Heute mal ein Lesetipp in eigener Sache: Die Pressestelle der Uni Mainz hat eine, wie ich finde ganz gelungene, Pressemitteilung zu meinem Promotionsprojekt veröffentlicht. Wer sich also dafür interessiert, woran ich so arbeite, kann es hier nachlesen gehen.
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Vokalharmonisches Türkisch
Ich habe Anfang des Jahres zum ersten Mal seit ewig eine Zwiebelfischkolumne gelesen. Und erstaunlicherweise am Ende nicht angewidert weggeklickt, sondern eher neutral. Ne Kolumne halt. Es geht um Sprache und Sprachspiele und er versucht nicht, sprachwissenschaftlich zu sein. Vielleicht kann ich ihn vom Erzbösewicht zum normalen Bösewicht runterstufen? Mal im Auge behalten.
Der Text handelt von der ü-Affinität des Türkischen und davon, dass es im Deutschen ja auch eine Menge ü’s gibt. Aber Äpfel und Birnen. Dass beide Sprachen den Laut ü besitzen, ist eine ziemlich lasche Gemeinsamkeit. Das ü ist zwar ein nicht sooo häufiger Laut, findet sich aber doch in einer ganzen Reihe von uns umgebenden Sprachen, so im Französischen (culture ‘Kultur’), im Schwedischen (tysk ‘deutsch’), im Niederländischen (huren ‘mieten’) und im Ungarischen (könnyű ‘einfach’). Die weltweite Verbreitung in einem Sample von 562 Sprachen kann man sich im WALS anschauen (und habe ich auch hier schon einmal behandelt):
Auffälliger ist (wie Sick auch bemerkt), dass beide Sprachen den Laut als <u> mit zwei Punkten drauf verschriften. Aber mir geht’s um die Verteilung dieser ü’s. Dass Deutsch und Türkisch den Laut haben und gleich schreiben, heißt nämlich noch lange nicht, dass sie ihn auch gleich nutzen … Weiterlesen
Schplockflaute trotz Linguistikleben
Eigentlich sollte man denken, dass ich momentan vor Schplock-Ideen geradezu übersprudle – immerhin bereite ich gerade elf verschiedene und extrem spannende Prüfungsthemen vor1. Aber nix da, jeder Versuch, darüber zu schreiben, artet in zähe, enzyklopädisch-belehrende Abhandlungen aus.
Dann war Chomsky in Mainz, da könnte man ja auch was drüber schreiben – oh, aber er war so uninspirierend und hat all das gesagt, was man so kennt und was einen nach den faulen Tomaten greifen lässt. (“The Minimalistic program is just an effort to show what’s true is true”, “You don’t have to learn the syntax and semantics [of foreign languages] because it’s there already”, “The entire study of language for 2500 years is kind of off track”) Und dann klumpten sich massenweise Leute hinterher auch noch um ihn herum zusammen und ließen sich Autogramme geben. Peinlich.
Was ist noch passiert in meinem Linguistikleben? Ich war bei einer Projektvorstellung in der Mainzer Akademie der Wissenschaften für das geplante Digitale Familiennamenwörterbuch Deutschlands, was superspannend war. Das Wörterbuch soll alle Familiennamen Deutschlands erfassen und etymologisieren (inklusive denen fremdsprachiger Herkunft). Und online verfügbar sein. Und für Laien verständlich formuliert. Ooooh! Also ganz fest die Daumen drücken, dass es bewilligt wird.
Diese Woche war ich für drei Tage bei einem tollen Workshop zu Wort- und Silbensprachen in Freiburg. Übrigens interessant, wie die badische Identität in Freiburg immer und überall betont wird – da wird man auf einem Plakat an der Uni Willkumme geheißen, auf der Speisekarte gibt’s Brägele (Brägili) und Schäufele (Schiifili), und Versicherungsunternehmen und Banken bemühen sich um Werbesprüche, die irgendwo badisch beinhalten.
Da der Workshop ein sehr spezielles Thema hatte, lässt er sich kaum für’s Schplock ausschlachten. (Einen Lesetipp zum Thema hatte ich hier ja schon.) Einen großartigen Schweizerdeutschen Satz aus dem Vortrag von Beat Siebenhaar will ich euch aber auf keinen Fall vorenthalten: blitstststsu:g Übersetzungsversuche willkommen!
So, das nächste Mal hoffentlich etwas kohärenter. Bis dahin ein Verweis auf meine letztjährige Osterreihe.
Es war einmal … das Mittelhochdeutsche
Nach dem Althochdeutschen will ich mir heute das Mittelhochdeutsche vorknöpfen.
Die mittelhochdeutsche Sprachperiode setzt man von 1050 bis 1350 an – das ist die Zeit des Nibelungenlieds (das man übrigens mit einem kurzen i ausspricht) und Walthers von der Vogelweide (bei dem der Genitiv zum Rufnamen gehört).
Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch – wo ist der Unterschied?
Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Unterschieden, aber mit am auffälligsten ist wohl die sogenannte “Nebensilbenabschwächung”. Während im Althochdeutschen noch fast jeder Vokal an fast jeder Stelle im Wort vorkommen konnte, konzentriert das Mittelhochdeutsche klangliche Vielfalt auf eine einzige Silbe pro Wort: Weiterlesen
도서관 – Koreanische Konsonanten
Angeregt durch den Bibliotheksartikel will ich noch ein bißchen mehr zu Schriftsystemen sagen – heute über das koreanische Alphabet.
Ich habe ja mal ein Semester Koreanisch an der Uni gelernt. Das ist alles, was ich noch kann:
Ich muss allerdings zugeben, dass ich nie besonders viel mehr konnte. Aber natürlich fand ich die Stunden aus linguistischer Sicht superspannend, nicht zuletzt die Schrift.
Das Koreanische hat eine Alphabetschrift, das heißt jedes Zeichen steht für einen bestimmten Laut. Allerdings sind diese Zeichen nicht, wie in der lateinischen Schrift, linear angeordnet. Statt dessen bilden alle Laute, die zu einer Silbe gehören, einen kleinen Block. Diese Blöcke werden dann zu Wörtern und Sätzen aneinandergereiht. Hier das koreanische Wort für ‘Bibliothek’:
Es besteht aus drei Silben: 도 do, 서 seo und 관 gwan. (Die Umschrift ähnelt der wirklichen Aussprache aber nur bedingt – wer sich’s anhören will, kann hier nach “library” suchen.)
Diese Silben bestehen wiederum aus mehreren Buchstaben:
- 도 aus ㄷ und ㅗ,
- 서 aus ㅅ undㅓ,
- 관 aus ㄱ, ㅘ und ㄴ
Die Zeichen sehen verschieden aus, je nachdem wie viel Platz sie in der entsprechenden Silbe haben bzw. an welcher Stelle sie stehen. Manchmal sind sie langgezogen, machmal eher gestaucht.
Eine geschriebene Silbe ist übrigens nicht immer auch eine gesprochene Silbe. Der letzte Konsonant einer Schreibsilbe wird nämlich gesprochen zum ersten Konsonanten der Folgesilbe, wenn die sonst mit einem Vokal anfangen würde.
Das richtig Interessante an der Schrift ist aber, dass sie nach linguistischen Kriterien konzipiert wurde. Die europäischen Alphabetschriften sind ja aus Zeichen entstanden, die ursprünglich mal Gegenstände abbildeten. Erst nach und nach begannen sie für Laute zu stehen.
Die Hangeul – so heißen die koreanischen Buchstaben – sind aber nicht einfach so “entstanden”, sie wurden bewusst entwickelt. Das geschah unter König Sejong Mitte des 15. Jahrhunderts. Bis dahin schrieb man Koreanisch ausschließlich mit chinesischen Schriftzeichen, die sich a) nicht besonders dazu eigneten und die b) sehr schwer zu erlernen waren. Es dauerte allerdings noch bis ins 20. Jahrhundert, bis sich die Hangeul wirklich durchsetzen.
Das koreanische Alphabet hat 40 Buchstaben: 21 Vokale und 19 Konsonanten.
Die Konsonanten gehen auf 5 Grundzeichen zurück:
Die Zeichen stellen dar, wie die Sprechorgane beim Sprechen geformt sind. Die ersten drei Zeichen stellen die Lage der Zunge in einem seitlichen Querschnitt durch den Mundraum dar, das vierte die Position der Lippen in der Draufsicht, das fünfte die Glottis.
Der Zungenrücken berührt den hinteren Gaumen (Velum). Das ist der Fall bei velaren Lauten: ㄱ [k], ㅋ [kʰ] |
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Der Zungenkranz (Korona) berührt den vorderen Gaumen. Das ist der Fall bei koronalen Lauten (wobei die Sibilanten ein Extrazeichen haben): ㄴ [n], ㄷ [t], ㅌ [tʰ], ㄹ [ɾ, l] (Aussprache von [ɾ] hören: hier) |
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Die Zunge schafft eine Verengung vor bzw. an den oberen Schneidezähnen. Das ist der Fall bei Sibilanten (Zischlauten): ㅅ [s], ㅈ [tɕ], ㅊ [tɕʰ] (Aussprache von [ɕ] hören: hier) |
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Die Lippen berühren sich. Das ist der Fall bei bilabialen Lauten: ㅁ [m], ㅂ [p], ㅍ [pʰ] |
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Der Laut wird an der Stimmritze (Glottis) gebildet. Das ist der Fall bei glottalen Lauten: ㅇ [ʔ, ŋ], ㅎ [h] (Aussprache von [ʔ]: hier, von [ŋ]: hier) |
Neben der Grundform beinhalten viele Zeichen auch noch weitere Striche, die ebenfalls Funktionen haben. Ein zusätzlicher Querstrich zeigt z.B. Aspiration an, das heißt der Laut wird behaucht: ㅋ [kʰ], ㅌ [tʰ], ㅊ [tɕʰ], ㅍ [pʰ], ㅎ [h].
Zu den Vokalen schreibe ich ein andermal was, da wird’s nämlich ein bißchen esoterisch 😉
Welli? Selli! Rätsellösen mit der Mittelhochdeutschen Grammatik
Nico, der Gewinner der Schplock-Jubiläumsverlosung 2009, hat sich nicht damit begnügt, ein Buch von mir geschickt zu bekommen – nein, er hat mir auch postwendend ein Buch zurückgeschickt. Jippie! Und zwar die Mittelhochdeutsche Grammatik von Paul/Mitzka in der 18. Auflage, die (und deren Nachfolgerinnen) ich tatsächlich noch nicht besaß. Ich habe mich enorm gefreut und gleich angefangen, zu lesen. Bereits auf Seite 27 habe ich dann etwas herausgefunden, was ich Euch auf keinen Fall vorenthalten will …
Im Alemannischen gibt es die Wörter seller, selli, sell. Sie entsprechen ungefähr dem hochdeutschen ‘jener, jene, jenes’/‘dieser, diese, dieses’/‘der, die, das’. Das sind Demonstrativpronomen, aber zu dem Thema schreibe ich mal gesondert was. Jetzt geht es nur darum, dass ich jahrelang gerätselt habe, woher die Formen kommen.
Hier ein Beispiel aus meinen Aufnahmen für die Magisterarbeit – ich hatte danach gefragt, welche Spiele es früher gab:
Un die Kardeschbiile, des hämmer au gho. Des het mo gwänlich vun de Vewonde irgendwie mol gschengt griegt, waisch, un … ja. Sell hämmer au gho. Un mer hänau fil gschbielt …
[Und diese Kartenspiele, das haben wir auch gehabt. Das hat man gewöhnlich von den Verwandten irgendwie mal geschenkt gekriegt, weißt du, und … ja. Das haben wir auch gehabt. Und wir haben auch viel gespielt …]1
Formal hat sell weder mit dies noch mit jenes etwas gemein, und sonst ist mir auch kein neuhochdeutsches Wort eingefallen, dem es entsprechen könnte. Ich habe immer mal wieder von Leuten den Vorschlag gehört, es könnte mit dem französischen cela ‘das’ oder celle, celui ‘die, der’ zu tun haben. Da ist aber nichts dran. Es gibt ein hochdeutsches Wort. Die Mittelhochdeutsche Grammatik hat mir auf die Sprünge geholfen:
Die neuhochdeutsche Entsprechung ist solcher (solche, solches). Im Althochdeutschen lautete es noch solihêr oder solher2. Es gab aber die Tendenz dazu, ein h in unbetonter Silbe nur noch ganz schwach und schließlich gar nicht mehr auszusprechen. Das führte zur südalemannischen Form solêr.
Gleichzeitig machte auch das Wort welcher in seiner althochdeutschen Form uuelihêr, uuelher3 diese Entwicklung mit und wurde zu weler. (Auch das gibt es noch heute als weller, welli, wells.)
Und schließlich nahm sich soler das weler zum Vorbild und beseitigte das o zugunsten des e-Lautes. Das nennt man Analogie, das eine Wort benutzt das andere als Muster, um mehr Regelmäßigkeit in die Formen zu bringen.
Seller übernahm schließlich im Alemannischen die Funktions des Demonstrativpronomens, in Aufgabenteilung mit den Artikeln. Die alten Demonstrativpronomen dieser und jener finden sich im Dialekt überhaupt nicht mehr. Und wenn man die ursprüngliche Bedeutung ‘solcher’ ausdrücken will, sagt man einfach so einer.
Heute Nacht werde ich ruhig schlafen können.
[Lesetipp] Silbensprachen versus Wortsprachen
Dass das Schweizerdeutsche für uns Deutsche oftmals fremdartiger als andere deutsche Dialekte klingt, kann man unter anderem mit einem typologischen Unterschied erklären.
“Typologie” in der Sprachwissenschaft bedeutet, dass man sich einen bestimmten Aspekt einer Sprache herausgreift, z.B. die Satzstellung, und sich haufenweise Sprachen anschaut. Dabei fällt einem dann auf, dass es ganz verschiedene Arten von Satzstellung gibt. Es gibt Sprachen wie das Englische, bei denen das Verb zwischen Subjekt und Objekt steht (I had a beer), aber auch Sprachen wie das Japanische, bei denen das Verb ganz am Ende steht (biiru wo nonda ‘(ich) trank ein Bier’). (Man kürzt die Bezeichnungen ab, ersteres nennt man “SVO” und letzteres “SOV”.)
Das Spannende an der Typologie ist, dass sich oft Sprachen gleich verhalten, die sowas von gar nicht miteinander verwandt sind – und gleichzeitig tun sich bei Sprachen, die eigentlich von einer gemeinsamen Ursprache abstammen, enorme Unterschiede auf. Mit welchem Wortmaterial, mit welchen Vokabeln ein bestimmter Typ realisiert wird, ist bei der Typologie nämlich unwichtig, wichtig ist nur, dass das selbe Prinzip verwendet wird.
So, jetzt aber zum Schweizerdeutschen. Beim Schweizerdeutschen geht es nicht um so etwas wie Wortstellung, sondern um Phonologie. Das Schweizerdeutsche ist nämlich eine “Silbensprache”, das Standarddeutsche eine “Wortsprache”. Die Unterschiede kann man also nicht sehen, wenn man sich Texte anschaut – aber man hört sie ganz gewaltig. Wie das funktioniert, hat Renata Szczepaniak – meine Ex-Chefin – in einem Artikel für Natur & Geist erklärt. Ihr findet ihn hier (pdf), ab Seite 49:
Auf typologische Unterschiede stoßen wir schon in unserem täglichen Umgang mit dem Deutschen. So beachten wir in der Standardaussprache von Wörtern wie Verein oder überall die morphologische Struktur (Ver+ein, über+all). Hier fallen die Silben- mit den Morphemgrenzen zusammen: Ver.ein und ü.ber.all. Punkte markieren dabei die Silbengrenzen. Doch viele von uns kennen auch die regionalen, süddeutschen Varianten Ve.rein und ü.be.rall. Hierbei werden die Wörter ungeachtet der Morphemgrenzen in Silben zerteilt. (weiter)
Und weil sie ein paar Fachtermini benutzt, die Nichtlinguisten wohl nicht geläufig sind, habe ich Euch ein Miniglossar gebastelt – in der Reihenfolge ihres Auftretens: