Als der Empfänger des Amerzon-Paketes und ich am Sonntag Tee tranken, konnten wir noch nicht ahnen, was das Leben auf der Rechnung für uns bereithielt: Das Gegenstück zum Hermes-Boten.
Wie bereits erklärt, wird das /r/ im Deutschen oft fast wie ein [a] ausgesprochen. Wenn vor dem /r/ aber bereits ein [a] steht, verschmilzt es quasi mit ihm1:
(1) Rhabarber → Rhababer
Das nicht mehr hörbare r wurde in diesem Fall entsprechend auch nicht geschrieben.
Ähnlich, aber nicht ganz identisch, verhält es sich mit
(2) Darjeeling → Dajeeling
Hier könnte wieder das deutsche Phänomen verantwortlich sein, es kann aber auch sein, dass wir die r-lose Aussprache schon mit dem Wort zusammen entlehnt haben.
Der Name der Teesorte kommt von der gleichnamigen Region und Stadt in Indien (auf Deutsch <Darjiling> geschrieben). Die spricht man auch im Original, d.h. im Nepali, mit einem r-Laut aus: Bei Wikipedia hören. Auch ein amerikanischen Wörterbuch wie Merriam-Webster hat eindeutig ein r dort.
Wir haben das Wort aber höchstwahrscheinlich von den Briten übernommen – fragt sich also, wie es in England ausgesprochen wurde und wird. Aha: ohne r (hier bei Youtube, 0:44).
Dafür gibt es einen einfachen Grund: “rhotische” und “nicht-rhotische” Varietäten. (Die Bezeichnung stammt vom griechischen Buchstaben Rho <ρ>, der unserem <r> entspricht.)
In rhotischen Varietäten des Englischen wird das <r> immer ausgesprochen, in nicht-rhotischen Varietäten hingegen nur manchmal. Und zwar immer dann, wenn es vor einem Vokal steht, der zur selben Silbe gehört: In rich wird es gesprochen (weil ein Vokal, das i, folgt), in guard aber nicht (weil ein Konsonant, das d, folgt).
Darjeeling besteht nun aus drei Silben: Dar|jee|ling. Das r steht also am Silbenende, nicht vor einem Vokal. Dementsprechend wird es in nicht-rhotischen Varietäten des Englischen nicht ausgesprochen. Und wie sind die jetzt verteilt?
… aber die Faustregel lautet: Im Standard American English überall r, in der Received Pronounciation (dem Standardbritisch) nicht, genausowenig im australischen Englisch.
Man spricht davon, dass das r in England “verlorenging”. Die Amerikaner hatten quasi Glück, sie sind vor dem r-Verlust ausgewandert und haben es entsprechend behalten. Die Sprecher der US-Regionen ohne r haben es wahrscheinlich aus Prestigegründen abgelegt.
Viele Australier in spe hingegen konnten kein r mehr exportieren – sie stammten in erster Linie aus London und Umgebung, wo der Dialekt schon nicht mehr rhotisch war. Durch die enge Bindung Australiens an Großbritannien wurde die britische Aussprache als Norm angesehen, wodurch das r natürlich erst recht nicht mehr Fuß fassen konnte.
Alles klar?
Was ist jetzt also mit dem Tee? Egal ob wir ihn britisch oder deutsch aussprechen, es wird ein Dajeeling draus und der Schreibfehler liegt auf der Hand. Nur die amerikanische Aussprache könnte sicher davor schützen – ob sie einen Stilbruch darstellt, soll aber lieber jemand anders entscheiden.