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Hipster [Anglizismus 2012]

Von Susanne Flach

Unser Cheflexikologe Michael vom lexiko­gra­phieblog lehnte in diesem Jahr den Ruf in die Jury aus zeitlichen Grün­den ab und wusste bere­its bei der Nominierung von Hip­ster offen­bar, warum: Wie will man das denn bitte definieren? Hip­ster fällt — begrif­flich! — in die gle­iche Kat­e­gorie wie Spießer und Yup­pie: irgend­wie hat man eine klare Vorstel­lung davon, was das sein soll, man will’s erkan­nt haben, wenn man’s sieht — aber natür­lich will’s mal wieder kein­er gewe­sen sein. Kurz: jen­seits humoriger Selb­st­geißelung ist Hip­ster als Eigen­beze­ich­nung sel­ten. Der Hip­ster ist ein kul­turell nahezu undefinier­bar amor­phes urbanes Phänomen in klas­sis­chen Hip­ster­biotopen (hier kartografiert).

Das wort

Hip­ster, eine Ableitung vom Adjek­tiv hip ‚hip‘, gebildet mit dem Agen­tiv­suf­fix -ster, ver­gle­ich­bar in Wort­bil­dun­gen des Englis­chen wie trick­ster, drug­ster, joke­ster oder young­ster. ((Beson­ders gut gefällt mir noch die Schöf­pung Wimp­ster im DWDS aus der ZEIT 37/2006: „Bevorzugtes Objekt der Begierde: der ‚Wimp­ster‘, eine Mis­chung aus Trend­set­ter (Hip­ster) und Weichei (Wimp).“)) Der Oxford Eng­lish Dic­tio­nary (OED) kon­sta­tiert für die frühere Phase des Früh­neuenglis­chen (ab etwa 1500) eine erhöhte Pro­duk­tiv­ität. Das Suf­fix -ster ist aber älter und geht min­destens auf das Altenglis­che -estre oder -istræ zurück, wo es Berufs­beze­ich­nun­gen für weib­liche Per­so­n­en ableit­ete, ana­log zum -er für Män­ner. Im Mit­te­lenglis­chen wurde -estre durch das franzö­sis­che -eresse abgelöst — -ster wurde also zunehmend maskulin inter­pretiert und durch -eresse/-ess kom­ple­men­tiert. Mit der gestiege­nen Pro­duk­tiv­ität von -ster ließ das Wort­bil­dungsmuster im 16. Jahrhun­dert auch vere­inzelt Bil­dun­gen mit Adjek­tiv­en oder Ver­ben zu (z.B. young­ster, 1589, oder rub­ster, 1537). ((„-ster, suf­fix“. OED Online. Decem­ber 2012. Oxford Uni­ver­si­ty Press. 28 Jan­u­ary 2013 <http://www.oed.com/view/Entry/189877?rskey=dbgDgC&result=1&isAdvanced=false>.))

Hip­ster liegt fürs Deutsche — ver­mut­lich — aus­nahm­s­los als Maskulinum vor. Ver­suche, nach fem­i­ni­nen For­men zu suchen, sind zum Scheit­ern verurteilt, weil für Hip­ster die meis­ten Genus‑, Kasus- und Numeruskom­bi­na­tio­nen zusam­men­fall­en und Suchergeb­nisse deshalb nicht auseinan­derzuhal­ten, geschweige­denn ver­gle­ich­bar sind (die Hip­ster für FEM.SG,  MASK.PL und MASK.PL„gener­isch“, etc.). Der Hip­ster hat mit gerun­det 39,000 Tre­f­fern gegenüber die Hip­sterin mit 224 Tre­f­fern leicht die Nase vorn. Es ist unwahrschein­lich, dass hier 38,776 Fälle von Synkretismus vor­liegen. Wahrschein­lich­er ist, dass Hip­ster, obwohl gen­der­bar, nicht gegen­dert wird. Abgeleit­et von Hip­ster gibt es erste Ver­suche, hip­stern als Verb zu etablieren.

Entlehnung & Aktualität

Hip­ster gibt es schon länger, auch in der deutschen Sprache. Die Exis­tenz zweier voneinan­der rel­a­tiv unab­hängiger Wikipedia-Ein­träge zu Hip­ster (20. Jahrhun­dert) und Hip­ster (21. Jahrhun­dert) sug­geriert, dass zeit- und kul­turhis­torisch Hip­ster1 und Hip­ster2 zu tren­nen sind. Ein­er der früheren ver­i­fizier­baren Belege stammt aus der ZEIT von 1962, der hip­ster als „unüber­set­zbar“ bezeichnet.

Während bei Hip­ster1 üblicher­weise das Avant­gardis­tis­che, Poli­tis­che und Rebel­lis­che im Vorder­grund ste­ht und — gle­icher­maßen durch die ret­ro­spek­tive Brille — diesem deshalb eine gewisse Cool­ness zuge­s­tanden wird, wird Hip­ster2 Cool­ness als inhärentes Charak­ter­is­tikum eines hip­pen Selb­st­bilds unter­stellt (und damit abge­sprochen). Zusät­zliche zen­trale Def­i­n­i­tion­s­merk­male sind neben ein­er Woh­nung in Szenevierteln offen­bar gän­zlich unpoli­tis­che Chi­no­ho­sen, Kaf­feeschaum­vari­a­tio­nen, Tele­fone mit Bin­nen­ma­juskeln, Nerd­brillen, Club Mate und Jutebeutel.

Hal­ten wir fest: eine Neu- bzw. Wieder­entlehnung. Denn obwohl Hip­ster so neu nicht ist, erfüllt es ein zen­trales Kri­teri­um: eine deut­liche Zunahme 2012. (Man beachte die Karte der geografis­chen Verteilung der Suchan­fra­gen. Etwas über­raschen mag das hohe Inter­esse an Hip­ster für die der uncoolen Cool­ness unverdächti­gen Städte Duis­burg, Darm­stadt, Mainz und Mün­ster. Rel­a­tiviert wird das, weil Han­nover in der Liste nicht auftaucht.) 

Aber Michael fragte ja auch danach, ob es heute noch neu­tral oder pos­i­tiv ver­wen­det wird. Das ist eher unwahrschein­lich, vor allem, weil der Begriff zu häu­fig in Tex­ten über den Umbruch urbaner Gesellschaftsstruk­turen (→Gen­tri­fizierung) mit vie­len neg­a­tiv­en Begleit­e­mo­tio­nen auftaucht:

Hass auf die Hip­ster in Kreuzberg und New York. [Tagesspiegel, 22. März 2012]

Der Hip­ster mit dem Jute­beu­tel — das neue Has­sob­jekt. [Die Welt, 10. März 2012]

Der Hip­ster — bär­tig, cool, ver­achtet. [Tagesspiegel, 18. April 2012]

(Ein Gegen­beispiel zum „wir sind so nicht“ ist die taz, die den Hip­ster auf­fäl­lig neu­tral als „Men­schen wie du und ich“ beschreibt (taz, 18. Novem­ber 2012).)

Das war nicht immer so: die spöt­tis­chen oder aufge­lade­nen Beschrei­bun­gen sind eine neuere Entwick­lung. Im ZEIT-Archiv des DWDS find­en sich ab den 1990er bis 2009 viele Belege mit neutraler(er) Szenezustandsbeschreibung:

Er war irgen­det­was zwis­chen Häftling und Hartz IV, und nun stand er hier, mit­ten in Mitte, wo die Heimat der Hip­ster ist, vor einem Laden, der bräun­liche Sweat­shirt­jack­en und Jeans mit niedrigem Bund verkauft, stand dort wie ein Türste­her und ver­bre­it­ete Angst. (ZEIT 7/2008)

Char­lotte ist eine unter­drück­te Haus­frau, die in dem schwärmerischen Hip­ster das Gegen­pro­jekt ihres Estab­lish­ments erken­nt. Char­lotte Hellekant singt sie mit ein­er drama­tis­chen Durch­lagskraft, in der stets die bürg­er­liche Angst vor dem Kon­trol­lver­lust mit­flack­ert. (ZEIT 41/2002)

Und jen­seits von Zeitungs­bele­gen, in denen die Gen­tri­fizierungs­de­bat­te meist auf ein unbekan­ntes Wesen pro­jiziert wird? Eine kurze Analyse von etwa sechs Tagen Hip­stertweets: ein­er von einem Men­schen mit hip­ster im Alias, ein neu­traler Meta-Tweet (mein eigen­er) und der Rest von der fol­gen­den Sorte:

Twit­ter braucht drin­gend Warn­hin­weise: Ver­wahrloste Hip­ster sitzen auf der Park­bank mit nix außer ihrem Smart­phone, das sie fest umk­lam­mern. @SoucieSpogk

hip­ster hip­ster gib mir mein berlin zurück @Mel61718

Vor einiger Zeit waren es ja sie Alt-68er, die hier die Poli­tik prägten. Hab schon ein wenig Angst vor der Zeit, wenn die Hip­ster dran sind. @Zellmi

Fazit: wir sind alle ein bisschen Hipster

Bei vie­len, vie­len Tweets und Blog­posts über den Hip­ster genügt ein Blick ins Pro­fil der­jeni­gen, um zu wis­sen, dass es mit Hip­ster eigentlich ganz ähn­lich ist, wie mit Spießer: es sind immer die anderen und die haben auch noch an allem Schuld. Sie gehen nie bei Rot über eine unbekan­nte Kreuzung und spülen But­ter­dosen vor Wiederver­wen­dung ein­mal heiß durch? Sehense.

Hip­ster, ein Wort, das tat­säch­lich unüber­set­zbar ist. Zur rekur­siv­en Absur­dität von Ein­deutschungsver­suchen: eine mögliche Alter­na­tive wäre Trend­set­ter (Antwort auf die unschuldige Frage: „Wie würdest du Hip­ster über­set­zen?“), welch­es aber eben­falls auf dem Index ste­ht und wofür schon Schrittmach­er, Vor­re­it­er oder Weg­bere­it­er vorgeschla­gen wurden.

Eine Lücke gefüllt? Natür­lich, auch wenn’s schon recht lange im Deutschen heimisch ist (lange vor der Hip­s­ter­de­bat­te aktueller Couleur). Aber man darf ein­wer­fen, dass der Attrib­ut­epool der Klasse „Hip­sterIn­nen“ so der­maßen tief und bre­it ist, dass die Def­i­n­i­tion schw­er ist und der Begriff — in Abwe­sen­heit iden­ti­fizier­baren Ref­eren­z­gruppe — irgend­wie schwammig bleibt.

P.S.: Damit ich das Bild nicht umson­st gemacht habe: unlängst forderte die FU-Hochschul­gruppe von DIE PARTEI die Zulas­sungs­beschränkung für Jute­beutel­träger. ((Was machen wir jet­zt mit Good­ies auf Tagun­gen? Ein­lasskon­trollen für Wis­senschaftsver­lage?)) Aber die wollen ja auch den Pren­zlauer Berg end­lagern.

Wahlwer­bung, DIE PARTEI-Hochschul­gruppe, Freie Uni­ver­sität Berlin, Jan­u­ar 2013