Dieser Tage bin ich im frühneuhochdeutschen Wörterbuch auf den Eintrag ackerrobot ‘Frondienst der Bauern’ gestoßen. Das hat mich etwas aus dem Konzept gebracht: Es geht um Arbeit und das zweite Wort sieht quasi aus wie Roboter, Zufall wird das kaum sein. Nun kam der Roboter im 20. Jh. ins Deutsche, Frühneuhochdeutsch sprach man aber zwischen 1350 und 1650 — das eine kann also nicht direkt vom anderen abstammen. Also habe ich etwas in der Vergangenheit herumgegraben, wo ich auf viel Plackerei und arme Waisenkinder gestoßen bin: Weiterlesen
Schlagwort-Archive: Lexik
Helikopterschwärme
In der WELT schreibt Matthias Heine davon, dass ein gutes deutsches Wort die Fliege mache: der Hubschrauber (und vom Helikopter ersetzt wird). Daran hegte Leserin Viola Zweifel und fragte Anatol, ob er sich der Frage in einer ruhigen Minute annehmen könnte. Ruhige Minuten sind momentan leider rar gesät, aber da ich heute keine Vorlesung habe (wie Anatol) und auch keine Buchreise (wie Kristin), hier die Ergebnisse meiner kleinen Fingerübung. Weiterlesen
Etymologierätsel mit Buchverlosung
Lange ist es her, dass wir hier im Sprachlog ein Etymologierätsel hatten — heute gibt es endlich wieder eines, und dann auch gleich noch etwas zu gewinnen!
Wir schreiben zwei Exemplare ((Danke an den Verlag für die Freiexemplare!)) vom bis obenhin mit Etymologien gefüllten Kleinen Etymologicum, dem Sachbuch mit Sprachlogvergangenheit (hier mehr drüber) als Gewinn aus — und verlosen eines unter allen richtigen Einsendungen und eines unter allen, die mitgemacht haben. Mitmachen lohnt sich also auf jeden Fall! Inklusive ist natürlich ein Autogramm der Autorin und auf Wunsch auch eine Widmung.
Und was gilt es dafür zu tun? Es läuft so ab, wie bereits frühere Sprachlog-Etymologierätsel:
Im folgenden Wordle habe ich sprachliche Verwandte durcheinandergeworfen – immer zwei Wörter besitzen eine gemeinsame Wurzel. Welche gehören zusammen?
Die Verwandtschaft kann ziemlich weit zurückgehen, weshalb der Bezug bei den wenigsten offensichtlich ist. So würden, wären sie drin, Etat und Distanz zusammengehören, denn Etat kommt über frz. état aus lat. status ‘Zustand’, was zu stāre ‘stehen’ gebildet wurde und Distanz kommt von lat. distantia, einer Abstraktbildung zu distāre ‘voneinander wegstehen’, das sich aus dis- und stāre ‘stehen’ zusammensetzt. […]
Und hier sind die 24 Wörter, die zwölf Paare bilden: ((Wer’s lieber computerlesbar hat: Albert, Bauwerk, Benedikt, Chanson, Chaos, Edelstein, Edikt, ergonomisch, Fatzke, Gas, Gast, hart, Hose, Hospiz, Karmen, Klaue, klauen, Klaus, Kolchose, Nikotin, obskur, Sakrileg, Standard, Wenzel))
Zeit ist übers ganze Wochenende — bis einschließlich Montag, 3.11. Posten Sie Lösungsvorschläge einfach als Kommentare, sie werden erst nach Einsendeschluss freigeschaltet. ((Achtung: Wir können nur Antworten mit einer funktionierenden E‑Mail-Adresse für die Verlosung berücksichtigen.))
Viel Spaß beim Grübeln und viel Glück!
Kandidaten für den Anglizismus 2013: Hashtag
Auch der oder das Hashtag ist ein Wiedergänger von 2012, ich kann also zunächst einmal auf Susannes letztjährigen Artikel verweisen. ((Außerdem wird das Wort hier noch knapp gestreift.)) Über die Funktion von Hashtags schrieb sie damals:
Mit #Hashtags werden typischerweise Tweets, Posts oder Bilder in sozialen Netzwerken verschlagwortet, um sie einem bestimmten Thema zuzuordnen. […] Auf einer zweiten Ebene werden mit Hashtags aber auch Emotionen, Zustände, Wunschdenken, Kommentare, Zugehörigkeit, Empathie und Ironie markiert (#kaffee, #WirSindLlama oder #fail) oder Meme gestartet (#würstchenfilme). Diese werden als Meta-Schlagworte gesetzt.
Heute will ich den Überlegungen von letztem Jahr zwei Aspekte hinzufügen: Zum einen eine kleine Korpusrecherche in Zeitungen, um die Häufigkeitszunahme des Wortes zu überprüfen, und zum anderen eine bisher noch nicht besprochene Verwendungsweise.
#Frequenz
In den Zeitungskorpora des IdS kommt das Wort zwar selten vor, nimmt aber tatsächlich im Gebrauch zu.
Schaut man sich an, wie es verwendet wird, so erkennt man schnell ein übliches Muster für neue Wörter: Weiterlesen
Kandidaten für den Anglizismus 2013: Paywall vs. Bezahlschranke
Die Paywall ist eine aufgewärmte Anglizismus-des-Jahres-Kandidatin: Schon letztes Jahr nahm Kilian Evang sie im Texttheater auseinander:
Das englische paywall, seltener: pay wall, ist ein Substantiv und ein Kompositum aus dem Verb pay („bezahlen“) und dem Substantiv wall („Mauer“). Ins Deutsche wurde es als Paywall praktisch unmodifiziert übernommen und bezeichnet auch dasselbe wie im Englischen: eine technische Vorrichtung, mit der Online-Medien den Zugang zu ihren Inhalten beschränken, wobei diese Beschränkung für zahlende Benutzer/innen aufgehoben wird, typischerweise in Form eines Abonnements. [im Texttheater weiterlesen]
Seiner gründlichen Beschreibung des Wortes und des dahinterstehenden technischen Konzepts kann ich ein Jahr später wenig hinzufügen. Meine Hauptfragen heute daher: Hat Paywall im vergangenen Jahr eine weitere Verbreitung erfahren und wie verhält es sich mittlerweile zu seiner teilübersetzten Konkurrenz Bezahlschranke ?
Offline lieber übersetzt
Für deutschsprachige Zeitungen sieht es so aus, als sei die Verwendung von Paywall angestiegen: Weiterlesen
Kandidaten für den Anglizismus 2013: ranten
Nachdem Michael am Montag im LEXIKOGRAPHIEBLOG mit Veggie Day den ersten Kandidaten besprochen hat, startet heute auch die Juryabordnung des Sprachlogs in die Kandidatenbesprechung.
Eigentlich habe ich mich bei den Recherchen recht schnell gefragt, warum ranten auf der Shortlist gelandet ist. Und dann hab ich mich daran erinnert, dass ich das selbst war — vermutlich wegen einer gewissen Faszination für das Shitstormesque. Weiterlesen
Remember, remember, the … 11th of September?
Randall Munroe von xkcd hat gestern einen großartigen Calendar of meaningful dates, also einen Kalender bedeutender Daten gepostet:
Hinter seinen Webcomics stecken ja oft kleine wissenschaftliche Projekte und Spielereien – in diesem Fall mit Sprache.
Für diesen Comic hat Munroe im englischsprachigen Korpus von Google ngrams (mehr dazu hier, hier und hier), also einer großen Sammlung digitalisierter Bücher, sämliche Tage eines Jahres abgefragt und deren relative Häufigkeit für den Zeitraum seit 2000 dargestellt. Man sieht unter anderem sehr schön, dass über den Monatsersten besonders häufig geschrieben wird und dass der 29. Februar nicht nur in der Realität sehr selten vorkommt. Beides wenig verwunderlich.
In der Beispielsuchanfrage wird October 17th als Format angegeben. Interessant wäre zu erfahren, ob auch die britische Datumsnennung, 17th of October, abgefragt wurde, sie hat ebenfalls viele Treffer (auch im Subkorpus des amerikanischen Englisch).
September 11th
Im Fall des 11. Septembers aber, der mit Abstand das häufigste Datum ist, geht die Nutzung der beiden Benennungsmöglichkeiten weit auseinder. Während 11th of September mit 17th of October/October 17th in einer Liga spielt, stellt die amerikanische Variante September 11th alles in den Schatten:
In diesem Fall ist September 11th nämlich kein einfaches Datum mehr, sondern ein Eigenname für ein historisches Ereignis – Praxonym nennt man das. Und Namen variieren nun mal nicht sonderlich. (September 11th hat aber noch einen zweiten Namen, 9/11.)
Im xkcd-Kalender steckt noch ein weiteres besonders Datum, nämlich
The 4th of July,
auch als US-amerikanischer Nationalfeiertag bekannt. Hier sind interessanterweise beide Formen fast gleich frequent, zumindest, wenn man sich die heutige Zeit anschaut. Das erscheint erst einmal seltsam, ist die Variante mit der vorangestellten Zahl doch neben Independence Day die reguläre Bezeichnung des Tages.
Erweitert man sowohl den Zeitraum als auch die untersuchten Varianten, wird klarer, woran das wahrscheinlich liegt: Die Zahl wird heute dann, wenn der Nationalfeiertag gemeint ist, in der Regel ausgeschrieben, also Fourth of July. Die Verlaufskurven seit 1776 (dem Jahr der Unabhängigkeitserklärung) sehen so aus:
Hier ist schön zu sehen, dass das normale Datumsformat (July 4th) nie besonders frequent war, wahrscheinlich, weil es in der Regel nicht dazu benutzt wurde, auf den Feiertag zu referieren. Die britische Version ist hingegen die ganze Zeit sehr frequent, wobei zunächst die Schreibweise mit der Zahl dominiert (4th of July), gegen Ende der 1870er übernimmt dann aber die ausgeschrieben Form (Fourth of July). Die Bezeichnung Independence Day ist zwar laut OED seit 1791 belegt, sie hat aber erst seit den 1940ern an Häufigkeit gewonnen – vielleicht vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs patriotisch begründet? (Aber ich spekuliere.)
Warum nicht July 4th?
Bleibt noch die Frage, warum sich bei der Benennung des Tages die britische Variante durchgesetzt hat, es ging doch um die Unabhängigkeit von eben denen? Die naheliegende Antwort: Auch amerikanisches Englisch war einmal britisch, das Datumsformat hat sich also in den USA in den letzten 236 Jahren verändert. So etwas sollte man aber, egal wie plausibel, nicht ungeprüft behaupten, also habe ich eine weitere (recht schnelle, also verbesserbare) Korpusrecherche gemacht – diesmal bei COHA, dem Corpus of Historical American English. ((Die genauen Suchanfragen waren für sechs der ersten sieben Tage jedes Monats, außer Juni (bei dem habe ich mich vertippt und es erst zu spät bemerkt), d.h.:
Für Xth of Month: 1st|2nd|3rd|5th|6th|7th of JANUARY|FEBRUARY|MARCH|APRIL|MAY|JULY| AUGUST|SEPTEMBER|OCTOBER|NOVEMBER|DECEMBER
Für Month Xth: JANUARY|FEBRUARY|MARCH|APRIL|MAY|JULY| AUGUST|SEPTEMBER|OCTOBER|NOVEMBER|DECEMBER 1st|2nd|3rd|5th|6th|7th))
In der folgenden Grafik sind die beiden Datumsformate seit 1810 im Vergleich zueinander zu sehen, wobei rot das britische, blau das amerikanische darstellt:Es ist klar zu erkennen, dass in den COHA-Daten bis Anfang des 20. Jahrhunderts das britische Format dominierte – es ist also nicht ausschließlich britisches Englisch, sondern auch älteres amerikanisches Englisch. Ab ca. 1900 vollzog sich dann der Wechsel zur heutigen Ausdruckweise.
Für den 4th of July war es da aber bereits zu spät: Er hatte sich als fester Ausdruck eingebürgert und wurde von diesem Wandelprozess nicht ergriffen.
Nun wäre es noch spannend zu erfahren, warum es den Wechsel gab. Darüber geben die Korpusdaten leider keine Auskunft und meine (allerdings oberflächlichen) Recherchen haben auch nichts ergeben. Vielleicht wissen ja Anatol oder Suz was? Oder jemand anders? Ich wäre sehr neugierig!
Fremdwörter gesucht!
Vielleicht erinnert sich hier jemand noch an meine Magisterarbeit? Da ging es letztlich um Pluralbildung im Alemannischen, hat eine Menge Spaß gemacht, aber auch eine Menge Fragen aufgeworfen, denen ich damals nicht nachgehen konnte. Eine davon ist die, wie dialektal mit Fremdwörtern umgegangen wird.
Nun dachte ich mir letztes Jahr im Herbst, es wäre ganz schön, das mal noch systematisch anzuschauen, und entsprechend habe ich ein Abstract für eine Konferenz eingereicht, die nun schon bald ist. Es ist also höchste Zeit, Daten sammeln zu gehen! Dazu fahre ich demnächst in den Schwarzwald. Ich habe schon alle nötigen Impfungen, aber was ich noch nicht habe, sind alle nötigen Items. Also die Wörter, deren Pluralbildungsverfahren ich untersuchen will. Und da kommt ihr ins Spiel: Vielleicht fallen euch ja Wörter ein, auf die ich noch nicht gekommen bin? Weiterlesen
Etymologiequiz die Dritte
So, Semesterferien. Bißchen Zeit zum Luftholen und, juhu, für’s Schplock! Heute gibt es die dritte Ausgabe des Etymologiequiz: Ich gebe euch einen Haufen Wörter und ihr sagt mir, welche davon auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen. Die Neuerung diesmal: Es handelt sich um deutsche und englische Wortpaare.
So gehören zum Beispiel engl. very ’sehr’ und dt. wahr zusammen: Beide haben ihren Ursprung in der indogermanischen Form *weros-. Fun fact: Das englische Wort hat nicht den Weg über die historischen Vorstufen des Englischen genommen, sondern Weiterlesen
Anglizismus des Jahres 2011: Shitstorm
Ihr habt es auf dem ein oder anderen Weg bestimmt schon mitbekommen: Der Anglizismus des Jahres 2011 ist gewählt! Auf den ersten Platz hat es Shitstorm geschafft, zu dem anderswo schon viel geschrieben wurde (Laudatio, AdJ 2010, AdJ 2011) und das auch der Favorit des Publikums war.
Den zweiten Platz hat Stresstest gemacht (Besprechung im Sprachlog). Das war auch einer meiner Top-3-Kandidaten (unter uns gesagt, der topste davon), und weil bisher quasi alle Medien meine Begründung dafür bis zur Unkenntlichkeit verkürzt haben, kriegt Ihr sie hier in voller Länge. Nicht furchtbar kreativ, aber komplett:
Die Bildung gefällt mir besonders gut, weil das Wort auf den ersten Blick gar nicht so fremd aussieht: Sowohl Stress als auch Test sind schon lange bestens integriert. Dass das Kompositum, neben älteren Bildungen, neu entlehnt wurde, wird an der Verwendung im Sinne von ‘Überprüfung der physischen Belastbarkeit’ deutlich. Dabei hat das Simplizium Stress diese neue Bedeutung (noch) nicht angenommen, sie bleibt auf das Kompositum beschränkt.
Ein leichtes Minus muss das Wort bezüglich der semantischen Lücke in Kauf nehmen: Den extrem ähnlichen Belastungstest gab es bereits. Die Motivation für die Entlehnung dürfte damit eine andere gewesen sein.
Der dritten Platz ist mit circeln besetzt, ein Kandidat, dem ich, ganz ehrlich, gar nichts abgewinnen kann. Andere schon. Hm, wer weiß, vielleicht überrascht er mich ja eines Tages doch noch positiv.
So, das war’s für 2011. Hat Spaß gemacht, war aber auch eine Art ganz persönlicher Stresstest. Was Euch anbelangt: Gehet hin und entlehnet neue Kandidaten für den AdJ 2012!