Im Englischen gibt es Konstruktion — mit und alternativ ohne Artikel — die nichts damit zu tun haben, ob’s ein Ire oder ein Mensch aus Oxford von sich gibt. Dazu zählen beispielsweise at night vs. in the night und in spring vs. in the spring. Die jeweils letzteren Konstruktionen sind speziell den Iren nachgesagt worden. Und niemand ist bisher (bis auf, ironischerweise, einige wenige Grammatiken für Standardenglisch) auf die semantische Komponente eingegangen, schon gar nicht für irisches Englisch.
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Jetzt wird’s typoLOGISCH
Die Vermutung, dass Standardenglisch mit seiner Artikellosigkeit meist allein auf weiter Flur steht, hat mich veranlasst, eine kleine Umfrage unter Muttersprachlern europäischer Sprachen mit bestimmten Artikeln (oder deren Äquivalenten) durchzuführen. Dazu bat ich um Übersetzungen von acht Beispielsätzen, in denen das irische Englisch angeblich so signifikant vom Standardenglisch abweicht. Darunter habe ich derzeit Beispiele aus dem Französischen, Italienischen, Ungarischen, Schwedischen und Bulgarischen. Und aus meinem eigenen Dialekt, dem Hochrheinalemannischen.*
Zwar verwenden nur Französich und Italienisch in allen Kontexten der Beispielsätze Definitheitsmarker, aber die Akzeptanzrate — mehr noch, die Notwendigkeit — von bestimmten Artikeln in einigen Kontexten ist für alle Sprachen verblüffend.
Sag niemals nie
Ich habe sie gefunden, die Unterverwendung des unbestimmten Artikels:
- we did not have Ø very cold winter here [Leinster, 1894, Catholic]
- we did have Ø very hot summer here [Leinster, 1892, Catholic]
Aber — und ich liebe dieses wissenschaftliche aber — diese Konstellation tritt nur bei einer einzigen Schreiberin auf und nur in Verbindung mit Jahreszeiten und Temperaturangaben, fast so, als wollte sie sagen we did not have very cold winter weather.
Ich habe es eher durch Zufall als durch aufmerksame Suche gefunden; es ist eine Erwähnung wert. Aber eine systematische Unterverwendung ist nicht festzustellen. Und eine Schwalbe macht bekanntlich keinen Sommer.
Auch nicht einen besonders heißen.
Wer A sagt, muss auch Ø sagen
Eine weitere Schwächung der Substrattheorie sollte eigentlich sein, dass für das irische Englisch keine Unterverwendung des unbestimmten Artikels a/an belegt ist. Nach meiner Logik muss eine Nicht-Dokumentiertheit nicht automatisch bedeuten, dass es kein Vorkommen gibt — aber sie sind eben, naja, nicht belegt. Wir erinnern uns: Irisch hat keinen unbestimmten Artikel. Unbestimmtheit wird durch das nackte Substantiv markiert: fear ‘ein Mann’ aber an fear ‘der Mann’. Nicht verwirren lassen, ir. an entspricht nicht dem englischen ‘an’, sondern ‘the’.
Davon ausgehend, dass Artikel a) zu den grammatischen Kategorien gehören, die von Kindern am spätesten erlernt und dementsprechen spät korrekt im Sinne der muttersprachlichen Kompetenz beherrscht werden und b) viele verschiedene semantische und pragmatische Funktionen haben, ist der Artikelgebrauch im Allgemeinen starker Variation und Komplexität unterworfen, auch im Muttersprachenenglisch. Fremd- und Zweitsprachenlerner haben deshalb größte Probleme “with mastering (the) English articles” (IrE: “the mastering of English articles” [!!]). Dazu gibt es viele Studien — besonders große Probleme haben dabei Sprecher von Sprachen ohne Artikel, z.B. Russisch oder Chinesisch. Daraus lässt sich auch die große Variation des Artikelgebrauchs in asiatischen Englischs ableiten, besonders dort, wo Englisch die Fremd- oder Zweitsprache ist.
Die Abwesenheit von unbestimmten Artikeln im Irischen führt aber nicht zu einer “Problematik” der Iren in der Verwendung des unbestimmten englischen Artikel. In der Substratlogik müsste dies zumindest teilweise so sein. Was belegt ist, ist die gelegentliche Verwendung von the für a/an:
they think he is the most refined young man. [geography unknown, 1910]
Mark is the Bachelor as yet. [Fermanagh, Ulster, 1848]
Eine Unterverwendung des Artikels wäre jedoch lediglich Mark is bachelor as yet — und eine solche ist mir für irisches Englisch weder in unserem Korpus, noch in der relevanten Literatur begegnet. Mehr noch: die Nähe von irisch an (bestimmt) zu engl. an (unbestimmt) hat erst recht nicht dazu geführt, dass im irischen Englisch häufiger unbestimmte statt bestimmte Artikel verwendet werden (Transferlogik).
Das Muster wird klarer.
Die ideale Gewährsperson: “Steinalt und völlig ungebildet”
So, meine Magisterarbeit ist seit Montag abgegeben und die ersten Fehler hab ich auch schon drin gefunden. Ich stehe dem Schplock also wieder zur Verfügung!
Ich liebe alte sprachwissenschaftliche Texte. So ungefähr 1850 bis 1910 war eine goldene Ära. Hier meine beiden Highlight-Sprachbeispiele aus Renward Brandstetters “Der Genitiv der Luzerner Mundart in Gegenwart und Vergangenheit”:
“Veronika wird an ihrem Husten sterben = Uf ’s Vroonis Wueste(n) mues me Häärd tue.”
Das heißt wörtlich: ‘Auf des Vronis Husten muss man Erde (gemeint ist Friedhofserde) tun.’
The Article War III
Jahrzehntelang wurde in der Literatur zu Englisch in Irland darüber gestritten, ob die Varietät irische oder alte und/oder archaische englische Wurzeln hat. Das eine sind die Anhänger der Substrattheorie (substratum), letztere sind die Verfechter der Superstrattheorie bzw. der retention (superstratum). In den wenigsten Fällen einzelner Phänomene ist aber überhaupt die eine Quelle auszumachen, weshalb es in den letzten zehn Jahren spürbar eine Verschiebung hin zum “dritten Weg” gegeben hat: Rolle des Sprachkontakts an sich, des language shift (Sprachwechsel), Zweisprachigkeit, Grad des linguistischen Transfers und die Rolle sozialer Faktoren. Ein Großteil der neueren Literatur ist damit auch in einer globaleren Varietäten- und Universalienforschung englischer (Umgangs-)Sprache anzusiedeln.
Mit dem Artikelgebrauch in Irland haben sich nur zwei Autoren bisher näher befasst (und weil ich schon im Schreibmodus denke, füge ich noch hinzu to the best of my knowledge). Zwar hat irgendwie jeder, der über Syntax des irischen Englischs publiziert hat, etwas dazu geschrieben, en passant. Okay, vielleicht sind’s auch drei (Raymond Hickey). Weiterlesen
Von Standards und Abweichungen
Bevor ich den Krieg weiterführen kann, ein kleiner Exkurs.
Die Feststellung abweichenden Sprachgebrauchs hat fast ausschließlich eine — aus linguistischer Sicht — seltsame, zumindest aber problematische Bezugsgröße: die Standardsprache. Mit dem Standardenglisch ist es irgendwie wie mit “vernünftigem Deutsch” — keiner weiß, wo genau es angeblich gesprochen wird.* Weiterlesen
The Article War II
Was die Sache zusätzlich verkompliziert, ist die Tatsache, dass der sogenannte abweichende Artikelgebrauch natürlich nicht einfach so vom Himmel gefallen ist. Denn zu Keltizismustheorie und Kontakttheorie kommt noch die Möglichkeit eines konservierten Überbleibsels aus Mittel- und/oder Frühneuenglisch. Weiterlesen
The Article War I
Jetzt auch mal hier ans Eingemachte.
Mein Untersuchungsgegenstand, der bestimmte Artikel the, wird im irischen Englisch in bestimmten Kontexten häufiger benutzt, als im Standardenglisch. Also besonders in Verbindung mit nichtspezifischer Referenz wie in He’s at the school, wenn nicht das Gebäude, sondern die Institution an sich gemeint ist; in Konstruktionen mit Jahreszeiten (in the spring), Krankheiten (He died of the cancer), Festtagen (the Christmas, the Easter); in Phrasen, in denen the die Präpositionen per oder at oder Personalpronomen ersetzt (three pounds in the week ‘three pounds per week’, in the night, he left the wife behind); vor den Quantifikatoren both, half und most in of-Phrasen (and the both of them hungry, the one half of what you hear). Dazu kommen erhöhte Gebrauchsfrequenzen des bestimmten Artikels in Phrasen mit unzählbaren Substantiven (non-count/mass nouns), die im Standardenglisch keinen Artikel haben (the gold is plenty, the bacon is high ‘bacon is expensive’). Weiterlesen
Lämmer, Kälber, Hühner: Der Plural auf ‑er
Ich verspreche, dass es hier auch mal wieder Themen geben wird, bei denen es nicht um Substantivflexion geht. Wirklich! Aber heute will ich Euch erzählen, woher unsere Pluralendung -er kommt – die hatte nämlich mal eine ganz andere Funktion.