Schlagwort-Archive: Semantik

Meine Tasse hat keinen Henkel und heißt Becher

Von Susanne Flach

Wenn jemand sagen würde: “Zeichne ein Möbel­stück!”, wie groß ist die Wahrschein­lichkeit, dass ich ikonisch ein Bett oder einen Stuhl zeichne und nicht einen Spiegel oder ein Side­board? Und warum denkt man bei Stuhl eher an einen Stuhl in der Küche und nicht an einen Stuhl in der Zah­narzt­prax­is? Abge­se­hen von biol­o­gis­chem Experten­wis­sen — ist der watschel­nde Pin­guin wirk­lich eher ein Vogel, als die flugfähige Fle­d­er­maus? Und wer kann genau sagen, wo die Gren­ze zwis­chen Blau und Lila ist? Wenn ein Kind einen Hund sieht, wird es ver­mut­lich wed­er rufen “Schau mal, ein Tier” noch “Schau mal ein Pekinese!”

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Graf Zahl bei XKCD

Von Kristin Kopf

Der aktuelle XKCD mit Graf Zahl:

Eins! Ah ah ah … Zwei! Ah ah ah … … viele! Ah ah ah … – Prim­i­tive Kul­turen entwick­eln Sesamstraße.”

Es gibt tat­säch­lich Sprachen, in denen es nur sehr wenige Zahlwörter gibt, die sowas wie 1, 2 und ‘viele’ (alles ab 3) bedeuten. Ich würde das allerd­ings nicht “prim­i­tiv”, son­dern extrem span­nend nen­nen. WALS, der World Atlas of Lan­guage Struc­tures, lis­tet 20 Sprachen mit solchen eingeschränk­ten (“restrict­ed”) Zahlen­sys­te­men auf: Weit­er­lesen

Der Weltkopf 2010

Von Kristin Kopf

Als ich anf­ing Englisch zu ler­nen, fand ich es selt­sam, einen Pokal cup zu nen­nen, wo das doch ‘Tasse’ heißt. Mir war schon klar, dass ein Wort in ein­er Fremd­sprache Zusatzbe­deu­tun­gen haben kann, die es im Deutschen nicht hat, aber das schien mir doch weit herge­holt. World Cup, die Welttasse?

Mit­tler­weile weiß ich natür­lich, dass cup Gefäße ganz ver­schieden­er Art beze­ich­nen kann, neben Tassen, Bech­ern, Kelchen, Näpfen und Schalen eben auch Pokale und per (metonymis­ch­er) Über­tra­gung auch gle­ich das ganze Ereig­nis, bei dem der Pokal errun­gen und über­re­icht wird.

Was ich aber noch nicht so lange weiß: Dass das Wort cup einen Ver­wandten im Deutschen hat – den Kopf. Und das kommt so … Weit­er­lesen

uMzantsi Afrika: Sprachen in Südafrika

Von Kristin Kopf

Ja, ne, Kristin ver­sucht krampfhaft, der WM lin­guis­tis­che Aspek­te abzugewin­nen. Weniger von der Fußball­seite (zu der es natür­lich auch – teil­weise weniger glob­ale – Unter­suchun­gen gibt) als vom Aus­tra­gung­sort her: Welche Sprachen wer­den in Südafri­ka eigentlich gesprochen?

Oh Gott, viel zu viele für einen Sch­plock­beitrag! (Eth­no­logue zählt 31.) Ich beschränke mich mal auf die elf offiziellen:

Afrikaans, Nde­bele (auf der Karte isiN­de­bele), Nord-Sotho (Sesotho sa Leboa), Süd-Sotho (Sesotho), Swati (siSwati), Tsonga (Xit­songa), Tswana (Setswana), Ven­da (Tshiv­en­da), Xhosa (isiX­hosa), Zulu (isiZu­lu) und Englisch.

Alle außer Afrikaans & Englisch gehören zu den soge­nan­nten Ban­tus­prachen (von denen ich Xhosa schon ein­mal wegen sein­er Klick­laute erwäh­nt habe!).

Offizielle Sprachen Südafrikas in ihren dom­i­nan­ten Regio­nen — Quelle: Wikipedia (Htonl),

Wahrschein­lich ist den meis­ten von euch gle­ich aufge­fall­en, dass die Ban­tus­prachen zwei sehr ähn­liche Beze­ich­nun­gen haben – je eine davon besitzt einen Zusatz am Anfang: isiNde­bele, Sesotho sa Leboa, Sesotho, siSwati, Xitsonga, Setswana, Tshiven­da, isiXhosa, isiZulu.

Das ist kein Zufall, son­dern liegt in ein­er gemein­samen gram­ma­tis­chen Beson­der­heit begrün­det. Weit­er­lesen

Herrliche Etymologie, dämliche Aufgabe

Von Kristin Kopf

Auf der Suche nach Auf­gaben zur Wort­bil­dung bin ich vor eini­gen Wochen auf die fol­gende Frage gestoßen:

Quelle: Bach­e­lor­wis­sen Ger­man­is­tis­che Lin­guis­tik (Busch/Stenschke)

Beschreiben Sie aus­ge­hend von der zugrunde liegen­den Wort­bil­dung den Bedeu­tungswan­del bei den Adjek­tiv­en däm­lich und her­rlich.

Erst fand ich’s lustig, aber dann hat mich das Mitleid mit den armen Bach­e­lors gepackt. Das ist näm­lich eine ganz gemeine Falle. Weit­er­lesen

Wie man unnötig lange Vulkannamen zurechtstutzen kann …

Von Kristin Kopf

Schon seit Beginn des Aschewolk­endra­mas schreibt FAZ.net (nicht als einzige) ziem­lich kon­se­quent vom Eyjaf­jal­la. Eine Miniauswahl:

Zu Beginn des ganzen Dra­mas schrieb man zuweilen noch vom Eyjaf­jal­la-Gletsch­er und dem Aus­bruch des isländis­chen Vulka­ns am Eyjafal­la-Gletsch­er, aber auch schon vom Eyjaf­jal­la-Vulkan.

Gletscher = Berg = Vulkan?

Ich habe hin- und herg­erät­selt warum, denn wirk­lich Sinn ergibt das für mich nicht. Ich erin­nere: Eyjaf­jal­la­jökull heißt ‘Insel(n)bergegletscher’. Der Gletsch­er heißt so und der Vulkan unter dem Gletsch­er heißt auch so, sagt die deutsche Wikipedia.

Wenn man den ‘Gletsch­er’ weglässt, wie die FAZ das tut, erhält man also nicht den “echt­en” Namen des Vulkans.

Die Hart­näck­igkeit der FAZ hat mich dann aber doch verun­sichert, und so zog ich aus zu klären, ob das Wort auch wirk­lich den gesamten Berg inklu­sive Vulkan beze­ich­net. Weit­er­lesen

Von der Natürlichkeit der Katastrophe

Von Susanne Flach

Derzeit bedro­ht Öl die amerikanis­che Gol­fre­gion. Dieses Bild ist in Wahrheit noch zynis­ch­er, als es klinkt. Wom­it wir beim The­ma wären. Ver­schiedene Medi­en, darunter Spiegel Online, Focus und die Zeit, sprechen von ein­er Naturkatastrophe*.

Moment. Der Tsuna­mi 2004 war eine Naturkatas­tro­phe. Sichuan und Haiti waren Naturkatas­tro­phen. Es wäre ver­mut­lich stre­it­bar, ob der Aus­bruch des Eyjaf­jal­la­jökull eine Naturkatas­tro­phe im eigentlichen Sinne war — er war es immer­hin für die Ange­höri­gen der audio­vi­suellen Medienlandschaft.

Und auch wenn die Men­schheit dem schwarzen Gold wie einem Gott huldigt, ist eine Ölpest nichts Natür­lich­es. Die Explo­sion auf der Deep­wa­ter Hori­zon und seine Fol­gen ergeben eine Umweltkatas­tro­phe, eine vom Men­schen verur­sachte, also nicht-natür­liche Katas­tro­phe. Wie jede Ölpest. Für die Finanzwelt aus­ge­drückt: wenn Oba­ma sagt, dass BP für die Katas­tro­phe bezahlen wird, dann gibt es einen Schuldigen. Bei Naturkatas­tro­phen gibt es den nicht.

Lin­guis­tisch sind bei­de Wörter soge­nan­nte Kom­posi­ta, in diesem Fall zusam­menge­set­zte Sub­stan­tive. Aber sie unter­schei­den sich in ihrer Kopf-Kern-Struktur:

  • Naturkatas­tro­phe = ’natür­liche Katas­tro­phe’ (siehe auch engl. nat­ur­al dis­as­ter -> Adjek­tiv (nat­ur­al) + Substantiv)
  • Umweltkatas­tro­phe = ‘Katas­tro­phe für die Umwelt’

In bei­den Fällen ergeben sich zwar Auswirkun­gen für Natur und Umwelt — in der Umweltkatas­tro­phe sind diese auch seman­tisch zugänglich­er. Im Fall der Naturkatas­tro­phe wer­den die ver­heeren­den Auswirkun­gen aber nicht vom Sub­stan­tiv ‘Natur’ getra­gen — dieses sagt lediglich aus, dass es sich um eine natür­lich Ursache han­delt, z.B. bei Erd­beben, Flutereignis­sen, Vulka­naus­brüchen. Die Ursache der Katas­tro­phe ist wieder­rum in Umweltkatas­tro­phe nicht sofort ersichtlich (wobei es sich grund­sät­zlich um vom Men­schen verur­sache Ereignisse han­delt). Es ist auch eine Frage der Kon­ven­tion: und die ist (noch), dass Umwelt- und Naturkatas­tro­phen zwei Paar Schuhe sind. So gese­hen dürften Jour­nal­is­ten das Isländis­che für die Kom­po­si­tion Eyjaf­jal­la­jökull ver­ant­wortlich machen (genau genom­men find­en sich in Eyjaf­jal­la­jökull auch Ele­mente von Deriva­tion und Flek­tion, aber belassen wir es mal dabei).

Aber men­schlich­es Gewinnstreben bleibt eine Umweltkatastrophe.

*Im Zuge von Recherchen scheint zumin­d­est SpOn den Lap­sus bemerkt zu haben und hat Naturkatas­tro­phe durch Umweltkatas­tro­phe erset­zt. Der Ver­dacht liegt übri­gens nahe, dass die fraglichen Medi­en eine Agen­turmel­dung über­nom­men haben. Wäre wohl ein Fall für die Jungs hier.

Die Birne ist hinfällig

Von Susanne Flach

Alt­bun­deskan­zler Hel­mut Kohl feierte gestern seinen 80. Geburt­stag. Der einzige Grund, ihn dafür nicht an seinem Geburt­stag zu würdi­gen, liegt im gestri­gen Artikel, den ich per­sön­lich zu schön fand, ihm auch gle­ich eine eben­bür­tige Konkur­renz aufzuhalsen.

Aber wid­men wir uns einem Beitrag auf NDR2, der gestern einen Nachruf, par­don, einen Beitrag über die Geburt­stagsnicht­feier­lichkeit­en Hel­mut Kohls sendete:

[Hel­mut Kohl] ist ein bißchen hin­fäl­lig gewor­den, aber er ist voll präsent. Ihm kann kein­er was vor­ma­chen; er nimmt am poli­tis­chen Leben insofern teil, als dass er sich über alles noch informieren lässt. Hel­mut Kohl ist geistig voll da, aber er ist kör­per­lich eben hinfällig.
(Diet­mar Riemer, ARD-Haupt­stadt­stu­dio Berlin,“Kuri­er um 12″, NDR2, 3. April 2010)

Ich stutzte sofort beim Adjek­tiv hin­fäl­lig. Weit­er­lesen

Einhällig und aufwendig

Von Kristin Kopf

Ich habe eben einen (übri­gens aus­geze­ich­neten!) Blog­beitrag von Ana­tol Ste­fanow­itsch zum iPad gele­sen und darin fol­gende Schrei­bung entdeckt:

Schon damals habe ich mich darüber gewun­dert, dass die Presse hier so ein­häl­lig einen Humor pflegt (oder auf­greift), der auf der krampfhaften Suche nach anstößi­gen Dop­peldeutigkeit­en beruht und der mir seit der sech­sten Klasse nicht mehr begeg­net ist.

Ein großar­tiger Satz, ganz neben­bei. Mir geht’s aber um das <ä> in ein­häl­lig. Das ist zwar ein Rechtschreibfehler, aber er deutet auf etwas span­nen­des hin: eine gelehrte Volk­se­t­y­molo­gie, denn hier wurde ein­hel­lig wahrschein­lich an hallen angeschlossen und entsprechend mit <ä> geschrieben.

In Wirk­lichkeit stammt’s vom althochdeutschen Verb hel­lan ‘tönen’. Das ist heute aus­gestor­ben, an sein­er Stelle hat sich hallen durchge­set­zt, das seit dem 15. Jahrhun­dert belegt ist und vom mit­tel­hochdeutschen Sub­stan­tiv hal ‘Hall’ abgeleit­et wurde (welch­es wiederum doch auf hel­lan zurück­ge­ht, aber den Schlenker ers­pare ich euch lieber).

ä‑tymologische Schreibung

Dass man Wörter an ver­wandte Wörter mit <a> anschließt und entsprechend <ä> statt <e> schreibt, ist eine beliebte Prax­is. Ihr erin­nert euch vielle­icht dran, wie’s bei der Rechtschreibre­form hieß, dass man jet­zt <aufwändig> mit <ä> schreibt, weil es von <Aufwand> kommt und <Stängel> wegen <Stange>. Das Prinzip, das man damit ver­fol­gt, heißt “Mor­phemkon­stanz” – zusam­menge­hörige Wörter sollen auch durch die Schrei­bung als solche markiert werden.

Das ist ganz deut­lich bei den Umlaut­plu­ralen, wo man niemals <Hand> – <Hende> schreiben würde (aber dur­chaus mal getan hat), oder bei den Weit­er­lesen