Schlagwort-Archive: Graphematik

Heames trinkt Dajeeling

Von Kristin Kopf

2009-06-02-DababerAls der Empfänger des Amer­zon-Paketes und ich am Son­ntag Tee tranken, kon­nten wir noch nicht ahnen, was das Leben auf der Rech­nung für uns bere­i­thielt: Das Gegen­stück zum Hermes-Boten.

Wie bere­its erk­lärt, wird das /r/ im Deutschen oft fast wie ein [a] aus­ge­sprochen. Wenn vor dem /r/ aber bere­its ein [a] ste­ht, ver­schmilzt es qua­si mit ihm1:

(1) Rhabarber → Rhababer

Das nicht mehr hör­bare r wurde in diesem Fall entsprechend auch nicht geschrieben.

Ähn­lich, aber nicht ganz iden­tisch, ver­hält es sich mit

(2) Darjeel­ing → Dajeel­ing

Hier kön­nte wieder das deutsche Phänomen ver­ant­wortlich sein, es kann aber auch sein, dass wir die r-lose Aussprache schon mit dem Wort zusam­men entlehnt haben.

Der Name der Teesorte kommt von der gle­ich­nami­gen Region und Stadt in Indi­en (auf Deutsch <Dar­jil­ing> geschrieben). Die spricht man auch im Orig­i­nal, d.h. im Nepali, mit einem r-Laut aus: Bei Wikipedia hören. Auch ein amerikanis­chen Wörter­buch wie Mer­ri­am-Web­ster hat ein­deutig ein r dort.

Wir haben das Wort aber höchst­wahrschein­lich von den Briten über­nom­men – fragt sich also, wie es in Eng­land aus­ge­sprochen wurde und wird. Aha: ohne r (hier bei Youtube, 0:44).

Dafür gibt es einen ein­fachen Grund: “rho­tis­che” und “nicht-rho­tis­che” Vari­etäten. (Die Beze­ich­nung stammt vom griechis­chen Buch­staben Rho <ρ>, der unserem <r> entspricht.)

In rho­tis­chen Vari­etäten des Englis­chen wird das <r> immer aus­ge­sprochen, in nicht-rho­tis­chen Vari­etäten hinge­gen nur manch­mal. Und zwar immer dann, wenn es vor einem Vokal ste­ht, der zur sel­ben Silbe gehört: In rich wird es gesprochen (weil ein Vokal, das i, fol­gt), in guard aber nicht (weil ein Kon­so­nant, das d, fol­gt).

Dar­jeel­ing beste­ht nun aus drei Sil­ben: Dar|jee|ling. Das r ste­ht also am Sil­be­nende, nicht vor einem Vokal. Dementsprechend wird es in nicht-rho­tis­chen Vari­etäten des Englis­chen nicht aus­ge­sprochen. Und wie sind die jet­zt verteilt?

(Quelle: Wikipedia)

Es gibt zwar Gegen­den in den USA, wo man das /r/ nicht real­isiert (hier rot) … (Quelle: Wikipedia)

(Quelle: Wikipedia)

… und welche in Eng­land, wo man es real­isiert … (Quelle: Wikipedia)

… aber die Faus­tregel lautet: Im Stan­dard Amer­i­can Eng­lish über­all r, in der Received Pro­noun­ci­a­tion (dem Stan­dard­bri­tisch) nicht, genau­sowenig im aus­tralis­chen Englisch.

Man spricht davon, dass das r in Eng­land “ver­loreng­ing”. Die Amerikan­er hat­ten qua­si Glück, sie sind vor dem r-Ver­lust aus­ge­wan­dert und haben es entsprechend behal­ten. Die Sprech­er der US-Regio­nen ohne r haben es wahrschein­lich aus Pres­tige­grün­den abgelegt.

Viele Aus­tralier in spe hinge­gen kon­nten kein r mehr exportieren – sie stammten in erster Lin­ie aus Lon­don und Umge­bung, wo der Dialekt schon nicht mehr rho­tisch war. Durch die enge Bindung Aus­traliens an Großbri­tan­nien wurde die britis­che Aussprache als Norm ange­se­hen, wodurch das r natür­lich erst recht nicht mehr Fuß fassen konnte.

Alles klar?

Was ist jet­zt also mit dem Tee? Egal ob wir ihn britisch oder deutsch aussprechen, es wird ein Dajeel­ing draus und der Schreibfehler liegt auf der Hand. Nur die amerikanis­che Aussprache kön­nte sich­er davor schützen – ob sie einen Stil­bruch darstellt, soll aber lieber jemand anders entscheiden.

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Unförmige Gurken und zusammengewachsene Kirchen

Von Kristin Kopf
Rhein-Neckar-Zeitung, 28.5.2009

Rhein-Neckar-Zeitung, 28.5.2009

Na also! Es kann doch nicht sein, dass man jeden Mor­gen einen Press­espiegel erstellt und dabei nie auf bemerkenswerte Spracheigen­heit­en stößt! Diese hier wurde zwar im Sch­plock schon lang und bre­it besprochen, aber dass zusam­mengewach­sene Kirchen auf dem Lebens­mit­tel­markt auf Ablehnung stoßen, ist dur­chaus eine Mel­dung wert:

Kopie von gurken-groß

Guten Appetit und fro­he Mittagspause!

Heames kauft bei Amerzon

Von Kristin Kopf

Fol­gende Paket­be­nachrich­ti­gung erwartete uns am Sonntag:

2009-05-19-amerzon

Ein genauer­er Blick:

2009-05-19-amerzonklein

Amer­zon? Nicht so dumm, wie man im ersten Moment vielle­icht denkt. Hier haben wir einen klas­sis­chen Zusam­men­prall von Aussprache und Schrei­bung: Das vokalisierte r, in IPA: [ɐ].

Im Deutschen wird -r nach Vokal oft a-ähn­lich ausgesprochen: 

  • mir wird zu mia,
  • Kirche zu Kiache,
  • Uhr zu Ua.

Bedin­gung ist allerd­ings, dass der Vokal und das r zur sel­ben Silbe gehören: 

  • O-ra‑to-ri-um bleibt Ora­to­ri­um,
  • Ge-rüst bleibt Gerüst.

Auch die Kom­bi­na­tion -er als Ganzes wird häu­fig vokalisiert: 

  • Kinder zu Kinda,
  • Gärtner zu Gärtna,
  • hier zu hia.

Am Wor­tan­fang wird nicht das ganze er- zu [ɐ], son­dern nur das r:

  • Erwach­sene zu Eawach­sene.

Diese Aussprache führt dazu, dass beson­ders beim Schreiben­ler­nen häu­fig ein <a> geschrieben wird, wo eigentlich ein <r> oder ein <er> ste­hen müsste. Irgend­wo bei meinen Eltern liegt noch ein Bild, auf dem ich den “KINDAGEBUATSTAK BEI EMANUEL” dargestellt habe. Scanne ich euch bei Gele­gen­heit mal.

Was der Her­mes-Bote hier getan hat, ist qua­si das Gegen­teil: Er weiß, dass er häu­fig ein a spricht, wo eigentlich ein <er> ste­hen muss und kor­rigiert sich entsprechend – in diesem Fall zu viel: die Hyper­ko­r­rek­tur hat mal wieder zugeschla­gen. Wo er bei Ama­zon ein a spricht, ste­ht auch eines.

Der Fehler scheint gerne gemacht zu wer­den, immer­hin hat sich jemand die Mühe gemacht, www.amerzon.de zu reg­istri­eren. Die Seite sagt:

Bitte über­prüfen Sie Ihre Schreib­weise und ver­suchen Sie es erneut.”

(Ob der Besitzer der Seite etwas mit amazon.de zu tun hat, weiß ich nicht, bezwei­fle es aber. Er besitzt auch noch die Domain amanzon.de, die densel­ben Text bietet. Andere Leute treiben mit der Ähn­lichkeit richtig Schind­lud­er, die ver­linke ich jet­zt aber nicht.)

Ich habe die Schreib­weise auch mal gegooglet:

Suche dvd von der bun­deslade doku­men­ta­tion bitte nicht von amer­zon?” (Quelle)

Eine andere Frage bei BOD heist es in der Hil­fe nach der Freiga­be dauert es 14 Tage bis es bei Amer­zon erscheint, nun die Freiga­be ist 9 Tage her und es ist noch nicht mal auf der HP von BOD?? Ist das nor­mal?” (Quelle)

Ger­ade bei Amer­zon geschaut 19,95 €” (Quelle)

So bat Wern­er M. HELP um Hil­fe, doch auch uns gegenüber betonte Amer­zon, dass das Buch über den Ama­zon-Mar­ket­place gekauft wurde.” (Quelle)

Über­raschend daran finde ich, dass der Fehler gemacht wird, obwohl Ama­zon ein Name ist, den man ja in erster Lin­ie aus einem schriftlichen Medi­um kennt.

Und damit melde ich mich für den Rest der Woche ab, um auf die StuTS zu fahren – vielle­icht sehen wir uns da ja?

[Lesetipp] Rudi Keller über Sprachwandel

Von Kristin Kopf

Rudi Keller, seines Zeichens Entlehn­er der The­o­rie der unsicht­baren Hand in die Lin­guis­tik, hat der Süd­deutschen vor fast einem Jahr ein Inter­view gegeben. (Gefun­den hier.) Es geht, natür­lich, um Sprach­wan­del. Ich finde es eher so lala, vieles wird nur angeris­sen und bleibt dann kon­text­los ste­hen, aber die Grund­hal­tung ist mir sym­pa­thisch. Nur dass er davon spricht, dass die Sick-Leser i.d.R. nicht dazu in der Lage sind, das, was sie lesen, “umzuset­zen”, jagt mir einen kalten Schauer den Rück­en hin­unter. Herr bewahre uns!

Schade übri­gens, dass bei vie­len Leuten nur wenig angekom­men zu sein scheint, viele Kom­mentare klin­gen so, als seien nur die Zwis­chenüber­schriften gele­sen worden …

2009-05-04

Der ange­sproch­ene Auf­satz Kellers (von 2004) find­et sich übri­gens hier, darin wer­den fast alle im Inter­view ange­sproch­enen Punk­te aus­führlich­er behan­delt, dies­mal ohne die Ele­mente, die mir am Inter­view mißbe­ha­gen. Wis­senschaftlich gese­hen ist es Fast Food (leicht ver­daulich & nichts Neues), aber als all­ge­mein­ver­ständliche Darstel­lung ist es abso­lut zu empfehlen.

Falsche Freunde und wahre Worte

Von Kristin Kopf

2009-04-25-fauxamisKür­zlich habe ich eine schöne Liste mit falschen Fre­un­den aus dem Mit­tel­hochdeutschen gefun­den. “Falsche Fre­unde” ken­nt wahrschein­lich jed­er aus der Schule – Wörter, die sich täuschend ähn­lich sehen/täuschend ähn­lich klin­gen, aber völ­lig ver­schiedene Bedeu­tun­gen haben. Meis­tens entste­hen sie dadurch, dass zwei Sprachen ein und das­selbe Wort unter­schiedlich behan­deln – es kommt zu Bedeu­tungsverän­derun­gen, die nicht par­al­lel ver­laufen. (So macht z.B. das Englis­che aus einem ger­man­is­chen Wort etwas anderes als das Deutsche, ver­gle­iche gift ‘Geschenk’ und Gift.) Oder aber eine Sprache entlehnt ein Wort und es bekommt eine leicht (oder radikal) andere Bedeu­tung. (So z.B. ein franzö­sis­ches Lehn­wort im Deutschen.)

Falsche Fre­unde” im Mit­tel­hochdeutschen sind eigentlich nur die Vorgänger unser heuti­gen Wörter, bevor sie all die Bedeu­tungsver­schiebun­gen durchgemacht haben. Die Gefahr, dass wir sie in ihrer heuti­gen Bedeu­tung ver­ste­hen ist natür­lich beson­ders groß, weil es sich ja um eine Vorstufe des heuti­gen Deutschen han­delt und es erstaunlich oft ganz gut klappt, die neuhochdeutsche Bedeu­tung zu nehmen.

Ein paar willkür­liche Beispiele aus der Liste, wie immer mit ein­er Vernei­gung vor Kluges Ety­mol­o­gis­chem Wörterbuch:

Mit den Sinnen denken

Das mit­tel­hochdeutsche betraht­en ‘bedenken, erwä­gen, aus­denken’ bekam im Früh­neuhochdeutschen den Bedeu­tungszusatz ‘beim Anschauen erwä­gen’, machte also eine Bedeu­tungsv­eren­gung mit. Schließlich nahm der Aspekt des Anschauens über­hand, sodass betra­cht­en heute ‘anschauen’ heißt. Das Ele­ment des Nach­denkens find­et man noch im Wort Betra­ch­tun­gen. Solche Bedeu­tungsver­schiebun­gen passieren sehr häu­fig mit Wahrnehmungsver­ben und Ver­ben, die kog­ni­tive Vorgänge beschreiben (begreifen und erfassen z.B. kom­men aus der anderen Rich­tung, sie beze­ich­neten ursprünglich das konkrete Anfassen, beziehen sich jet­zt aber auf das Verstehen).

My home is my castle

ellende ‘fremdes Land, Fremde’ ist tat­säch­lich der Ursprung für unser heutiges Elend. Das Wort Land steckt sog­ar noch drin: Im West­ger­man­is­chen gab die Bil­dung *alja-landja- ‘außer Lan­des seiend’. Im Althochdeutschen fällt der Umlaut über das Wort her und macht elilen­ti daraus.1

Im Aus­land zu sein war ein­stens kein Spaß, meist war man da, weil man ver­ban­nt war – und so kam es, dass das Wort die Bedeu­tung ‘Unglück, Jam­mer’ annahm. Es hat also eine Bedeu­tungsver­schlechterung mitgemacht.

Das ist nicht witzig!

Das Wort witze heißt im Mit­tel­hochdeutschen ‘Wis­sen, Ver­stand, Besin­nung, Ein­sicht, Klugheit, Weisheit’. Es ist eine Ableitung von wis­sen. Im 17. Jahrhun­dert hat das franzö­sis­che Wort esprit auf den Witz eingewirkt, das sich in der Bedeu­tung mit ihm über­schnitt, aber zusät­zlich das ‘geistre­iche’ Ele­ment besaß. (Das nen­nt man Lehnbe­deu­tung: Ein vorhan­denes Wort entlehnt eine Bedeu­tung von einem Wort aus ein­er anderen Sprache.) So bekam Witz bald die Bedeu­tung ‘geistre­iche For­mulierung’ und im 18. Jahrhun­dert mussten Witze nicht mehr geistre­ich sein, das Wort hieß nur noch ‘Scherz’. So kann der Intellekt in den Schmutz gezo­gen wer­den … der Unter­gang des Abend­lan­des ist nahe …

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[Surftipp] Jenseits von ASCII

Von Kristin Kopf

Mal wieder ein Link, während ich noch auf eine Mail warte, die Infor­ma­tio­nen für den näch­sten inhaltlichen Beitrag liefern soll. Über Strange Maps gefun­den: Eine Karte mit ein­er Über­sicht über Son­derze­ichen in den Zeichen­sätzen europäis­ch­er Sprachen:

2009-04-20-ascii

Die Größe der Län­der ori­en­tiert sich an der Zahl der über Ascii hin­aus­ge­hen­den Zeichen ein­er Sprache, ein beliebtes Prinzip. Ein Wort der War­nung: Dass ein ungewöhn­lich­es Zeichen sich im Zeichen­satz befind­et, heißt noch lange nicht, dass es in der entsprechen­den Sprache unun­ter­brochen in Ver­wen­dung ist.

Man kann sich die Karte als Pdf herun­ter­laden oder sog­ar als Poster zuschick­en lassen.

2009-04-20-niederl

Willkür­lich her­aus­gepickt will ich ein bißchen was zum Nieder­ländis­chen sagen: Es hat sämtliche Vokale mit zwei Punk­ten drüber. Das sind aber nicht, wie im Deutschen für <ä, ö, ü>, Umlautze­ichen, d.h. man spricht sie nicht anders aus als <a, o, u>. Die Punk­te dienen vielmehr dazu, die Wort­struk­tur anzuzeigen und heißen Trema.

Die nieder­ländis­che Wikipedia zum Trema:

Het trema of deel­teken is een spelling­steken dat bestaat uit twee pun­t­jes die boven een klink­erteken wor­den gezet. Het trema geeft aan dat de ermee gemar­keerde klink­er het begin is van een nieuwe let­ter­greep en dus niet moet wor­den gelezen als zou hij samen met de er aan vooraf­gaande letter(s) een klank weergeven, zoals in knieën.

[Meine eilige Über­set­zung: Das Trema oder der Tren­npunkt ist ein Schriftze­ichen, das aus zwei Punk­ten beset­zt, die über Vokalze­ichen geset­zt wer­den. Das Trema zeigt an, dass der damit markierte Vokal den Anfang ein­er neuen Silbe darstellt und somit nicht so gele­sen wer­den darf, als würde er gemein­sam mit dem/den vor­ange­hen­den Buch­staben einen Laut wiedergeben, wie in knieën ‘Knie (Plur­al)’.]

Ein Wort wie nieder­ländisch knie ‘Knie’ (gesprochen fast wie im Deutschen) wird im Plur­al also in die Sil­ben knie-ën geteilt. (Im Deutschen sagen wir ja ein­mal “kni” und ein­mal “kni-je”, schreiben es aber bei­de Male gle­ich.) Beispiele für das Trema (aus dem Wikipediaeintrag):

  • <ä> tetraëder ‘Tetraed­er’
  • <ë> con­ciërge ‘Haus­meis­terIn’
  • <ï> egoïsme ‘Ego­is­mus’
  • <ö> coör­di­natie ‘Koor­di­na­tion’
  • <ü> reünie ‘Tre­f­fen’

Die so markierten Buch­staben wer­den also genau­so gesprochen wie ihre punk­t­losen Kol­le­gen, die Punk­te dienen nur der Silbentrennung.

Fälle, in denen die bei­den Punk­te wirk­lich einen Umlaut darstellen und somit einen ander­sklin­gen­den Laut beze­ich­nen, gibt es zwar auch, aber nur sehr wenige, näm­lich Fremd­wörter aus dem Deutschen, wie:

  • <ä> salon­fähig, einzel­gänger
  • <ö> fremd­kör­p­er
  • <ü> glüh­wein, über­haupt

Im Deutschen hinge­gen gibt es Trema­ta (d.h. in ihrer Nicht-Umlaut-Funk­tion) nur bei Eigen­na­men (i.d.R. aus anderen Sprachen) wie Cit­roën aus dem Franzö­sis­chen. Trema­ta auf <a, o, u> gibt es meines Wis­sens keine, es beste­ht also keine Verwechslungsgefahr.

Japaner kein Ch-Champion?

Von Kristin Kopf

Das BILD­blog hat heute einen Beitrag veröf­fentlicht, in dem es um fehler­hafte Worter­set­zun­gen in der Bild geht. Ein­er der Artikel han­delt von einem Japan­er namens Hasebe, der bei Wolfs­burg Fußball spielt. Bild schreibt zu sein­er deutschen Aussprache:

Mit­telfeld­mann Mako­to Hasebe (25) kann das “ch” nicht aussprechen, z.B. also Cham­pi­ons League. Sein Dol­metsch­er Yun­pei Yamamori: “Diesen Laut gibt es im Japanis­chen nicht.” Stattdessen kommt bei ihm immer ein “F”.

Selt­sam, denkt man sich – das <ch> in Champi­ons League wird doch als tsch (IPA: [tʃ]) aus­ge­sprochen, und mit diesem Laut soll­ten Japaner­In­nen eigentlich kein großes Prob­lem haben, besitzen sie doch einen, der aus­re­ichend ähn­lich klingt, das [ʨ]. Urteilt selb­st – wer keine Sprache mit diesem Laut spricht, wird ihn ziem­lich sich­er für ein [tʃ] hal­ten: お茶 ocha ‘Tee’ (auf das dritte Wort von oben klicken).

Lesen wir mal weiter …

Das Sprach­prob­lem amüsierte die Mannschaft beim Früh­stück. Hasebe bestellt “Grape-FruFFt statt “Grape-FruCHt.

Der Ver­dacht bestätigt sich: Es ist gar nicht der [tʃ]-Laut gemeint, son­dern der [χ]-Laut. Also das, was in deutschen Wörtern als <ch> geschrieben wird, nicht das, was in englis­chen Wörtern als <ch> geschrieben wird. Oder sprechen die Bil­dredak­teure etwa Cham­pi­on wie Chemie aus?

Den [χ]-Laut, wie er in Grape­frucht (was ich eh nur als Grape­fruit oder Pam­pel­muse kenne) vorkommt, existiert im Japanis­chen tat­säch­lich nicht.1

Wie kommt es jet­zt aber zum [f]?

Im Japanis­chen gibt es fünf Vokale, die (fast) immer auf einen Kon­so­nan­ten fol­gen. So entste­hen z.B. die Sil­ben ha, hi, ho, he, hu. Das u ist aber kein [u] wie im Deutschen, der Laut klingt etwas anders. Man notiert ihn in IPA als [ɯ] und er klingt wie ein [u] wenn man dabei die Lip­pen nicht run­det. Wenn [h] vor diesem Laut ste­ht, wird es zu ein­er Art [f] – ganz genau zu einem [ɸ]. Nah genug an [f] dran, um ihn dafür zu ver­wen­den (wie auch schon mit [ʨ] und [tʃ]).

2009-03-30-ipazeichen2[ɸ] kommt also eigentlich nur vor [ɯ] vor. Trotz­dem kann Herr Hasebe es auch ander­swo im Wort aussprechen, z.B. bei Grape­fruɸt, wo er das [χ], das seine Sprache nicht hat, durch das [ɸ] erset­zt, weil es einiger­maßen ähn­lich klingt.

Wie kam es also zur Cham­pi­ons League? Ich ver­mute2, dass Bild das Wort nur deshalb gewählt hat, weil es aus dem Bere­ich Fußball kommt und es vielle­icht lustig klingt, dass ein Fußballer ein so wichtiges Wort nicht aussprechen kann. Man ging also ein­fach nach dem ver­meintlichen Prinzip “Was gle­ich geschrieben wird, wird auch gle­ich aus­ge­sprochen” und erset­zte den wirk­lichen Aussprachefehler bei Grape­frucht durch den einge­bilde­ten bei Cham­pi­ons League.

Dass Hasebe wed­er das [tʃ] noch das [χ] aussprechen kön­nen soll, erscheint mir extrem unwahrschein­lich. Oder sagt er nicht nur Grape­fruft, son­dern auch Fambions League?

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[Buchtipp] Vernäht und zugeflixt!

Von Kristin Kopf

Ich hat­te gehofft, diese Woche noch etwas Span­nen­des schreiben zu kön­nen – geplant sind z.B. noch ein, zwei Beiträge zu Ver­wandtschaftssys­te­men. Da jet­zt aber meine Hausar­beit über sel­bige in den let­zten Zügen liegt und mor­gen fer­tig wer­den soll, gibt’s nur einen schnellen Buchtipp.

2009-03-27-vernahtBere­its let­ztes Jahr erschienen, ist “Ver­flixt und … Vernäht und zuge­flixt! Von Ver­sprech­ern, Flüchen, Dialek­ten & Co.” von Ilse Achilles und Ger­da Pigh­in zwar kein Geheimtipp mehr, aber emp­fohlen wer­den muss es den­noch noch – vor allem den­jeni­gen unter Euch, die nicht aus der Lin­guis­tikecke kommen.

Ziel des Pro­jek­tes war es, Sprach­wis­senschaft­lerIn­nen und inter­essierte Laien zusam­men­zubrin­gen, ein pop­ulär­wis­senschaftlich­es Buch mit Anspruch über Sprache zu schreiben. In elf Kapiteln stellen die Autorin­nen ver­schiedene The­men vor, die die Sprach­wis­senschaft beschäfti­gen. Jedes Kapi­tel hat eine Art “Pat­en” aus der akademis­chen Welt – Sprach­wis­senschaft­lerin­nen und Sprach­wis­senschaftler liefer­ten die Infor­ma­tio­nen, die Autorin­nen machen sie angenehm les­bar. Es geht z.B. um Sprach­wan­del, Jugend­sprache, Dialek­te, Rechtschrei­bung, Sprachen­ler­nen, Bilin­gual­is­mus, Fremd­wörter, Flüche, Ver­sprech­er, Gebär­den­sprache und Computerlinguistik.

Sprache ist ja so ein The­ma, bei dem es unglaublich viele selb­ster­nan­nte Experten gibt – dass man aber auch pop­ulär­wis­senschaftlich schreiben kann, ohne in die üblichen Schimpfti­raden über die Ver­lot­terung der Sprache, Denglisch und die Rechtschreibre­form zu ver­fall­en, wird hier unter Beweis gestellt. Wer sich bish­er noch nicht mit Sprach­wis­senschaft beschäftigt hat, wird in diesem Büch­lein einen wun­der­baren Ein­stieg find­en und ent­deck­en, dass man über Sprache auch ganz, ganz anders denken und urteilen kann, als das nor­maler­weise geschieht.

Hät­tet Ihr übri­gens errat­en, dass die Autorin­nen für Frauen­zeitschriften schreiben oder geschrieben haben?

Wir haben umler­nen müssen,” sagt Stein­bach, ein hochgewach­sen­er Mann, mit kräftigem Haar und angenehmem Lachen.

Nie im Leben, ne?

Ethymo- und Etnologie

Von Kristin Kopf

Heute hat jemand das Sch­plock mit dem Such­be­griff “ethy­mol­o­gisch” gefun­den (der Such­maschi­nen-Rechtschreib-Kor­rek­tur sei Dank!) – auch ein Fall von Hyper­ko­r­rek­tur: Weil wir bei Fremd­wörtern aus dem Griechis­chen dauernd irgendwelche <th>s schreiben, wird das auch manch­mal in Fällen gemacht, bei denen das <t> der Buch­stabe der Wahl wäre. (Schnell gegooglet: 271.000 Tre­f­fer für Ethy­molo­gie mit <th>, 289.000 mit <t> – *puh* Das war knapp!)

Wie kommt es, dass zwei Wörter, die aus der­sel­ben Sprache entlehnt wur­den und an der entschei­den­den Stelle gle­ich klin­gen, ver­schieden geschrieben werden?

Die Etymologie von Etymologie

Kluge ver­weist für Ety­molo­gie auf alt­griech. etymolo­gia ‘Lehre vom Wahren’, das über das Lateinis­che ins Deutsche entlehnt wurde.

Eth­nolo­gie hinge­gen geht auf alt­griech. éthnos ‘Volk, Schar’ zurück.

Tau vs. Theta

Was wir in lateinis­chen Buch­staben als <t> und <th> schreiben, sind im Griechis­chen zwei ver­schiedene Buch­staben: τ (Tau) und θ (Theta). Und auch zwei ver­schiedene Laute:

  • τ (Tau) klang im Alt­griechis­chen wie unser heutiges [t] in trinken,
  • θ (Theta) klang wie unser heutiges [] in taufen.

Bei der Schrei­bung von Wörtern mit diesen Buch­staben ori­en­tieren wir uns an der lateinis­chen Umschrift der Römer (die auch meis­tens zwis­chengeschal­tet waren, d.h. viele griechis­che Wörter wur­den aus dem Lateinis­chen entlehnt, nicht direkt aus dem Griechis­chen) – und die Römer nah­men für das Theta die Kom­bi­na­tion <th>.

Was ist der Unterschied?

[] ist ein soge­nan­ntes “aspiri­ertes T”. Das bedeutet, dass nach dem eigentlichen [t] noch ein klein­er Luftschwall fol­gt. Wir hören den Unter­schied im Deutschen i.d.R. nicht, weil er nicht bedeu­tung­sun­ter­schei­dend ist – das aspiri­erte T wird meist gesprochen, wenn es am Wor­tan­fang ste­ht und danach ein Vokal fol­gt, son­st kommt das “nor­male”. (Lei­der habe ich im Netz keine Audioauf­nahme gefun­den. Aber wenn man sich beim Sprechen genau zuhört und vielle­icht ein Blatt Papi­er vor den Mund hält – das bewegt sich bei aspiri­erten Laut­en –, kann man den Unter­schied schon bemerken.)

Das ist in anderen Sprachen anders – z.B. im Alt­griechis­chen.1 Dort sind [] und [t] so ver­schieden wie [t] und [d] im Deutschen.

Woher kommt’s?

Jet­zt wird es vage, wie das so ist, wenn man sich jen­seits schriftlich­er Quellen tum­melt. Griechisch ist ja eine indoger­man­is­che Sprache, wie das Deutsche auch, d.h. let­ztlich müssen diese Kon­so­nan­ten auf diesel­ben “Urkon­so­nan­ten” zurückgehen.

Für das Indoger­man­is­che set­zt man fol­gende Plo­sive2 an:3

  • p, t, k (“Tenues”)
  • bʰ, dʰ, gʰ (“aspiri­erte Medien”)
  • b, d, g (“Medi­en”)

Das alt­griechis­che geht wohl auf das idg. dʰ zurück – die aspiri­erten Medi­en wur­den näm­lich zu aspiri­erten Tenues, also stimm­los: idg. dʰ > pro­togriech. .

Die deutsche Entsprechung hat fol­gende Entwick­lung mit­gemacht: idg. dʰ > germ. ð (klingt wie engl. <th> in that) > west­germ. d > althochdt. t.4 Das griech. θύρα und das deutsche Tür sind z.B. miteinan­der ver­wandt. (Indogerm. hieß es *dʰw­er-.)

Mit dem geschriebe­nen <h> nach dem <t> kann das Deutsche also ein­fach nichts mehr anfan­gen – für Aspi­ra­tion gibt es ja Regeln: Eth­nolo­gie ist im Deutschen z.B. nicht aspiri­ert (weil das T nicht am Wor­tan­fang vor Vokal ste­ht), die alt­griech. Aussprache wird nicht berücksichtigt.

Das <th> in der Orthografie

Dass wir das <th> weit­er­hin fleis­sig schreiben, liegt daran, dass es in der deutschen Rechtschrei­bung kein starkes Prinzip zur Eingliederung von Fremd­wörtern gibt. Im anderen Sprachen wird auf die Orig­i­nalschrei­bung wenig Rück­sicht genom­men – Orthogra­phie heißt im Spanis­chen z.B. ortografía, Eth­nolo­gie ist etnología. Das Deutsche scheut sich vor so etwas. Dazu schreibe ich vielle­icht mal mehr.

Es gab einst ein <th> auch in Wörtern deutschen Ursprungs wie Thal, Thür, thun, Noth. Das <h> in solchen Wörtern wird im Grimm­schen Wörter­buch als Dehnungsze­ich­nen inter­pretiert: “[…] wobei h vor oder nach langem oder gedehn­tem vocal nur ein dehnungsze­ichen ist.”

Das “deutsche” <th> wurde bei der II. Orthographis­chen Kon­ferenz in Berlin 1901 abgeschafft, das Fremdwort-<th> wurde aus­drück­lich belassen.

Auch <ph> geht übri­gens auf ein pʰ zurück, und das <ch> in Wörtern griechis­chen Ursprungs auf kʰ. Dass <ph> im Deutschen als [f] aus­ge­sprochen wird (wie im mod­er­nen Griechis­chen übri­gens auch), kann ich nicht so gut erk­lären, es kön­nte etwas mit dem Lateinis­chen als Zwis­chen­schritt zu tun haben. Da werde ich aber noch nachforschen.

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Von der sluntrœr und der äffinn

Von Kristin Kopf

Heute will ich ein ganz altes Buch vorstellen: Das Buch der Natur. Kon­rad von Megen­berg beant­wortet alle Fra­gen, die die Men­schen im Mit­te­lal­ter quäl­ten, häu­fig mith­il­fe zuver­läs­siger Autoritäten wie Plin­ius oder Aris­tote­les. Darunter zum Beispiel:

Wie sieht es bei Tieren mit der Ver­mehrung aus?

  • diu kränchinn stêt, wenne si der kranch vogelt.
  • diu äffinn hât ain ding sam ain weip und der aff ainz sam ain hunt.
  • die störch tœtent iriu weip, diu êbrecherinn sint und sich niht gereinget habent in den wazzern nâch irr pôshait.

Warum bekommt man graue Haare?

daz hâr grâwet von der kel­ten des hirns, wenne diu nâtür­le­ich hitz sô krank wirt, daz si des hirns kel­ten nicht mag gesen­fti­gen, ez sei von alter oder von sor­gen oder von unfuor.

Und warum wer­den Män­ner kahl, Frauen aber nicht?

dar umb auch wer­dent die haizen man kal wenne si unkäusch pfle­gent, aber die frawen kalwent niht, dâ von daz si kel­terr nâtûr sint wan die man.

Wozu braucht man Augenbrauen?

Die augen­prâwe sint den augen nôt­dürftig, dar umb, wenn daz tier slâf, daz kain auzwendigz dinch in daz aug valle.

Was ist ein Echo?

Die stimm sint zwaier­lai: aineu ist hin­laufend, diu ander her­wider­laufend. diu hin­laufend ist die von dem ges­timten tier gêt hin­dan; diu wider­laufend die haizet ze latein echo, und geschi­ht wenn der ges­timt luft sich wider­stôzt an pau­men oder an häusern, die in ainem tal der­hœht sint und sô gele­gen sint, daz si den ges­timten luft ze samen hal­tent, daz er under der stimm form beleiben muoz.

Wozu ist eine Speis­eröhre gut?

Diu slun­trœr haizt ze latein ysoph­a­gus oder mery und ligt hin­den gegen dem hals. die rœrn haizt Aris­totiles des magen munt, dar umb, daz si rüert unz an der zun­gen ursprunch und nimt daz ezzen und daz trinken und tregt ez in den magen, daz ez diu nâtûr kocht und beraitt, daz ez nütz allen gelidern. 

Und wie war das mit der aus­gle­ichen­den Gerechtigkeit?

ez gêt auch daz kindel in die werlt des êrsten mit dem haupt. aber ez gêt wider auz der werlt des êrsten mit den füezen, wan man kêrt im die füez für, sô man ez ze grab tregt.

Das Buch ist ein wahrer Schatz, und ich habe den Ein­druck, dass man auch ein bißchen was davon ver­ste­hen kann, wenn man keine Ahnung von Mit­tel­hochdeutsch hat. 

Ein paar Hin­weise zur Schreibung:

  • <p> ist oft das heutige <b> — pôshait ‘Bosheit’, prâwe ‘Braue’, pau­men ‘Bäu­men’
  • <z> kann für heutiges <s> ste­hen — daz ‘dass’, muoz ‘muss’, füezen ‘Füßen’, ezzen ‘essen’
  • <e> kann für unser heutiges <ä> ste­hen — tregt ‘trägt’
  • <v> ste­ht oft für heutiges <f> - valle ‘falle’
  • Der Zirkum­flex zeigt an, dass ein Vokal lang ist.

Oh, und noch ein Dis­claimer, nicht dass ich mich Ver­stor­be­nen gegenüber poli­tisch inko­r­rekt ver­halte: Ich weiß, dass Kon­rad das nicht komisch gemeint hat und ern­stzunehmendes Wis­sen zusam­menge­tra­gen hat. Die ver­flosse­nen Jahrhun­derte haben allerd­ings einen gewis­sen Lustigkeits­fak­tor ins Spiel gebracht.