Wenn jemand sagen würde: “Zeichne ein Möbelstück!”, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich ikonisch ein Bett oder einen Stuhl zeichne und nicht einen Spiegel oder ein Sideboard? Und warum denkt man bei Stuhl eher an einen Stuhl in der Küche und nicht an einen Stuhl in der Zahnarztpraxis? Abgesehen von biologischem Expertenwissen — ist der watschelnde Pinguin wirklich eher ein Vogel, als die flugfähige Fledermaus? Und wer kann genau sagen, wo die Grenze zwischen Blau und Lila ist? Wenn ein Kind einen Hund sieht, wird es vermutlich weder rufen “Schau mal, ein Tier” noch “Schau mal ein Pekinese!”
Schlagwort-Archive: Semantik
Graf Zahl bei XKCD
Der aktuelle XKCD mit Graf Zahl:
Es gibt tatsächlich Sprachen, in denen es nur sehr wenige Zahlwörter gibt, die sowas wie 1, 2 und ‘viele’ (alles ab 3) bedeuten. Ich würde das allerdings nicht “primitiv”, sondern extrem spannend nennen. WALS, der World Atlas of Language Structures, listet 20 Sprachen mit solchen eingeschränkten (“restricted”) Zahlensystemen auf: Weiterlesen
Der Weltkopf 2010
Als ich anfing Englisch zu lernen, fand ich es seltsam, einen Pokal cup zu nennen, wo das doch ‘Tasse’ heißt. Mir war schon klar, dass ein Wort in einer Fremdsprache Zusatzbedeutungen haben kann, die es im Deutschen nicht hat, aber das schien mir doch weit hergeholt. World Cup, die Welttasse?
Mittlerweile weiß ich natürlich, dass cup Gefäße ganz verschiedener Art bezeichnen kann, neben Tassen, Bechern, Kelchen, Näpfen und Schalen eben auch Pokale und per (metonymischer) Übertragung auch gleich das ganze Ereignis, bei dem der Pokal errungen und überreicht wird.
Was ich aber noch nicht so lange weiß: Dass das Wort cup einen Verwandten im Deutschen hat – den Kopf. Und das kommt so … Weiterlesen
uMzantsi Afrika: Sprachen in Südafrika
Ja, ne, Kristin versucht krampfhaft, der WM linguistische Aspekte abzugewinnen. Weniger von der Fußballseite (zu der es natürlich auch – teilweise weniger globale – Untersuchungen gibt) als vom Austragungsort her: Welche Sprachen werden in Südafrika eigentlich gesprochen?
Oh Gott, viel zu viele für einen Schplockbeitrag! (Ethnologue zählt 31.) Ich beschränke mich mal auf die elf offiziellen:
Afrikaans, Ndebele (auf der Karte isiNdebele), Nord-Sotho (Sesotho sa Leboa), Süd-Sotho (Sesotho), Swati (siSwati), Tsonga (Xitsonga), Tswana (Setswana), Venda (Tshivenda), Xhosa (isiXhosa), Zulu (isiZulu) und Englisch.
Alle außer Afrikaans & Englisch gehören zu den sogenannten Bantusprachen (von denen ich Xhosa schon einmal wegen seiner Klicklaute erwähnt habe!).
Wahrscheinlich ist den meisten von euch gleich aufgefallen, dass die Bantusprachen zwei sehr ähnliche Bezeichnungen haben – je eine davon besitzt einen Zusatz am Anfang: isiNdebele, Sesotho sa Leboa, Sesotho, siSwati, Xitsonga, Setswana, Tshivenda, isiXhosa, isiZulu.
Das ist kein Zufall, sondern liegt in einer gemeinsamen grammatischen Besonderheit begründet. Weiterlesen
Herrliche Etymologie, dämliche Aufgabe
Auf der Suche nach Aufgaben zur Wortbildung bin ich vor einigen Wochen auf die folgende Frage gestoßen:
Beschreiben Sie ausgehend von der zugrunde liegenden Wortbildung den Bedeutungswandel bei den Adjektiven dämlich und herrlich.
Erst fand ich’s lustig, aber dann hat mich das Mitleid mit den armen Bachelors gepackt. Das ist nämlich eine ganz gemeine Falle. Weiterlesen
Wie man unnötig lange Vulkannamen zurechtstutzen kann …
Schon seit Beginn des Aschewolkendramas schreibt FAZ.net (nicht als einzige) ziemlich konsequent vom Eyjafjalla. Eine Miniauswahl:
- Nach dem Ausbruch des Eyjafjalla muss man nun die Eruption des Katla befürchten.
- Aber sonst geht das Leben weiter wie eh und je – jedenfalls wie in den knapp 200 Jahren, die der Eyjafjalla unter seiner dicken Gletscherdecke geschlummert hatte …
- Die Aschewolke des Eyjafjalla hat sich fürs Erste verzogen.
- Und yeah: Comeback des Eyjafjalla
Zu Beginn des ganzen Dramas schrieb man zuweilen noch vom Eyjafjalla-Gletscher und dem Ausbruch des isländischen Vulkans am Eyjafalla-Gletscher, aber auch schon vom Eyjafjalla-Vulkan.
Gletscher = Berg = Vulkan?
Ich habe hin- und hergerätselt warum, denn wirklich Sinn ergibt das für mich nicht. Ich erinnere: Eyjafjallajökull heißt ‘Insel(n)bergegletscher’. Der Gletscher heißt so und der Vulkan unter dem Gletscher heißt auch so, sagt die deutsche Wikipedia.
Wenn man den ‘Gletscher’ weglässt, wie die FAZ das tut, erhält man also nicht den “echten” Namen des Vulkans.
Die Hartnäckigkeit der FAZ hat mich dann aber doch verunsichert, und so zog ich aus zu klären, ob das Wort auch wirklich den gesamten Berg inklusive Vulkan bezeichnet. Weiterlesen
Von der Natürlichkeit der Katastrophe
Derzeit bedroht Öl die amerikanische Golfregion. Dieses Bild ist in Wahrheit noch zynischer, als es klinkt. Womit wir beim Thema wären. Verschiedene Medien, darunter Spiegel Online, Focus und die Zeit, sprechen von einer Naturkatastrophe*.
Moment. Der Tsunami 2004 war eine Naturkatastrophe. Sichuan und Haiti waren Naturkatastrophen. Es wäre vermutlich streitbar, ob der Ausbruch des Eyjafjallajökull eine Naturkatastrophe im eigentlichen Sinne war — er war es immerhin für die Angehörigen der audiovisuellen Medienlandschaft.
Und auch wenn die Menschheit dem schwarzen Gold wie einem Gott huldigt, ist eine Ölpest nichts Natürliches. Die Explosion auf der Deepwater Horizon und seine Folgen ergeben eine Umweltkatastrophe, eine vom Menschen verursachte, also nicht-natürliche Katastrophe. Wie jede Ölpest. Für die Finanzwelt ausgedrückt: wenn Obama sagt, dass BP für die Katastrophe bezahlen wird, dann gibt es einen Schuldigen. Bei Naturkatastrophen gibt es den nicht.
Linguistisch sind beide Wörter sogenannte Komposita, in diesem Fall zusammengesetzte Substantive. Aber sie unterscheiden sich in ihrer Kopf-Kern-Struktur:
- Naturkatastrophe = ’natürliche Katastrophe’ (siehe auch engl. natural disaster -> Adjektiv (natural) + Substantiv)
- Umweltkatastrophe = ‘Katastrophe für die Umwelt’
In beiden Fällen ergeben sich zwar Auswirkungen für Natur und Umwelt — in der Umweltkatastrophe sind diese auch semantisch zugänglicher. Im Fall der Naturkatastrophe werden die verheerenden Auswirkungen aber nicht vom Substantiv ‘Natur’ getragen — dieses sagt lediglich aus, dass es sich um eine natürlich Ursache handelt, z.B. bei Erdbeben, Flutereignissen, Vulkanausbrüchen. Die Ursache der Katastrophe ist wiederrum in Umweltkatastrophe nicht sofort ersichtlich (wobei es sich grundsätzlich um vom Menschen verursache Ereignisse handelt). Es ist auch eine Frage der Konvention: und die ist (noch), dass Umwelt- und Naturkatastrophen zwei Paar Schuhe sind. So gesehen dürften Journalisten das Isländische für die Komposition Eyjafjallajökull verantwortlich machen (genau genommen finden sich in Eyjafjallajökull auch Elemente von Derivation und Flektion, aber belassen wir es mal dabei).
Aber menschliches Gewinnstreben bleibt eine Umweltkatastrophe.
*Im Zuge von Recherchen scheint zumindest SpOn den Lapsus bemerkt zu haben und hat Naturkatastrophe durch Umweltkatastrophe ersetzt. Der Verdacht liegt übrigens nahe, dass die fraglichen Medien eine Agenturmeldung übernommen haben. Wäre wohl ein Fall für die Jungs hier.
Die Birne ist hinfällig
Altbundeskanzler Helmut Kohl feierte gestern seinen 80. Geburtstag. Der einzige Grund, ihn dafür nicht an seinem Geburtstag zu würdigen, liegt im gestrigen Artikel, den ich persönlich zu schön fand, ihm auch gleich eine ebenbürtige Konkurrenz aufzuhalsen.
Aber widmen wir uns einem Beitrag auf NDR2, der gestern einen Nachruf, pardon, einen Beitrag über die Geburtstagsnichtfeierlichkeiten Helmut Kohls sendete:
[Helmut Kohl] ist ein bißchen hinfällig geworden, aber er ist voll präsent. Ihm kann keiner was vormachen; er nimmt am politischen Leben insofern teil, als dass er sich über alles noch informieren lässt. Helmut Kohl ist geistig voll da, aber er ist körperlich eben hinfällig.
(Dietmar Riemer, ARD-Hauptstadtstudio Berlin,“Kurier um 12″, NDR2, 3. April 2010)
Ich stutzte sofort beim Adjektiv hinfällig. Weiterlesen
Einhällig und aufwendig
Ich habe eben einen (übrigens ausgezeichneten!) Blogbeitrag von Anatol Stefanowitsch zum iPad gelesen und darin folgende Schreibung entdeckt:
Schon damals habe ich mich darüber gewundert, dass die Presse hier so einhällig einen Humor pflegt (oder aufgreift), der auf der krampfhaften Suche nach anstößigen Doppeldeutigkeiten beruht und der mir seit der sechsten Klasse nicht mehr begegnet ist.
Ein großartiger Satz, ganz nebenbei. Mir geht’s aber um das <ä> in einhällig. Das ist zwar ein Rechtschreibfehler, aber er deutet auf etwas spannendes hin: eine gelehrte Volksetymologie, denn hier wurde einhellig wahrscheinlich an hallen angeschlossen und entsprechend mit <ä> geschrieben.
In Wirklichkeit stammt’s vom althochdeutschen Verb hellan ‘tönen’. Das ist heute ausgestorben, an seiner Stelle hat sich hallen durchgesetzt, das seit dem 15. Jahrhundert belegt ist und vom mittelhochdeutschen Substantiv hal ‘Hall’ abgeleitet wurde (welches wiederum doch auf hellan zurückgeht, aber den Schlenker erspare ich euch lieber).
ä‑tymologische Schreibung
Dass man Wörter an verwandte Wörter mit <a> anschließt und entsprechend <ä> statt <e> schreibt, ist eine beliebte Praxis. Ihr erinnert euch vielleicht dran, wie’s bei der Rechtschreibreform hieß, dass man jetzt <aufwändig> mit <ä> schreibt, weil es von <Aufwand> kommt und <Stängel> wegen <Stange>. Das Prinzip, das man damit verfolgt, heißt “Morphemkonstanz” – zusammengehörige Wörter sollen auch durch die Schreibung als solche markiert werden.
Das ist ganz deutlich bei den Umlautpluralen, wo man niemals <Hand> – <Hende> schreiben würde (aber durchaus mal getan hat), oder bei den Weiterlesen
z.Zt. erkrankt
Auf der Germanistik-Homepage der Uni Hamburg habe ich folgenden Hinweis gefunden:
z.Zt. erkrankt? Irgendwie kam’s mir komisch vor …