Und hier die Auflösung des diesjährigen Aprilscherzes:
Nominativ, Dativ, Akkusativ und Genitiv — Deutschlernenden fallen oft schon diese vier Fälle schwer. Die Sprecher/innen einer Sprache in Australien können darüber nur müde lächeln: Sie haben gleich zwanzig verschiedene Fälle!
Diese Sprache gibt es tatsächlich: Kayardild, gesprochen in Queensland in Austalien. Oder besser: es gibt sie noch, denn mit nur 23 Sprecher/innen, die alle nicht mehr ganz jung sind, wird sie schon in wenigen Jahren für immer verschwunden sein. Zwanzig Fälle sind auch gar nicht so exotisch, wie es vielleicht klingt: Auch in Europa gibt es mit den finno-ugrischen Sprachen eine äußerst kasusverliebte Sprachfamilie, deren Mitglieder sich alle in etwa in diesem Bereich bewegen. Dabei ist es in dieser Sprachfamilie nicht ganz einfach, die genaue Zahl der Fälle zu bestimmen, denn Kasusendungen unterscheiden sich dort formal kaum bis gar nicht von dem, was bei uns Präpositionen (wie in, unter, zwischen) sind: Diese Sprachen haben nämlich keine Prä- sondern Postpositionen, die, wie ihr Name vermuten lässt, hinter dem Wort stehen, auf das sie sich beziehen — also da, wo auch Kasusendungen stehen. Das führt dazu, dass z.B. die Zahl der Fälle im Ungarischen manchmal mit null, manchmal sogar mit über 30 angegeben wird (eine linguistisch halbwegs fundierte Analyse würde von ca. 21 ausgehen).
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft — mehr braucht ein Tempussystem doch nun wirklich nicht, oder? Doch, finden die Sprecher/innen einer Sprache in Afrika: Sie haben gleich fünf Vergangenheitsformen, eine Gegenwartsform und fünf Zukunftsformen!
Auch diese Sprache gibt es: Es ist das Bamileke-Dschang oder Yemba, gesprochen im Südwesten von Kamerun. Mit über 300 000 Sprecher/innen wird uns diese Sprache mit ihrem faszinierenden Tempussystem auf absehbare Zeit erhalten bleiben. Dass die Zahl von fünf Vergangenheits- und fünf Zukunftsformen vielen Sprachlogleser/innen in den Kommentaren und gestern auf Twitter nicht ungewöhnlich vorkam, liegt übrigens an einem Missverständnis dessen, was eine Tempusform ist: Das Französische, z.B. hat laut der deutschen Wikipedia sechs Vergangenheitsformen — das Passé Compose, das Imparfait, das Plus-que-Parfait, das Passé Simple, das Passé Anterieur und das Passé Récent. Tatsächlich hat es aber nur eine (oder maximal zwei): Das Passé, für Ereignisse, die in der Vergangenheit geschehen sind (und, wenn man es mitzählt, das Passé Récent für Ereignisse, die in der Gerade-erst-Vergangenheit geschehen sind). Die übrigen Formen ergeben sich (grob gesagt) daraus, dass das Passé mit anderen Bedeutungen kombiniert wird, die in der Sprachwissenschaft als Aspekt oder Modalität bezeichnet werden. Im Bamile-Dschang gibt es aber tatsächlich fünf verschiedene Vergangenheits- und Zukunftsformen, die fünf verschiedene Grade von Vergangenheit und Zukünftigkeit ausdrücken.
Singular und Plural — ein elegantes Numerus-System, das völlig ausreicht, oder? Niemals, finden die Sprecher/innen einer Sprache in Asien: Ihr Numerus-System unterscheidet zwölf verschiedene Numera.
Obwohl nichts dagegen spräche, für Mengen von eins bis elf jeweils eigene Formen zu haben, und erst ab zwölf in einen allgemeinen Plural zu wechseln — diese Sprache gibt es nicht. Die Sprache mit der größten bekannten Zahl an Numerus-Unterscheidungen ist das Sursurunga, gesprochen in Papua-Neuguinea, mit immerhin 5 Numeri: einem Singular (für genau eins), einem Dual (für genau zwei), einem Trial (für eine kleine Menge, aber mindestens drei), einem Quadral (für eine etwas größere Menge, aber mindestens vier), und einem Plural. Mit ca. 3000 Sprecher/innen ist das kurzfristige Überleben dieser Sprache nicht in Gefahr, aber ob sie das 21. Jahrhundert überdauern wird, muss bezweifelt werden.
Maskulinum, Femininum, Neutrum — das reicht doch, um jedem Substantiv ein Genus zu geben, oder? Nein, finden die Sprecher/innen einer Sprache in Afrika: Sie teilen ihre Substantive in einundzwanzig verschiedene Genera ein!
Da der Aprilscherz ja bei den Numera versteckt war, gibt es natürlich auch diese Sprache: es ist Fulfulde oder Fula, gesprochen in Nigeria. Mit etwa 12 Millionen Sprecher/innen die Sprache in der diesjährigen Ausgabe des Sprachlog-Aprilscherzes, um die wir uns am wenigsten Sorgen machen müssen. Das Fulfulde gehört zu den Niger-Kongo-Sprachen, die für ihre umfangreichen Genus- (bzw. Nominalklassen-)Systeme bekannt sind — auch die Bantu-Sprachen, wie z.B. Swahili, gehören in diese Großfamilie. Allerdings ist das Fulfulde auch in dieser Großfamilie ein Spitzenreiter: Die Menge der Nominalklassen der Bantu-Sprachen wird häufig mit ca. 18–20 angegeben, wobei aber berücksichtigt werden muss, dass in der Bantuistik Singular und Plural jeweils als eigene Klasse gezählt werden. Täte man das auch beim Fulfude, hätte es die doppelte Menge, also mindestens 42 Nominalklassen oder Genera!
Im Laufe dieses Jahrhunderts könnten bis zu 90 Prozent aller derzeit gesprochenen Sprachen aussterben. Die Gesellschaft für bedrohte Sprachen bemüht sich, diese Sprachen zu dokumentieren und kann Ihre Spenden gebrauchen!