Schlagwort-Archive: Qualitätsjournalismus

Wie Medien Wörter machen

Von Anatol Stefanowitsch

Sprache verän­dert sich nicht von alleine, son­dern sie wird von den Mit­gliedern der Sprachge­mein­schaft verän­dert. In jedem Gespräch kann es passieren, dass die vorhan­de­nen Ressourcen der Sprache nicht aus­re­ichen, um unsere Gedanken wiederzugeben. Oder, dass uns die vorhan­de­nen Ressourcen nicht gefall­en, z.B. weil wir Sprach­nör­gler sind und keine englis­chen Lehn­wörter mögen, oder weil wir anständi­ge Men­schen sind und diskri­m­inierende Sprache ver­mei­den wollen. In solchen Fällen kön­nen wir alle kreativ wer­den und dem Wortschatz eigene Erfind­un­gen hinzufü­gen oder eine gram­ma­tis­che Regel ein kleines biss­chen erweit­ern. Und es kann immer passieren, dass solche Neuerun­gen sich aus­bre­it­en und Teil des all­ge­meinen Sprachge­brauchs werden.

Das ist natür­lich vor allem dann der Fall, wenn wir mit ein­er einzi­gen Sprech­hand­lung möglichst viele Men­schen erre­ichen: Ein­er der Helden der deutschen Sprach­nör­g­lerge­meinde ist der Sprach­purist Philipp von Zesen (1619–1689), der für eine große Zahl erfol­gre­ich­er Ein­deutschun­gen von (meist franzö­sis­chen, griechis­chen und lateinis­chen) Lehn­wörtern ver­ant­wortlich ist – ihm zugeschrieben wer­den zum Beispiel die Wörter Abstand (statt Dis­tanz), Bücherei (statt Bib­lio­thek), Mundart (statt Dialekt) und Weltall (statt Uni­ver­sum). Dass er bei der Ver­bre­itung dieser Wörter – anders als die heuti­gen Sprach­puris­ten vom Vere­in Deutsche Sprache – so erfol­gre­ich war, lag daran, dass er wenig Zeit damit ver­brachte, diese Ein­deutschun­gen in Form eines Fremd­wör­terindex oder ein­er Sprach­pan­sch­er-des-Jahres-Wahl zu propagieren, und rel­a­tiv viel Zeit damit, sie ein­fach zu ver­wen­den – und da er ein sehr pro­duk­tiv­er Schrift­steller und Über­set­zer war, erre­ichte er mit jed­er Ver­wen­dung ein großes Publikum.

Heute sind mit den Massen­me­di­en Play­er an der Sprachen­twick­lung beteiligt, gegen die Philip von Zesen wie ein Ama­teur wirkt. Eine große Presseagen­tur oder ein großer Ver­lag, wie, sagen wir mal, der Axel-Springer-Ver­lag, kön­nen Wörter erfind­en und inner­halb weniger Tage für eine Ver­bre­itung sor­gen, die eine Über­nahme in den all­ge­meinen Sprachge­brauch sehr viel wahrschein­lich­er macht als alles, was wir Kleinkom­mu­nizieren­den tun kön­nten um die Sprache mitzuen­twick­eln. Weit­er­lesen

Heiße Mohr, will nichts verstehen

Von Anatol Stefanowitsch

Es gibt die ganz nor­male Denk­faul­heit. Es gibt mutwillige Igno­ranz. Und dann gibt es noch das deutsche Feuil­leton – erfun­den, damit Denk­faul­heit und mutwillige Igno­ranz nicht so schlecht dastehen.

Ein Beispiel? Na gut:

Ges­tat­ten, mein Name ist Mohr. Rein­hard Mohr. Mohr mit o‑h, wohlge­merkt. Nie habe ich Stamm­baum­forschung oder Ety­molo­gie betrieben, aber soviel weiß ich: Mohr kommt von Mau­re, ein ursprünglich griechis­ches Wort, das dunkel- und schwarzhäutige Men­schen beze­ich­net. Ich aber bin weiß.

In einem einzi­gen kurzen Absatz verdeut­licht Rein­hard Mohr für das Deutsch­landra­dio Kul­tur hier das Kern­prinzip des Feuil­letons. Erstens: „Es geht um mich, mich, mich!“ Zweit­ens: „Natür­lich habe ich nicht recher­chiert.“ Drit­tens: „Trotz­dem erk­läre ich euch Gut­men­schen jet­zt gle­ich mal, wo der große weiße Ham­mer hängt.“ Weit­er­lesen

Sprachbrocken 24/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Die Über­schrift „Sprachre­form an der Uni Leipzig: Guten Tag, Herr Pro­fes­sorin“, mit der Spiegel Online die Mel­dung über das gener­ische Fem­i­ninum in der Grun­dord­nung der Uni­ver­sität Leipzig verse­hen hat, hat­te ihr Gutes und ihr Schlecht­es. Schlecht war, das die deutsche Presse diese Über­schrift flächen­deck­end wörtlich nahm und ein­er erstaunten Öffentlichkeit mit­teilte, dass (männliche) Pro­fes­soren in Leipzig ab sofort so anzure­den seien (das BILDBLOG hat das schön doku­men­tiert [1], [2]). Gut war, dass die Mel­dung, und damit auch das Prob­lem sprach­lich­er Diskri­m­inierung, auf diese Weise ins öffentliche Bewusst­sein gelangt ist. Ich sehe die Ver­ant­wor­tung für die Berichter­stat­tung auch gar nicht bei Spiegel Online, son­dern bei den Redak­tio­nen, die offen­bar gle­ich nach der Lek­türe der Über­schrift ihre eige­nen Mel­dun­gen ver­fassten, statt weit­erzule­sen und zu erfahren, worum es wirk­lich ging.

Keine Ver­ant­wor­tung tra­gen dage­gen die Kolumnist/innen, die dann auf der Grund­lage dieser Mel­dun­gen hämis­che und völ­lig unin­formierte Mei­n­ungsstücke in ihre Tas­taturen häm­merten. Denn anders als etwa Blogger/innen, von denen man eine gewisse Sorgfalt und Fachken­nt­nis gewohnt ist, muss sich das deutsche Feuil­leton ja an eine Selb­stverpflich­tung hal­ten, die max­i­male Empörung bei min­i­maler Zurken­nt­nis­nahme der Real­ität vorschreibt. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 19/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Die Geschichte der geschlechterg­erecht­en Sprache, das mussten wir auch dieser Tage wieder fest­stellen, ist eine Geschichte voller Missver­ständ­nisse. Voller mutwilliger, ver­mei­d­bar­er Missver­ständ­nisse, die eigentlich bere­its hun­dert Mal aus­geräumt wor­den sind.

Dass die Macher/innen der Hei­del­berg­er Studieren­den­zeitung RUPRECHT nicht die hell­sten Sterne am qual­ität­sjour­nal­is­tis­chen Ster­nen­him­mel sind, wird schnell klar, wenn man mit dem kon­fron­tiert wird, was diese für „Satire“ hal­ten: Sex­is­mus mit ein­er Prise Ver­harm­lo­sung von recht­sex­tremem Ter­ror­is­mus. Auf der Titel­seite eines fik­tiv­en „Hei­del­berg­erinnen­er Stu­dentin­nen­magazins“ namens „car­o­la“ find­en sich Teas­er wie „Ohne Ler­nen durch die mündliche Prü­fung: Unsere besten Styling-Tipps“ aber auch „Frau Zschäpe plaud­ert aus dem Nähkästchen / Zwis­chen zwei Män­nern / Beate über die besten Unter­grund-Stel­lun­gen für drei“. Anlass dieser „Satire“ ist die Entschei­dung der „ruprecht“-Redaktion, ihre Texte nicht mehr zu „gen­dern“ und auch den Unter­ti­tel der Zeitschrift von Hei­del­berg­er Studieren­den­zeitung in Hei­del­berg­er Stu­den­ten­zeitung zu ändern. Weit­er­lesen

Stille Post verschlechtert die Grammatik

Von Anatol Stefanowitsch

Amerikanis­che Wis­senschaftler haben her­aus­ge­fun­den, dass die SMS-Sprache von Jugendlichen deren Gram­matik ver­schlechtert. Zumin­d­est behauptet das eine Presseerk­lärung des Con­tentliefer­an­ten „Pres­se­text“. Aber wie immer, wenn wir etwas über die neuesten Erken­nt­nisse der amerikanis­chen Wis­senschaft erfahren, haben diese ein langes Stille-Post-Spiel hin­ter sich.

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Fragliche Unterwürfigkeit

Von Anatol Stefanowitsch

Ein Mem geht um unter den Sprach­nör­glern — das Mem der lin­guis­tic sub­mis­sive­ness („sprach­liche Unter­wür­figkeit“). Mit diesem Begriff, behaupten die Anglizis­men­jäger und Deutschbe­wahrer häu­fig, beze­ich­net die in Lon­don erscheinende Times die Entlehnung englis­ch­er Wörter ins Deutsche. Ein paar Zitate: Weit­er­lesen

Verstrahlte SMS-Kürzel

Von Anatol Stefanowitsch

Seit ein paar Tagen geis­tert eine Pressemel­dung der Ärztekam­mer für Wien durch die deutschsprachige Pres­se­land­schaft, in der ein­dringlich davor gewarnt wird, Kindern die Nutzung von Mobil­tele­fo­nen zu erlauben.

Zunächst geht es der Kam­mer um Strahlenbelastung:

Rechtzeit­ig zu Schul­be­ginn mah­nt die Wiener Ärztekam­mer einen ver­ant­wor­tungsvollen Gebrauch von Handys ins­beson­dere bei Kindern und Jugendlichen ein. Noch immer werde die Gefahr der Handys­trahlung in Öster­re­ich nicht wirk­lich ernst genom­men. Ger­ade bei Kindern aber müsse man auf eine mögliche gesund­heitliche Gefährdung im Umgang mit Mobil­funk acht­en und dürfe die Risiken der Handy-Nutzung nicht unter­schätzen… [Pressemel­dung der Ärztekam­mer für Wien vom vom 6. Sep­tem­ber 2009]

Dass eine Ärztekam­mer vor Strahlen­schä­den warnt, leuchtet ein — zumin­d­est, wenn von Handys tat­säch­lich eine entsprechende Gefahr aus­ge­hen sollte. Aber der näch­ste Absatz ließ mich bei der Lek­türe stutzen: Weit­er­lesen

Who scheissmeistered the Schmerzlkender?

Von Anatol Stefanowitsch

In den Kom­mentaren zu meinem gestri­gen Beitrag weist Sprachblogleser/in „D“ auf einen Hör­funkbeitrag vom 4. Juni mit einem ähn­lichen The­ma hin. Unter der stilis­tisch gren­zw­er­ti­gen Über­schrift „New York liebt ein biss­chen Deutsch — Can you schlepp a Gesamtkunst­werk?“ liefert Lena Bodewein, Hör­funkko­r­re­spon­dentin der ARD, einen Beitrag über deutsches Lehngut in New York.

Ich muss hier vor­sichtig sein: Bodewein hat ihr lin­guis­tis­ches Handw­erk­szeug vor vie­len Jahren an der Uni­ver­sität Ham­burg erwor­ben, genau zu der Zeit, als ich dort meine akademis­che Lauf­bahn begann. Unter anderem saß sie, wenn ich mich richtig erin­nere, in einem mein­er Sem­i­nare zum The­ma „Englisch als Welt­sprache“ und hat dort ein sehr vergnüglich­es Refer­at über Scheinan­glizis­men gehal­ten. Ich habe sie also mit aus­ge­bildet, und jed­er Fehler, den sie macht, fällt deshalb ein Stück weit auf mich zurück. Weit­er­lesen

Sprachimperialistische Illusionen

Von Anatol Stefanowitsch

Aus den Zeitun­gen erfahren wir dieser Tage Erstaunlich­es: „Deutsch erobert die USA, melden z.B. die Nürn­berg­er Nachricht­en. „In Ameri­ka Ger­man­is­men auf dem Vor­marsch — Deutsch­er als Lehrmeis­ter im Internet“.

Da bin ich mal gespannt.

Gesund­heit“, wün­scht mir mein Bekan­nter Eddie, als sich ein­mal mehr das Kribbeln in mein­er Nase in ein­er mit­tel­starken Explo­sion entlädt. Eddie ist waschechter Amerikan­er: Tagsüber arbeit­et er in ein­er Pfan­dlei­he, wo rezes­sion­s­ge­plagte Bürg­er derzeit ihre Uhren und Eheringe in Bares ein­tauschen. Abends grillt er im Garten, wäscht seinen sprit­saufend­en SUV oder spielt mit sein­er Schusswaffen-Sammlung.

Das ist doch schon mal sehr ermuti­gend: Der Autor, Friede­mann Diederichs, verzichtet auf plat­te Stereo­typ­isierun­gen der amerikanis­chen Kul­tur. Das deutet auf einen feinsin­ni­gen Beobachter der men­schlichen Natur hin. Weit­er­lesen