Ich biete seit einigen Semestern eine wöchentliche Sprechstunde an, in der sich Studierende und Mitarbeiter/innen zu ihren Korpusprojekten beraten lassen können. Das ist primär als technische Beratung gedacht – aber es ist meist schwer, diese Beratung von inhaltlichen Fragen zu trennen. Damit die Inspiration nicht ungehört im Büro verhallt, will ich das bei öffentlichem Interesse immer mal wieder aufgreifen. Mark Liberman hat drüben im LanguageLog ja auch sein Breakfast ExperimentTM.
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Schlagwort-Archive: Lexikon
Hen, wirf Hirn vom Himmel
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG berichtete vorgestern davon, dass die Svenska Akademien in der neuen Auflage des von ihr herausgegebenen Wörterbuchs der schwedischen Sprache das geschlechtsneutrale Pronomen hen aufnehmen wird, das das Pronominalsystem in der dritten Person Singular neben hon ‚sie‘ und han ‚er‘ ergänzen soll–, nein, ergänzen wird–, hm, ergänzen muss–, ja, was denn nun?
Anleitung zum Glücklichsein
Wir wollten mal wieder positiver bloggen. Wir wollten mal wieder positiver bloggen. Wir wollten mal wieder positiver bloggen. Wir wollten mal wieder positiver bloggen. Wir wollten mal wieder positiver bloggen. Wir wollten mal wieder positiver bloggen. Wir wollten mal wieder positiver bloggen.
Also gut, bloggen wir heute über Positivität in der Sprache. Und damit Sie sich nicht zu sehr erschrecken oder umgewöhnen müssen: das Nölen bleibt. Flattr drauf!
Sprache und Denken — Nachlese [Lange Nacht der Wissenschaften]
Am Samstag haben Anatol und ich uns an der „Langen Nacht der Wissenschaften“ in Berlin beteiligt. Wer nicht dabei sein konnte — zeitlich (Gesangswettstreit!), räumlich (Dahlem!) oder finanziell (Eintritt zur LNDW!) ((Womit in unterschiedlicher Gewichtungen und Kombination möglicher Abwesenheitsursachen unsere Kritik an der LNDW abgedeckt wäre.)) — dem bieten wir hier einen narrativen Rückblick mit Literaturhinweisen, natürlich auch für unser großartiges Publikum vom Samstag — von dem wir natürlich hoffen, dass einige den Weg zum Sprachlog gefunden haben.
In unserem Vortrag wollten wir einigen Leitfragen zu „Sprache und Denken“ aus linguistischer Perspektive auf den Grund gehen. Wie Anatol hier schrieb: Weiterlesen
No word for Labersack
Sprachlogleser Kai hat uns drüben auf Facebook einen Link zugespielt, weil ein paar Künstler/innen sich angeblich einer linguistischen Muse bedient und elf „unübersetzbare“ Begriffe illustriert haben. Da stehen jetzt so Dinge drin wie dépaysement, französisch für ‚das Gefühl, nicht im eigenen Land zu sein‘ (wörtlich: ‚Fremdheit‘) oder pochemuchka, angeblich russisch für ‚eine Person, die viele Fragen stellt‘. Immerhin hat das Beispiel für Deutsch, Waldeinsamkeit, einen Wikipedia-Eintrag und wir wissen jetzt glücklicherweise um seine gewisse kulturhistorische und diachrone Relevanz.
Diese Art von Lexikon- und Kulturverständnis ist natürlich nicht neu, sprachlich interessanter macht es solche Einwürfe aber nicht. Listen „unübersetzbarer Wörter aus anderen Kulturen“ und vergleichbare Meme enthalten auffällig häufig quellenlose Beispiele aus exotischen Sprachen, die niemand verifizieren kann. Wahlweise sind die Begriffe so selten, dass sie den Sprecher/innen überhaupt nicht bekannt sind. Mir ist das für einen ernsthaften linguistischen Kommentar mittlerweile eher zu lahm. ((Zur Einführung: ich hatte mal was zum albanischen Bartwuchs geschrieben, Anatol zu Wortschatzerweiterungen und Katastrophen im Japanischen. Ben Zimmer bietet im LanguageLog eine allgemeine Übersicht zu dieser Art der Kultur„forschung“.)) Deshalb warte ich bis auf weiteres erstmal geduldig auf eine Illustration zu Labersack, ‚German for a person who labers too much‘.
Etwas neuer — aber irgendwie besonders skurril — in diesem Fall ist: die Macher/innen berufen sich auf Through the Language Glass (dt. Im Spiegel der Sprache), ein exzellentes populärwissenschaftliches Buch des Linguisten Guy Deutscher. Zwar trägt dieses den Untertitel „Why the World Looks Different in Other Languages“, aber wer auch immer den digitalen Griffel geschwungen hat, kann das Buch nicht gelesen haben. Nicht nur, dass keines der Wörter von Deutscher auch nur erwähnt wird. ((Zur Überprüfung reicht bereits die Suchfunktion der Textvorschau bei Amazon.)) Es geht bei Im Spiegel der Sprache überhaupt nicht um löchrige Lexikonunterschiede, sondern um völlig andere, linguistisch wirklich relevante Fragen.
Nun könnte man sagen, dass man sowas nicht ernst nehmen darf (lieber solle man Kunst dahinter vermuten). Kann man echt nich ernst nehmen, tun wir auch nicht. Aber der antizipierte Schmunzeleffekt ist im Vorurteilskaraoke auf einer nicht-trivialen Ebene Ausdruck unserer Weltsicht: die Eskimo hocken den ganzen Tag mit Robbe am Stiel vor der Eishütte und warten in ihrem eintönigen Leben sehnsüchtig auf Besuch, weil ihnen für die vielen Wörter langsam die Aggregatzustände für gefrorenes Wasser ausgehen.
Glauben Sie nicht? Dann lesen Sie diese Umsetzung.
Niveaulimbo bei Spiegel Online
Niveaulimbo ist “Jugendwort des Jahres 2010”. Spiegel Online schreibt dazu:
Laut Jurybegründung steht es für ein “ständiges Absinken des Niveaus, aus dem Ruder laufende Partys und sinnlose Gespräche” unter Jugendlichen. Zudem werde damit auch die “gegenwärtige Entwicklung der TV-Landschaft” von Jugendlichen kritisch beäugt und kommentiert. Das findet jedenfalls die Jury.
Soso.
Im Rennen waren noch arg gepresst wirkende Kreationen wie Arschfax ‘Textilpflegehinweis’, Speckbarbie ‘dickes Mädchen in engen Klamotten’ (welches von den Jugendlichen in der Jury übrigens als zu abwertend abgelehnt wurde), und Klappkaribik ‘Münzmallorca’.
Aber mir gefällt das. Also Niveaulimbo. Sehr treffend, fast schon unfreiwillig komisch. Und weil ich mir jetzt nicht die Mühe machen will, alle Googletreffer für Niveaulimbo von vor dem letzten Wochenende zu analysieren (nur so viel: ein Jugendwort isses nicht), hier ein Hinweis an SPON: Einfach mal im eigenen Archiv nachgucken, notfalls 2005, da wird die Bedeutung anhand einer sehr anschaulichen Metaverwendung auch gleich mitgeliefert.