Am 8. Mai 2018 habe ich anlässlich des 85. Jahrestages der Bücherverbrennung im Literaturhaus Berlin einen Vortrag über die „Grenzen des Sagbaren“ gehalten. Der Mitschnitt zu diesem Vortrag ist nun auf Soundcloud zum Nachhören verfügbar.
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Das Netz kann alles, außer Gender
In den vergangenen Tagen hat das Netz, wie man so schön sagt, viel gelacht, und zwar über einen Text der Fachschaft Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin. In dem Text, den Sie zum Verständnis des Folgenden kurz lesen sollten, falls Sie ihn noch nicht kennen, geht es um den Ausschluss eines Mitglieds der Fachschaft aufgrund eines Konflikts, in dem es unter anderem um rassistische Äußerungen und Geschlechtsidentitäten ging. Der Text ist darüber hinaus in einer (relativ abgemilderten) Version einer Sprachvarietät abgefasst, wie sie von einer bestimmten Richtung der Gender Studies und der Critical Whiteness Studies verwendet wird, und die u.a. durch geschlechtsneutrale Formulierungen (z.B. durch die Verwendung von Unterstrichen) und durch explizite Verweise auf Kategorien gekennzeichnet ist, die sich grob als „Geschlechtsidentität/-zuschreibung“ und „ethnische Identität/Zuschreibung“ charakterisieren lassen.
Der Text ist aus zwei verschiedenen Perspektiven kritisiert und/oder belacht worden: erstens aus einer inhaltlichen, in Bezug auf den berichteten Vorfall und den Umgang der Fachschaft mit diesem; zweitens aus einer formalen, in Bezug auf die eben erwähnte Sprachvarietät. Weiterlesen
Das Weib, das Anna, das Merkel: Wie neutral sind Frauen?
Die Frau, die Mutter, die Nonne – der Mann, der Vater, der Mönch: dass fast alle Bezeichnungen für Frauen auch grammatisch Feminina und die für Männer grammatisch Maskulina sind, dürfte kein Zufall sein. Das grammatische Geschlecht (man bezeichnet es auch als »Genus«) scheint etwas mit dem biologischen oder sozialen Geschlecht (»Sexus« bzw. »Gender«) zu tun zu haben. Das hat negative Konsequenzen für das sog. generische Maskulinum: Weil grammatische Maskulina im Deutschen kognitiv so eng mit dem männlichen Geschlecht verbunden sind, sind sie ungeeignet dazu, gleichermaßen auf Männer und auf Frauen Bezug zu nehmen. ((Das zeigen alle Untersuchungen zum Thema, eine davon wird hier vorgestellt.))
Herr – Frau – Fräulein …
Sucht man nach Wörtern, die dieses sog. Genus-Sexus-Prinzip »verletzen«, stößt man dahinter auf Personen, die den üblichen Rollenerwartungen nicht nachkommen, z.B. auf schwule Männer (die Memme, die Schwuchtel, die Tunte) und auf sich »zu« männlich gerierende Frauen (der Vamp, der Drache). Für nicht rollenkonforme Frauen wird jedoch noch öfter etwas anderes gewählt, und zwar das dritte Genus, das Neutrum. Es enthält (im Vergleich zu den beiden anderen Genera) mit Abstand die wenigsten Personenbezeichnungen, scheint also tatsächlich eine Art »sächliches« Genus zu sein.
In diesem Beitrag stelle ich Ihnen zunächst einige interessante Forschungsergebnisse zum Status der Neutra im deutschen Sprachsystem vor — sie sind nämlich kaum wertneutral auf erwachsene Menschen anwendbar und ballen sich besonders dort, wo man schlecht über Frauen spricht. Wenn Sie aber zum Beispiel von der Mosel, aus der Eifel oder dem Hunsrück kommen, kennen Sie vielleicht ganz alltägliche, neutral gemeinte Wörter für Frauen: Die Rufnamen. Da schreibt das Sabine dem Franziska eine SMS, weil das Hanna ihm etwas mitbringen soll, und abwertend ist das nicht gemeint. Benutzt man das Neutrum allerdings für Familiennamen von Frauen, die mächtig sind, politisch eine große Rolle spielen, bekommt es einen ganz anderen Beiklang: Über das Merkel lässt sich nicht ohne böse Absicht sprechen. Wie kommt es, dass Neutra einerseits so negativ, andererseits aber neutral oder gar positiv auf Frauen bezogen werden können? Beides lässt sich auf eine gemeinsame Erklärung zurückführen, die in unseren Gesellschaftsstrukturen wurzelt.
Begattungsängste und homophobe Etymologie
Argumente gegen die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare lassen sich am Ende immer auf eine einzige Behauptung reduzieren: Die Ehe diene der Zeugung von Kindern und da homosexuelle Paare keine Kinder zeugen können, könne man die Ehe für sie keinesfalls öffnen.
Dieses Argument hat eine offensichtliche Schwäche: Die Zeugung von Kindern ist einerseits auch ohne Ehe möglich und andererseits auch in der Ehe nicht zwingend.
Auf diese Schwäche werden die Bewahrer der Hetero-Ehe immer wieder hingewiesen, aber statt auf diese Hinweise einzugehen, denken sie sich immer neue Begründungen dafür aus, warum Ehe und die Zeugung von Kindern gegen alle Evidenz doch untrennbar miteinander verbunden sind. Da wird dann die Religion bemüht, oder die Evolution, oder die Tradition, oder die Perversion. Hauptsache, es endet auf -ion, scheinen die Homophoben zu denken.
Nicht so der Journalist Günther Lachmann, der jüngst im Deutschlandfunk erklären durfte, warum Ehe und die Zeugung von Kindern ein und dasselbe sind. Er bemühte keine -ion, sondern eine -ie: die Etymologie, also die Lehre von der Herkunft und Entwicklung von Wörtern. Weiterlesen
Geschlechtergerechte Sprache und Lebensentscheidungen
Das sogenannte „generische“ Maskulinum und die Tatsache, dass es nicht wirklich generisch ist, haben wir im Sprachlog ja schon des Öfteren diskutiert. Eine interessante neue Studie bietet einen Anlass dazu, das Thema wieder einmal aufzugreifen.
Im Deutschen hat jedes Substantiv ein grammatisches Geschlecht: Maskulinum (z.B. der Stuhl, der Dill), Femininum (z.B. die Bank, die Petersilie) und Neutrum (z.B. das Sofa, das Schnittlauchdas Basilikum). Das grammatische Geschlecht ist dabei nicht völlig beliebig verteilt (ein Thema für einen anderen Tag), aber es hat nichts mit dem biologischen/sozialen Geschlecht der bezeichneten Dinge zu tun (Sitzgelegenheiten und Küchenkräuter sind ja weder männlich, noch weiblich, sondern bestenfalls alle sächlich).
Das ist anders bei Personenbezeichnungen: Hier korreliert das grammatische Geschlecht bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Mensch, Person) mit dem biologischen/sozialen Geschlecht des bezeichneten Individuums: Mann, Bruder, Mönch und Knecht sind z.B. grammatisch maskulin und biologisch/sozial männlich, Frau, Schwester, Nonne und Magd sind dagegen grammatisch feminin und biologisch/sozial weiblich. Bei den meisten Personenbezeichnungen kommt dazu, dass die weibliche Form durch die Nachsilbe -in aus der männlichen Form abgeleitet ist: der Chef – die Chefin, der Polizist – die Polizistin, der Bäcker – die Bäckerin. Weiterlesen
Passive Prinzessinnen, oder: Die Grammatik der Geburt
Als königliche Familie hast du es ja nicht leicht: du hast nichts Vernünftiges gelernt und bist auf den Job deshalb dringend angewiesen, und den Job hast du halt nur, solange du den Leuten einreden kannst, dass du etwas besonderes bist. Deshalb hängst du in Palästen ab, läufst mit Krone und Zepter durch die Gegend und sprichst und schreibst, als ob du sprachlich aus der Zeit gefallen bist und dir dabei ordentlich den Kopf gestoßen hast.
Wenn zum Beispiel eine deiner Prinzessinnen ihr zweites Kind bekommt, dann schreibst du in der Pressemeldung nicht einfach so einen schönen aktiven Satz wie The Duchess of Cambridge has given birth to her second child, in dem du klar zum Ausdruck bringst, wer hier etwas geleistet hat (die Duchess), und was es war (ein Kind gebären). So etwas schreibt vielleicht eine gewöhnliche Zeitung, und so etwas würde jeder normale Mensch (sprich: Untertan) sagen. Aber als Königshaus fabrizierst du stattdessen folgenden Satz:
Her Royal Highness The Duchess of Cambridge was safely delivered of a daughter at 8.34am. [Pressemeldung des Britischen Königshauses, auch per Twitter.
Die Passivkonstruktion was delivered of a daughter klingt gediegen altmodisch und damit very royal – und sie hat den Vorteil, dass ihre ex-bürgerliche königliche Hoheit, die Gräfin von Cambridge, als eher unbeteiligt an der ganzen Sache dargestellt wird. Sie hat kein Kind zur Welt gebracht, sondern sie ist (wörtlich übersetzt) „von einem Kind befreit worden“. Das passt erstens gut dazu, dass die eingeheiratete (und im Fall der Fälle jederzeit entsorgbare) Gräfin ja eigentlich nur als vorübergehendes Gefäß für das waschechte, in der Thronfolge immerhin an vierter Stelle stehende Königskind gedient hat, und zweitens dazu, dass Frauen sich bei Geburten sowieso nicht immer so in den Vordergrund drängen sollen. Weiterlesen
Das Binnen‑I ist der Demokratie ihr Tod
Wenn ich mit Büchern, Spielen und Fernsehsendungen zur deutschen Sprache berühmt geworden wäre, ohne besonders viel von der deutschen Sprache zu verstehen; wenn ich dann einen offenen Brief von ein paar österreichischen Reaktionären mitunterzeichnet hätte, in dem die fordern, sprachlichen Sexismus zur Norm zu machen; wenn mich dann die Wiener Zeitung fragen würde, warum ich das getan habe, dann würde ich antworten, dass ein „angesehener Wiener Autor“ mich in einem „höflichen, formvollendeten Stil“ darum gebeten habe (man würde verstehen, dass ich angesehenen Autoren nichts abschlagen kann, und dass etwas, das höflich und formvollendet formuliert ist, nicht falsch sein kann). Weiterlesen
Die fünf Freunde und die Rückkehr zur sprachlichen Normalität
Österreich ist ja, nach eigener Aussage, die Heimat großer Söhne – so groß, dass für große Töchter neben ihnen kaum noch Platz ist. Aber nicht nur das – es ist auch das Land der Berge, das Land am Strome, das Land der Äcker, das Land der Dome – und das Land der Hämmer. Und einen besonders großen Hammer haben 650 Expert/innen für die psycholinguistische Verarbeitung männlicher Pronomen und Personenbezeichnungen, äh, nein, für die, äh, nein, für die Struktur und Bedeutung der deutschen Gegenwartssprache – nein, ich fange noch mal an. Weiterlesen
Hochmut großer Söhne
Am Text der österreichischen Nationalhymne findet sich, wie es bei Texten von Nationalhymnen nun einmal so ist, wenig Erhaltenswertes. Sie feiert die Landschaft (gut, das ist gerade noch erträglich), das „für das Schöne begnadete“ und mit „hoher Sendung“ ausgestattete Volk (das ist dann eben, nationalhymnentypisch, nicht mehr erträglich), die kriegerische Vergangenheit, und eine „arbeitsfrohe“ Zukunft. Und natürlich wird dem „Vaterland“ auch ordentlich Treue geschworen.
Kann von mir aus alles weg, zusammen mit dem „God save the Queen“, dem „land of the free and … home of the brave“, dem „Россия — священная наша держава“, dem „Einigkeit und Recht und Freiheit“ und all den anderen Dingen, die sich Nationen in ihren Hymnen so zusammenphantasieren. Weiterlesen
Der Name der Windrose
Dass Frauen systematisch unterschätzt werden, ist ja nichts Neues, aber dass Orkane unterschätzt werden, wenn sie weibliche Namen haben, klingt zunächst wie ein schlechter Scherz aus der Rumpelkammer des Patriarchats.
Genau das haben amerikanische Forscher/innen aber herausgefunden. In der in den Proceedings of the National Academy of Science erschienenen Studie „Female hurricanes are deadlier than male hurricanes“ [PDF, Bezahlschranke] stellt das Team um den Doktoranden Kiju Jung von der University of Illinois at Urbana Champaign zunächst die Ergebnisse einer Archivstudie vor, für die sie alle atlantischen Orkane ausgewertet haben, die zwischen 1950 und 2012 auf das nordamerikanische Festland getroffen sind. Sie fanden heraus, dass starke Orkane mit weiblichen Namen signifikant mehr Todesopfer fordern als solche mit männlichen Namen – und das, obwohl sie die besonders starken Stürme Audrey (1957, 416 Tote) und Katrina (2005, 1833 Tote) vorsichtshalber unberücksichtigt ließen. Weiterlesen