Heute wieder ein Betrag aus der Reihe: Was macht linguistisches Wissen eigentlich für Otto Normalverbraucherin ganz nützlich?
Ich transkribiere momentan wieder Sprachaufzeichnungen mit Gesprächspartnern aus der Wirtschaft. Linguistisch und auch fürs Blog interessant wäre das als Grundlage für eine Analyse von Anglizismenanteilen in der Varietät der deutschen Wirtschaftssprache. Aber um da einen Blogbeitrag draus zu machen, brauche ich erst das Einverständnis der Verantwortlichen. Vorweg vielleicht: Es bleibt bei den fürs Deutsche handelsüblich diagnostizierten zwei bis vier Prozent.
Also kommen wir zu etwas Unverfänglicherem, was einem vielleicht auch aus jeder Unterhaltung bekannt sein könnte. Mir ist letztens nämlich aufgefallen, dass ein Teilnehmer das Partizip Perfekt von outsourcen mit outgesourced wiedergegeben hat. Nun mag der eine oder die andere aufheulen, wie man es wagen kann, ein deutsches Affix in einen Anglizismus zu schmuggeln. Man kann natürlich auch geoutsourced sagen (was das Problem für den Sprachästheten nicht lösen würde). Der Sprecher interpretierte outsourcen hier als trennbares Verb und ähnlich wie andere trennbare Verben (anfangen > angefangen), fügt man das Partizippräfix dann eben nach dem Halb-Präfix out ein. Ein ähnlicher Fall ist die Variation bei gedownloadet und downgeloadet, je nachdem, ob man downloaden als trennbar ansieht oder eben nicht. (Die Problematik der angeblichen Unverträglichkeit deutscher Flexionsmorpheme in Anglizismen lässt sich übrigens ganz einfach aus der Welt schaffen, indem man anerkennt, dass outsourcen und downloaden deutsche Wörter sind und dementsprechend nach unseren Regeln konjugiert werden.)
Mir geht es aber um etwas ganz anderes.
Ich habe oben outgesourced bewusst mit <d> wiedergegeben. Wie ja nun jeder weiß, wird im Deutschen das Partizipaffix, in diesem Fall das Zirkumfix ge-V‑t für die Partizipien regelmäßiger Verben mit [t] gesprochen und mit <t> geschrieben. Bei Anglizismen, vor allem bei solchen, die noch relativ neu eingewandert sind, ist größere Verwirrung vor allem in der Orthografie deshalb nicht ungewöhnlich: Und zugegeben, outgesourct und outgesourcet sehen auf den ersten Blick tatsächlich seltsam aus — oft behilft man sich bei der schriftlichen Wiedergabe also (noch) zusätzlich der Flexionsregeln der Gebersprache. Bei outsourcen hat <outgesourced> vermutlich auch deshalb noch doppelt so viele Googletreffer, wie <outgesourc(e)t>.*
*[UPDATE: ke hat mich in einem Kommentar darauf aufmerksam gemacht, dass ich in der Hektik völlig falsch gezählt habe: <outgesourced> und <outgesourct> haben grob etwa gleich viele Treffer bei Google. An der Annahme der Verwirrung bei der Orthografie ändert das (noch) nichts grundlegendes. Danke für den Hinweis, SF]
Neben einem seltsamen Aussehen von outgesourcet könnte das ein Grund sein, ober eben möglicherweise ein gesprochenes [d], also immer dann besonders, wenn die Integration eines Anglizismus in das deutsche Lautsystem noch nicht vollständig abgeschlossen ist.
Der Grund also, weshalb ich geoutsourced hier mit <d> schreibe, liegt an der Art, wie es der Interviewte aussprach, nämlich mit [d]. Die spannende Frage also: Woran hört man, dass outgesourced für diesen Sprecher noch nicht vollständig integriert ist, auch wenn er hier sogar für /r/ nicht die “englische”, sondern die “deutsche” Variante gewählt hat? Nun, bei diesem Sprecher ist es mir schlicht im Kontrast zu gesettelt (von setteln, engl. to settle) aufgefallen, das er deutlich hörbar mit [t] realisierte.
Und nun?
Da kommt ein phonologischer Prozess zum Tragen, den das Deutsche hat, nicht aber das Englische: Steht im Deutschen am Silben- oder Wortende ein stimmhafter Konsonant wie z.B. /b/, /d/ oder /g/, so wird dieser Konsonant stimmlos ausgesprochen, also als /p/, /t/ oder /k/. Genauer gesagt betrifft dieser Prozess nur die sogenannten Obstruenten, also die Konsonanten, bei denen der Luftstrom kurzfristig komplett untebrochen ist, und Frikative wie /z/ oder /ʒ/; bei den sonorantischen Konsonanten wie /m/ oder /n/ ist das nicht der Fall, die sind immer stimmhaft.
Mit anderen Worten und als Haus- und Hofbeispiel: Rad und Rat sind als [ra:t] in Isolation gesprochen nicht zu unterscheiden. Liegt der stimmhafte Konsonant dagegen nicht am Silbenende, bleibt’s beim stimmhaften Laut. Deshalb haben wir [li:bə] für Liebe, aber [li:p] für lieb oder [tsu:k] ‘Zug’ im Singular, aber [tsy:gə] ‘Züge’ im Plural.
Das ganze nennt sich Auslautverhärtung (oder allgemeiner Neutralisation) und ist neben dem Deutschen oder dem Niederländischen auch in einigen slavischen Sprachen oder dem Türkischen zu finden — aber eben zum Beispiel nicht im Englischen.
Es ist deshalb also spannend zu sehen, dass gesettelt und outgesourced in der Wiedergabe (jetzt dieses Sprechers) mal mehr, mal weniger eingebürgert zu sein scheint. Was an sich für mich überraschend war, da eigentlich meist erst die phonologische und dann die morphologische Einbürgerung erfolgt — und beide Lexeme waren ja schon mit einheimischem morphologischem Material bestückt, bei der Bildung des Partizips nämlich. Und ich stelle die These auf, dass man outgesourcet auch in der großen Mehrheit schreibt, wie man es, äh, spricht.
Auslautverhärtung betrifft natürlich auch alle Fremdwörter im Deutschen, die am Wort- oder Silbenende einen stimmhaften Obstruenten haben. Deshalb ist Blog lautlich von Block nicht zu unterscheiden (und für den Genuswandel von das Blog zu der Blog höchstwahrscheinlich mitverantwortlich), bloggen unterscheidet sich aber von blocken.
Die Auslautverhärtung ist übrigens ein Element eines typisch deutschen Akzents (beim Englisch sprechen). Muttersprachliche Interferenz führt dazu, dass Deutschsprachige die Auslautverhärtung quasi mit ins Englische importieren (z.B. Kortmann 2005: 182). Wer also in der Sprachvermittlung arbeitet oder einfach einen kleinen, einfachen Tipp haben möchte, wie man am eigenen Akzent im Englischen arbeiten kann: Lehre und lerne, I want a suite und I want a Swede auch phonologisch zu unterscheiden. Voilà.
Umgekehrt liegt in der Auslautverhärtung möglicherweise ein Grund (von mehreren), weshalb Sprecher von Sprachen ohne Auslautverhärtung Deutsch unter Umständen als “hart” wahrnehmen: Bei der Produktion von stimmlosen Lauten wird mehr Luft nach außen gepresst, weshalb diese Konsonanten auch “lauter” klingen. Genau genommen ist die Sache etwas komplizierter: die Artikulation der Phoneme /p, t, k/ ist eher eine Fall von Fortis ’stark’, die der Phoneme /b, d, g/ von Lenis ’schwach’ (Kortmann 2005: 64, Roach 2009: 28f). Aber nunja, für die Illustration reicht’s. Wen das nicht überzeugt: Fühlen wir von Quatschern im Kino gestört, werden wir zur Untermauerung etwaiger Genervtheit eher ein härter zischendes, stimmloses [ʃ] anstimmen, als ein stimmhaftes und unaufgeregtes [ʒ].
Im Deutschen bin ich deshalb ja auch meist [su:s], im Englischen hingegen [su:z]. Das noch dazu. Und wer hier einen Bezug zum Anfang dieses Beitrags erwartet: Natürlich steht in der Transkription outgesourcet, weil es sich um ein inhaltliches, also um ein an die deutsche Orthografie angepasstes Transkript handelt — und leider nicht um ein phonetisches zu linguistischen Forschungszecken.
Statt Postscript: Wer noch einwenden möchte, dass man statt outsourcen auch auslagern sagen könnte: in vielen Fällen und je nach Kontext ist das eventuell möglich. Aber der Interviewte nutzte beide Lexeme. Und, wenig überraschend, sie waren sehr deutlich nicht synonym austauschbar: 1) outsourcen, ‘Unternehmensabläufe von einer Fremdfirma ausführen lassen’; 2) auslagern, ‘mit Teilen der Firma anderswo hingehen oder Unternehmensprozesse aus dem Stammlager ausgliedern’. Also auch wenn man es wieder mal der Yukkapalme erzählen könnte: Klassische Bedeutungsdifferenzierung.
Literatur:
Kortmann, Bernd. 2005. Linguistics: Essentials. Berlin.
Roach, Peter. 2009. English Phonetics and Phonology. Cambridge.