Da ich für den Londoner Radiosender Monocle (der mich immer anruft, wenn in Deutschland etwas sprachlich Signifikantes passiert) noch einmal den Siegern von Langenscheidts Jugendwort-Wettbewerb hinterher recherchieren musste, hier noch ein paar Fakten und Nachgedanken zu unserem gestrigen Leak (die Radiosendung selbst gibt es als Podcast hier, ich komme ganz am Schluss). Weiterlesen
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Sprachbrocken 22/2013
Keine Woche vergeht, in der ich nicht irgendwo lese, dass die Sprache der „Schlüssel zur Integration“ sei. Dabei geht es meistens um Schulkinder mit Migrationshintergrund, denen mittels wenig nachvollziehbarer Kriterien mangelhafte Deutschkenntnisse attestiert werden. In Österreich, berichtet unter anderem der KURIER, dürfen Schuldirektor/innen solchen sprachlichen Schlüsselkindern in Zukunft die Schulreife absprechen und sie in gesonderte Vorschulklassen abschieben, wo sie dann ohne Kontakt zu deutschsprachigen Schüler/innen, also vermutlich durch Magie, Deutsch lernen sollen.
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Frühstück auf Türkisch
Ich versuche mich mal wieder am Türkischlernen und kämpfe mit Siebgedächtnis gegen einem riesigen Vokabelberg. Dabei habe ich einen Zusammenhang zwischen drei Wörtern festgestellt, die ich mir jetzt prompt merken kann. Und zwar ‘Kaffee’, ‘Frühstück’ und ‘braun’:
kahve
kahvaltı
kahverengi
[Lesetipp] Das Gehirn lernt mehrere Sprachen gleichzeitig
Kluge Artikel über Sprache scheinen Konjunktur zu haben! Hier schnell ein Hinweis auf ein schönes Interview aus dem Spiegel mit Petra Schulz über Zweisprachigkeit im Fall von Deutsch und Türkisch – ein Sprachpaar, das in der öffentlichen Wahrnehmung bekanntermaßen ziemlich unfair behandelt wird. Sie bringt es auf den Punkt:
Wir leben mit einer Doppelmoral. Wir freuen uns, wenn jemand mit Deutsch und Chinesisch aufwächst oder mit Deutsch und Englisch. Dafür gibt es Schulterklopfen. Warum nicht Deutsch und Türkisch?
Vokalharmonisches Türkisch
Ich habe Anfang des Jahres zum ersten Mal seit ewig eine Zwiebelfischkolumne gelesen. Und erstaunlicherweise am Ende nicht angewidert weggeklickt, sondern eher neutral. Ne Kolumne halt. Es geht um Sprache und Sprachspiele und er versucht nicht, sprachwissenschaftlich zu sein. Vielleicht kann ich ihn vom Erzbösewicht zum normalen Bösewicht runterstufen? Mal im Auge behalten.
Der Text handelt von der ü-Affinität des Türkischen und davon, dass es im Deutschen ja auch eine Menge ü’s gibt. Aber Äpfel und Birnen. Dass beide Sprachen den Laut ü besitzen, ist eine ziemlich lasche Gemeinsamkeit. Das ü ist zwar ein nicht sooo häufiger Laut, findet sich aber doch in einer ganzen Reihe von uns umgebenden Sprachen, so im Französischen (culture ‘Kultur’), im Schwedischen (tysk ‘deutsch’), im Niederländischen (huren ‘mieten’) und im Ungarischen (könnyű ‘einfach’). Die weltweite Verbreitung in einem Sample von 562 Sprachen kann man sich im WALS anschauen (und habe ich auch hier schon einmal behandelt):
Auffälliger ist (wie Sick auch bemerkt), dass beide Sprachen den Laut als <u> mit zwei Punkten drauf verschriften. Aber mir geht’s um die Verteilung dieser ü’s. Dass Deutsch und Türkisch den Laut haben und gleich schreiben, heißt nämlich noch lange nicht, dass sie ihn auch gleich nutzen … Weiterlesen
[Lesetipp] Kleine Auslese
In letzter Zeit habe ich einiges gelesen, was ich euch nicht unverlinkt lassen will …
Lost in Translation von Lera Boroditsky (die auf dem Foto irgendwie an Bones erinnert) …
… handelt davon, ob Sprache die Art und Weise beeinflusst, wie wir denken. Die Autorin ist Psychologin und hat eine ganze Menge spannende Experimente zu solchen Fragestellungen gemacht, deren Ergebnisse in diesen Text einfließen. Wirklich sehr empfehlenswert. Auch wer sich nicht so für die Theorie dahinter interessiert, wird eine Menge faszinierende Details über Sprachen entdecken.
Do the languages we speak shape the way we think? Do they merely express thoughts, or do the structures in languages (without our knowledge or consent) shape the very thoughts we wish to express?
(Gefunden bei Language Log.)
Von Duden-DNA und einer Außerirdischensprache von Stephan Matthiesen …
… ist eine ganz ungewöhnliche Art von Artikel: ein Bericht über einen wissenschaftlichen Workshop (“Language as an Evolutionary System”). Matthiesen gibt einen Überblick über die verschiedenen Standpunkte und Forschungsansätze und liefert am Ende sogar Links und Literaturhinweise: Respekt.
Ob und wie sich das Konzept Evolution auf Sprache übertragen lässt, ist noch völlig offen. Ein Workshop brachte kürzlich verschiedene Ansätze zusammen: Was formt unsere Sprachen?
[Buchtipp] The Unfolding of Language (Du Jane, ich Goethe)
Language is mankind’s greatest invention – except, of course, that it was never invented. (Guy Deutscher)
Schon wieder ein Buchtipp! Ui! Heute will ich Euch “The Unfolding of Language” von Guy Deutscher ans Herz legen. Ich hab’s auf Englisch gelesen, es gibt aber auch eine deutsche Übersetzung: “Du Jane, ich Goethe”. Keine Angst, der Inhalt wurde bedeutend besser übersetzt als der Titel befürchten lässt, ich hab mal in der Buchhandlung reingelesen.
Worum geht es? Darum, wie Sprache entsteht und sich verändert. Deutscher hat als großes Ziel vor Augen zu erklären, wie komplizierte Satzstrukturen und Grammatik entstanden sein könnten. Da die Entstehung der Sprache viel zu lange her ist, um darüber irgendwelche Aussagen zu treffen, wählt Deutscher “neuere” Beispiele aus ganz verschiedenen Sprachen, nur wenige Jahrhunderte oder Jahrtausende alt. Die allgemeinen Prinzipien, die darin wirken, vermutet er auch schon zu früheren Zeiten. Der unter Laien verbreiteten Ansicht, dass unsere Sprache einmal perfekt war und jetzt nur noch verfällt, widerspricht er entschieden.
Das Buch kommt komplett ohne Fachtermini aus – und ist dennoch wissenschaftlich fundiert. (Grammatikalisierung, Analogiebildung und Ökonomie spielen z.B. eine große Rolle.) Ich hatte eine Menge Spaß beim Lesen, und das, obwohl ich die meisten präsentierten Fakten und Gedanken schon kannte – es ist einfach richtig gut geschrieben und clever aufgebaut. Mein persönliches Highlight war die Theorie zur Entstehung der Wurzelkonsonanten im Arabischen, ein Thema, über das ich mir noch nie Gedanken gemacht hatte.
Deutschen würde ich übrigens eher zur deutschen Ausgabe raten, die keine bloße Übersetzung ist. Viele Grundlagen werden nämlich im Original an kleinen Beispielen aus dem Englischen erklärt. Für die deutsche Übersetzung wurde, wo es möglich war, nach deutschen Beispielen gesucht, die das gleiche zeigen. So geht es zum Beispiel einmal darum, dass im Englischen die Entwicklung von th zu f eigentlich ganz naheliegend ist und auch in einigen Dialekten vorkommt. Den Laut th gibt es im Deutschen aber nicht, so dass schließlich p zu b gewählt wurde, etwas, das man z.B. im Hessischen beobachten kann.
Wer sich für Sprache und Sprachen interessiert, dem kann ich das Buch wirklich nur empfehlen!
wirzind urlaup
photokej hat ein schönes Hinweisschild bei einem türkischen Lebensmittelhändler gefunden, das auch aus Schplock-Perspektive spannend ist:
Der deutsche Text Libe Kunden wirzind urlaup Danke verrät nämlich einiges über das türkische Schriftsystem und das Türkische generell.
Türkisch wird erst seit 1928 in lateinischen Buchstaben geschrieben, davor benutzte man arabische Schriftzeichen. Die waren allerdings ziemlich inadäquat, weil man damit nicht alle Laute des Türkischen notieren konnte. Seit 1928 benutzt man nun also lateinische Buchstaben: <a b c ç d e f g ğ h ı i j k l m n o ö p r s ş t u ü v y z>
wir zind ≠ wir tsind
Wie die Buchstaben im Einzelnen ausgesprochen werden, könnt Ihr ganz leicht selbst herausfinden, nur auf das <z> will ich eingehen. Wie in sehr vielen anderen Sprachen auch1, steht das <z> im Türkischen nicht für [ts], sondern für ein stimmhaftes s.
Im Deutschen gibt es <ß> und <ss> ausschließlich für das stimmlose s. Der Buchstabe <s> kann aber sowohl für die stimmlose als auch für die stimmhafte Variante stehen: in <Ast> ist er stimmlos, in <Sonne> stimmhaft. Bei deutschen Wörtern ist das <s> am Wortanfang immer dann stimmhaft, wenn ein Vokal direkt darauf folgt. (See, Sau, sieben, … aber Slalom, Skript, Sniper2)
Die Schreibung <zind> für <sind> kommt also daher, dass im Türkischen <z> der Buchstabe für das stimmhafte s ist.
(Darauf folgt natürlich auch umgekehrt die Erkenntnis, dass Namen wie Özdemir nicht Ötzdemir gesprochen werden.)
urlaup
Urlaub wird im Deutschen ja tatsächlich mit einem p-Laut am Ende gesprochen. Schuld ist die “Auslautverhärtung”, ein Phänomen des Deutschen, das bestimmte Konsonanten am Silbenende stimmlos macht.
Betroffen sind
- die Plosive [b], [d], [g]
- Urlaub wird Urlaup gesprochen (aber: Urlaube)
- Rad wird Rat gesprochen (aber: Räder)
- Splog wird Schplock gesprochen (aber: Schplögge … ähm, okay, lieber Weg wird Week gesprochen, aber: Wege)
- die Frikative [v] (der w-Laut) und [z] (das stimmhafte s)
- brav wird braf gesprochen (wobei da auch viele Leute immer f sagen, auch bei brave)
- Los /lo:z/ wird Los gesprochen (aber: Lose [lo:zə])
Die Auslautverhärtung ist ein sehr altes Phänomen, schon im Mittelhochdeutschen gab es sie (<c> = [k]):
… ich sach, deist sicherlîchen wâr,
eins gebûren sun, der truoc [trug] ein har,
daz was reide unde val;
ob der ahsel hin ze tal mit lenge ez volleclîchen gienc [ging]. […]wie Troye wart besezzen,
dô Pârîs der vermezzen
dem künege ûz Kriechen nam sin wîp, [Weib]
diu im was liep [lieb] alsam sîn lîp [Leib], … (Meier Helmbrecht)
Zwischenzeitlich hat man aber wieder aufgehört, sie auch zu schreiben. Der Grund nennt sich “Morphemkonstanz” was eigentlich nichts anderes heißt, als dass man am Schriftbild klar erkennen können soll, dass <Urlaub> und <Urlaube> Formen ein und desselben Lexems sind.
Aber zurück zur türkischen Transferenz: Die Person hat nicht nur urlaup geschrieben, weil sie nach Gehör geschrieben hat. Im Türkischen gibt es nämlich ein Phänomen, das auch mit stimmhaften und stimmlosen Konsonanten zu tun hat:
p, t, k oder ç am Wortende werden bei vielen Wörtern stimmhaft, wenn eine Endung angefügt wird. Man könnte es auch als “Inlauterweichung” bezeichnen:
- [p], [t], <ç> [tʃ] werden zu [b], [d], <c> [dʒ], also stimmhaft
- [k] wird zu <ğ> [ɣ], einem stimmhaften Reibelaut (wobei der Buchstabe auch oft nur dazu dient, eine Vokallängung anzuzeigen)
Im Gegensatz zum Deutschen schreibt man das im Türkischen aber auch verschieden:
- <kitap> ‘Buch’
- <kitap>+<ım> → <kitabım> ‘mein Buch’
Der Verschriftung der deutschen Auslautverhärtung wird also durch die türkische Rechtschreibung nachgeholfen – wenn man den Wechsel von <b> und <p> schon kennt, kommt’s einem auch im Deutschen nicht unbedingt komisch vor.
wirzind urlaup – wo?
Mein letzter Punkt hat mir Rechtschreibung nichts mehr zu tun – es geht um die fehlende Präposition im.
Im Türkischen gibt es keine Präpositionen. Ihre Funktion wird in den meisten Fällen von Kasusendungen erfüllt, die ans Substantiv angehängt werden:
- im Haus braucht im Türkischen einen Lokativ, einen Kasus, der den Ort angibt, an dem sich etwas befindet: evde ‘Haus+LOK’ (auch: ‘zuhause’)
- aus dem Haus (heraus) braucht einen Ablativ, der anzeigt, dass etwas vom Substantiv entfernt wird: evden ‘Haus+ABL’
Ich nehme an, dass auch bei im Urlaub im Türkischen ein Lokativ stehen müsste (?).
Die beiden Systeme sind also nicht wirklich kompatibel. Dazu kommen die Genera des Deutschen: Um im Urlaub korrekt sagen zu können, muss man nicht nur die entsprechende Präposition kennen, sondern auch noch wissen, dass Urlaub maskulin ist und daher im braucht, nicht in der. (Ganz abgesehen von der Kasusflexion …)
Die Präposition wegzulassen, ist da wahrscheinlich das einfachste. Vor allem, wenn man endlich entspannt Ferien machen will.