Ich gehöre ganz bestimmt zu denjenigen, die sich jetzt eins ins Fäustchen kichern — und genüßlich dabei zusehen, wie Journaille und Web‑2.0‑Gemeinde Guido Westerwelle im Wechsel mit Häme überschütten. Mit seiner leidlich geschickten Reaktion auf die Anfrage eines BBC-Reporters beschäftigt sich unter einem sprachwissenschaftlichen Aspekt heute das Bremer Sprachblog.
Schon machen Videos die Runde, die sich an Westerwelles schwachen Englischkenntnissen ergötzen: auf die Frage eines jungen Osteuropäers, was Osteuropa von der deutschen Erfahrung mit dem Frieden lernen könnte, antwortet Westerwelle:
“The fall of the wall… There has been so much dynamic in the new members of the European Union. And I do not mean only the economic dynamic, I mean the dynamic of the society. If I would compare this sometimes to the old EU 50 [das sehen wir ihm nach, weil wir davon ausgehen, dass auch ein FDP-Chef weiß, wieviele Mitgliedsstaaten die EU vor Mai 2004 hatte], we could learn that the [queue] for a successful welfare state, a successful economy is the dynamic of the society is the will to reach very ambitious aims and perhaps this is something what we in the last years lost in our mentality or lost too much in our mentality. For example, if I look to what we got today, we got today the new unemployment rates and when I listen to the government and I hear there that 11 percent or 10.8 percent unemployment rate and “Der Aufschwung ist da”, this is not ambitious enough. The aim, for example for the German society, should not be to come from the last place with the growth rates in the European Union to the second last or third last. Our aim, our issue should be to reach once again the top again. And this is what we can learn, I think, at the moment, much more.”
Diese Transkription — begünstigt durch das stockende Englisch — kostete mich zwei Videodurchläufe (und einen davon zum Korrekturlesen). Und vermutlich ist meine Interpunktion auch ein wenig vorteilsstiftend für Herrn Westerwelle. Das ist jetzt zwar kein sprachlich-künstlerischer Erguss, aber bis auf ein paar grammatikalische Patzer und einer oftmals unglücklichen Wortwahl ist das nicht das schlechteste, da gibt’s mehr Stoiberismen in deutscher Sprache.
Und mal Hand aufs Herz — das ist lediglich die um polemische Phrasendrescherei bereinigte Version eines Vortrags in deutscher Sprache. Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass diese Passage — hätte er die Frage auf Deutsch beantwortet — nur einen Hauch mehr Inhalt gehabt hätte, als ein wahlkampfgeprägter Reflex der Marke Die gegenwärtige Regierung beschönigt die neuen Arbeitsmarktzahlen. Die Antwort auf die Frage, was Osteuropa von Deutschland lernen könnte, war es so oder so nicht.
Außerdem offenbart es einen weiteren Aspekt, der mir in meiner nebenberuflichen Übersetzertätigkeit immer wieder begegnet: Ein übersetzter Text kann immer nur so gut sein, wie das Original. Das war jetzt ernst gemeint — vermutlich fällt vielen, die sich über Herrn Westerwelles Englisch amüsieren, erst jetzt wirklich auf, welchen Müll er von sich gibt — womit ich niemandem unterstelle, Westerwelles polemisches Blafasel von der Leistungsgesellschaft nicht auch auf Deutsch für ausgemachten Blödsinn zu halten. In Übersetzungen habe ich das oft: schlechte Texte und sinnentleerte Phrasen, schönklingend und unübersetzbar.
Naja, und wenn ich mich aus dem Fenster lehnen wollte, würde ich auch die kühne Behauptung aufstellen, dass einige der jetzigen Hämekübelumdreher mit dem oben transkribierten Text ihre — nicht in Westerwelles Englisch fußenden — Verständnisprobleme hätten, aber das würde meinem Belustigungsdrang doch sehr entgegenwirken. Obgleich sich die Webgemeinschaft da uneins ist, ob’s Helmut Kohl zu Maggie Thatcher oder Heinrich Lübke zur Queen gesagt oder irgendein Kabarettist erfunden hat — aber der amüsanteste Sprachpancher ist ohnehin bereits belegt:
You can say you to me.