Indus­trie (PDF). Nach Volksver­räter (2016), Gut­men­sch (2015), und Lügen­presse (2014) ist damit zum vierten Mal in den let­zten fünf Jahren ein Begriff zum Unwort gewählt wor­den, mit dem Akteure am recht­en Rand Insti­tu­tio­nen und Men­schen kri­tisieren, die sich im Prinzip nur um die Aufrechter­hal­tung rechtsstaatlich­er Prinzip­i­en bemühen.

In diesem Fall war es der CSU-Poli­tik­er Alexan­der Dobrindt, der den Begriff in die öffentliche Debat­te warf, um dem Bemühen um eine recht­skon­forme Behan­dling von Asylbewerber/innen die Legit­im­ität abzusprechen:

Der Aus­druck unter­stellt den­jeni­gen, die abgelehnte Asyl­be­wer­ber rechtlich unter­stützen und Abschiebun­gen auf dem Rechtsweg prüfen, die Absicht, auch krim­inell gewor­dene Flüchtlinge schützen und damit in großem Maßstab Geld ver­di­enen zu wollen. Der Aus­druck Indus­trie sug­geriert zudem, es wür­den dadurch über­haupt erst Asyl­berechtigte „pro­duziert“. [Pressemit­teilung der Sprachkri­tis­chen Atkion]

Der Begriff fügt sich naht­los in ein all­ge­meines Fram­ing ein, das jeden Ein­satz für Schwächere als Han­deln mächtiger Akteure im Hin­ter­grund darstellt — er ist nicht weit ent­fer­nt von recht­sradikalen Ver­schwörungth­e­o­rien, nach denen schwammig definierte Eliten (die oft von Angela Merkel, den Grü­nen und/oder George Soros ange­führt wer­den) sich bere­ich­ern, indem sie die anges­tammte Bevölkerung des Lan­des durch Geflüchtete erset­zen wollen. Das ist kein Zufall: der Begriff greift direkt das gut etablierte recht­sradikale Schlag­wort der Asylin­dus­trie auf.

Auf bre­it­er Ebene durchge­set­zt hat sich die von Dobrindt pop­u­lar­isierte Wortschöp­fung nicht, aber rechte Parteien, von der AfD bis zur NPD, haben das Wort dankbar aufge­grif­f­en. Dass ein Poli­tik­er ein­er in ihrem Selb­stver­ständ­nis demokratis­chen Partei sich auf diese Weise zum Stich­wort­ge­ber für Recht­sradikale macht — und Dobrindt ist da nicht der einzige –, trägt mehr zur oft beklagten „Ver­ro­hung“ des öffentlichen Sprachge­brauchs bei, als es die Recht­sradikalen alleine jemals könnten.

Die Unwort-Jury hat ihre Sache also wieder ein­mal gut gemacht — auch wenn die CSU sich von der Neg­a­ti­vausze­ich­nung, die ihr radikalisiert­er Sprachge­brauch heute erfährt, wohl nicht mäßi­gen lassen wird.

Unwort des Jahres: Alternative Fakten

Von Anatol Stefanowitsch

Die Sprachkri­tis­che Aktion hat ger­ade das Unwort des Jahres bekan­nt­gegeben: alter­na­tive Fak­ten (PDF). Sie schließt sich damit sowohl der Amer­i­can Dialect Soci­ety an, die alter­na­tive facts zum Euphemism of the Year wählte (PDF), als auch der aus­tralis­chen Plain Eng­lish Foun­da­tion für die es das Worst Word of the Year war (PDF).

Der Aus­druck ist nur ein­er von vie­len fast schon hyp­no­tisch post­fak­tis­chen Sprach­mustern, die US-Präsi­dent Trump und seine Gefol­gschaft zum Stan­dard des amerikanis­chen poli­tis­chen Diskurs­es erhoben haben. Er stammt von Trumps Bera­terin Kellyanne Con­way, die ihn ver­wen­dete, um die Trump’sche Behaup­tung zu stützen, zu sein­er Amt­se­in­führung seien mehr Zuschauer/innen erschienen als zu der irgen­deines anderen Präsi­den­ten vor ihm.

Diese Behaup­tung, die sich durch Fil­mauf­nah­men leicht als falsch ent­lar­ven ließ, wieder­holte Trumps dama­liger Press­esprech­er Sean Spicer gle­ich bei sein­er ersten Begeg­nung mit der amerikanis­chen Presse. Vom CNN-Mod­er­a­tor Chuck Todd darauf ange­sprochen, warum man die Zusam­me­nar­beit mit der Presse mit ein­er Lüge beginne, antwortete Con­way: „Sie nen­nen das eine Lüge. Unser Press­esprech­er Sean Spicer lieferte aber alter­na­tive Fak­ten“. „Alter­na­tive Fak­ten sind keine Fak­ten“, erwiderte Todd. „Sie sind Lügen.“ Aber natür­lich sind sie mehr als das – „alter­na­tive facts“ sind Lügen, mit denen eine offen­sichtliche und umfassend doku­men­tierte Wahrheit­en solange bestrit­ten wird, bis sich kein­er mehr daran erin­nert, was denn nun wirk­lich stimmt.

Die Trump-Regierung dominierte auch die englis­chsprachi­gen Wort-des-Jahres-Wahlen der let­zten Jahre: in diesem Jahr wählten sowohl die Amer­i­can Dialect Soci­ety als auch die britis­chen Collins Dic­tio­nar­ies fake news zum Wort des Jahres (im let­zten Jahr war das bere­its der deutsche Anglizis­mus des Jahres und das Aus­tralis­che Mac­quar­ie Dic­tio­nary Word of the Year), im let­zten Jahr war es dump­ster fire („Müll­con­tainer­brand“) – eine Meta­pher unter anderem für den US-Präsi­dentschaftswahlkampf. Das britis­che Word-of-the-Year der Oxford Dic­tio­nar­ies war im let­zten Jahr post truth.

Wenn der post­fak­tis­che Zugang zur Real­ität sich flächen­deck­end durch­set­zt, kann wenig­stens nie­mand sagen, die inter­na­tionale Lexiko­grafie hätte nicht davor gewarnt.

Unwort des Jahres 2016: Volksverräter.

Von Anatol Stefanowitsch

Die „Sprachkri­tis­che Aktion“ hat ger­ade das Unwort des Jahres 2016 bekan­nt­gegeben: Volksver­räter. Damit set­zt die Jury unter Leitung mein­er Darm­städter Kol­le­gin Nina Janich kon­se­quent die Kri­tik an rechter und recht­es Han­deln ver­harm­losender Sprache fort, die sie 2013 mit dem Unwort Sozial­touris­mus begonnen und sei­ther mit Lügen­presse (2014) und Gut­men­sch (2015) fort­ge­set­zt hat.

Die zunehmende Nor­mal­isierung rechter Inhalte und rechter Sprache im öffentlichen Diskurs ist eine erschreck­ende Entwick­lung und man kann es der „Sprachkri­tis­chen Aktion“ nicht hoch genug anrech­nen, dass sie jedes Jahr aufs neue auf diese Entwick­lung hinweist.

Volksver­räter ist ein Begriff, der his­torisch schon zwei sprach­liche Kon­junk­tur­phasen hat­te. Zum ersten Mal nimmt seine Häu­figkeit im Sprachge­bauch im ersten Weltkrieg zu und sinkt dann wieder ab, um dann in der Zeit des Nation­al­sozial­is­mus einen sprung­haften und nach­halti­gen Anstieg zu erleben, der in den 1950er und 1960er Jahren langsam wieder nachlässt.

Die Häu­figkeit­sen­twick­lung liest sich also wie eine Fieberkurve völkischen Denkens in Deutsch­land, und dass das Wort inzwis­chen wieder laut auf der Straße gerufen wird, zeigt, dass die aktuelle, häu­fig als „recht­spop­ulis­tisch“ ver­harm­loste Stim­mung in großen Teilen der Gesellschaft diskur­siv direkt an dieses Denken anschließt.

Wer mehr wis­sen will – ich bin ab 12:10 im Kul­tur­ra­dio des rbb zu Gast, um mit Mod­er­a­tor Frank Rawel und dem Kolum­nis­ten Har­ald Marten­stein über Unwörter all­ge­mein und das Unwort des Jahres im Beson­deren zu disku­tieren. Später bin ich dann noch im Deutsch­landra­dio Kul­tur zu Gast, Details folgen.

Unwort des Jahres 2015: Gutmensch

Von Anatol Stefanowitsch

An der Arbeit der Sprachkri­tis­chen Aktion „Unwort des Jahres“ habe ich ja sel­ten etwas auszuset­zen, und auch dieses Mal hätte sie es schlechter tre­f­fen kön­nen, als sie es mit der Wahl des Wortes Gut­men­sch getan hat. Die Ver­ach­tung und spöt­tis­che Dele­git­i­ma­tion anständi­gen Ver­hal­tens, die in diesem Wort zum Aus­druck kommt, hat nicht erst, aber auch im Jahr 2015 die öffentliche Diskus­sion geprägt und wenn die Wahl zum Unwort dabei hil­ft, eine Grund­satzde­bat­te darüber anzus­toßen, dass die auf Sol­i­dar­ität und Hil­fs­bere­itschaft auf­bauen­den Werte der Gut­men­schen bess­er sind als die auf den eige­nen Vorteil und das eigene Fortkom­men auf­bauen­den Werte der­er, die das Wort ver­wen­den, wäre das ein Gewinn. Weit­er­lesen

Unwort des Jahres 2014: Lügenpresse

Von Anatol Stefanowitsch

Die „Sprachkri­tis­che Aktion“ hat das Unwort des Jahres 2014 bekan­nt­gegeben: Lügen­presse. Mit dieser Wahl set­zt die Jury um Nina Janich von der TU Darm­stadt ihre exzel­lente Arbeit der let­zen Jahre fort.

Um Unwort des Jahres zu wer­den, muss ein Wort „gegen das Prinzip der Men­schen­würde“ oder „Prinzip­i­en der Demokratie ver­stoßen“ oder „einzelne gesellschaftliche Grup­pen diskri­m­inieren“, und es muss „euphemistisch, ver­schleiernd oder gar irreführend“ sein. Auf das unsägliche Dön­er-Morde (2011), traf das auch aus unser­er Sicht klar zu, genau wie beim Opfer-Abo, und beim Sozial­touris­mus im let­zten Jahr waren wir eben­falls ein­er Mei­n­ung mit der Sprachkri­tis­chen Aktion.

Die Wahl des Wortes Lügen­presse begrün­det die Sprachkri­tis­che Aktion wie fol­gt: Weit­er­lesen

Unwort des Jahres 2013: Sozialtourismus

Von Anatol Stefanowitsch

Die „Sprachkri­tis­che Aktion“ hat das Unwort des Jahres 2013 bekan­nt gegeben: Sozial­touris­mus. Beim Sprachlog sind wir ja notorische Nör­g­lerin­nen, wenn es um ander­er Leute Wörter­wahlen geht, aber an der Arbeit der Unwort-Jury haben wir wenig auszuset­zen, seit Nina Janich, Sprach­wis­senschaft­lerin an der TU Darm­stadt, den Vor­sitz über­nom­men hat.

Um Unwort des Jahres zu wer­den, muss ein Wort „gegen das Prinzip der Men­schen­würde“ oder „Prinzip­i­en der Demokratie ver­stoßen“ oder „einzelne gesellschaftliche Grup­pen diskri­m­inieren“, und es muss „euphemistisch, ver­schleiernd oder gar irreführend“ sein. Auf das unsägliche Dön­er-Morde (2011), traf das auch aus unser­er Sicht klar zu, und auch beim per­fi­den Opfer-Abo waren wir im Prinzip ein­er Mei­n­ung mit der Jury. Weit­er­lesen

Wortwahlplaner, Teil 2

Von Susanne Flach

Da wir Exper­tin­nen für Wörter­wahlen sind und einen aus­geprägten Ser­vicegedanken in die Tat umset­zen wollen, erweit­ern wir unseren tra­di­tionellen Wort­wahlplan­er um den Blick über die Gren­ze. Auf­grund der kul­turellen Notwendigkeit („zu stark­er Deutsch­land­bezug der Urwahl“) und des durch­schla­gen­den Erfol­gs emanzip­ieren sich unsere Nach­bar­län­der seit 1999 (Öster­re­ich), 2002 (Liecht­en­stein) und 2003 (Schweiz) auch lexiko­grafisch mit eige­nen Wörter­wahlen. ((Was möglicher­weise von eini­gen etwas despek­tier­lich inter­pretiert wer­den kön­nte, hat aber einen ganz beza­ubern­den Neben­ef­fekt: die Würdi­gung der Idee ein­er Sprachge­mein­schaft, und das unab­hängig davon, ob Schweiz­er, Öster­re­ichis­ches oder Liecht­en­stein­er Stan­dard­deutsch jew­eils eigene Aus­baus­prachen sind oder Vari­etäten ein­er Sprache.)) Weit­er­lesen

Wortwahlplaner

Von Susanne Flach

Jahre­sende ist Wort­wahl­sai­son. Und damit Sie im Spätherb­st und Früh­win­ter nicht den Überblick ver­lieren, haben wir die Kri­te­rien der wichtig­sten Wort­wahlen zusam­menge­tra­gen und mit aufwändi­gen Algo­rith­men die Bekan­nt­gabe der jew­eili­gen Gewin­ner­wörter vorhergesagt:

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Unwörterwahlen: Sind sie doch zu etwas nütze?

Von Anatol Stefanowitsch

Zum Unwort des Jahres habe ich ja bis­lang wenig Nettes gesagt, aber vielle­icht war ich damit vor­eilig: Sie scheint Wirkung zu zeigen — wenig­stens bei Bun­destagspräsi­dent Nor­bert Lammert…

27. Februar 2010

Bun­destagspräsi­dent Nor­bert Lam­mert begrün­det seinen Saalver­weis protestieren­der Abge­ord­neter der Linken:

Der Präsi­dent nan­nte den Auss­chluss „alter­na­tiv­los“, betonte aber, dass dieser nicht die kom­plette Frak­tion, son­dern nur die Protest­teil­nehmer betr­e­ffe. Den­noch zog die kom­plette Frak­tion aus. [Tagesspiegel.de]

18. Januar 2011

Alter­na­tiv­los“ wird zum Unwort des Jahres gewählt. [Tagesspiegel.de]

19. Januar 2011

Bun­destagspräsi­dent Nor­bert Lam­mert find­et, dass es immer Alter­na­tiv­en gibt:

Bun­destagspräsi­dent Nor­bert Lam­mert (CDU) hat die Entschei­dung, das Wort „alter­na­tiv­los“ zum Unwort des Jahres zu bes­tim­men, als „ein­leuch­t­end“ beze­ich­net. Rein logisch sei es „unsin­nig, von Alter­na­tivlosigkeit zu reden“, sagte Lam­mert am Mittwoch im Inter­view mit der Nachricht­e­na­gen­tur dapd. Moniert werde ein Sprachge­brauch, „der schlicht eine Fahrläs­sigkeit in der Ter­mi­nolo­gie erken­nen lässt, die den meist sehr viel kom­plex­eren Sachver­hal­ten nicht gerecht wird“, fügte der Bun­destagspräsi­dent hinzu. Alter­na­tiv­en gebe es immer. Die eigentlich wichtige Frage sei, welche denkbare Lösung die best­mögliche sei. [dapd]