Schlagwort-Archive: Politik

In der Wahrheit liegt die Lüge

Von Anatol Stefanowitsch

Eine Arbeits- und Sozialmin­is­terin, die Bestechungs­gelder annimmt, um ihre Hero­in­sucht zu finanzieren, muss sofort zurück­treten. Wenn wir uns so etwas aus falsch ver­standen­em Gut­men­schen­tum her­aus gefall­en lassen, spal­tet das unsere Gesellschaft, und die Stim­mung kippt sowieso. Nein, gle­iche Regeln für alle, da kann es keine Diskus­sion geben.

Natür­lich kom­men jet­zt gle­ich die Ein­wände aus der immer gle­ichen Rich­tung: Es gebe doch gar keine Hin­weise darauf, dass unsere Arbeits- und Sozialmin­is­terin Bestechungs­gelder annimmt oder Hero­in­süchtig sei. Natür­lich nicht, ich rede doch nicht über eine bes­timmte Per­son! Ich habe den höch­sten Respekt vor Andrea Nahles und ihrer Arbeit. Ich bin mir sich­er, dass die meis­ten Arbeits- und Sozialmin­is­terin­nen wed­er Dro­gen nehmen, noch bestech­lich sind.

Ich sage ja nur: Wenn eine Arbeits- und Sozialmin­is­terin Bestechungs­gelder annimmt, um ihre Hero­in­sucht zu finanzieren, dann muss sie zurück­treten. Das muss man sagen dür­fen. Das Schweigekartell bezüglich dro­gen­süchtiger, kor­rupter Min­is­terin­nen ist unerträglich. Weit­er­lesen

Revolutionär*innen, die auf Sternchen starren

Von Anatol Stefanowitsch

Die Grü­nen haben am Woch­enende auf ihrer Bun­des­delegiertenkon­ferenz unter anderem beschlossen, in Parteitags­beschlüssen in Zukun­ft verbindlich den Gen­der-Stern (Student*innen, Kindergärtner*innen, Ter­ror­ist*innen) zu ver­wen­den. Angesichts der Empfind­lichkeit, mit der die deutsche Öffentlichkeit auf geschlechterg­erechte Sprache reagiert, wurde diese Satzungsän­derung natür­lich vor, während und nach dem Parteitag in den Medi­en disku­tiert. Die Fron­ten waren dabei vorherse­hbar verteilt: „Gen­der-Gaga“ war der Beschluss z.B. für die Bild (der es dabei nicht nur um die Sprache ging: sie störte sich auch an der Idee von „Extra-Zel­ten für trans­sex­uelle Flüchtlinge“). Der Cicero sah in dem Beschluss ein Zeichen für die „Rück­ver­wand­lung ein­er Partei in eine Krabbel­gruppe“. Und die Ost­thüringer Zeitung kon­nte es sich nicht verkneifen, in ihrer Schlagzeile von „Grün*innen“ zu sprechen. Die taz dage­gen vertei­digt den Beschluss sehr fachkundig, und die Süd­deutsche Zeitung sagt zum Gen­der-Stern „Schön ist das nicht — aber richtig“.

Wer ab und zu das Sprachlog liest, wird ver­muten, dass ich mich hier dem zweit­en Lager anschließen und die Grü­nen für ihren Beschluss loben werde. Diese Ver­mu­tung muss ich aber ent­täuschen – anders als die Süd­deutsche finde ich den Gen­der-Stern schön, aber falsch. Natür­lich stimme ich auch dem ersten Lager nicht zu. Das Prob­lem ist nicht, dass der Beschluss der Grü­nen „Gen­der-Gaga“ ist, son­dern, dass er nicht gen­der-gaga genug ist. Die Grü­nen entwick­eln sich nicht zu ein­er Krabbel­gruppe, sie ver­ab­schieden sich von der weltverän­dern­den Anar­chie, die jed­er Krabbel­gruppe innewohnt. Weit­er­lesen

Kulturkämpfe

Von Anatol Stefanowitsch

Ein Kampf der Kul­turen tobt in unserem Land. Nicht so sehr zwis­chen Chris­ten und Mus­li­men oder Abend- und Mor­gen­land, son­dern vielmehr unter Politiker/innen, die sich darin über­schla­gen, ständig neue Kom­posi­ta mit dem Zweit­glied -kul­tur zu erfind­en und in Poké­mon-Manier gegeneinan­der in den Kampf zu schicken.

Ange­fan­gen hat der Kul­turkampf ganz unauf­fäl­lig und noch wenig kämpferisch: Seit min­destens zehn Jahren fordern Poli­tik und Wirtschaft eine Willkom­men­skul­tur gegenüber Migrant/innen – ange­feuert weniger von Fre­undlichkeit als von Fachkräfte­man­gel. In diesem Zusam­men­hang wird das Wort auch von deutschen Behör­den wie dem Bun­de­samt für Migra­tion und Flüchtlinge, und – beze­ich­nen­der­weise – dem Bun­desmin­is­teri­um für Wirtschaft und Energie ver­wen­det. In jün­ger­er Zeit hat sich die Willkom­men­skul­tur dann im Rah­men ansteigen­der Flüchtlingszahlen zu einem schlag­wor­tar­ti­gen Gege­nen­twurf zur bis dahin vorherrschen­den, nen­nen wir sie mal bürg­er­lichen Besorg­nis- und Kri­tikkul­tur entwick­elt. Weit­er­lesen

Now sitting in one boat are we?

Von Susanne Flach

Zu den häu­fig­sten Such­be­grif­f­en in mein­er Blogsta­tis­tik gehört “sit­ting in one/the same boat”. In meinem Beitrag zu Oet­tingers Englisch schrieb ich, die englis­che Redewen­dung zu “in einem Boot sitzen” ist “to be in the same boat”. Das ist richtig, die Argu­men­ta­tion war aber nicht kom­plett: Mut­ter­sprach­ler haben mir bere­its damals gesagt, dass ihnen “We’re sit­ting in one boat” gar nicht auf­fall­en würde.

Warum auch? Der Satz ist syn­tak­tisch in Ord­nung, die Meta­pher bleibt. Ganz ähn­lich sehen das auch die Mut­ter­sprach­ler in ein­er Diskus­sion zur Oettinger’schen Rede im LEO.org-Forum: ungewöhn­lich ja, falsch nein (und erst recht nicht schlimm oder gar peinlich).

Das wollte ich jet­zt genauer wis­sen: Nutzen Mut­ter­sprach­ler des Englis­chen die Redewen­dung so, wie Oet­tinger es tat? Die Antwort vor­weg: Nein, tun sie (fast) nicht. Aber Oet­tinger war auch nicht der erste Deutsche, der sie benutzte.

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Twitter: “Baden-Württemberg” kein Wort

Von Susanne Flach

An dieser Stelle schrieb ich kurz über Koor­di­na­tivkom­posi­ta am Beispiel von Baden-Würt­tem­berg und stellte die Frage, ob Baden-Würt­tem­berg ein solch­es ist. Die patri­o­tis­che Antwort: Es ist ein unmöglich­er Aus­druck. Nun beweist Twit­ter, dass Baden-Würt­tem­berg noch nicht mal ein Wort ist.

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Art. 22, Abs. 3 GG

Von Susanne Flach

Art. 22, Abs. 3 GG gibt es nicht.

Der VDS möchte, dass Deutsch bess­er geschützt und deshalb als Zusatz zu Artikel 22 ins Grundge­setz aufgenom­men wird. Dafür hat der Vere­in Ende des ver­gan­genen Jahres die BILD-Zeitung gewin­nen kön­nen. Mit der Sache beschäftigten sich im Novem­ber das BILD­blog (hier und hier), sowie Sprachlog­ger Ana­tol Ste­fanow­itsch. Im Dezem­ber dann startete der VDS eine E‑Petition, in der der Bun­destag aufge­fordert wird, Deutsch im Grundge­setz festzuschreiben. Diese Peti­tion ist bei Ablauf in dieser Woche von etwa 5000 Men­schen geze­ich­net worden.

Ste­fanow­itsch kündigte bere­its im Novem­ber an, eine entsprechende Gege­nak­tion zu starten. Es ist soweit. Die Peti­tion find­et sich hier. Zum Wil­lens­bil­dung­sprozess gehört natür­lich auch die Infor­ma­tion über ein The­ma und wer sich die Hin­ter­gründe dazu aneignen möchte und wis­sen möchte, warum, der sei auf die Bekan­nt­machung (inklu­sive der Links zu früheren Beiträ­gen) im Sprachlog hingewiesen. Heute hat auch Ste­fan Nigge­meier auf die Aktion aufmerk­sam gemacht.

Da frage ich mich natür­lich, was die Reich­weite mein­er Wenigkeit noch aus­richt­en kann. Aber mir ist im Laufe der Diskus­sio­nen klar gewor­den (ähn­lich wie Kristin), dass ich auch als kleines Licht den geisti­gen Dün­npfiffter­ror nicht unkom­men­tiert ste­hen lassen will. Wenn man als Feind der deutschen Sprache dif­famiert wird, weil man sich der Peti­tion anschließt oder der Dop­pel­moral bezichtigt wird, weil man dann trotz­dem in Deutsch­land lebt — dann ist jede erden­kliche Moti­va­tion legit­im, mit der diese Peti­tion geze­ich­net wird. Bish­er hielt ich bil­li­gen Pop­ulis­mus für den schlecht­esten aller Gründe — (zumin­d­est) für heute sehe ich das anders. Ich lebe gerne hier, ich liebe Deutsch — und das trotz der unre­flek­tierten Pöbelei, die uns ent­ge­gen weht.

Mein Demokratiev­er­ständ­nis hält das aber aus.

Das Schäufele aus Freiburg

Von Susanne Flach

Das aktuelle Tohuwabo­hu um Wolf­gang S. aus F. riss die Sprecherin beim Nachrichten­zulief­er­er eines Ham­burg­er Radiosenders zu einem zumin­d­est für Fre­unde der süd­deutschen Küche amüsan­ten Ver­sprech­er hin:

Wolf­gang Schäufele… Schäu­ble ist zurückgetreten/tritt zurück/wird zurückgetreten/dementiert Rück­tritts­gerüchte. [Nichtzutr­e­f­fend­es ist je nach Sach­lage zu stre­ichen.]

Jet­zt ist mir nach nem Schoiblə Schäufəle.

Die Feindstaatenklausel

Von Susanne Flach

FIFA-Chef Blat­ter hat sich jegliche Ein­mis­chung der Poli­tik in den Fußball verbeten.

Fein! Nach­dem wir irgend­wie ger­ade alle vom Platz jagen, abschießen, nieder­walzen und durch geschick­te Vertei­di­gung, über­fal­lar­tige Kon­ter oder strate­gis­che Gege­nan­griffe ver­dreschen, ver­mö­beln (“Wer hat Argen­tinien am meis­ten weh getan?”) und zur Kapit­u­la­tion zwin­gen oder geg­ner­ischen Anführern zur Explo­sion brin­gen wollen, wun­dern wir uns noch über die Kriegsrhetorik aus­ländis­ch­er Medi­en über den bick­el­be­haubten hässlichen Deutschen (El Mun­do: “Bestie”) im anrol­len­den Panz­er. Da sind auch feinsin­nige Neol­o­gis­men wie “Deutsch­land müllert Eng­land” oder “Woe­ful Eng­land mullered by Ger­many” (Mir­ror) eher der Bick-Stick-Diplo­matie zuzuordnen.

Dabei ist alles in Wahrheit noch viel schlim­mer. Nach den immer noch gülti­gen — wenn auch obso­leten — Artikeln 53 und 107 der UN-Char­ta ist es allen Unterze­ich­n­er­staat­en ges­tat­tet, Aggres­sio­nen eines Feind­staates aus dem Zweit­en Weltkrieg mit mil­itärischen Mit­teln ohne beson­dere Ermäch­ti­gung gegenüberzutreten. Diese “Feind­staatsklausel” bezog sich natür­lich haupt­säch­lich auf Deutsch­land und Japan. Zu den Unterze­ich­n­ern der Char­ta 1945 gehörten unter anderem Aus­tralien, Jugoslaw­ien, das Vere­inigte Kön­i­gre­ich, Argen­tinien, Uruguay und die Nieder­lande; noch vor Deutsch­land (1990*) unterze­ich­neten die Char­ta außer­dem Ghana (1957) und Spanien (1955). (Okay, irgend­wie alle halt. Aber vor uns zit­tern jet­zt… ja auch irgend­wie alle!)

Aus Grün­den ver­patzter Pointen bin ich froh wenn die Prü­fun­gen durch sind.

*Streng genom­men hat Deutsch­land erst 1990/1 mit dem Zwei-Plus-Vier-Ver­trag volle Sou­veränität erhal­ten. Deutsch­land war aber bere­its mit dem NATO-Beitritt der BRD 1955 und der Unterze­ich­nung der UN-Char­ta der BRD und der DDR 1973 vor der Feind­staaten­klausel, äh, geschützt. Der Medi­en­ar­beit vom “hässlichen Deutschen” und der Kriegsrhetorik in aus­ländis­chen Fußballme­di­en hat das bekan­nter­maßen keinen Abbruch getan. So gese­hen ist Fußball ja auch irgend­wie die Fort­set­zung des Krieges mit anderen Mitteln.

Rand­no­tiz aus einem Prüfungsvorbereitungshirn.

Westerwave and The Aufschwung

Von Susanne Flach

Ich gehöre ganz bes­timmt zu den­jeni­gen, die sich jet­zt eins ins Fäustchen kich­ern — und genüßlich dabei zuse­hen, wie Jour­naille und Web‑2.0‑Gemeinde Gui­do West­er­welle im Wech­sel mit Häme über­schüt­ten. Mit sein­er lei­dlich geschick­ten Reak­tion auf die Anfrage eines BBC-Reporters beschäftigt sich unter einem sprach­wis­senschaftlichen Aspekt heute das Bre­mer Sprach­blog.

Schon machen Videos die Runde, die sich an West­er­welles schwachen Englis­chken­nt­nis­sen ergötzen: auf die Frage eines jun­gen Osteu­ropäers, was Osteu­ropa von der deutschen Erfahrung mit dem Frieden ler­nen kön­nte, antwortet West­er­welle:

The fall of the wall… There has been so much dynam­ic in the new mem­bers of the Euro­pean Union. And I do not mean only the eco­nom­ic dynam­ic, I mean the dynam­ic of the soci­ety. If I would com­pare this some­times to the old EU 50 [das sehen wir ihm nach, weil wir davon aus­ge­hen, dass auch ein FDP-Chef weiß, wieviele Mit­gliedsstaat­en die EU vor Mai 2004 hat­te], we could learn that the [queue] for a suc­cess­ful wel­fare state, a suc­cess­ful econ­o­my is the dynam­ic of the soci­ety is the will to reach very ambi­tious aims and per­haps this is some­thing what we in the last years lost in our men­tal­i­ty or lost too much in our men­tal­i­ty. For exam­ple, if I look to what we got today, we got today the new unem­ploy­ment rates and when I lis­ten to the gov­ern­ment and I hear there that 11 per­cent or 10.8 per­cent unem­ploy­ment rate and “Der Auf­schwung ist da”, this is not ambi­tious enough. The aim, for exam­ple for the Ger­man soci­ety, should not be to come from the last place with the growth rates in the Euro­pean Union to the sec­ond last or third last. Our aim, our issue should be to reach once again the top again. And this is what we can learn, I think, at the moment, much more.”

Diese Tran­skrip­tion — begün­stigt durch das stock­ende Englisch — kostete mich zwei Video­durch­läufe (und einen davon zum Kor­rek­turlesen). Und ver­mut­lich ist meine Inter­punk­tion auch ein wenig vorteilss­tif­tend für Her­rn West­er­welle. Das ist jet­zt zwar kein sprach­lich-kün­st­lerisch­er Erguss, aber bis auf ein paar gram­matikalis­che Patzer und ein­er oft­mals unglück­lichen Wort­wahl ist das nicht das schlecht­este, da gibt’s mehr Stoiberis­men in deutsch­er Sprache.

Und mal Hand aufs Herz — das ist lediglich die um polemis­che Phrasendrescherei bere­inigte Ver­sion eines Vor­trags in deutsch­er Sprache. Ihr glaubt doch nicht ern­sthaft, dass diese Pas­sage — hätte er die Frage auf Deutsch beant­wortet — nur einen Hauch mehr Inhalt gehabt hätte, als ein wahlkampfgeprägter Reflex der Marke Die gegen­wär­tige Regierung beschönigt die neuen Arbeits­mark­tzahlen. Die Antwort auf die Frage, was Osteu­ropa von Deutsch­land ler­nen kön­nte, war es so oder so nicht.

Außer­dem offen­bart es einen weit­eren Aspekt, der mir in mein­er neben­beru­flichen Über­set­zertätigkeit immer wieder begeg­net: Ein über­set­zter Text kann immer nur so gut sein, wie das Orig­i­nal. Das war jet­zt ernst gemeint — ver­mut­lich fällt vie­len, die sich über Her­rn West­er­welles Englisch amüsieren, erst jet­zt wirk­lich auf, welchen Müll er von sich gibt — wom­it ich nie­man­dem unter­stelle, West­er­welles polemis­ches Blafasel von der Leis­tungs­ge­sellschaft nicht auch auf Deutsch für aus­gemacht­en Blödsinn zu hal­ten. In Über­set­zun­gen habe ich das oft: schlechte Texte und sin­nentleerte Phrasen, schön­klin­gend und unübersetzbar.

Naja, und wenn ich mich aus dem Fen­ster lehnen wollte, würde ich auch die kühne Behaup­tung auf­stellen, dass einige der jet­zi­gen Hämekü­belum­dreher mit dem oben tran­skri­bierten Text ihre — nicht in West­er­welles Englisch fußen­den — Ver­ständ­nis­prob­leme hät­ten, aber das würde meinem Belus­ti­gungs­drang doch sehr ent­ge­gen­wirken. Obgle­ich sich die Webge­mein­schaft da uneins ist, ob’s Hel­mut Kohl zu Mag­gie Thatch­er oder Hein­rich Lübke zur Queen gesagt oder irgen­dein Kabaret­tist erfun­den hat — aber der amüsan­teste Sprach­panch­er ist ohne­hin bere­its belegt:

You can say you to me.