Schlagwort-Archive: Lehnwörter

Kandidaten für den Anglizismus 2013: Thigh Gap

Von Anatol Stefanowitsch

Nor­maler­weise entlehnt eine Sprachge­mein­schaft ein Wort, um eine soge­nan­nte lexikalis­che Lücke zu füllen – also eine Leer­stelle im Wortschatz. Solche Leer­stellen entste­hen typ­is­cher­weise, wenn etwas Neues beze­ich­net wer­den muss (z.B. eine neue Tech­nolo­gie, eine neue sportliche Aktiv­ität, eine neue Idee).

Das Wort, das ich heute disku­tiere, füllt eine lexikalis­che Lücke ander­er Art: Eine Lücke, die entste­ht, weil etwas, das schon immer da war, aber nie beachtet und deshalb auch nie benan­nt wurde, plöt­zlich in das Spot­light der gesellschaftlichen Aufmerk­samkeit gerät und eine Beze­ich­nung braucht. Bzw. eigentlich nicht „etwas, das schon immer da war“, son­dern ein Nichts, das schon immer da hätte sein kön­nen – näm­lich eine Lücke zwis­chen (weib­lichen) Ober­schenkeln, die auch dann noch sicht­bar sein muss, wenn die Beine ger­ade und die Füße aneinan­der gestellt sind (so die geläu­fig­ste Def­i­n­i­tion) oder sog­ar dann, wenn die Knie sich berühren (so die stren­gere Def­i­n­i­tion der englis­chen Wikipedia): die Thigh Gap.

[Inhaltswar­nung: Objek­ti­fizierende Beschrei­bun­gen des weib­lichen Kör­pers, Fat Sham­ing, Mager­sucht.] Weit­er­lesen

Krautspeak Day

Von Anatol Stefanowitsch

To most Ger­mans, today is just an ordi­nary Sam­stag (or Sonnabend, depend­ing on where they live). But to Ger­man lan­guage pre­scrip­tivists, it is a qua­si-nation­al hol­i­day, a lin­guis­tic Fourth of July and Fifth of Novem­ber rolled into one: the Tag der Deutschen Sprache (“Day of the Ger­man Lan­guage”), a sort of pre­scient com­mem­o­ra­tion day for the Ger­man lan­guage as it will have been when it no longer is.

In the Eng­lish-speak­ing world, pre­scrip­tivists are con­cerned main­ly with a small set of words and gram­mat­i­cal struc­tures that they call “bad gram­mar” – phe­nom­e­na like the “split” infini­tive or the pas­sive (struc­tures which they would like to remove from the lan­guage com­plete­ly), the rel­a­tive mark­ers that and which (which they would like to see used for restric­tive and non-restric­tive rel­a­tive claus­es respec­tive­ly), and cer­tain sen­ten­tial adverbs like hope­ful­ly (which they seem to think should nev­er be used to express the speaker’s atti­tude towards the con­tents of a sen­tence). They typ­i­cal­ly jus­ti­fy their pro­scrip­tions and pre­scrip­tions by appeals to log­ic (although they nev­er spell out what that log­ic actu­al­ly is). Weit­er­lesen

Sprachbrocken: Der Shitstorm ist Establishment

Von Anatol Stefanowitsch

Da aktu­al­isiert die Duden-Redak­tion ihr Wörter­buch mit über 5000 Wörtern, darunter urdeutsche (und her­vor­ra­gend zueinan­der passende) Schön­heit­en wie Schulden­bremse und Vollp­fos­ten, und alles, was die inter­na­tionale Presse inter­essiert, ist – der Shit­storm. Nicht ganz unschuldig an dem inter­na­tionalen Medi­en­in­ter­esse: Die Sprachlogger/innen, unter deren Fed­er­führung Shit­storm zum „Anglizis­mus des Jahres“ 2011 gewählt wurde. Kaum ein Artikel, der diese Wahl nicht als Aufhänger nimmt (unser Jurymit­glied Michael Mann hat es über den dama­li­gen Bericht auf The Local sog­ar in den Bericht der BBC geschafft). Weit­er­lesen

Deutsche, deutschere, deutscheste Bahn

Von Anatol Stefanowitsch

Dass deutsche Unternehmen die englis­che Sprache gerne ver­wen­den, um sich ein inter­na­tionales Image zu geben, ist nicht nur ein Triv­ialplatz, es ist sog­ar Gegen­stand sprach­wis­senschaftlich­er Forschung. ((Z.B. Ingrid Piller (2001) Iden­ti­ty con­struc­tion in mul­ti­lin­gual adver­tis­ing. Lan­guage in Soci­ety 30, 153–186.)) Beson­ders die Deutsche Bahn hat das in der Ver­gan­gen­heit so aus­giebig getan, dass sie sog­ar von Lehn­wortlib­eralen wir mir dafür schon (wenn auch sehr milde) kri­tisiert wor­den ist – wir haben sie im Sprachlog aber auch schon für ihre kreative Lehn­wor­tikono­grafie und für ihr nur schein­bar defizientes, tat­säch­lich aber his­torisch akku­rates Englisch gelobt. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 23/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Eine der unsym­pa­this­chsten Aktio­nen des Vere­ins Deutsche Sprache ist die alljährliche Wahl eines „Sprach­pan­sch­ers des Jahres“. Die funk­tion­iert so: 1) Der Vere­in nominiert promi­nente Per­so­n­en wegen abstrus kon­stru­iert­er sprach­lich­er Sün­den; 2) die Promi­nenz der Nominierten sorgt für eine bre­ite Berichter­stat­tung; 3) der VDS ste­ht ohne nen­nenswerte Leis­tung als Wahrer der deutschen Sprache da. Getrof­fen hat es dies­mal Wolf­gang Schäu­ble, dessen Ver­brechen gegen die Deutschlichkeit in „unbe­holfe­nen Exkur­sio­nen ins Englis­che“ beste­he. Mit denen „mache er seit Jahren den Über­set­zern in Brüs­sel Konkur­renz und falle damit allen Ver­suchen in den Rück­en, Deutsch als echte Arbeitssprache in der EU zu ver­ankern“. Weit­er­lesen

Shitstormgeburtstag

Von Anatol Stefanowitsch

Seit wir 2011 Shit­storm zum Anglizis­mus des Jahres gewählt haben, verge­ht kaum eine Woche, in der ich meinen Namen nicht irgend­wo in Verbindung mit diesem Wort lesen darf. Wann immer ein Shit­storm disku­tiert wird, find­en sich in einem Neben­satz oder in einem erk­lären­den Kas­ten ein Hin­weis auf unsere Wahl und ein oder zwei Zitate von mir. Obwohl ich leicht zu erre­ichen bin, sind diese Zitate nor­maler­weise alt und stam­men aus Pressemit­teilun­gen oder Inter­views, und nicht aus mein­er Lau­da­tio oder Susannes exzel­len­ten Beiträ­gen zu diesem Wort. ((Wobei hier ein Lob an die Wikipedia angemessen ist, die sich in dem Ein­trag zu diesem Wort in wichti­gen Punk­ten auf unsere Recherchen stützt.)) So auch heute, wo eine Pressemel­dung der dpa den 50. Geburt­stag des Wortes bekan­nt gibt (abge­druckt z.B. in der Wolfs­burg­er All­ge­meinen Zeitung unter der Über­schrift „Ver­meintlich neues Wort“): Weit­er­lesen

Sprachschmuggler in der Wikipedia?

Von Anatol Stefanowitsch

In mein­er gestri­gen Lau­da­tio zum Anglizis­mus des Jahres 2012, Crowd­fund­ing, sprach ich meine Ver­mu­tung an, dass die vere­inzelt zu find­ende Ein­deutschung „Schwarm­fi­nanzierung“ eine Wortschöp­fung von Anglizis­muskri­tik­ern sei, die diese über den Wikipedia-Ein­trag zum Crowd­fund­ing zunächst in den jour­nal­is­tis­chen Sprachge­brauch eingeschleust hät­ten. Diese Ver­mu­tung stützt sich auf die Tat­sache, das die früh­este Ver­wen­dung, des Wortes, die ich find­en kann, eben aus diesem Wikipedia-Ein­trag, genauer, in der Artikelver­sion vom 23. März 2011 stammt. Einge­tra­gen wurde es von einem anony­men Nutzer, weshalb die Wikipedia-Soft­ware nur die IP-Adresse des Bear­beit­ers doku­men­tiert. Eine Über­prü­fung der Bear­beitun­gen, die unter dieser IP-Adresse im sel­ben Zeitraum vorgenom­men wur­den, zeigt, dass außer­dem das Schlag­wort „Schwarm­fi­nanzierung“ mit ein­er Weit­er­leitung auf den Artikel zu Crowd­fund­ing angelegt und das Wort Schwarm­fi­nanzierung in den Ein­trag zu ein­er bes­timmten Crowd­fund­ing­plat­tform hinein redigiert wur­den. Dass es sich bei dem anony­men Nutzer um einen Sprachkri­tik­er auf Sprach­säu­berungsmis­sion han­delte, schließe ich daraus, dass das Wort „Schwarm­fi­nanzierung“ im Anglizis­menin­dex des Vere­ins Deutsche Sprache ste­ht (dazu gle­ich mehr). Weit­er­lesen

Klein, aber oh yeah! [Anglizismus 2012]

Von Susanne Flach

Die Wahl geht in die End­phase — die großen Favoriten wur­den und wer­den in detail­lierten Einzel­beiträ­gen besprochen. Da wir uns aber immer zum Ziel set­zen, allen Kan­di­dat­en, die die erste Runde über­standen haben, ein wenig Raum, ein biss­chen Zeit und viel medi­ale Öffentlichkeit zu schenken, kommt heute eine Kurzbe­sprechung von Wörtern, denen wir zumin­d­est bei dieser Wahl keine größeren Chan­cen aus­gerech­net haben — eini­gen sog­ar zu Unrecht. Aber lesen Sie selbst.

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Sprachbrocken 4/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Frankre­ich ist ja, wenn man deutschen Sprach­nör­glern glauben schenkt, ein sprach­pflegerisches Paradies. Reine Sprach­flüsse plätsch­ern dort gal­lisch glitzernd durch roman­isch rol­lende Wörter­wiesen, auf denen präz­iöse Paris­er Phrasen­struk­tur­bäume Schat­ten spenden. Aus der Fremde ein­drin­gen­des Spra­chunkraut wird von von weisen Wortwächtern mit fes­ter Hand aus­ge­merzt, die an sein­er stelle liebevoll latin­isierende lan­dessprach­liche Lecker­bis­sen zücht­en. Die Französin­nen und Fran­zosen wür­den es auch gar nicht anders wollen, und so herrschte feingeistiges franko­phones Frohlock­en, als die Acad­e­mie Française verkün­dete, dass das Wort Hash­tag schon an der Gren­ze gestoppt wor­den und durch das mot-dièse („Raut­en­wort“) erset­zt wor­den sei. Nur die franzö­sis­che Sprachge­mein­schaft kon­nte dem neuen Wort natür­lich wieder mal nichts abgewin­nen. Aber die beste­ht eben, wie über­all, aus degoutan­ten Degener­ierten, von denen wir uns nicht düpieren lassen soll­ten. Weit­er­lesen