Ein Problem, das mich auch schon lange plagt …
Schlagwort-Archive: Graphematik
Am Pascal seine Mutter
Im Schuttertal spricht man Alemannisch.
Bastian Sick mag die Nase rümpfen wie er will und den Tod des Genitivs herbeischrei(b)en — im Alemannischen (wie in vielen deutschen Dialekten) gibt es ihn eh schon lange nicht mehr. In der Regel steht dort, wo im Hochdeutschen ein Genitiv steht, ein Dativ, und das gilt ganz besonders für Possessivkonstruktionen.
Possessivkonstruktionen sind Konstruktionen, mit denen man ausdrückt, dass jemandem etwas gehört. Dazu gibt es im Deutschen eine ganze Menge Möglichkeiten:
(1) Kristins Sprachblog
(2) das Sprachblog der Studentin
(3) das Sprachblog von Kristin
(4) von (der) Kristin das Sprachblog
(5) (der) Kristin ihr Sprachblog
Die Varianten (1) — (3) sind standard- und schriftsprachlich, sie können problemlos in elaborierten Texten verwendet werden.
Der Unterschied zwischen (1) und (2) liegt darin, dass bei (1) der Possessor (also die Person, die etwas besitzt) dem Possessum (also das, was besessen wird) vorangestellt ist, in (2) ist es umgekehrt. In der Regel nutzt man Konstruktion (1) nur für Eigennamen und Eigennamenähnliches wie Mama, Papa, Oma, Opa. In allen anderen Fällen greift dann Konstruktion (2).
Konstruktion (3) geht eigentlich nur für Eigennamen, ist also eine Alternative zu (1), sonst ist sie eher umgangssprachlich (?Das Blog von der Studentin, ?Das Haus vom Präsidenten).
Jetzt aber zu (4) und (5) — (4) wird vom Grammatik-Duden als regional und mündlich bezeichnet, (5) ist “seit langem im gesamten deutschen Sprachraum nachweisbar […], eigenartigerweise bisher nicht in die geschriebene Standardsprache aufgenommen worden.” (S. 835)
Zurück zum Alemannischen, das Konstruktion (5) benutzt:
Im Schuttertäler Dialekt wird die Entsprechung des hochdeutschen dem [de:m] als [dɛm] (ungefähr dämm) realisiert1. Allerdings fällt, wenn das Wort unbetont ist, oft das d am Anfang weg. Es wird also zu [ɛm] oder [əm].
Das Wort am wird als [ɔm] ausgeprochen (ungefähr omm), aber manchmal wird es noch weiter reduziert, sodass es fast wie [əm] klingt.
Das wurde dem armen Schulkind, das den obigen Aufsatz geschrieben hat, zum Verhängnis — es schrieb Frau Ehret ist am Pascal seine Mutter.
Die dialektale Possessivkonstruktion wird natürlich auch in der Umgangssprache verwendet, die die Kinder in der Schule sprechen (und als Hochdeutsch bezeichnen). Dieser Umgangssprache des Kindes entsprechend wäre es also korrekt gewesen, dem Pascal seine Mutter zu schreiben, aber da es nicht mehr wusste, woher das zusammengeschrumpfte Wort kam, schrieb es schließlich am.
Der Lehrkraft war’s egal — hochsprachlich muss Frau Ehret halt doch Pascals Mutter sein.
Die verlinkte Seite gibt noch viel mehr dialektale Eigenheiten her, aber dazu ein andermal.
[23.4.09: Zu diesem Beitrag gibt es eine Ergänzung.]
[Surftipp] Strange Maps — Sprachkarten
Ich bin zurück, mit dem festen Vorsatz, endlich mal so regelmäßig zu schreiben, dass auch jemand regelmäßig vorbeischaut.
Heute soll es um ein Blog gehen, das ich heiß und innig liebe: Strange Maps.
Jeder Eintrag dreht sich um eine Landkarte oder einen Stadtplan irgendeiner Art, und darunter sind auch viele sprachbezogene Karten.
Hier ein kleiner Überblick:
334 — The Atlas of True Names: Etymologie
Hier geht es um Karten, auf denen alle Namen (Städte, Länder, Gewässer, …) etymologisch auf ihre “Urform” zurückgeführt werden. Es handelt sich mehr um ein Spaßprojekt als um eine wissenschaftliche Arbeit, weshalb es auch das Language Log ziemlich kritisiert hat — aber ich finde die Idee sehr witzig, und was ich bisher von der Umsetzung gesehen habe ich auch nicht so übel.
Ich hab mir die Karten bestellt und werde bestimmt bald was drüber schreiben.
329 — Chaffinch Map of Scotland: Dialektologie
Ein Gedicht in der Form Schottlands — das Verbreitungsgebiet des chaffinch ‘Buchfink’ wird mit der jeweiligen regionalen Bezeichnung markiert.
308 — The Pop Vs Soda Map: Regionalismen
Es geht darum, wie alkoholfreie Erfrischungsgetränke in den USA genannt werden. Zur “Pop vs. Soda controversy” gibt es auch eine eigene Internetseite.
231 — Praise the Lord and Pass the Dictionary!: Sprachen Europas & Graphie
Europa Polyglotta, Linguarum Genealogiam exhibens, una cum Literis, Scribendique modis, Omnium Gentium — eine Karte mit dem Beginn des Vaterunsers in der jeweiligen europäischen Sprache (und dem entsprechenden Alphabet) im entsprechenden Land.
230 — Papua New Guinea, the Linguistic Superpower: Sprachen der Welt
Diese Karte liebe ich ganz besonders — sie rückt die Dinge einmal in die richtige Perspektive, sprachtechnisch. Eine Weltkarte, die zeigt, wie groß die Länder sein müssten, wenn man ihre Größe nach den in ihnen gesprochenen Sprachen berechnete. Auf nach Ozeanien!
41 — Amikejo, the World’s First (and Only) Esperanto State: Kunstsprache
Die kreativen Bemühungen einer Sprache, ein Land zu finden …
13 — The retreat of Cornish: Sprachtod
Hier sieht man, wie Kornisch “ins Meer gedrängt” wurde. Vom bösen Englisch. Es wurde aber zwischenzeitlich wiederbelebt, das sieht man auf der Karte nicht.
Strange Maps lohnt sich aber nicht nur wegen der ab und an linguistischen Karten — auch alles andere ist sehr lesens- und sehenswert. Dringend mal vorbeischauen!
[Werkzeug] ipa4linguists
Eine sehr brauchbare Seite für Leute, die gerne coole IPA-Zeichen auf ihrem Computer hätten, aber nicht wissen, wie sie es anstellen sollen — mit ausführlichen Anleitungen zur Auswahl, Installation und Arbeit mit den Sonderzeichen in Browsern, Textverarbeitungs- und Mailprogrammen, für Windows, Mac und Linux:
http://ipa4linguists.pbwiki.com
Ich arbeite übrigens mit Titus Cyberbit Basic und Junicode — wenn ich mal mit Word arbeite.
Transform Puzzle
Wer, wie ich, gerne viel Zeit mit Dingen verbringt, die schlicht und einfach Zeit fressen, ohne dazu zu führen, dass die Welt gerettet oder die Hausarbeit fertig wird, hat bestimmt seinen Spaß mit Vaguely Linguistic Transforms:
“The rules are quite simple: transform one English word into another of the same length, one letter at a time, with each intermediate form also being a valid English word. For example, dog may be readily converted to cat by these simple steps: dog → cog → cot → cat.
For this first set of puzzles, we’re only going to slightly extend the basic notion: we’ll allow the word pairs to be of different lengths. So, in addition to changing a letter, adding or deleting a letter will also be permitted, when necessary.
[…]
Your task for this puzzle contest:
- transform oral into nasal
- transform langue into parole
- transform form into meaning
- transform lingo into jargon
- transform words into deeds
- transform Bantu into Latin
- transform NLP into reality
- transform Spec into Gram”
Mir fehlt noch langue > parole und form > meaning. Meine Lösungen poste ich nach dem Einsendeschluß, vielleicht führen sie ja doch irgendwie zur Weltrettung?
Update:
Sooo, Einsendeschluss ist vorbei und meine geheimen Lösungen können gepostet werden. So viele neue englische Wörter auf einmal habe ich noch nie gelernt! Bei den vielleicht etwas exotischeren habe ich, Leo sei Dank, eine Übersetzung dazugeschrieben.
- oral > moral > modal > model > motel > motet ‘Motette’ > mote ‘Partikel, Stäubchen’ > more > core > care > caret ‘Winkelzeichen, Zirkumflex’ > carnet > carpet > carpel ‘Kernhaus, Fruchtblatt’ > carpal ‘Handwurzelknochen’ > carnal > canal > banal > basal > nasal
- langue > gangue ‘Gangart’ > gangle ‘unbeholfene/schwankende Gangart’ > gargle ‘gurgeln’> gurgle ‘glucksen, gurgeln’ > burgle > bugle ‘Waldhorn’ > bogle ‘Vogelscheuche, Schreckgespenst’ > ogle ‘begaffen, liebäugeln’ > ogee ‘S‑Kurve’ > gee > gel > gal > sal ‘Salz’ > seal > sear ‘verbrennen, austrocknen’ > star > tar ‘Teer’ > bar > barb ‘Spitze, Stachel’ > carb ‘Kohlenhydrat’ > carob ‘Johannesbrot’ > carol > parol > parole
- form > farm > fare > fane ‘Tempel’ > fan > fun > sun > sin > sing > sting > siting ‘Anlegen’ > sitting > sifting > lifting > listing > lasting > lasing > leasing > leaning > meaning
- lingo ‘Jargon, Sprache’ > ling ‘Heidekraut’ > long > log > logo > lego > ego > ergo > ergot ‘Mutterkorn’ > argot > argon ‘Argon’ > jargon
- words > woods > roods ‘Kreuz, Rute (Pl.)’ > rods ‘Stab, Rute (Pl.) > rod > red > wed > weed > weeds > deeds
- Bantu > Bentu ‘Fluss in Rumänien’ > bent > bend > band > land > lard ‘Schmalz’ > sard ‘Karneol’ > sari > sarin ‘Sarin’ > satin > Latin
- NLP > nap > rap > rape > tape > tale > tall > tally > rally > really > realty > reality
- Spec > sec > set > seat > eat > ear > gear > rear > ream ‘Schliere’ > cream > cram > Gram
Update II:
Jippie! Ich habe gewonnen! Einen Magneten! Er kommt bald mit der Post:
Stand-Art
Ein wichtiger Eintrag, der im Duden noch fehlt:
Stand|art [ʃt…, auch st…], die (!); -, ‑en ; zusammengesetztes Substantiv (Kompositum)
Am Ampfang war es scheimbar der Umpfang
Jippie! Dank Internet sieht man endlich mal, wo Morphemgrenzen opak werden …
scheinbar > scheimbar: 1.150 Google-Treffer
sorry wollte editieren und hab scheimbar zitieren gedrückt! 🙂
Quelle: board.mofapower.de
Anfang > Amfang: 23.400 Google-Treffer
Am Amfang macht es Spaß, später nicht mehr!!!!
Quelle: dooyoo.de
Anfang> Ampfang: 1.230 Google-Treffer (Aber nicht auswertbar, weil da noch ganz viele Empfang > Ampfang drin sind!)
So dann wieder ganz am Ampfang die Treppe wieder hoch und gerade aus in die Tür wo ich so Kerzen ausmachen musste (4x Buu-Huu).
Quelle: mogelpower.de
Umfang > Umpfang: 6.620 Google-Treffer
Allerdings wurde mir vor kurzem ein Modelvertrag angeboten unter der Vorraussetztung, dass ich 5–7 cm Umpfang an der Hüfte verliere.
Quelle: forum.gofeminin.de
Man könnte ewig weitermachen: Emfang, ambieten, Umbill, …
—————————————————————
Und noch ein schöner Fall, in dem einfach nur ein Fremdwort eingedeutscht wurde — vielleicht durch die lautliche Ähnlichkeit mit Kanzel und einer damit irgendwie verbundenen Volksetymologie?
canceln > kanzeln
es fing silvester letzten jahres an — wir wollten zusammen zu meiner familie fahren, 2 tage vorher hat er das gekanzelt, weil er nicht ohne seine tochter sein konnte…
Quelle: brigitte.de