Schlagwort-Archive: Sprachgeografie

Häppscher und andere Kleinigkeiten

Von Kristin Kopf

Vor einiger Zeit habe ich über Kuriositäten wie Kinderlein und Häusercher spekuliert. Das sind For­men, bei denen trotz Verkleinerung ein Plur­al gebildet wird. In Mainz ist man bei solchen Späßen voll dabei:

Meenzer Häppscher

Süpp­sch­er als Meen­z­er Häppscher

Wo es im Stan­dard­deutschen das Häppchendie Häppchen heißt, die Endung -chen bei der Mehrzahlbil­dung also unverän­dert bleibt, sagt man auf Rhein­hes­sisch ’s Häppsche(n) die Häppscher.

Ob und wie der Plur­al bei Verkleinerungs­for­men (“Diminu­tiv­for­men”) markiert wer­den kann, hängt vom Dialekt ab. Dazu habe ich euch mal eine bunte Karte gebastelt, die für die hochdeutschen Mundarten die For­men für Apfel­bäum­chen im Plur­al zeigt: Weit­er­lesen

Die Schwilis in Georgien

Von Kristin Kopf

Der Tod eines geor­gis­chen Olympiar­o­dlers hat mich let­zte Woche zum Nach­denken über geor­gis­che Fam­i­li­en­na­men gebracht. Eine ganze Menge von ihnen schienen auf -wili zu enden, und ich fragte mich, warum.

Der kür­zlich Ver­stor­bene heißt Nodar Kumar­i­taschwili, auf Geor­gisch ნოდარ ქუმარიტაშვილი. Ich habe ein bißchen herumge­googlet, und noch eine Menge weit­er­er Wil­is gefun­den: Weit­er­lesen

Die ideale Gewährsperson: “Steinalt und völlig ungebildet”

Von Kristin Kopf

So, meine Mag­is­ter­ar­beit ist seit Mon­tag abgegeben und die ersten Fehler hab ich auch schon drin gefun­den. Ich ste­he dem Sch­plock also wieder zur Verfügung!

Ich liebe alte sprach­wis­senschaftliche Texte. So unge­fähr 1850 bis 1910 war eine gold­ene Ära. Hier meine bei­den High­light-Sprach­beispiele aus Ren­ward Brand­stet­ters “Der Gen­i­tiv der Luzern­er Mundart in Gegen­wart und Ver­gan­gen­heit”:

Veroni­ka wird an ihrem Hus­ten ster­ben = Uf ’s Vroo­nis Wueste(n) mues me Häärd tue.”

Das heißt wörtlich: ‘Auf des Vro­nis Hus­ten muss man Erde (gemeint ist Fried­hof­serde) tun.’

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[Surftipp] L;nkolon

Von Kristin Kopf

Auf dem Lin­guis­tik-Serv­er Essen (LINSE) find­en sich eine Menge span­nende Dinge. Neben dem kür­zlich emp­fohle­nen Ety­molo­giekurs z.B. auch L;nkolon, ein Lin­guis­tik­grund­kurs mit zahlre­ichen Themenein­heit­en wie Seman­tik, Sozi­olin­guis­tik, Sprachgeschichte, … schön kompakt.

Linkolon

Es war einmal … das Althochdeutsche

Von Kristin Kopf

Ich werfe hier ja ständig mit Sprach­pe­ri­o­den­beze­ich­nun­gen wie Althochdeutsch, Indoger­man­isch oder Früh­neuhochdeutsch um mich. Wahrschein­lich kön­nen sich die meis­ten von Euch vorstellen, dass Althochdeutsch sehr alt ist, aber in welche Jahrhun­derte es konkret fällt, ist wohl kein Allgemeinwissen.

Diese Es-war-ein­mal-Rei­he will Abhil­fe schaf­fen: Ich ordne eine der Vorstufen des Deutschen zeitlich ein und erzäh­le ein bißchen was drüber. Los geht’s mit dem Althochdeutschen, weil das die älteste Form des Deutschen ist.

2009-09-24-AhdDas Althochdeutsche wird für die Zeit zwis­chen 500 und 1050 nach Chris­tus ange­set­zt, also für rund 550 Jahre. Das ist eine Menge Zeit, man kann sich also schon denken, dass man da nur schw­er von ein­er ein­heitlichen Sprache aus­ge­hen kann.

500/750? Hä?

Der Beginn des Althochdeutschen wird oft mit einem lusti­gen Schrägstrich angegeben. Das heißt nicht, dass man ihn sich aus­suchen kann – für bei­de Zahlen gibt es gute Gründe:

[Ich benutze jet­zt erst­mals diese Abschnitts­funk­tion um mehr als nur Fußnoten zu ver­steck­en. Für den Haupt­teil des Artikels also hier klicken:]

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Bei Familie Kistenpfennig

Von Kristin Kopf

2009-08-Kistenpfennig

Vor zwei Wochen bin ich durch ein Indus­triege­bi­et ger­adelt (roman­isch, was?) und habe dabei die Fir­ma Kistenpfen­nig ent­deckt. (Es scheint ihr da aber auch nicht so gut zu gefall­en, denn im Sep­tem­ber zieht sie um.)

Kistenpfen­nig ist ein­er der schillern­deren Fam­i­li­en­na­men des Deutschen – und zwar ganz beson­ders, wenn man sich anschaut, wo er herkommt. Spon­tan ver­muten wohl die meis­ten Men­schen, dass es etwas mit ein­er Kiste zu tun hat – vielle­icht eine Schatztruhe oder sowas – aber dem ist nicht so.

Was hat Bleibtreu mit Kistenpfennig zu tun?

Kistenpfen­nig ist ein soge­nan­nter “Satz­name”, also ein Name, der ursprünglich ein richtiger Satz war. Satz­na­men sind rel­a­tiv sel­ten, dazu gehören z.B. Diene­gott, Bleib­treu, Nährdich, Lach­nitt ‘lach nicht’, Thu­dichum, Sprin­gins­feld, Kehrein, Flick­en­schild ‘flick den Schild’. Ich habe hier Beispiele aus­gewählt, die heute noch recht gut ver­ständlich sind (übri­gens alle aus Kun­ze, S. 152). Viele dieser Satz­na­men haben aber laut­liche Verän­derun­gen mit­gemacht oder sind dialek­tal geprägt, sodass man heute nicht mehr so klar sehen kann, woher sie kommen.

So ist das auch mit Kistenpfen­nig. Der Name bein­hal­tet das Verb küssen, wörtlich heißt er also ‘küss den Pfen­nig’ (kis ten pfen­nig). Dass ein i- statt eines ü-Lautes benutzt wird, ist dialek­tal gar nicht so sel­ten. Man nen­nt das Phänomen “Entrun­dung”, weil der einzige Unter­schied zwis­chen den bei­den Laut­en darin beste­ht, dass beim ü die Lip­pen gerun­det wer­den, beim i aber nicht. (Ein­fach mal pro­bieren: Wenn Ihr ein i aussprecht und dann langsam die Lip­pen zu einem Kuss­mund formt, wird automa­tisch ein ü draus.)

Es gibt den Namen auch in der gerun­de­ten Vari­ante, näm­lich als Küssenpfenig (in Öster­re­ich). Olschan­sky gibt auch noch Küstenpfen­nig an, aber da finde ich zumin­d­est keine Tele­fon­buchein­träge, muss also sehr sel­ten (oder schon aus­gestor­ben) sein.

Kistenpfen­nigs gibt’s aber auch nicht ger­ade viele. Eine Abfrage mit Geogen, ein­er Kartierungssoft­ware für Fam­i­li­en­na­men, ergibt 37 Tele­fo­nan­schlüsse in Deutschland:

2009-08-Kistenpfennig-absolut

Und wer heißt so?

Wie kam man über­haupt auf die Idee, jeman­den Kistenpfen­nig zu nennen?

Der Name ist ein soge­nan­nter “Über­name”. Über­na­men beschreiben eine charak­ter­is­tis­che Eigen­schaft oder das Ausse­hen der benan­nten Per­son. So kann jemand mit schwarzem Haar Schwarz genan­nt wer­den, jemand von eher unter­durch­schnit­tlich­er Kör­per­größe Klein, eine unan­genehme Per­son wird zum Greulich. Und ein Kistenpfen­nig ist ein Geizhals – ein­er, der jeden Pfen­nig küsst.

Es gibt noch einige weit­ere Satz­na­men mit dieser Bedeu­tung, z.B. Wehrenpfen­nig ‘vertei­di­ge den Pfen­nig’, Zip­penpfen­nig ‘spare den Pfen­nig’ und Wrief­pfen­nig ‘reib Pfennig’.

Es gibt auch noch weit­ere Fam­i­li­en­na­men mit Pfen­nig. Men­schen, die geschickt mit Geld umge­hen kön­nen, heißen Wucherpfen­nig, Win­nepfen­nig. Wer es nicht schafft, sein Geld gewinnbrin­gend einzuset­zen, ist ein Schim­melpfen­nig oder Sulzepfen­nig (von salzen, also ein­pökeln). Und wer ver­schwen­derisch lebt wird Zehrenpfen­nig (von zehren, früher in der Bedeu­tung ‘ver­prassen’) oder Schmeltzpfen­nig genannt.

Wie konnte das passieren?

Fam­i­li­en­na­men gab es nicht immer. Im Früh­mit­te­lal­ter und vorher tru­gen die Men­schen Ruf­na­men (Sigfried, Kriemhilt, …) und, wenn das nicht aus­re­ichte (weil z.B. jemand anders auch so hieß), Beina­men. Gab es also zwei Sigfrieds im Dorf, kon­nte ein­er Klein und der andere Groß genan­nt wer­den, oder nach den Berufen ein­er Müller und der andere Schnei­der, … man war sehr kreativ, es gab auch Benen­nun­gen nach dem Wohnort, dem Herkun­ft­sort oder dem Vater.

Nun spitzte sich allerd­ings die Lage immer weit­er zu, und zwar weil die Städte immer weit­er wuch­sen, also immer mehr Men­schen den sel­ben Ruf­na­men tru­gen, und weil man sich bei der Benen­nung tra­di­tions­be­wusst zeigte: Die Nach­be­nen­nung war in Mode. Kinder wur­den auf den Namen der Eltern, der Pat­en oder der Großel­tern getauft, auch Herrsch­er­na­men waren sehr beliebt. Und Schutzheilige – und mit ihnen die bib­lis­chen Namen. Im Spät­mit­te­lal­ter hießen 23% aller Frauen Mar­gare­ta, 18% Katha­ri­na. Bei den Män­nern hieß fast jed­er dritte Johannes.

Schließlich wur­den die Beina­men “fest”: Sie wur­den auf die Kinder weit­er­vererbt und somit zu Fam­i­li­en­na­men. Sigfrid Klein hieß noch so, weil er klein war, aber sein Sohn Johannes Klein war vielle­icht der größte Junge der Straße – trug aber trotz­dem den Namen des Vaters. Man geht davon aus, dass dieser Prozess im 12. Jahrhun­dert in Süd­deutsch­land begann und nach und nach das ganze deutsche Sprachge­bi­et erfasste. Als Gründe dafür sieht man neben Bevölkerungswach­s­tum und Nach­be­nen­nung die Sicherung von Erbansprüchen und die zunehmende Bürokratie (Steuerlis­ten, Urkunden, …).

Und so ste­hen heute die armen Kistenpfen­nigs mit ihrem Namen da, obwohl sie wom­öglich sehr großzügig sind. Also vielle­icht ein Segen, dass man die Herkun­ft des Namens nicht mehr direkt erkennt …

Über flauschige Bibbili

Von Kristin Kopf

Ich bin ger­ade dabei, die Dialek­tauf­nah­men, die ich für meine Mag­is­ter­ar­beit gemacht habe, zu analysieren. Dabei suche ich zu jedem Wort die althochdeutsche Form – auch zu Wörtern, von denen ich gar nicht weiß, ob es sie im Althochdeutschen schon gab.

Momen­tan halte ich mich ger­ade ein bißchen beim Wort Bib­bili auf, dem badis­chen Wort für ‘Küken’.

Quelle: Wikipedia

Quelle: Wikipedia

Weil die Beze­ich­nung so offen­sichtlich anders ist als die hochdeutsche Form, ver­suchen die Dialek­t­sprecherIn­nen oft eine ety­mol­o­gis­che Erk­lärung dafür zu find­en. Dabei wird meis­tens der Bib­biliskäs ange­führt (laut Duden Bibeleskäs(e)), ein quarkähn­lich­er Rohmilchkäse – er taugt zur Erk­lärung des Wortes allerd­ings nicht, da er nach den Tieren benan­nt ist: Mit ihm wur­den die Küken früher gefüttert.

Friedel Scheer-Nahor von der Uni Freiburg hat sich dem Bib­bili 2001 in einem Artikel für die Badis­che Zeitung gewid­met. Sie führt das Wort auf eine Laut­malerei zurück:

Wer ein­mal gese­hen und gehört hat, wie eine Küken­schar hin­ter der Glucke her­läuft, wird sich denken kön­nen, dass sowohl Bib­bili als auch Zib­bili tre­f­fende laut­ma­lerische Bil­dun­gen sind.

Auf ihrer Seite gibt es auch eine schöne Karte zum The­ma, auf der man die Ver­bre­itung des Wortes in Baden sehen kann:

Leserumfrage Badische Zeitung

Leserum­frage Badis­che Zeitung (mit fre­undlich­er Genehmi­gung von Friedel Scheer-Nahor)

Neben Bib­bili gibt es also noch zahlre­iche weit­ere Wörter für Küken im Badis­chen. Was auf­fällt ist, dass sie alle auf -li oder -le enden. Das ist die badis­che Endung, die dem hochdeutschen -lein entspricht, eine Verkleinerungs­form (“Diminu­tiv”). Die Endung -chen gibt es übri­gend im ale­man­nis­chen Sprachge­bi­et nicht – selb­st das Mäd­chen heißt Maid­li. Ich nehme an, dass -l(i|e) auch bei Bib­bili die Verkleinerungsendung darstellt, also nur bib­bi (bzw. zib­bi) laut­ma­lerisch ist. (Im Hochdeutschen haben wir ja auch piep­piep als Vogel­geräusch.)1

Bib­bili ist aber bei Weit­em nicht aufs Badis­che beschränkt. Auf ein­er Seite mit Schu­lauf­sätzen von Schweiz­er Kindern find­en sich z.B. eine Menge Treffer:

  • Im näch­sten Raum entwick­el­ten sich die Bibili im Ei.
  • Sie haben sehr viel Bibili und Eier. Wir durften ein Frei­land­bibili und zwei gezüchtete Bibili mit­nehmen.
  • Die Bibili sind gelb. Die Bibili sind gewach­sen. Die Bibili haben schon Schwanzfed­ern. Die Bibili piepsen viel.

Und auch son­st scheint es in der Schweiz ein respek­ta­bles Wort zu sein:

  • Banker helfen Bibeli auf die Beine (blick.ch)
  • Brah­ma Hüh­n­er-Bibeli zu verkaufen (tier-inserate.ch)
  • Was macht ihr mit den Bibeli, wenn sie gross sind? Gehen sie zurück auf einen Bauern­hof? (fichten.ch)

Weit­er nördlich und west­lich find­et sich das Wort eben­falls noch:

  • Pfälzisch (Pfälzis­ches Wörter­buch):
    • Bib, Bibi n.: 1. ‘Huhn’, Sprache des Kleinkindes, Bib (bīb), meist in der Wieder­hol­ung Bibib (bibīb) […]
    • Bibilchens-käse m.: ‘weißer Käse’, eigentl. ‘Käse, mit dem man die Bibichen (Hüh­nchen) füttert’ […]
  • Mosel­fränkisch & Ripuar­isch (Rheinis­ches Wörter­buch):
    • Bibb […]: 1. Lock­ruf für Hüh­n­er […], 2. Bibb, meist ‑che (-ī-) Huhn, Kosen., bes. in der Kinderspr[ache …]
  • Elsäs­sisch (Elsäs­sis­ches Wörter­buch):
    • Bibbele­fleisch n. eig. Fl. von einem Hühnchen.
  • Lothringisch (Lothringis­ches Wörter­buch):
    • Bible […] pl. 1. Küch­lein. […] – 2. Huhn in der Kindersprache […]

Für östlichere Gebi­ete habe ich lei­der keinen Onlinezu­griff auf wis­senschaftliche Wörter­büch­er. (Bairisch? Thüringisch? Säch­sisch? Öster­re­ichisch?) Ein Öster­re­ichisch-Online­pro­jekt führt aber Pip­pale auf, auch sehr ähnlich.

Wie alt das Wort ist, kon­nte ich lei­der nicht her­aus­find­en – Grimms Wörter­buch hat keinen Ein­trag dafür, Adelung auch nicht. In den mit­tel­hochdeutschen Wörter­büch­ern find­et sich erst recht nichts, genau­sowenig im althochdeutschen (dort ist ein Küken ein huoniklîn, also ein kleines Huhn). Über mögliche Gründe kann ich nur spekulieren:

Es sieht so aus, als habe es zunächst einen Lock­ruf gegeben, mit dem man Hüh­n­er rief, und zwar Bib(i) – ganz ähn­lich wie Miez für Katzen. Daraufhin wurde der Lock­ruf oder das nachgemachte Piepsen als Beze­ich­nung für das Tier ver­wen­det, und zwar zuerst nur in der Kinder­sprache – also wie Wauwau. Irgend­wann begann man, die jun­gen Hüh­n­er mit ein­er Verkleinerungs­form davon zu beze­ich­nen. Diese Verkleinerung wurde wesentlich bere­itwilliger in die Erwach­se­nen­sprache aufgenom­men als Bib(i) selb­st. So find­et sich im Pfälzis­chen Bib(i) als kinder­sprach­lich, aber man bildet For­men wie Bibilchen­skäse, eine Zusam­menset­zung mit offen­sichtlich exis­ten­tem BibilchenKüken’. Für etwas kleines, flauschig-niedlich­es nahm man ein niedlich­es, kindlich­es Wort wahrschein­lich eher an als für ein aus­gewach­senes Nutztier.

Ob es das Wort schon “immer” gab, oder ob es in ver­schiede­nen Dialek­ten unab­hängig voneinan­der ent­standen ist, lässt sich wohl nicht fest­stellen. Es scheint zwar keine alten Quellen in mein­er momen­ta­nen Reich­weite zu geben, aber wenn das Wort kinder­sprach­lichen Ursprungs ist, ver­wun­dert das auch nicht weit­er. Wahrschein­lich hat es die alten Beze­ich­nun­gen für ‘Küken’ irgend­wann ver­drängt, die alten Beze­ich­nun­gen für ‘Huhn’ und ‘Hahn’ blieben aber erhalten.

So, jet­zt aber Ende der Speku­la­tion. Lokale Beze­ich­nun­gen für Küken sind in den Kom­mentaren hochwillkommen!

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Wo spricht man Platt? Und wo das beste Hochdeutsch?

Von Kristin Kopf

Ernst Wil­helm hat in seinem Blog gefragt, wie der Zwiebelfisch drauf kommt, dass man südlich von Han­nover kein Platt mehr spreche. Ich nehme an, der Zwiebelfisch hat um des drama­tis­chen Effek­ts Willen unter­trieben – denn natür­lich spricht man auch südlich von Han­nover noch Platt. Je nach Def­i­n­i­tion auch noch viel weit­er südlich.

Die Beze­ich­nung Platt wird näm­lich für zwei Dinge ver­wen­det, die sich teil­weise über­lagern: Zum einen ist es ein Syn­onym für die wis­senschaftliche Beze­ich­nung Niederdeutsch. Damit wer­den alle Mundarten beze­ich­net, die von der Zweit­en Lautver­schiebung nicht erfasst wur­den, wo man also noch Pund, Appel, dat und mak­en statt Pfund, Apfel, das und machen sagt. In Han­nover und Umge­bung heißt die niederdeutsche Mundart Ost­fälisch. Im Süden reicht sie bis Göt­tin­gen und noch ein Stückchen weit­er. Das sieht man pri­ma auf diesem Auss­chnitt ein­er Wikipedi­akarte – das Ost­fälis­che trägt die Num­mer 7:

2009-07-16-Niederdeutsch

Rheinisches Platt – ein Oxymoron?

Hinzu kommt aber noch eine zweite Ver­wen­dung von Platt, bei der sich die SprecherIn­nen her­zlich wenig darum scheren, ob sie im niederdeutschen Gebi­et leben oder nicht, näm­lich als Syn­onym für Dialekt. Diesen Gebrauch find­et man vor allem im west­mit­teldeutschen Sprachraum, also zwis­chen Ger­m­er­sheim und Düs­sel­dorf. Eine Befra­gung des Atlas’ der deutschen All­t­agssprache zeigt das ein­drück­lich – hier der Link zur Karte, alle blauen Punk­te beze­ich­nen SprecherIn­nen, die von ihrem Dialekt als Platt sprechen. (Soweit ich das ver­standen habe, kann ein Ort­spunkt aus nur ein­er Per­son beste­hen, aber auch aus mehreren, je nach dem, wie viele geant­wortet haben. Also ist es eher als Impres­sion zu werten, ähn­lich wie bei König.)

Ist Platt platt?

Das Wort Platt kommt wohl aus dem Nieder­ländis­chen, das es wiederum aus dem Franzö­sis­chen entlehnt hat. Im Nieder­ländis­chen tauchte es erst­mals in einem Druck des Neuen Tes­ta­ments aus Delft aus – im Titel und Vor­wort kommt die Wen­dung in goede plat­ten duytsche vor (Sanders 1982:26). plat bedeutet dabei ‘klar, deut­lich, allen ver­ständlich’ und nahm nach und nach die Bedeu­tung ‘allen ver­ständliche Sprache’ (im Gegen­satz zum Lateinis­chen) an. Das Wort schaffte es auch in den niederdeutschen Sprachraum, und von dort aus wahrschein­lich ins West­mit­teldeutsche – allerd­ings nicht bevor es eine Bedeu­tungsver­schlechterung zu ‘niedrige, derbe Sprech­weise’ mit­gemacht hat­te. Ab dem 18. Jahrhun­dert war es in Nord­deutsch­land gebräuch­lich. Sowohl Sanders (1982) als auch Stell­mach­er (1990) weisen darauf hin, dass die neg­a­tive Bedeu­tung noch heute mitschwinge. Mir selb­st kam das allerd­ings nie so vor, eher im Gegenteil.

Die Erk­lärung, dass Platt vom plat­ten Land komme, auf dem es gesprochen wird, find­et sich übri­gens in älteren Wörter­büch­ern (z.B. bei Campe 1809), scheint aber mit­tler­weile wider­legt zu sein.

Platt- und Hochdeutsch

Ernst Wil­helm schreibt auch:

Eck frage mek ohne­dem worumme die Luie glöwet dat heier in use Gegend dat beste Hochdütsch esproket ward. [Meine Über­set­zung: Ich frage mich sowieso, warum die Leute glauben, dass hier in unser­er Gegend das beste Hochdeutsch gesprochen wird.]

Das frage ich mich allerd­ings auch.

Bis Anfang des 17. Jahrhun­derts war Niederdeutsch (genauer die ältere Sprach­stufe Mit­tel­niederdeutsch) sowohl die gesproch­ene als auch die geschriebene Sprache in Nord­deutsch­land. Dass ihre Ver­schrif­tung endete und sie fast nur noch in den nieder­eren Gesellschaftss­chicht­en gesprochen wurde, hat mehrere Gründe (nach König 2005):

  • den großen Ein­fluss der hochdeutschen Dichter­sprache in mit­tel­hochdeutsch­er Zeit (1050–1350).
  • den Nieder­gang der Hanse im 15. Jahrhun­dert (das Mit­tel­niederdeutsche wurde auch als Hans­esprache beze­ich­net) und den gle­ichzeit­i­gen wirtschaftlichen Auf­stieg oberdeutsch­er Städte (Augs­burg, Nürnberg).
  • wichtige poli­tis­che und juris­tis­che Insti­tu­tio­nen, die im Süden ange­siedelt sind (Kaiser, Reichskammergericht).
  • die zunehmende kul­turelle Bedeu­tung des Südens.

Das “beste” Hochdeutsch im niederdeutschen Gebiet?

Als Hoch- und Schrift­sprache set­zte sich also das Hochdeutsche durch. Nun gab es zu Beginn des 19. Jahrhun­derts bere­its eine sehr ein­heitliche hochdeutsche Schrift­sprache (wie die ent­stand, erzäh­le ich ein ander­mal) – aber die Aussprache war ein ganz anderes Paar Schuhe, je nach Region kon­nte das schriftlich so ein­heitliche Deutsch sehr, sehr ver­schieden klin­gen. Die niederdeutschen Dialek­te sind in der Aussprache von den hochdeutschen Dialek­ten ziem­lich weit ent­fer­nt, wesentlich weit­er als vom Nieder­ländis­chen z.B. Für Nord­deutsche war das Hochdeutsche wie eine Fremd­sprache, es musste ganz neu gel­ernt wer­den. Wie man es schrieb war klar, wie aber sollte es aus­ge­sprochen wer­den? Das Zauber­wort heißt “Schreiblau­tung”, also buch­stabenge­treue Aussprache des Geschriebenen.

Im Süden war es leicht, das Geschriebene entsprechend der lokalen Dialek­te auszus­prechen – Dialekt und Schrift­sprache waren ja doch recht eng miteinan­der ver­wandt. So gab (und gibt) es in vie­len süd­deutschen Dialek­ten kein ö, son­dern an den entsprechen­den Stellen ein e. Es heißt also heren statt hören, Wert­er statt Wörter. Immer ein e zu lesen, wo ein <ö> stand, war für die Men­schen über­haupt kein Prob­lem. (Wir sprechen hier natür­lich nur von Men­schen, die lesen kon­nten. Men­schen, die nicht zu dieser Schicht gehörten, sprachen auss­chließlich ihren Dialekt, ohne Ver­such, sich dem nur geschriebe­nen Stan­dard anzupassen.)

Im niederdeutschen Sprachge­bi­et gab es die Möglichkeit ein­er mod­i­fizierten Aussprache nicht. Die Laute des Niederdeutschen waren ein­fach zu ver­schieden von denen des Hochdeutschen. Im Sprechen hätte man bei jedem Wort qua­si die Auswirkun­gen der Zweit­en Lautver­schiebung und ander­er Laut­wan­del­prozesse des Hochdeutschen rück­gängig machen müssen, und das geht ein­fach nicht. Entsprechend sprachen die Men­schen im niederdeutschen Gebi­et die hochdeutsche Schrei­bung aus, wie sie das­tand. So gelangte man schließlich zur Auf­fas­sung, die Nord­deutschen sprächen das beste Hochdeutsch.

Durch lange sorgfältige Pflege hat sich auf der Bühne eine besonders reine Aussprache des Deutschen herausgebildet”

Es gab aber auch noch einen zweit­en Ort, an dem man sich sehr um eine ein­heitliche Lau­tung bemühte: Die The­ater­bühne. Schon Goethe forderte eine ein­heitliche Büh­ne­naussprache ein, und 1898 wurde sie schließlich auf ein­er Kon­ferenz von Mit­gliedern des deutschen Büh­nen­vere­ins und Vertretern der Ger­man­is­tik in Berlin fest­gelegt. Nachzule­sen ist sie in Theodor Siebs’ “Deutsche Büh­ne­naussprache”. Es han­delt sich dabei aber aus­drück­lich nicht um eine Schreiblau­tung, Siebs – übri­gens ein Nord­deutsch­er – schreibt:

[D]ie Schrei­bung kann niemals Maßstab für die Aussprache sein. Die Schrift ist gegenüber der Aussprache stets etwas Sekundäres.

Das merkt man z.B. bei Wörtern mit <st> oder <sp> am Anfang: Würde man sie nach der Schrei­bung aussprechen, müsste es S‑tein oder S‑piel heißen. Siebs forderte aber, wie es auch der tat­säch­lichen Aussprache entsprach, den sch-Laut:

[D]ie nord­west­deutsche Aussprache sp, st ist als mundartliche Eige­nart auf der Bühne dur­chaus zu vermeiden.

Bis zur Entste­hung des Aussprachedu­dens (BRD, 1962) bzw. des “Wörter­buchs der deutschen Aussprache” (DDR, 1964) war die Büh­ne­naussprache maßgebend,  sie galt als kor­rekt. Für kor­rek­te Aussprache gibt es übri­gens auch einen Fach­be­griff: Orthoepie (also wie Orthografie, nur gesprochen). Obwohl die Büh­ne­naussprache von der nord­deutschen Schreiblau­tung bes­timmt bee­in­flusst wurde, ist sie nicht mit ihr gle­ichzuset­zen. Es ist also reine Def­i­n­i­tion­ssache, wo das “beste” Hochdeutsch gesprochen wird. Wenn man die Güte aber daran misst, wie sehr die Aussprache als kod­i­fiziert­er Stan­dard gilt, dann hat Han­nover nicht mehr so viel zu melden.

Heutige Aussprachewörter­büch­er lassen sehr viele Vari­at­en zu und berück­sichti­gen das gesproch­ene Deutsch zu einen größeren Maße. Sie ori­en­tieren sich auch nicht mehr an Schaus­pielerIn­nen, son­dern z.B. an Nachricht­en­sprecherIn­nen, also Men­schen, die ein möglichst bre­ites Pub­likum möglichst neu­tral informieren wollen.

[Beim Googlen bin ich auch noch auf einen inter­es­san­ten Artikel zum The­ma gestoßen: Han­nover für Sprach­be­gabte]

[Lesetipp] Dialektwandel im Südwesten

Von Kristin Kopf

Bei sci­ence­gar­den gibt es einen schö­nen Bericht über Dialek­t­forschung an der Uni Freiburg (mit einem lei­der eher unter­durch­schnit­tlich guten Titel). Enorm les­bar geschrieben, ich empfehle ihn wärmstens:

2009-07-15-sciencegarden

In eigener Sache

Von Kristin Kopf

Gestern habe ich meine Mag­is­ter­ar­beit angemeldet: “Flex­ion­sklassen diachron und dialek­tal: Das Sys­tem der Sub­stan­tivk­lassen im Ale­man­nis­chen

Und nicht nur weil der Kom­men­tar der Sach­bear­bei­t­erin im Dekanat lautete “Äh, ja. Schön geschrieben, das kann ich gut abtip­pen”, will ich noch ein bißchen mehr dazu sagen:

1. Flexionsklassen & Substantivklassen

Darum ging es schon ein­mal in Oh Herz Jesu, meine Kasus! Ganz kurz gesagt: Flex­ion­sklassen gibt es für alle flek­tieren­den Wortarten.

Für Ver­ben heißt die Flex­ion auch Kon­ju­ga­tion. Ver­ben besitzen im Deutschen je nach Numerus (Ein- oder Mehrzahl), Per­son (1., 2., 3.), Tem­pus (Präsens, Prä­ter­i­tum, …), Modus (Indika­tiv, Kon­junk­tiv, Imper­a­tiv) ver­schiedene For­men. Alle ver­schiede­nen For­men eines Verbs zusam­mengenom­men nen­nt man Par­a­dig­ma. Alle Ver­ben, die auf die gle­iche Weise kon­jugiert wer­den, gehören zusam­men zu ein­er Klasse. Das ist für das Deutsche nicht so leicht einzuteilen, bei Sprachen wie Spanisch geht es bess­er: Die Infini­tiven­dung Vokal+r beste­ht bei manchen Ver­ben aus i+r, bei anderen aus a+r oder e+r. Je nach Vokal wird anders konjugiert.

Bei Sub­stan­tiv­en spricht man von Dek­li­na­tion. Ein Sub­stan­tiv benötigt im Deutschen die Infor­ma­tio­nen Kasus (Nom­i­na­tiv, Gen­i­tiv, Dativ, Akkusativ), Genus (maskulin, fem­i­nin, neu­trum), Numerus (Sin­gu­lar, Plur­al) und Definitheit (bes­timmt, unbes­timmt). Genus und Definitheit wer­den nur am Artikel markiert, Kasus und Numerus sowohl am Sub­stan­tiv als auch am Artikel.

Die Sub­stan­tivk­lassen wer­den im Deutschen also an Kasus und Numerus fest­gemacht. Im Gen­i­tiv kön­nen Sub­stan­tive z.B. auf -(e)s enden (des Mannes), oder auf -(e)n (des Bären), oder völ­lig endungs­los sein (der Frau_). Im Plur­al gibt es unglaublich viele Möglichkeit­en: die Männer, die Frauen, die Nächte, die Autos, die Nägel, die Wagen, … Die Sub­stan­tivk­lassen teilt man durch die Kom­bi­na­tion von Gen­i­tiv Sin­gu­lar und Nom­i­na­tiv Plur­al ein. Alle Sub­stan­tive, die diese bei­den For­men auf die gle­iche Weise bilden, bilden auch alle anderen For­men iden­tisch. Eine sehr schöne Über­sicht find­et Ihr auf canoo.net.

2. Diachron & dialektal

Diachron (oder diachro­nisch) kommt von griechisch dia ‘(hin)durch’ und chronos ‘Zeit’. Das Adjek­tiv beze­ich­net eine Vorge­hensweise, bei der man Sprache über einen län­geren Zeitraum hin­weg (Jahrhun­derte, nicht Tage) betra­chtet und die Verän­derun­gen unter­sucht. In meinem Fall werde ich schauen, wie die Sub­stan­tive im Althochdeutschen eingeteilt waren und wie und warum sich diese Ein­teilung zum Neuhochdeutschen hin verän­dert hat. Das Gegen­stück zu diachron ist syn­chron, die Betra­ch­tung eines Sprach­sys­tems zu einem bes­timmten Zeitpunkt.

Dialek­tal bezieht sich auf Punkt 3:

3. Alemannisch

Im Ale­man­nis­chen unter­schei­den sich die Klassen sowohl vom althochdeutschen als auch vom neuhochdeutschen Sys­tem. Es gibt zum Beispiel keinen Gen­i­tiv mehr, der Plu­ral­mark­er alleine bes­timmt über die Sub­stan­tivk­lasse. Ich unter­suche zwei Orts­di­alek­te im ale­man­nis­chen Sprachraum und schaue, wie die Klassen da eingeteilt sind.

Ein paar Aspek­te zum The­ma find­et Ihr auch schon auf dem Schplock: