Im feuilletonistischen Eklat um verschiedene Formen der geschlechtergerechten Rechtschreibung, über die der Rechtschreibrat gestern erstmals beraten und mit denen er sich in den nächsten Monaten genauer beschäftigen will, wird immer wieder die Frage gestellt, wie man diese Formen den aussprechen solle. Genauer gesagt, es wird – im Einklang mit dem allgemein sehr selbstzufriedenen Ton der Kritiker/innen – unterstellt, dass man sie eben nicht aussprechen könne.
Tatsächlich lässt sich diese Frage beantworten (bzw. die Unterstellung aus der Welt räumen). Auch wenn die Kritier/innen es sich offenbar nicht vorstellen können, machen die Befürworter/innen geschlechtergerechter Sprache sich sehr ausführlich Gedanken über das, was sie tun, und lösen solche Probleme lange bevor sie den Kritiker/innen überhaupt auffallen.
Bei den sogenannten Sparschreibungen mit Schrägstrichen oder Klammern – also z.B. Kritiker/-in oder Befürworter(inn)en – ist die Sache einfach: Diese Formen sind als Abkürzung für Doppelformen gedacht und werden als solche gesprochen: Kritiker oder Kritikerin, Befürworterinnen und Befürworter usw.
Auch das Binnen‑I wird von manchen als Sparschreibung (Abkürzung) betrachtet, und wäre in diesem Fall genauso zu behandeln. Andere Betrachten es als eigene Form, und sprechen es einfach aus, ohne das Binnen‑I hervorzuheben – es klingt dann eben so wie das Femininum (Kritikerin, Befürworterinnen).
Interessant wird es beim Gendergap (Kritiker_in) und dem Gendersternchen (Kritiker*in). Diese sind ja explizit nicht als Abkürzungen der Doppelform gedacht, sondern sollen die darin enthaltene Zweigeschlechtlichkeit durchbrechen – die Lücke und das Sternchen sind hier Platzhalter für weitere mögliche Geschlechter. Dieser Platzhalter muss sinnvollerweise auch in der gesprochenen Sprache signalisiert werden – und dafür hat sich schon seit längerem eine linguistisch interessante Lösung etabliert.
Das Sternchen und die Lücke werden in der Aussprache durch einen stimmlosen glottalen Verschlusslaut wiedergegeben – ein Laut, den wir produzieren, indem wir die Stimmlippen („Stimmbänder”) kurz vollständig schließen.
Dieser Laut, der im Internationalen Phonetischen Alphabet durch das Symbol [ʔ] repräsentiert wird, steht im Deutschen (in den deutschen und österreichischen Dialekten) am Anfang jedes Wortes, das scheinbar mit einem Vokal beginnt. Das Wort Eklat, z.B., wird nicht [eklaː] ausgesprochen, sondern [ʔeklaː]. Das merken wir, wenn wir einen indefiniten Artikel davor setzen – ein Eklat. Wenn wir das aussprechen, hören wir eine kurze Pause vor Eklat, und das [e] hat einen klaren Ansatz: [aɪ̯n ?eklaː] (das Leerzeichen steht für eine kurze Pause).
Im Französischen, beispielsweise, ist das anders, dort gibt es diesen glottalen Verschlusslaut am Wortanfang nicht. Eclat wird hier tatsächlich [ekla] ausgesprochen, und wenn wir einen indefiniten Artikel davor setzen, fließen die Wörter ineinander [œnekla]. Auch an der Silbifizierung sehen wir die Effekte des glottalen Verschlusslauts: im Deutschen ist zwischen ein und Eklat eine Silbengrenze (hier durch einen Punkt dargestellt) – [aɪ̯n.?e.klaː]; im Französischen ist diese Silbengrenze in der Mitte des indefiniten Artikels un, das n bildet mit dem e von Eklat eine Silbe, die Wortgrenze wird ignoriert – [œ.ne.kla]. Im Schweizerdeutschen ist es übrigens wie im Französischen, ein Eklat wird dort [aɪ̯.ne.klaː] ausgesprochen.
Innerhalb von Wörtern kommt der stimmlose glottale Verschlusslaut im Deutschen selten vor, nämlich in Komposita (die ja aus zwei Wörtern bestehen) an der internen Wortgrenze, und bei manchen Präfixen („Vorsilben“), z.B. ver-: in den meisten Dialekten sagen wir beispielsweise für Verein [fɛɐ̯ʔaɪ̯n], und nicht [fɛˈʁaɪ̯n].
Vor Suffixen („Nachsilben“) kommt der glottale Verschlusslaut nie vor – bzw., er kam dort nie vor, bis eben manche Sprecher/innen angefangen haben, ihn als lautliche Repräsentation des Gendergap bzw. ‑sternchen zu verwenden. Während Ärztin z.B. [ɛːɐ̯tstɪn] ausgesprochen wird, wird Ärzt_in oder Ärzt*in [ɛːɐ̯tstʔɪn] ausgesprochen.
Das hat eine Reihe erwartbarer phonologischer Konsequenzen. So verändert es die Silbifizierung. Bei Ärztin bildet der Konsonant am Ende des Wortstammes gemeinsam mit dem Suffix eine Silbe – [ɛːɐ̯ts.tɪn], bei Ärzt_in/Ärzt*in wird das durch den glottalen Verschlusslaut verhindert – [ɛːɐ̯tst.ʔɪn]. In dieser Hinsicht verhält sich das Suffix jetzt lautlich wie ein eigenes Wort.
Aber interessanterweise nur in dieser Hinsicht. Alle anderen Prozesse, die man am Wortende erwarten würde, finden sich vor diesem Suffix nicht.
Zum Beispiel wird das er-Suffix im Deutschen phonologisch zu einem [ɐ], einer Art unbetonten, tiefen a: [kʁiːtɪkɐ]. Folgt ein Suffix, behält es seine eigentliche lautliche Form [əʁ], z.B. in Kritikerin: [kʁiːtɪkəʁɪn]. Vor dem glottalen Verschlusslaut in der Aussprache von Kritikerin behält es ebenfalls diese Form: [kʁiːtɪkəʁʔɪn]. Damit ist klar, dass vor dem Suffix keine Wortgrenze ist – die Gap/Sternchen-Version des Suffixes, [ʔɪn], bleibt trotz des glottalen Verschlusslauts ein Suffix.
Das zeigt sich auch an einem weiteren Phänomen des Deutschen, der Auslautverhärtung. Am Wortende sind im Deutschen keine stimmhaften Konsonanten erlaubt, wo ein Wort einen hätte, wird dieser stimmlos. Chirurg wird etwa [çiʀʊʁk] ausgesprochen, nicht [çiʀʊʁɡ]. Folgt ein Suffix, z.B. der Plural oder eben das feminine -in, bleibt das [ɡ] am Wortende stimmhaft: [çiʀʊʁɡən], [çiʀʊʁɡɪn]. Und auch bei der Gap/Sternchen-Variante bleibt es stimmhaft: [çiʀʊʁɡʔɪn].
Schließlich sieht man auch am Wortakzent, dass das Gap/Sternchen-Suffixes [ʔɪn] sich wie ein Suffix verhält. Im Deutschen werden romanische Lehnwörter, die auf das Suffix -or enden, auf der vorletzten Silbe betont (hier durch Großbuchstaben symbolisiert): MOtor, AUtor, proFESSor, alliGAtor, modeRAtor. Kommt ein Suffix dazu, verschiebt sich der Wortakzent auf das Suffix selbst, so dass er wieder auf der vorletzten Silbe liegt: moTOren, auTOren, profeSSOrin, alligaTOren, moderaTOrin. Beim Gap/Sternchen-Suffix [ʔɪn] verschiebt sich der Wortakzent ebenfalls auf diese Weise (in der phonetischen Transkription steht ein Apostroph vor der betonten Silbe: Moderator [modeˈʀaːtoːɐ̯], Moderatorin [modeʀaˈtoːʀɪn], Moderator*in [modeʀaˈtoːʀʔɪn]. Die Aussprache dieser drei Wörter ist hier zu hören:
Wir sehen: Mit dem stimmlosen glottalen Verschlusslaut am Anfang eines Suffixes betreten die Verwender/innen dieser Formen phonologisches Neuland, da der Laut an dieser Stelle bisher nicht stehen konnte. Da schon die orthografischen Formen mit Gendergap oder ‑sternchen bei manchen Kollegen (kein generisches Maskulinum) Ängste vor einer bevorstehenden Zerstörung der deutschen Sprache auslösen, kann man sich vorstellen, wie sie reagieren würden, wenn sie vom [ʔɪn]-Suffix erführen. Da sie nichts zur Kenntnis nehmen, was irgendjemand zum Thema Gender schreibt, wird das zum Glück nicht passieren.
Es besteht aber keine Gefahr fürs Deutsche – die oben diskutierten Phänomene zeigen, dass die lautliche Struktur der betreffenden Wörter voll erhalten bleibt, dass sich das [ʔɪn]-Suffix also trotz seiner ungewöhlichen lautlichen Form voll in die Morphologie und Phonologie des Deutschen integriert.
Wir werden also die deutsche Sprache in all ihrer geschlechtergerechten und ‑ungerechten Vielfalt noch sehr lange genießen dürfen.