Schlagwort-Archive: Sprachpolitik

[Lesetipp] Das Gehirn lernt mehrere Sprachen gleichzeitig

Von Kristin Kopf

Kluge Artikel über Sprache scheinen Kon­junk­tur zu haben! Hier schnell ein Hin­weis auf ein schönes Inter­view aus dem Spiegel mit Petra Schulz über Zweis­prachigkeit im Fall von Deutsch und Türkisch – ein Sprach­paar, das in der öffentlichen Wahrnehmung bekan­nter­maßen ziem­lich unfair behan­delt wird. Sie bringt es auf den Punkt:

Wir leben mit ein­er Dop­pel­moral. Wir freuen uns, wenn jemand mit Deutsch und Chi­ne­sisch aufwächst oder mit Deutsch und Englisch. Dafür gibt es Schul­terk­lopfen. Warum nicht Deutsch und Türkisch?

Norbert Lammert, die deutsche Sprache und das Grundgesetz

Von Anatol Stefanowitsch

Bun­destagspräsi­dent Nor­bert Lam­mert hält die Ver­ankerung der deutschen Sprache im Grundge­setz nicht nur für wichtig, er hält sie für sehr, sehr wichtig. Eigentlich für wichtiger als alles andere.

O‑Ton Lam­mert:

Wenn ich mir allerd­ings die 58 Änderun­gen und Ergänzun­gen des Grundge­set­zes betra­chte, die es seit 1949 gegeben hat, fall­en mir keine fünf Änderun­gen ein, die es an Bedeu­tung und Rang mit der Sprache als Mit­tel der Selb­stver­ständi­gung und Iden­tität eines Lan­des aufnehmen kön­nen. [welt.de]

Ern­sthaft? Keine fünf? Sie sind doch 1948 geboren, Herr Lam­mert, also alt genug, um sich möglicher­weise and die fol­gen­den Grundge­set­zän­derun­gen zu erin­nern: Weit­er­lesen

Warum Deutsch nicht ins Grundgesetz gehört

Von Susanne Flach

Es ist schw­er, aus dem Wirrwarr der Diskus­sio­nen und Stre­it­ge­spräche über die “(Kein) Deutsch ins Grundgesetz”-Petitionen einiger­maßen diskus­sion­fähige Argu­mente für oder wider her­auszule­sen. Mir war irgend­wie danach, mal meine High­lights an Argu­menten der Befür­worter zusammenzutragen.

Der Ein­fach­heit hal­ber nenne ich die Befür­worter der Auf­nahme von Deutsch ins Grundge­setz “Befür­worter” und die Geg­n­er “Geg­n­er”. Das klingt auf den ersten Blick para­dox. Es ist aber über­sichtlich­er, als — von ein­er der bei­den Peti­tio­nen aus betra­chtet — die Men­schen, die dafür sind, als “Geg­n­er” (der Peti­tion von Ana­tol Ste­fanow­itsch) zu nen­nen und die, die dage­gen sind als “Befür­worter” zu beze­ich­nen oder ander­srum. Wenn also alle Klarheit­en beseit­igt sind, kann es losgehen.

Argu­ment 1: “19 Län­der in Europa haben ihre Sprache in ihrer Ver­fas­sung ver­ankert — und haben damit kein Problem.”

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Art. 22, Abs. 3 GG

Von Susanne Flach

Art. 22, Abs. 3 GG gibt es nicht.

Der VDS möchte, dass Deutsch bess­er geschützt und deshalb als Zusatz zu Artikel 22 ins Grundge­setz aufgenom­men wird. Dafür hat der Vere­in Ende des ver­gan­genen Jahres die BILD-Zeitung gewin­nen kön­nen. Mit der Sache beschäftigten sich im Novem­ber das BILD­blog (hier und hier), sowie Sprachlog­ger Ana­tol Ste­fanow­itsch. Im Dezem­ber dann startete der VDS eine E‑Petition, in der der Bun­destag aufge­fordert wird, Deutsch im Grundge­setz festzuschreiben. Diese Peti­tion ist bei Ablauf in dieser Woche von etwa 5000 Men­schen geze­ich­net worden.

Ste­fanow­itsch kündigte bere­its im Novem­ber an, eine entsprechende Gege­nak­tion zu starten. Es ist soweit. Die Peti­tion find­et sich hier. Zum Wil­lens­bil­dung­sprozess gehört natür­lich auch die Infor­ma­tion über ein The­ma und wer sich die Hin­ter­gründe dazu aneignen möchte und wis­sen möchte, warum, der sei auf die Bekan­nt­machung (inklu­sive der Links zu früheren Beiträ­gen) im Sprachlog hingewiesen. Heute hat auch Ste­fan Nigge­meier auf die Aktion aufmerk­sam gemacht.

Da frage ich mich natür­lich, was die Reich­weite mein­er Wenigkeit noch aus­richt­en kann. Aber mir ist im Laufe der Diskus­sio­nen klar gewor­den (ähn­lich wie Kristin), dass ich auch als kleines Licht den geisti­gen Dün­npfiffter­ror nicht unkom­men­tiert ste­hen lassen will. Wenn man als Feind der deutschen Sprache dif­famiert wird, weil man sich der Peti­tion anschließt oder der Dop­pel­moral bezichtigt wird, weil man dann trotz­dem in Deutsch­land lebt — dann ist jede erden­kliche Moti­va­tion legit­im, mit der diese Peti­tion geze­ich­net wird. Bish­er hielt ich bil­li­gen Pop­ulis­mus für den schlecht­esten aller Gründe — (zumin­d­est) für heute sehe ich das anders. Ich lebe gerne hier, ich liebe Deutsch — und das trotz der unre­flek­tierten Pöbelei, die uns ent­ge­gen weht.

Mein Demokratiev­er­ständ­nis hält das aber aus.

[Linktipp] Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz

Von Kristin Kopf

Ich war mir erst nicht sich­er, ob ich Ana­tol Ste­fanow­itschs Peti­tion gegen die Auf­nahme der deutschen Sprache ins Grundge­setz mitze­ich­nen sollte. Ich fand die ganze Kam­pagne von BILD und VDS so albern, dass es mir unnötig erschien, denen noch weit­ere Aufmerk­samkeit in Form von Gege­nak­tio­nen zukom­men zu lassen.

Dann habe ich die Kom­mentare gele­sen. Und eine Nacht drüber geschlafen. Heute mor­gen habe ich gle­ich als erstes unterschrieben.

Es ist skur­ril, krass, abar­tig und lei­der über­haupt nicht über­raschend, wie sich die Befür­worter der Deutsch-ins-GG-Aktion gebär­den. Da haben wir, ganz typ­isch, den Ver­weis darauf, dass Ana­tol Ste­fanow­itsch keinen deutschen Namen habe – was schon mal über­haupt keine Rel­e­vanz hat –, daraus resul­tierend dann der Schluss, dass er kein Deutsch­er sei, und daraus wird dann abgeleit­et, dass er eh nichts zum The­ma zu melden habe bzw. dass er ja dann inhärent “gegen” das Deutsche sei. Das ken­nt man. Bei der StuTS hat Prof. Wiese, die ja Unter­suchun­gen zu Kiezdeutsch macht, von Drohmails erzählt, die sie bekommt. Ein Beispiel waren Aus­sagen wie “Sie haben zwar einen deutschen Namen, aber wahrschein­lich sind Sie …” und ähn­lich­es. Ein deutsch­er Name scheint für solche Leute un-glaub-lich wichtig zu sein.

Dann gibt es die Leute, die die Ver­ankerung im Grundge­setz nicht für eine rein sym­bol­is­che Hand­lung hal­ten, son­dern für eine konkrete Hand­habe, z.B. gegen Anglizis­men, dage­gen, dass Geschäfte ihre Pro­duk­te auss­chließlich in ein­er Fremd­sprache beschriften (was zumin­d­est für Lebens­mit­tel Unsinn ist), gegen die “Kre­olisierung” des Deutschen, oder gar gegen den Sprach­tod. Wie A.S. schon gründlich aus­ge­führt hat, ist das alles entwed­er absurd oder irrelevant.

Eine Ver­ankerung des Deutschen im Grundge­setz definiert zudem noch lange nicht, was Deutsch eigentlich ist. Wie jede natür­liche (und auch die meis­ten kün­stlichen) Sprache(n) verän­dert sich das Deutsche per­ma­nent. Meist sind dabei die Dinge, die in der Öffentlichkeit als sehr große Verän­derun­gen wahrgenom­men wer­den, eher irrel­e­vant für das Sprach­sys­tem (z.B. Rechtschreibre­form). Aber egal welche Rolle sie für den Sprach­wan­del spie­len: Er ist unaufhalt­bar. Und warum sollte man ihn auch aufhal­ten wollen? Was ist denn so schlimm daran, dass sich eine Sprache verän­dert? Eine Sprache, die sich nicht mehr verän­dert, ist tot.

Und: Eine Sprache kann man nicht auf ihren Aus­gangszu­s­tand zurück­führen. Was wäre das denn? Für die Leute, die sich da ereifern, ist in der Regel das Deutsch ihrer Schulzeit das Maß aller Dinge. Bedenkt man aber, dass die alle ganz unter­schiedlichen Alters sind, und dass sich auch schon vor langer Zeit Leute der­art ereifert haben, wird langsam klar, dass man immer weit­er zurück­ge­hen müsste … ins Früh­neuhochdeutsche, wo es noch gar keine Stan­dard­sprache gab, ins Mit­tel­hochdeutsche, wo die Sit­u­a­tion noch unein­heitlich­er war, ins Althochdeutsche und dann … dann kom­men die Sprach­stufen, für die wir keine schriftlichen Quellen haben. Wird schw­er, das zu sprechen. (Zumal, komm, schriftliche Quellen als Vor­bild für gesproch­ene Sprache? Haha.)

Ich kön­nte mich noch weit­er ereifern, aber das spare ich mir lieber. Meine Bitte: Schaut euch die Links an, bildet euch eine Mei­n­ung und entschei­det euch ganz bewusst, ob ihr die Peti­tion mitze­ichen wollt oder nicht. Ich habe es getan, unter anderen als bewusstes State­ment gegen diesen ganzen Kommentarmüll.

[Update 25.1.2011: Suz hat einen sehr klu­gen Beitrag geschrieben, in dem sie die Argu­mente der Befür­worter und Geg­n­er von allen Seit­en beleuchtet.]

Von thun zu tun: Orthographie bei Ngrams

Von Kristin Kopf

In den let­zten Tagen sind mir noch tausend Spiel­ereien einge­fall­en, die man mit Ngrams machen kann. Unter anderem lässt sich damit recht gut sicht­bar machen, wie schnell orthographis­che Stan­dar­d­isierung und Änderung sich in Büch­ern durch­set­zen konnten.

Wichtige Zeit­punk­te sind dabei zum einen die II. Orthographis­che Kon­ferenz (1901, dazu im Sch­plock hier und hier), bei der erst­mals eine verbindliche Rechtschrei­bung fest­gelegt wurde, und zum zweit­en die Rechtschreibre­form von 1996. Weit­er­lesen

Sexismusverdacht

Von Kristin Kopf

In let­zter Zeit ger­at­en immer wieder Leute her, weil es irgend­wo eine (meist niveaulose) Debat­te zu Sex­is­mus gibt. Im Laufe ebendieser zaubert jemand die “däm­lich kommt von Dame”-Behaup­tung aus dem Hut und prompt schreibt jemand anders: “Nein, däm­lich ist nicht sex­is­tisch, das kommt näm­lich gar nicht von Dame!” Drunter dann ein Link zum ein­schlägi­gen Sch­plock-Beitrag.

Aber ist es so leicht?

Dass däm­lich nicht von Dame kommt, ja klar – aber ist es deshalb auch defin­i­tiv nicht sex­is­tisch? Weit­er­lesen

Mehrsprachigkeit, Sprachpolitik, EU

Von Susanne Flach

Fragt man Men­schen, welch­es eines der größten Prob­leme der EU ist, ver­wette ich meinen Arsch darauf, dass 80% der Leute sagen: “Die EU hat ein Sprach­prob­lem”. Ver­mut­lich dürfte die Antwort auf die Frage aber auch kon­junk­turellen Schwankun­gen unter­liegen und derzeit mit “Griechen­land”, “(T)Euro” oder “Hä? EU?” konkur­ri­eren. Aber konzen­tri­eren wir uns auf Europas “Sprach­prob­lem”. Weit­er­lesen

[Surftipp] Sprachlog

Von Kristin Kopf

Den Umzug und die damit ein­herge­hende Umbe­nen­nung des Bre­mer Sprachlogs will ich zum Anlass für einen schnellen Link­tipp nehmen – wer das Bre­mer Sprach­blog nicht kan­nte, der sollte jet­zt auf jeden Fall das Sprachlog kennenlernen.

Ana­tol Ste­fanow­itsch, Pro­fes­sor für Englis­che Sprach­wis­senschaft an der Uni Bre­men, liefert seit ziem­lich genau drei Jahren Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen und Mei­n­un­gen zu sprach(wissenschaft)lichen The­men. Die Auswahl ist mir manch­mal etwas zu VDSlastig – skur­rile Pressemit­teilun­gen über die Zer­störung der deutschen Sprache durch Anglizis­men zu sezieren hat sich­er seine Berech­ti­gung, aber mir per­sön­lich gefall­en die weniger kämpferischen Beiträge bess­er. Glück­licher­weise sind davon auch eine ganze Menge vorhanden.

Was das Sprachlog zudem span­nend macht, sind die Diskus­sio­nen in den Kom­mentaren – da gibt es einen richti­gen Mei­n­ungsaus­tausch, der oft wirk­lich inter­es­sant zu lesen ist. (Jet­zt mal davon abge­se­hen, dass viele Kom­men­ta­toren mit­tler­weile darauf kon­di­tion­iert zu sein scheinen, bei jed­er Gele­gen­heit Häme über den VDS auszuschütten.)

Wer noch nie im (Bre­mer) Sprach(b)log gele­sen hat, dem möchte ich hier ein paar mein­er Favoriten nahelegen:

  • Wor­tarten Teil 1 | Teil 2 – warum es nicht sin­nvoll ist, Wor­tarten nach ihrer Seman­tik zu benen­nen (was Ter­mi­nolog- und Pädagogisches)
  • Schneeschuhknüpfer und Ale­man­nen – woher Volks­beze­ich­nun­gen stam­men kön­nen und wie Deutsch­land in anderen Sprachen heißt (was Etymologisches)
  • Schweiz­er und Deutsche machen Sinn – wie “Sinn haben” und “Sinn machen” in Deutsch­land und der Schweiz verteilt sind (was Kor­puslin­guist- und Statistisches)