Schlagwort-Archive: Sprachwandel

Herrliche Etymologie, dämliche Aufgabe

Von Kristin Kopf

Auf der Suche nach Auf­gaben zur Wort­bil­dung bin ich vor eini­gen Wochen auf die fol­gende Frage gestoßen:

Quelle: Bach­e­lor­wis­sen Ger­man­is­tis­che Lin­guis­tik (Busch/Stenschke)

Beschreiben Sie aus­ge­hend von der zugrunde liegen­den Wort­bil­dung den Bedeu­tungswan­del bei den Adjek­tiv­en däm­lich und her­rlich.

Erst fand ich’s lustig, aber dann hat mich das Mitleid mit den armen Bach­e­lors gepackt. Das ist näm­lich eine ganz gemeine Falle. Weit­er­lesen

Die Birne ist hinfällig

Von Susanne Flach

Alt­bun­deskan­zler Hel­mut Kohl feierte gestern seinen 80. Geburt­stag. Der einzige Grund, ihn dafür nicht an seinem Geburt­stag zu würdi­gen, liegt im gestri­gen Artikel, den ich per­sön­lich zu schön fand, ihm auch gle­ich eine eben­bür­tige Konkur­renz aufzuhalsen.

Aber wid­men wir uns einem Beitrag auf NDR2, der gestern einen Nachruf, par­don, einen Beitrag über die Geburt­stagsnicht­feier­lichkeit­en Hel­mut Kohls sendete:

[Hel­mut Kohl] ist ein bißchen hin­fäl­lig gewor­den, aber er ist voll präsent. Ihm kann kein­er was vor­ma­chen; er nimmt am poli­tis­chen Leben insofern teil, als dass er sich über alles noch informieren lässt. Hel­mut Kohl ist geistig voll da, aber er ist kör­per­lich eben hinfällig.
(Diet­mar Riemer, ARD-Haupt­stadt­stu­dio Berlin,“Kuri­er um 12″, NDR2, 3. April 2010)

Ich stutzte sofort beim Adjek­tiv hin­fäl­lig. Weit­er­lesen

Einhällig und aufwendig

Von Kristin Kopf

Ich habe eben einen (übri­gens aus­geze­ich­neten!) Blog­beitrag von Ana­tol Ste­fanow­itsch zum iPad gele­sen und darin fol­gende Schrei­bung entdeckt:

Schon damals habe ich mich darüber gewun­dert, dass die Presse hier so ein­häl­lig einen Humor pflegt (oder auf­greift), der auf der krampfhaften Suche nach anstößi­gen Dop­peldeutigkeit­en beruht und der mir seit der sech­sten Klasse nicht mehr begeg­net ist.

Ein großar­tiger Satz, ganz neben­bei. Mir geht’s aber um das <ä> in ein­häl­lig. Das ist zwar ein Rechtschreibfehler, aber er deutet auf etwas span­nen­des hin: eine gelehrte Volk­se­t­y­molo­gie, denn hier wurde ein­hel­lig wahrschein­lich an hallen angeschlossen und entsprechend mit <ä> geschrieben.

In Wirk­lichkeit stammt’s vom althochdeutschen Verb hel­lan ‘tönen’. Das ist heute aus­gestor­ben, an sein­er Stelle hat sich hallen durchge­set­zt, das seit dem 15. Jahrhun­dert belegt ist und vom mit­tel­hochdeutschen Sub­stan­tiv hal ‘Hall’ abgeleit­et wurde (welch­es wiederum doch auf hel­lan zurück­ge­ht, aber den Schlenker ers­pare ich euch lieber).

ä‑tymologische Schreibung

Dass man Wörter an ver­wandte Wörter mit <a> anschließt und entsprechend <ä> statt <e> schreibt, ist eine beliebte Prax­is. Ihr erin­nert euch vielle­icht dran, wie’s bei der Rechtschreibre­form hieß, dass man jet­zt <aufwändig> mit <ä> schreibt, weil es von <Aufwand> kommt und <Stängel> wegen <Stange>. Das Prinzip, das man damit ver­fol­gt, heißt “Mor­phemkon­stanz” – zusam­menge­hörige Wörter sollen auch durch die Schrei­bung als solche markiert werden.

Das ist ganz deut­lich bei den Umlaut­plu­ralen, wo man niemals <Hand> – <Hende> schreiben würde (aber dur­chaus mal getan hat), oder bei den Weit­er­lesen

Freigieb- oder ‑gebig?

Von Kristin Kopf

Das, worüber das ich heute schreiben will, habe ich in mein­er Schulzeit für eine reine Reclam-Eigen­heit gehal­ten. In den Reclamheften stand näm­lich immer freige­big, wo ich freigiebig erwartet hätte. Komis­ch­er Verlag.

Sei­ther ist mir freige­big aber auch in anderen Kon­tex­ten begeg­net, zulet­zt im Wartez­im­mer in Geo (in der Jan­u­a­raus­gabe war übri­gens auch ein Artikel über Piraha/Dan Everett drin):

Wis­senschaftler glauben, dass die Men­schen freige­biger werden. …

Was hat es damit auf sich? Habe ich mein ganzes Leben lang eine Form benutzt, die son­st kein­er kennt?
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Die deutsche Bahn als Bewahrerin

Von Kristin Kopf

Dass Ana­tol Ste­fanow­itsch im Sch­plock Blog­fut­ter gefun­den hat, ehrt mich enorm. Wie schön, dass sein Beitrag wiederum Anlass für einen Sch­plock-Beitrag gibt.

Der Beitrag im Sprachlog heißt “Die Deutsche Bahn, Bewahrerin der englis­chen Sprache” – und darin ver­birgt sich ein witziges Phänomen, zu dem ich in meinen HiWi-Zeit­en mal umfan­gre­iche Kor­pus­recherchen angestellt habe. (Die hier ver­wen­de­ten Beispiele entstam­men nicht den dama­li­gen Recherchen.)

Es geht um die Bewahrerin.

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Die ideale Gewährsperson: “Steinalt und völlig ungebildet”

Von Kristin Kopf

So, meine Mag­is­ter­ar­beit ist seit Mon­tag abgegeben und die ersten Fehler hab ich auch schon drin gefun­den. Ich ste­he dem Sch­plock also wieder zur Verfügung!

Ich liebe alte sprach­wis­senschaftliche Texte. So unge­fähr 1850 bis 1910 war eine gold­ene Ära. Hier meine bei­den High­light-Sprach­beispiele aus Ren­ward Brand­stet­ters “Der Gen­i­tiv der Luzern­er Mundart in Gegen­wart und Ver­gan­gen­heit”:

Veroni­ka wird an ihrem Hus­ten ster­ben = Uf ’s Vroo­nis Wueste(n) mues me Häärd tue.”

Das heißt wörtlich: ‘Auf des Vro­nis Hus­ten muss man Erde (gemeint ist Fried­hof­serde) tun.’

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SpON produziert Parktickets

Von Kristin Kopf

Wenn sich Wörter im Deutschen und im Englis­chen for­mal sehr ähneln, führt das gele­gentlich dazu, dass man sie auch inhaltlich gle­ich­set­zt. Das ist mir bei Spiegel Online in den let­zten Tagen ein paar­mal aufgefallen:

Eve­lyn Bor­der, 56 Jahre alt, eine kleine runde Frau mit einem fre­undlichen run­den Gesicht, hat­te sich, so sagt sie es, stets bemüht, anständig durchs Leben zu gehen. Nicht mal ein Park­tick­et habe sie bekom­men, in 56 Jahren. (Quelle)

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Frohe linguistische Weihnachten!

Von Kristin Kopf

Die Bescherung ist vorbei:

Heute Abend will ich noch schnell eine Frage klären, und zwar warum es Wei­h­nachten heißt. Das ist eine alte Plu­ral­form, aber der Plur­al müsste ja eigentlich *Wei­h­nächte laut­en.

Das Wort Nacht war ursprünglich (im Althochdeutschen) ein soge­nan­ntes “Wurzel­nomen” und hat­te über­haupt keine Plu­ral­en­dung. Es hieß also in Ein- und Mehrzahl diu naht. Das war natür­lich äußerst unprak­tisch, weil man wed­er am Sub­stan­tiv selb­st, noch an umgeben­den Adjek­tiv­en o.ä. erken­nen kon­nte, um welchen Numerus es sich handelte.

Im Mit­tel­hochdeutschen guck­te das Wort sich daher ein anderes Ver­fahren bei ein­er anderen Gruppe von Sub­stan­tiv­en ab: Die Kom­bi­na­tion von Umlaut und -e, die z.B. bei MachtMächte existierte. Viel prak­tis­ch­er. NachtNächte.

Das war aber nicht das einzige Vor­bild: In eini­gen Gegen­den schaute sich Nacht bei Wörtern wie Gaben die Endung -en ab. Die gab es damals aber noch nicht im kom­plet­ten Plur­al, son­dern nur im Gen­i­tiv und Dativ: Später verän­derte sich diese Gruppe weit­er, sodass es zur Endung -en im ganzen Plur­al kam, aber da war die Nacht schon nicht mehr mit von der Par­tie, sie hat­te sich in Nächte verwandelt.

Jet­zt stellt sich nur noch die Frage, warum es Wei­h­nacht­en heißt, wenn das -en doch nur im Gen­i­tiv und Dativ auf­tauchte. Die Antwort? Wei­h­nacht­en war ein­mal eine Kon­struk­tion, und zwar ze den wîhen nacht­en ‘zu/an den geweihten/heiligen Nächt­en’. Man feierte nicht nur eine Nacht lang! Die Prä­po­si­tion ze forderte, wie zu heute, den Dativ, und der besaß die Endung.

Diese Kon­struk­tion wurde so inten­siv gebraucht, dass die Wörter wîhen nacht­en zusam­men­wuch­sen und Wei­h­nacht­en bilde­ten (das nen­nt man “Uni­ver­bierung”). Dabei bewahrten sie den alten Dativ Plural.

Lämmer, Kälber, Hühner: Der Plural auf ‑er

Von Kristin Kopf

Ich ver­spreche, dass es hier auch mal wieder The­men geben wird, bei denen es nicht um Sub­stan­tivflex­ion geht. Wirk­lich! Aber heute will ich Euch erzählen, woher unsere Plu­ral­en­dung -er kommt – die hat­te näm­lich mal eine ganz andere Funktion.

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Sprachverfall

Von Susanne Flach

Die typ­is­che Form, den Wan­del der Sprache wahrzunehmen, scheint darin zu beste­hen, ihn als Ver­fall zu erleben. Ist es nicht merk­würdig, daß unter­schei­dliche Ver­fall­s­the­o­retik­er seit mehr als 2000 Jahren immer wieder den zunehmenden Ver­fall ihrer jew­eili­gen Mut­ter­sprache bekla­gen, ohne je ein Beispiel für eine tat­säch­liche ver­fal­l­lene Sprache vor­weisen kön­nen? Es scheint auch nie­man­den zu geben, der bere­it wäre, den Ver­fall sein­er e i g e n e n indi­vidu­ellen Sprache zu bedauern: “Ach, was schreibe ich für ein verkommenes Deutsch im Ver­gle­ich zu meinen Großel­tern!” Sprachver­fall ist immer Ver­fall der Sprache der anderen. Das sollte stutzig machen.

Rudi Keller. 2003. Sprach­wan­del. Tübin­gen: UTB. S. 23

Sprache dient men­schlich­er Kom­mu­nika­tion. Das scheint auf den ersten Blick triv­ial, ist aber ungle­ich wichtiger, wenn es um die Sprachver­falls­de­bat­ten geht. Jed­er Sprach­pfleger, der ja den Ver­fall unser­er Sprache her­auf­beschwören will, brächte sich in höch­ste Erk­lärungsnot, wenn er mit der Sprache Walther von der Vogel­wei­des, um’s mal auf die Spitze zu treiben, in die näch­ste Kneipe zöge.

Gut, mögen jet­zt einige sagen, was ist dann mit Irish, ein­er gestor­be­nen Sprache? Weit­er­lesen