Schlagwort-Archive: Semantik

Wir gedenken an den Tod von Jesus

Von Kristin Kopf

Spiegel online berichtet darüber, dass ein Pfar­rer eine Tode­sanzeige für Jesus geschal­tet hat und zur Gedenk­feier ein­lädt. So weit, so triv­ial. Allerd­ings ist der Text mit einem Bild der Anzeige illus­tri­ert, und das fand ich span­nend. Da heißt es nämlich:

Wir gedenken an den Tod von

Jesus Ben Josef

genan­nt der “König der Juden”
*04 v. Chr. †34 n. Chr.

Das Verb gedenken in der Bedeu­tung ‘sich ehrfurchtsvoll erin­nern an’ geht in meinem Kopf näm­lich nur mit einem Objekt im Gen­i­tiv oder Dativ zusam­men, also Wir gedenken des Todes von … oder Wir gedenken dem Tod von … Let­zteres noch nicht ganz so salon­fähig, aber ich prog­nos­tiziere gute Aus­sicht­en, weil wir generell Gen­i­tivob­jek­te abbauen. (Auch wenn sich der unsägliche Bas­t­ian Sick dabei im Grab umdr darüber geifer­nd ereifert.)

Erster Gedanke also: Man hat hier an denken oder die Wen­dung in Gedenken an gedacht und Kon­se­quen­zen daraus gezo­gen. Zweit­er Gedanke: Stop! Wer weiß, das kann auch alt sein. Weit­er­lesen

Haarige Sache

Von Kristin Kopf

So, JJ und radier­er haben das Ety­molo­giequiz per­fekt gelöst! Ich hat­te ja einen Preis mit Ety­molo­giebezug ver­sprochen (den jet­zt ein­fach bei­de kriegen), was hal­tet Ihr von Olschan­skys “Täuschende Wörter”? Und als Trost­preis für alle anderen Teil­nehmer gibt’s einen Link zu Spec­Grams Etym­Geo™, wo man Städte­na­men rauskriegen muss – abso­lut empfehlenswert.

Gut, For­mal­itäten gek­lärt, jet­zt weit­er mit der Nach­be­tra­ch­tung aus­gewählter Wortpaare:

Zopf und Weiterlesen

Zwei Auswüchse

Von Kristin Kopf

Das Ety­molo­giequiz ist vor­bei und ich will ein paar der Wort­paare in den näch­sten Tagen noch ein wenig näher beleucht­en. Los geht’s mit dem Dau­men und seinem Partnerwort …

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Keine macht den Drogen

Von Kristin Kopf

Vor ein paar Monat­en habe ich meinen Klei­der­schrank durchge­se­hen und eine Menge Zeug zum Roten Kreuz gebracht. Dieses Klei­dungsstück lag lange auf dem Weg­gabestapel, aber schließlich habe ich es aus nos­tal­gis­chen Grün­den doch behalten.

KEINE MACHT DEN DROGEN

Ja, genau, da gabs mal so ne Kam­pagne. Ich war in der ersten Klasse, wir beka­men alle diese T‑Shirts, mussten damit für Presse­fo­tos auf dem Schul­hof herum­laufen und sahen aus wie kleine Gespen­ster. Die näch­sten zehn Jahre benutzte ich das Ding als Nachthemd, heute passt es halb­wegs (siehe links). Und die ganze Zeit über war ich jedes Mal, wenn ich den Slo­gan sah, leicht irritiert.

Hätte man für das Logo (das heute sehr teleko­mar­tig anmutet, aber damals war die Post ja noch gelb) keine Block­buch­staben genutzt, hätte ich die mir damals unbekan­nte Kon­struk­tion “Keine Macht dem/den/der …” gel­ernt und gut wär’s gewe­sen. So aber war meine per­sön­liche Analyse Keine macht den Dro­gen, was ich für höchst kurios hielt, müsste es doch Keine macht die Dro­gen heißen. Nicht, dass das dann irgen­deinen Sinn gehabt hätte, denn wer sollte diese Keine eigentlich sein und warum war es so bemerkenswert, dass sie nicht an der Dro­gen­pro­duk­tion beteiligt war?

Ich glaube so gegen Ende mein­er Schulzeit wurde mir irgend­wann klar, wie der Spruch gemeint war.

Die Keine Macht+Dativ-Kon­struk­tion scheint mir durch diese Kam­pagne ziem­lich beliebt gewor­den zu sein, so find­et sich in der Buch­suche bei Google recht gut als direk­te Anspielung erkennbar:

Keine Macht den Drö­gen, Keine Macht den Proben, Keine Macht den Doofen

Und weit­ere Beispiele, die sich nicht sich­er auf die Kam­pagne zurück­führen lassen (erste 300 Suchergeb­nisse aus­gew­ertet): Weit­er­lesen

Ichi, ni, san …

Von Kristin Kopf

Eben habe ich in einem Zeit-Artikel gelesen:

Die zwei Atom­an­la­gen in Fukushima‑1 (Dai­i­ni) und ‑2 (Dai­ichi) wur­den nach Angaben des Betreibers Tep­co am Tag des Erd­bebens vor gut ein­er Woche von ein­er 14 Meter hohen Flutwelle getroffen.

Bei den Benen­nun­gen in Klam­mern, Dai­i­ni und Dai­ichi, liegt ein bißchen was im Argen. Zunächst mal hat das erste ein i zu viel abbekom­men (richtig: Dai­ni). Und dann sind die bei­den Wörter ver­tauscht. Das kann man mit ger­ingfügi­gen Japanis­chken­nt­nis­sen erschließen: Es reicht, bis zwei zählen zu kön­nen. In Daini steckt ni ‘zwei’, in Daiichi steckt ichi ‘eins’.

Und das dai? Weit­er­lesen

[Schplock goes English] Last names in Germany

Von Kristin Kopf

This is a (slight­ly mod­i­fied) trans­la­tion of a text I wrote in Jan­u­ary on the dis­tri­b­u­tion of last names in Ger­many. It was request­ed by Petra and I hope it meets your expec­ta­tions! My heart­felt thanks go to Robert for proof­read­ing, all remain­ing errors are of course my own.

Dur­ing the Christ­mas hol­i­days I noticed once more how names can shape a region. When I’m trav­el­ling south, I real­ize that I’ve arrived home not only because the Ale­man­nic dialect creeps into people’s speech but also because peo­ple are sud­den­ly named Him­mels­bach, Göp­pert and Ohne­mus: Names that are, to my ear, deeply root­ed in the region.

And sure enough: All of them can be shown to have the high­est fre­quen­cy in “my” or one of the neigh­bor­ing dis­tricts (“Land­kreise”). I then dis­cov­ered an excel­lent strat­e­gy to find more of these last names: I scrolled through the face­book friends of my rel­a­tives. (And I got lots of ideas doing that – you could ana­lyze pub­lic face­book pro­files that spec­i­fy the place of res­i­dence in order to cre­at­ed a city’s “name pro­file”. You could put more weight on names of high school stu­dents, because they tend to live were they were born. Major cities would have to be ignored because peo­ple move a lot, etc. How­ev­er that research strat­e­gy might bor­der on ille­gal­i­ty and would set a rather bad exam­ple con­cern­ing privacy.)

So, what to do if you sus­pect that a last name is typ­i­cal for a cer­tain region? How can you local­ize it? Weit­er­lesen

[Anglizismus des Jahres] ausrollen?

Von Kristin Kopf

aus­rollen in Bezug auf Tech­nik (z.B. ein Update) ist ein Kan­di­dat für den Anglizis­mus des Jahres 2010, der von vie­len Seit­en als schon lang etabliert kri­tisiert wurde. Das ist hier beson­ders schwierig her­auszubekom­men, weil das Wort in ein­er anderen, weniger metapho­rischen Bedeu­tung (Tep­pich, Teig), schon lange existiert. Wir haben es also mit ein­er Lehnbe­deu­tung zu tun: Ein Aspekt des englis­chen to roll out, näm­lich dieser technische/produktionsbezogene, wurde über­nom­men, aber einem deutschen Wort zugeschla­gen. Das passiert oft bei Wörtern, die sich for­mal oder inhaltlich gle­ichen, hier ist bei­des der Fall.

Was kann man alles ausrollen?

Zunächst ein­mal stellt sich die Frage, was das Wort über­haupt heißt. Ich lag mit mein­er Intu­ition z.B. ziem­lich daneben bzw. hat­te nur einen Teilaspekt erfasst. Glück­licher­weise gibt es einen Wikipedi­aein­trag für Roll­out (seit Juni 2004), aus dem sich die fol­gen­den Bedeu­tun­gen des­til­lieren lassen (fast wörtlich übernommen!):

teilw. syn­onym: Mark­te­in­führung, Ein­führung

  1. Flugzeug­bau: erst­ma­liges Her­aus­rollen des Flugzeugs aus sein­er Baustätte (oft mit Fes­takt verbunden)
  2. Soft­ware 1: Veröf­fentlichen und Verteilen von Soft­ware­pro­duk­ten auf entsprechende Clients (auch Soft­ware-Dis­tri­b­u­tion) – wird durch zen­trales Host­ing zunehmend obsolet
  3. Soft­ware 2: organ­isatorische Pro­jekt-The­men (z.B. Infor­ma­tions­dis­tri­b­u­tion über Organ­i­sa­tion­sein­heit­en, Mar­ket­ing, Soft­ware- und Prozess-Train­ing, Mon­i­tor­ing und Report­ing über den Rollout-Verlauf)
  4. Hard­ware: Aus­tausch sämtlich­er Com­put­er­hard­ware bei einem Gen­er­a­tionswech­sel der Com­put­er eines Unternehmens

1, 2 und 4 sind mir klar, aber … 3? Hä? Hinzuge­fügt wurde die entsprechende Pas­sage im Novem­ber 2006, lei­der ohne Erk­lärung in den Diskus­sion­s­seit­en. Weit­er­lesen

[Anglizismus des Jahres] entfrienden/entfreunden?

Von Kristin Kopf

Heute beschäftige ich mich mit einem der Kan­di­dat­en, bei denen nicht das kom­plette Mate­r­i­al entlehnt wurde, näm­lich dem Dop­pelka­n­di­dat­en ent­frien­den/ent­fre­un­den. Hier haben wir es mit ein­er Ableitung zu tun. Ihre Bedeu­tung würde ich unge­fähr fassen als: ‘eine bei einem sozialen Netzwerk/Computerspiel/… beste­hende Verknüp­fung (“Fre­und­schaft”) wieder auflösen’.

Vor man entfrienden kann, muss man frienden!

Will man diese Bil­dung unter­suchen, dann muss man sich zunächst ein­mal anschauen, wie ihre Basis, also frien­den/fre­un­den, zus­tande kam, wie man sie in den fol­gen­den Beispie­len findet:

Noch mehr Leute hier, die ihre Eltern bei Face­book nicht gefrien­det haben? (Quelle)

Ich hab so viele Leute gefrien­det, wenn ich nicht mehrmals täglich die Frienslist lesen würde, käme ich gar nicht mehr hin­ter­her! (Quelle)

Ella Lin­gens Gym­na­si­um kann man nicht “frien­den” nur “liken”, oder? (Quelle)

Hab ein paar von euch gefre­un­det ‚hoffe das ist ok! (Quelle)

Auf­fäl­lig ist, dass hier meist das Par­tizip vorkommt, d.h. über die Hand­lung öfter in der Ver­gan­gen­heit gesprochen wird. Mir selb­st kommt der Infini­tiv schon fast ungram­ma­tisch vor. Weit­er­lesen

When you friend someone …

Von Kristin Kopf

Bevor ich mich im Rah­men der Wahl zum Anglizis­mus des Jahres 2010 mit ent­fre­un­den/-frien­den im Deutschen beschäftige, will ich kurz den Hin­ter­grund im Englis­chen beleucht­en – zumin­d­est das davon, was ich einiger­maßen klären konnte.

Anfreunden auf Englisch

in the Facebook sense”

Das deutsche Verb frien­den kommt vom gle­ichbe­deu­ten­den englis­chen to friend. Als heutige Bedeu­tung würde ich anset­zen  ‘bei einem sozialen Netzwerk/Computerspiel/… eine Verknüp­fung (“Fre­und­schaft”) erstellen’. Ein bißchen anders sieht es die englis­che Wikipedia (eigen­er Ein­trag seit dem 1. Novem­ber 2010):

As a neol­o­gism, the term is a tran­si­tive verb mean­ing “to send a friend request on Facebook.”

Hier wird als Bedeu­tung also ‘jeman­dem auf Face­book eine Fre­und­schaft­san­frage schick­en’ angegeben. Das finde ich etwas zu eng, wird doch auch ander­swo, z.B. bei Live­Jour­nal oder MySpace, eine ganze Menge gefrien­det. Außer­dem stellt sich natür­lich die Frage, ob frien­den etwas ist, das man völ­lig eigen­ständig tun kann (also die Anfrage stellen), oder ob es nicht eher reziprok getan wer­den muss (der zukün­ftige “Fre­und” muss ja zus­tim­men). Wäre vielle­icht ganz span­nend, Beispiele daraufhin zu unter­suchen, ob im alltäglichen Gebrauch schon der Ver­such der Fre­und­schaft­sknüp­fung als to friend gew­ertet wird.

Face­book selb­st, das oft als Ursache für die Entste­hung angegeben wird, ver­wen­det das Wort übri­gens nicht, son­dern bedi­ent sich ein­er Umschreibung:

Face­book auf Englisch: “Add as Friend”

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[Anglizismus des Jahres] leaken?

Von Kristin Kopf

Nach App gibt’s nun eine zweite Betra­ch­tung eines Anglizis­mus-des-Jahres Kan­di­dat­en, näm­lich leak­en. Gepostet wird zeit­gle­ich mit suz, auf deren Bemerkun­gen zum The­ma (edit: jet­zt mit Link) ich sehr ges­pan­nt bin!

Entlehnungsdurcheinander: Wann, was, wie?

Mit leak­en ist was ganz Lustiges passiert: Die laut­liche Form gibt es im Deutschen schon eine ganze Weile. Als ursprüngliche Bedeu­tung würde ich für diese erste Entlehnung anset­zen: ‘etwas (bes. Software/Filme/…), das von seinen Urhe­bern nicht dazu bes­timmt ist, (beson­ders über das Inter­net) an die Öffentlichkeit kom­men lassen’.

Der früh­este Beleg, den ich via Google News gefun­den habe (2001), ist dieser, in dem die Fremd­heit noch ziem­lich deut­lich ist und die Bedeu­tung des Wortes erk­lärt wer­den muss:

nVidia will das Leak­en von Treibern unterbinden: nVidia hat heute in ein­er Ankündi­gung allen reg­istri­erten Entwick­lern mit­geteilt, man wolle in Zukun­ft härter gegen ‘geleak­te’ Treiber vorge­hen. Leak­en bedeutet das inof­fizielle veröf­fentlichen von Soft­ware, die durch “Lück­en” an die Öffentlichkeit gelangt ist. (04.06.2001)

In ebendieser Soft­warebe­deu­tung find­et es sich dann auch 2004 ziem­lich gut integriert:

Far Cry: Beta-Ver­sion geleakt? Inter­net-Gerücht­en zufolge kur­siert bere­its wenige Tage nach Beginn des Beta-Tests eine ille­gal geleak­te Ver­sion des Ego-Shoot­ers Far Cry in diversen Online-Tauschbörsen. (16.01.2004)

Neben dieser Ver­wen­dung ent­stand aber auch ein zweit­er Anwen­dungs­bere­ich, bei dem es nicht um Soft­ware ging, die ille­gal ver­bre­it­et wurde, son­dern um Infor­ma­tio­nen, die an die Öffentlichkeit getra­gen wur­den, ohne dass das vorge­se­hen war. Weit­er­lesen