Der Verein Deutsche Sprache produziert ja so schnell und ausdauernd so viel Unsinn, dass Deutschland eine Goldmedallie sicher wäre, wenn Unsinn eine olympische Disziplin wäre. Aber dass Sprachnörgelei (noch) nicht olympisch ist, hindert die Sprachnörgler natürlich nicht daran, die Olympischen Spiele trotzdem zu nutzen, um mediale Aufmerksamkeit zu bekommen.
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Schschschschschschschschschsch
Beim Herumlesen in frühneuhochdeutschen Texten habe ich eine charmante Betrachtung über das Graphem <sch> gefunden:
Wann das (ch) auf ein (s) folget/so wird ein grobzischender Laut daraus/daß es fast seltzsam ist / wie doch solche drey Búchstaben sich zu der zischenden Stimme gefunden haben ; weil weder einer alleine/noch sie zusammen solchen Tón zugében vermögen : werden demnach ausgesprochen wie das Hebraische ש, als: erfrischen/&c.
Das <sch> ist ein sogenannter “Trigraph”: Man benutzt drei Buchstaben, um einen bedeutungsunterscheidenden Laut (“Phonem”) aufzuschreiben. Das heißt man schreibt z.B. <Sau>, aber <Schau>, dabei werden beide Wörter nur mit jeweils zwei Lauten (einem Frikativ und einem Diphthong) ausgesprochen: /za̯ʊ/ und /ʃa̯ʊ/. Ähnlich geht es mit <ch> (<Bach>, gesprochen /χ/) und <ng> (<hängen>, gesprochen /ŋ/).
Und, wie klug bemerkt, andere Schriftsysteme machen keine derartigen Umstände. Das hebräische Alphabet hat das z.B. <ש> (das allerdings sowohl als [s] als auch als [ʃ] ausgesprochen werden kann), das arabische das <ﺵ> und das kyrillische das <ш>. Und auch das lateinische Alphabet kann man prima anpassen, wie zum Beispiel das Rumänische mit <ș> zeigt.
Der Autor wunderte sich über die seltsame Schreibpraxis, mit <s>, <c> und <h> einen Laut aufzuschreiben, der sich nicht aus den dreien zusammensetzt. Das ist aber gar kein so großes Hexenwerk – in Wirklichkeit reflektiert sie eine ältere Aussprache. Unser heutiger Laut /ʃ/ kommt durch zwei Lautwandelprozesse zustande: Weiterlesen
Jido Fister Filly
Ich habe eben bei Twitter via WortWirrWarr einen großartigen Zeitungsausschnitt aus einer sudanesischen Zeitung gesehen, in dem die Ankunft des deutschen Außenministers angekündigt wird:
German Foreign Minister Arrives Khartoum Today
The Democrat (Amal Abdul Rahim)
The German foreign minister, Jido Fister Filly, will arrive Khartoum today , Thursday, on an official visit during which he will hold talks with his Sudanese counterpart, Ali Ahmed Karti and a number of high ranking Sudanese officials. […]
Wie aber ist aus Guido Westerwelle hier Jido Fister Filly geworden? Weiterlesen
[Videotipp] The linguistic genius of babies
Ich bin dieser Tage ganz furchtbar beschäftigt und komme leider kaum zum Schplock – wird aber wieder besser. Spätestens übernächste Woche. (Nächste Woche ist DGfS-Jahrestagung, sieht man da jemanden von euch?)
Inzwischen ein schneller Videotipp: Patricia Kuhl spricht über Spracherwerb. Sehr kurz, aber spannend. (Momentan nur auf Englisch, aber vielleicht kommen ja demnächst noch deutsche Untertitel dazu.)
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=qRRiWg6wYXw]
Diverses von der 48. StuTS
Die StuTS in Potsdam ist vorbei, die in Leipzig steht bevor … fun facts am Rande:
- Adygeisch (eine Kaukasussprache) hat dorsopostalveolare Frikative (bei denen man die Zungenspitze unten hinter die Zähne legen muss), aber nur drei Vokale. (Ludger Paschen)
- Prof. Wiese untersucht Kiezdeutsch und bekommt dazu “sehr viele Zuschriften aus der … sogenannten Öffentlichkeit”. Wir durften zwei lesen – sehr krass, wie sich manche Leute bedroht fühlen, wenn man an ihrem Weltbild kratzt – und zu welcher Sprache sie dabei greifen. Was macht sie mit den Mails? “Für mich sind das auch erst mal Daten.” Spontaner Applaus.
- Im Lasischen (auch einer Kaukasussprache) gibt’s wilde Morphologie, aber am schönsten ist, dass man aus ‘Ich bin glücklich’ die wörtliche Form ‘Ich bin glücklich um dich herum’ (d.h. ‘mit dir als Zentrum’) bilden kann – sie aber mittlerweile ‘Ich küsse dich’ bedeutet. (Hagen Blix) Weiterlesen
Sexismusverdacht
In letzter Zeit geraten immer wieder Leute her, weil es irgendwo eine (meist niveaulose) Debatte zu Sexismus gibt. Im Laufe ebendieser zaubert jemand die “dämlich kommt von Dame”-Behauptung aus dem Hut und prompt schreibt jemand anders: “Nein, dämlich ist nicht sexistisch, das kommt nämlich gar nicht von Dame!” Drunter dann ein Link zum einschlägigen Schplock-Beitrag.
Aber ist es so leicht?
Dass dämlich nicht von Dame kommt, ja klar – aber ist es deshalb auch definitiv nicht sexistisch? Weiterlesen
l‑Vokalisierung reloaded
Nach meinem Beitrag zur l-Vokalisierung in schweizerdeutschen Dialekten haben sich natürlich ein paar Schweizer zu Wort gemeldet – und mich dazu gebracht, meine Ausführungen noch etwas zu differenzieren. Sie hatten nämlich Probleme mit der Behauptung, l zwischen Vokalen werde vokalisiert. Ich hatte ja geschrieben:
Fasst man die Regeln, die Haas (1983) nennt, zusammen, so gilt die Vokalisierung immer …
- … nach Vokal, z.B. Sauz ‘Salz’, Soue ‘Sohle’, Taau ‘Tal’ und
- … wenn l der Silbenkern2 ist, z.B. Fogu ‘Vogel’.
Bei Doppel-l wird auch doppelt vokalisiert, z.B. Täuuer ‘Teller’.
Nun habe ich Herrn Haas wirklich sehr grob zusammengefasst, indem ich als ersten Punkt einfach “nach Vokal” geschrieben habe. Hier nun die differenziertere Fassung:
- … nach Vokal, z.B. Sauz ‘Salz’, Soue ‘Sohle’, Taau ‘Tal’
(a) Beim ersten Beispiel, Salz > Sauz, handelt es sich um ein l zwischen Vokal und Konsonant,
(b) beim zweiten, Sohle > Soue, steht es zwischen zwei Vokalen
© und beim dritten, Tal > Taau, nach Vokal ganz am Wortende. - … wenn l der Silbenkern ist, z.B. Fogu ‘Vogel’
Bei Doppel-l wird i.d.R. auch doppelt vokalisiert, z.B. Täuuer ‘Teller’.
Nummer 1b ist der Fall, mit dem nicht alle einverstanden waren. Begreiflich, denn Haas schreibt dazu, dass es sich dabei um ein regional eng begrenztes Phänomen handle. Gölä bleibt meist Gölä und die von mir kreierte Vokauisierung hört man sicher nur selten (während Vokau für ‘Vokal’ ganz normal ist, da er ja dem dritten Unterpunkt folgt – danke Pierpaolo!)
Nun habe ich leider kein patentes Mittel gefunden, um dieses Gebiet so richtig festzunageln. Ich habe einen Blick in den Sprachatlas der deutschen Schweiz geworfen, nebenher enorm viel über Schweizer Geografie gelernt und aus den Daten die folgende Karte kreiert:
Über die Vokauisierung
Ich war ja kürzlich in der Schweiz und habe mir ganz fasziniert zahlreiche schweizerdeutsche Dialekte angehört. Ganz besonders auffällig in der Phonologie fand ich vier1 Dinge und von diesen vieren kannte ich eines noch nicht: das vokalisierte l. Lest einfach mal …
[…] D’r Himu vou Wouche
U äs rägnet, was es abe mah,
Nume im Schoufänschter vom
Reisebüro
Schiint d’Sunne no.Hätti Flügu zum Flüge
Flug i mit de Vögu furt
U chiem nie meh hei.
I’nes Land ohni Näbu, ohni Räge,
I’nes Land wo si Sunne hei…
I gieng hüt no …. uf u dervo,
Eifach uf u dervo. […] Weiterlesen
[Schplock goes English] How to pronounce German ö and ü
Welcome to Schplock’s first English post – a tutorial on rounded front vowels, namely <ö> and <ü>. Impatient readers might want to skip the more theoretical first “half” and jump right to the DIY-part below.
What is round in a rounded vowel?
Rounded vowels are generally produced by forming a circle with your lips. Or more technically:
Lip rounding involves drawing the corners of the lips together and protruding the lips forward from their normal rest position. (Maddieson 2008)
That’s a very common property in back vowels (produced by putting your tongue somewhere in the back of your mouth) like
- [o] which doesn’t exist in English, but you may know it from French eau ‘water’, Italian sole ’sun’ or Spanish tomar ‘take’,
- [ɔ] in thought,
- [u] in goose and
- [ʊ] in book.
An extremely simplified version of where those sounds are produced can be found in the figure to the right.
In German, those four sounds differ not only in tongue position, but also in length: the “lax” vowels /ɔ/ and /ʊ/ are always short, the “tense” vowels /o/ and /u/ are always long.
Front vs. back
Rounding in front vowels is pretty rare in the world’s languages. The property can be found in only 37 of the 526 languages considered for the corresponding WALS-map. Only 23 of these possess both high (i.e. ü) and mid (i.e. ö) rounded front vowels.1