Der VDS setzt sich neben wenig erfolgreichen Versuchen, Deutsch als Amtssprache im Grundgesetz zu verankern, seit Jahren auch für eine Quote ein, die den Anteil an deutschsprachiger Musik im Radio erhöhen soll. Der neuste Vorstoß kommt jetzt mit einem offenen Brief an die Mitglieder des Rundfunkrats, der auf Grundlage einer VDS-Erhebung die Einführung einer solchen Radio-Quote fordert. Weiterlesen
Schlagwort-Archive: Statistik
Witwe vs. Witwerin
Im Sprachlog geht es zur Zeit um die Form Witwerin (statt Witwe) und ihre möglichen Ursachen. (Kurzversion: Es handelt sich um eine Analogiebildung zu all den anderen abgeleiteten Formen auf -in, die an Personenbezeichnungen auf -er angehängt werden.)
In den Kommentaren kam die Frage auf, ob Witwe und Witwerin einmal gleichberechtigt nebeneinander existierten:
Waren damals die Witwerin ein glecihberechtigtes Synonym zur Witwe? Oder war Witwe immer das Grundwort und die Witwerin war immer eine zweifelhafte Nebenform. Wann und warum setzte sich die Witwe durch?
Nun haben wir leider keine perfekten historischen Korpora, aber ich glaube, dass das, was es so gibt, auch ein ganz gutes Bild vermittelt.1 Ich habe mal bei GoogleBooks alle deutschsprachigen Bücher nach Jahrhunderten getrennt durchsucht, beginnend mit dem 16. Jahrhundert. (Vorher sah es ja bekanntlich mau aus mit dem Buchdruck.)
Kaum einer mag die Witwerin
Die Ergebnisse zeigen recht deutlich, dass Witwerin immer nur eine (mit gutem Willen) Nebenform war: Weiterlesen
1/2 7 vs. 7 1/2 Uhr
Achim hat kürzlich in einem Kommentar nach einer speziellen Uhrzeitangabe gefragt:
Mir ist bei den Uhrzeiten eingefallen, dass früher (man findet es z.B. auf alten Theaterzetteln in Programmheften) Uhrzeitangeben wie „7 1/2 Uhr abends“ üblich waren. Ich tippe ja, dass das „19.30“ und nicht „18.30“ bedeutet, aber hat da jemand Handfesteres als meine Vermutung? Ist ja interessant, dass das neben „halb acht“ existiert hat.
Die Schreibweise mit nachgestelltem ½ findet sich tatsächlich häufig in älteren Texten, so zum Beispiel hier:
Dass es sich nicht um eine Variante von ½ 7 (halb sieben) handelt, wird schnell klar, wenn man sich Weiterlesen
[Videotipp] The linguistic genius of babies
Ich bin dieser Tage ganz furchtbar beschäftigt und komme leider kaum zum Schplock – wird aber wieder besser. Spätestens übernächste Woche. (Nächste Woche ist DGfS-Jahrestagung, sieht man da jemanden von euch?)
Inzwischen ein schneller Videotipp: Patricia Kuhl spricht über Spracherwerb. Sehr kurz, aber spannend. (Momentan nur auf Englisch, aber vielleicht kommen ja demnächst noch deutsche Untertitel dazu.)
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=qRRiWg6wYXw]
Mehr Spaß mit Ngrams
Heute gibt es ein buntes Sammelsurium von Abfragen mit dem Ngram Viewer. Ich finde sie alle aus dem einen oder anderen Grund ganz erhellend. Vielleicht ja sonst noch wer?
Ab wann ist das Korpus brauchbar?
Meine “schönste” Abfrage ist sicher die folgende, die ich kürzlich (in einer minimal abweichenden Version) auch in den Sprachlog-Kommentaren gepostet habe:
Wie man sieht, wenn man draufklickt, habe ich Allerweltswörter abgefragt: der, die, und, in, … Das sind Wörter, die so häufig sind, dass man in einem ausgewogenen Korpus eigentlich keine großen Schwankungen erwarten würde. Man braucht sie einfach immer, für jeden Text. Klar, das geht nicht unbegrenzt weit zurück, irgendwann sind die Artikel ja auch entstanden, und Personalpronomen waren z.B. im Althochdeutschen noch lange nicht so gebräuchlich wie heute. Aber für die späte frühneuhochdeutsche und neuhochdeutsche Zeit, die der Ngram Viewer abdeckt, sollte es doch einigermaßen passen. Weiterlesen
[Werkzeug] Burnouts bei Cosmas II
Ein Freund hat mich gefragt, ob die Verwendung des Begriffs Burnout seit den 1990ern in Zeitungstexten zugenommen habe und wie er das herausfinden könne. Für eine medizinische Doktorarbeit. Juhu, konkreter Nutzen für die Menschheit involviert!
Nun gibt es elektronische Textsammlungen, mit denen sich solche Abfragen machen lassen, aber oft sind sie für Laien schwer zu durchschauen. (Und ich will nicht behaupten, dass ich da den vollen Durchblick hätte.) Eine davon ist das Deutsche Referenzkorpus, das man über Cosmas II nutzen kann. Bei Beiträgen zum Anglizismus des Jahres 2010 kamen schon öfter Recherchen dazu vor, jetzt will ich einmal exemplarisch zeigen, wie man an solche Fragestellungen herangehen kann.
Ich benutze hier die Weboberfläche, aber man kann sich die Software auch installieren. Zuerst braucht man aber (aus rechtlichen Gründen) auf jeden Fall ein Nutzerkonto. Leider ist die Navigation der Oberfläche suboptimal, man muss ständig zwischen der horizontalen Leiste und der linken Spalte hin- und herspringen. Zunächst einmal oben auf “Anmeldung”, dann links auf “Login” und dann oben wieder auf “Recherche”. Und wieder links auf “Archiv”. Hier kann man jetzt unter den folgenden Archiven auswählen:
- W — Archiv der geschriebenen Sprache
- W‑ÜBRIG — Archiv der aussortierten geschriebenen Korpora
- HIST — Archiv der historischen Korpora
- GFDS — Kartei der Gesellschaft für deutsche Sprache
- TAGGED — Archiv der morphosyntaktisch annotierten Korpora
- WK-PH — Archiv der phasengegliederten Wendekorpora
- W‑TAGGED — Auswahl mit CONNEXOR getaggter Korpora
Für unsere Zwecke brauchen wir das W‑Archiv, die anderen sind entweder zeitlich nicht relevant oder zu klein oder beides. Nach dem Klick darauf erscheint eine Übersicht über alle “virtuellen Korpora”, die darin enthalten sind. Das sind hauptsächlich Zeitungstexte aus ganz verschiedenen Jahren und ganz verschiedenen Umfangs. Damit wir sicher sagen können, dass es eine relative Zunahme von Burnout gibt, müssen wir sicherstellen, dass wir für alle untersuchten Jahre ungefähr gleiche Textmengen haben – wir brauchen also Zeitungen, die die gleichen Jahrgänge abdecken.
[Anglizismus des Jahres] ausrollen?
ausrollen in Bezug auf Technik (z.B. ein Update) ist ein Kandidat für den Anglizismus des Jahres 2010, der von vielen Seiten als schon lang etabliert kritisiert wurde. Das ist hier besonders schwierig herauszubekommen, weil das Wort in einer anderen, weniger metaphorischen Bedeutung (Teppich, Teig), schon lange existiert. Wir haben es also mit einer Lehnbedeutung zu tun: Ein Aspekt des englischen to roll out, nämlich dieser technische/produktionsbezogene, wurde übernommen, aber einem deutschen Wort zugeschlagen. Das passiert oft bei Wörtern, die sich formal oder inhaltlich gleichen, hier ist beides der Fall.
Was kann man alles ausrollen?
Zunächst einmal stellt sich die Frage, was das Wort überhaupt heißt. Ich lag mit meiner Intuition z.B. ziemlich daneben bzw. hatte nur einen Teilaspekt erfasst. Glücklicherweise gibt es einen Wikipediaeintrag für Rollout (seit Juni 2004), aus dem sich die folgenden Bedeutungen destillieren lassen (fast wörtlich übernommen!):
teilw. synonym: Markteinführung, Einführung
- Flugzeugbau: erstmaliges Herausrollen des Flugzeugs aus seiner Baustätte (oft mit Festakt verbunden)
- Software 1: Veröffentlichen und Verteilen von Softwareprodukten auf entsprechende Clients (auch Software-Distribution) – wird durch zentrales Hosting zunehmend obsolet
- Software 2: organisatorische Projekt-Themen (z.B. Informationsdistribution über Organisationseinheiten, Marketing, Software- und Prozess-Training, Monitoring und Reporting über den Rollout-Verlauf)
- Hardware: Austausch sämtlicher Computerhardware bei einem Generationswechsel der Computer eines Unternehmens
1, 2 und 4 sind mir klar, aber … 3? Hä? Hinzugefügt wurde die entsprechende Passage im November 2006, leider ohne Erklärung in den Diskussionsseiten. Weiterlesen
[Anglizismus des Jahres] entfrienden/entfreunden?
Heute beschäftige ich mich mit einem der Kandidaten, bei denen nicht das komplette Material entlehnt wurde, nämlich dem Doppelkandidaten entfrienden/entfreunden. Hier haben wir es mit einer Ableitung zu tun. Ihre Bedeutung würde ich ungefähr fassen als: ‘eine bei einem sozialen Netzwerk/Computerspiel/… bestehende Verknüpfung (“Freundschaft”) wieder auflösen’.
Vor man entfrienden kann, muss man frienden!
Will man diese Bildung untersuchen, dann muss man sich zunächst einmal anschauen, wie ihre Basis, also frienden/freunden, zustande kam, wie man sie in den folgenden Beispielen findet:
Noch mehr Leute hier, die ihre Eltern bei Facebook nicht gefriendet haben? (Quelle)
Ich hab so viele Leute gefriendet, wenn ich nicht mehrmals täglich die Frienslist lesen würde, käme ich gar nicht mehr hinterher! (Quelle)
Ella Lingens Gymnasium kann man nicht “frienden” nur “liken”, oder? (Quelle)
Hab ein paar von euch gefreundet ‚hoffe das ist ok! (Quelle)
Auffällig ist, dass hier meist das Partizip vorkommt, d.h. über die Handlung öfter in der Vergangenheit gesprochen wird. Mir selbst kommt der Infinitiv schon fast ungrammatisch vor. Weiterlesen
When you friend someone …
Bevor ich mich im Rahmen der Wahl zum Anglizismus des Jahres 2010 mit entfreunden/-frienden im Deutschen beschäftige, will ich kurz den Hintergrund im Englischen beleuchten – zumindest das davon, was ich einigermaßen klären konnte.
Anfreunden auf Englisch
“in the Facebook sense”
Das deutsche Verb frienden kommt vom gleichbedeutenden englischen to friend. Als heutige Bedeutung würde ich ansetzen ‘bei einem sozialen Netzwerk/Computerspiel/… eine Verknüpfung (“Freundschaft”) erstellen’. Ein bißchen anders sieht es die englische Wikipedia (eigener Eintrag seit dem 1. November 2010):
As a neologism, the term is a transitive verb meaning “to send a friend request on Facebook.”
Hier wird als Bedeutung also ‘jemandem auf Facebook eine Freundschaftsanfrage schicken’ angegeben. Das finde ich etwas zu eng, wird doch auch anderswo, z.B. bei LiveJournal oder MySpace, eine ganze Menge gefriendet. Außerdem stellt sich natürlich die Frage, ob frienden etwas ist, das man völlig eigenständig tun kann (also die Anfrage stellen), oder ob es nicht eher reziprok getan werden muss (der zukünftige “Freund” muss ja zustimmen). Wäre vielleicht ganz spannend, Beispiele daraufhin zu untersuchen, ob im alltäglichen Gebrauch schon der Versuch der Freundschaftsknüpfung als to friend gewertet wird.
Facebook selbst, das oft als Ursache für die Entstehung angegeben wird, verwendet das Wort übrigens nicht, sondern bedient sich einer Umschreibung:
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[Anglizismus des Jahres] Die App?
Ich will euch ein wenig an meinen Überlegungen zum Anglizismus des Jahres teilhaben lassen. Dazu picke ich ein paar Kandidaten heraus und schaue, was sie so unternommen haben, um sich im Deutschen zu verbreiten. Beginnen will ich mit der App. Das Wort bezeichnet ein kleines, i.d.R. kostenpflichtiges (aber günstiges) Programm, meist für ein Handy, aber auch für den Computer. Disclaimer: Ich habe noch nie wissentlich eine App genutzt.
Die Bedeutung
app entstand als Kurzform für application ‘Anwendung’. Die englische Wikipedia leitet entsprechend auch von App auf Application software weiter, es gibt keine Differenzierung wie in der deutschen. Entsprechend der allgemeinen Ausgangsbedeutung nennen frühe Texte das, was der App Store verkauft, auch meist Programm. In den Textbeispielen der ersten generischen Verwendungen (s.u.) finden sich als Quasi-Synonyme Progrämmchen, Handyerweiterungen und kleines Programm. Hier ist also schon eine semantische Verengung eingetreten, es geht nicht um irgendein Programm, sondern um ein kleines, das nicht zur Grundfunktion eines Handys oder Computers zählt (Erweiterung). Soweit ich das einschätzen kann, ist diese semantische Entwicklung nichts eigenständig Deutsches, sondern im Englischen passiert und dann mit dem Wort zusammen entlehnt worden. Weiterlesen