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[Ostern] Karfreitag

Von Kristin Kopf

Hier haben wir doch noch einen Tag, der den Kum­mer aus­drückt, mit dem es am Grün­don­ner­stag nichts wurde. Kar- geht auf althochdeutsch kara ‘Kum­mer, Sorge’ zurück (übri­gens ver­wandt mit dem englis­chen care). Ein Blick in Grimms Wörter­buch zeigt aber, dass das Wort Kartag ursprünglich nicht all­ge­mein einen trau­ri­gen Tag beze­ich­nete, son­dern einen ganz bes­timmten trau­ri­gen Tag: den “tag an welchem ein ver­stor­ben­er unter klaggeschrei beerdigt und dann das leichen­mahl gehal­ten wird” (DWB). Im Zim­brischen, ein­er deutschen Sprachin­sel in Ital­ien, hat es diese Bedeu­tung noch heute.

Quelle: Wikipedia

Quelle: Wikipedia

Der Kar­fre­itag ist also ein­fach der Tag, an dem Jesus dem christlichen Glauben nach starb und prompt beerdigt wurde. Im Mit­tel­hochdeutschen hieß der Tag karvrî­tac oder schlicht kar­tac.

Auch heute habe ich mich ein bißchen im restlichen Europa umgesehen:

  • heiliger Fre­itag’: Spanisch (Viernes San­to), Franzö­sisch (Ven­dre­di saint), Ital­ienisch (Ven­erdì San­to)
  • guter Fre­itag’: Nieder­ländisch (Goede Vri­jdag), Englisch (Good Fri­day) – Zumin­d­est im Englis­chen kommt es von der ursprünglichen Bedeu­tung ‘heilig’.
  • großer Fre­itag’: Rus­sisch (Великая пятница), Tschechisch (Velký pátek), Pol­nisch (Wiel­ki Piątek), Ungarisch (Nagypén­tek), Est­nisch (Suur reede), Rumänisch (Vinerea Mare)
  • Lei­dens­fre­itag’: Rumänisch (Vinerea Patim­ilor)
  • langer Fre­itag’: Schwedisch (Långfreda­gen), Dänisch (Langfredag), Nor­wegisch (Langfredag), Finnisch (Pitkäper­jan­tai) – Im Englis­chen scheint es auch ein­mal einen Long Fri­day gegeben zu haben, “due to the long fast imposed upon this day”.  Ob das die richtige Ety­molo­gie ist, weiß ich allerd­ings nicht.

[Ostern] Gründonnerstag

Von Kristin Kopf

So, jet­zt wird hier mal wieder ein bißchen ety­mol­o­gisiert! Die Kar­woche bietet dafür ja wirk­lich mehr als genug Gele­gen­heit – los geht’s mit dem Grün­don­ner­stag. In mein­er Kind­heit wurde immer behauptet, das Erst­glied gehe auf mit­tel­hochdeutsch grî­nen ‘den Mund weinend/knurrend/winselnd/lachend verziehen’ zurück und drücke qua­si die Trau­rigkeit über die Gefan­gen­nahme Jesu aus. Weil greinen im Ale­man­nis­chen heute noch ein das Wort für ‘weinen’ ist, erschien mir diese Erk­lärung immer sehr einleuchtend.

2009-04-09-grunDoch Kluge hat eine Über­raschung parat: Im Mit­tel­hochdeutschen gab es die Fügung der grüene don­er­stac bere­its und somit einen ein­deuti­gen Bezug zur Farbe Grün. Aber was hat das Grün mit diesem Tag zu tun? Kluge und die Grimms sagen: In religiös­er Hin­sicht kaum etwas.

die deu­tung von gr. bleibt umstrit­ten, doch ist der name sichtlich eher volk­sthüm­lichen als kirch­lichen gepräges (DWB)

Bei­de bieten als mögliche Erk­lärung an, dass es Brauch war, an diesem Tag (grüne) Kräuter zu essen:

das reich und vielfältig entwick­elte brauchthum am gr., der genusz heil­brin­gen­der kräuter, das grün­don­ner­stag­sei (ant­laszei), der gr. als ter­min der säens und pflanzens u. s. w., […], läszt wie bei ostern an einen nach­hall vorchristlich­er übung denken; ob ihm, wie HOLTZMANN […] ver­mutet, ein Donars­fest im mai zugrunde liegt, bleibt uner­weis­lich (DWB)

Ist die schöne The­o­rie vom Greinen also wirk­lich nicht zu ret­ten? Muss der Grün­don­ner­stag den Hei­den über­lassen wer­den? In den kryp­tis­chen Lit­er­at­u­rangaben Kluges find­et sich doch noch ein Mini­hin­weis auf eine alter­na­tive Ety­molo­gie mit einem ganz ähn­lich klin­gen­den Wort – momen­tan habe ich aber keine Zeit (Habe ich erwäh­nt, dass ich sche­in­frei bin?), die entsprechen­den Zeitschriften und Büch­er herauszusuchen:

HWDA 3 (1931), 1186 f. Anders (Umdeu­tung von ahd. grun stm./stf. ‘Jam­mer, Unglück’): H. Jeske SW 11 (1986), 82–109; LM 4 (1989), 1752 f.”

Let­ztlich bleibt also rät­sel­haft, wie der Tag zu sein­er Farbe kam. Ich habe mich mal in anderen Sprachen Europas umge­se­hen um her­auszufind­en, was noch als Benen­nungsmo­tiv dienen kann:

  • ‘heiliger Don­ner­stag’: Spanisch (Jueves San­to), Ital­ienisch (giovedì san­to), Franzö­sisch (jeu­di saint), Rus­sisch (свято́й четве́рг)
  • großer Don­ner­stag’: Pol­nisch (Wiel­ki Czwartek), Ungarisch (Nagyc­sütörtök), Est­nisch (Suur nel­japäev), Rumänisch (Joia Mare)
  • weißer Don­ner­stag’: Nieder­ländisch (Witte Don­derdag) – wahrschein­lich wegen der litur­gis­chen Farbe Weiß.
  • Fußwaschungs­don­ner­stag’: Englisch (Maun­dy Thurs­day)
  • Reini­gungs­don­ner­stag’: Schwedisch (Skär­tors­da­gen), Nor­wegisch (Skjær­tors­dag), Dänisch (Skær­tors­dag) – schwed. skära und seine Entsprechun­gen heißen eigentlich ‘schnei­den’, haben hier aber wohl eine andere Bedeu­tung.

Aber der grüne Don­ner­stag ist doch nicht ganz einmalig:

  • Tschechisch: Zelený čtvrtek. Die tschechis­che Wikipedia sug­geriert irgen­deine Art von deutschem Ein­fluss (inklu­sive greinen), aber mehr kon­nte ich nicht errat­en. Wenn hier jemand Tschechisch kann … [break­ing news: Meine Fre­undin Esther hat’s über­set­zt: Der zitierte Bischof behauptet tat­säch­lich, es käme vom deutschen Grein­don­ner­stag, der durch Lautver­tauschung zum Grün­don­ner­stag gewor­den sei. Quellen gibt er dazu aber keine an, es ist also Vor­sicht geboten. Auch lustig: In Tschechien scheint man am Grün­don­ner­stag tra­di­tionell Spinat zu essen.]
  • Rumänisch: Joia Verde. Ist neben Joia Mare (s.o.) in meinen Wörter­buch angegeben. Ich kön­nte mir einen deutschen Ein­fluss über die Sieben­bürg­er Sach­sen gut vorstellen, will mich aber nicht zu weit aus dem Fen­ster lehnen.

Beze­ich­nun­gen in weit­eren Sprachen her­zlich willkom­men! Jens ja Lin­da, wie ist es mit Finnisch? Ich bilde mir ein, die Wort­gren­ze gefun­den zu haben (Kiiras|torstai), komme aber man­gels Struk­tur­wis­sen nicht auf die Nen­n­form des Erstglieds.

… der weiß nicht, was er will

Von Kristin Kopf

Willkom­men im April! Ich hoffe, Euch macht heute kein­er zum Aprill­snar­ren:

APRILLSNARR, m. pois­son d’avril, engl. april’s fool, april­fool: selb­st die übri­gen, die man hier als lächer­lich hin­ter­gangne april­snar­ren (dupes) beze­ich­net. GÖTHE 46, 161. im nördlichen Eng­land sagt man april­gouk, aprils­gauch, kukuk. BRAND pop­u­lar antiq­ui­ties ed. Hal­li­well. Lond. 1848. 1, 139.

Inter­es­sant, dass es das Wort heute gar nicht mehr gibt, dafür aber den Aprilscherz. Eine kurze Recherche im DWDS fördert let­zteren in den let­zten hun­dert Jahren 49-mal zutage, ersteren hinge­gen über­haupt nicht. Im W‑Archiv der geschriebe­nen Sprache von Cos­mas-II gibt grade mal es einen April­snar­ren, allerd­ings in einem Liedti­tel (und den Aprilscherz 1039-mal).

Mey­ers Großes Kon­ver­sa­tions-Lexikon von 1905 ken­nt den April­snar­ren noch (dafür den -scherz nicht), so lange kann sein Tod also nicht her sein:

April­snarr, Spot­tname eines »in den April Geschickten«.

Wann ist der Narr also ver­schwun­den und der Scherz aufge­taucht? Haben die bei­den sich gegen­seit­ig abgelöst? Oder ist der Narr gar nicht tot, son­dern nur extrem sel­ten? So viele Fragen …

Egal wie – auf einen guten April! Ohne sein Wetter:

  • APRILLENWETTER, m. her­ren­gun­st und april­len­wet­ter sind verän­der­lich; april­len­wet­ter, män­ner­schwüre. FR. MÜLLER 1, 292.
  • APRILLENZEIT, f.

dein lieb­ster war ein junges blut,
und junges blut hegt wankelmut
wie die aprillenzeit.
BÜRGER 47a.

Snack su Silvester: Seeunkraut

Von Kristin Kopf

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Ein schön­er Fall, der zeigt, dass bei zusam­menge­set­zen Wörtern (Kom­posi­ta) die Teilbe­deu­tun­gen nicht automa­tisch die Gesamtbe­deu­tung ergeben — und dass man entsprechend ganz schön daneben­liegen kann, wenn man die Einzelbe­standteile wörtlich übersetzt:

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Manch­mal wur­den solche wörtlichen Über­set­zun­gen übri­gens zu “richti­gen” deutschen Wörtern — allerd­ings meis­tens nur, wenn es entwed­er noch kein deutsches Wort dafür gab, oder das Wort aus irgen­deinem Grund als inadäquat emp­fun­den wurde.
So etwas nen­nt man dann Lehnüber­set­zung: Hellse­her (frz. clair­voy­ant), Einkauf­szen­trum (engl. shop­ping cen­ter), allmächtig (lat. omnipotens).

Mischievous Michif

Von Kristin Kopf

Ich lese span­nende Büch­er und muss drin­gend erzählen, was drin ste­ht!
Aber erst die Quelle:

Peter Bakker (1997): A Lan­guage of Our Own. The Gen­e­sis of Michif, the Mixed Cree-French Lan­guage of the Cana­di­an Métis. New York, Oxford.

Michif ist eine Sprache, die aus zwei Sprachen beste­ht, die sich auf sehr ungewöhn­liche Weise miteinan­der ver­bun­den haben — näm­lich fein säuberlich.

Lexik

Die eine Hälfte (Ver­ben, Demon­stra­ti­va) ist Plains Cree, die andere (Nomen, Adpo­si­tio­nen, Per­son­al­pronomen, Numer­alien) ist Franzö­sisch. Adjek­tive, Adver­bi­en, Quan­tifika­toren und andere Funk­tion­swörter kön­nen aus bei­den Sprachen stammen.

Phonolo­gie

Es gibt zwei ver­schiedene Phonem­sys­teme in Michif — selb­st wenn ein Phonem in bei­den Teilen vorkommt, hat es immer noch ver­schiedene Allo­phone. Nur im frz. Teil hat sich eine Art Vokalhar­monie entwick­elt (die es natür­lich im “richti­gen” Franzö­sisch nicht gibt, aber vielle­icht in dem frz. Dialekt der als Basis für Michif diente, das ist noch nicht erforscht). Die bei­den Sys­teme bee­in­flussen sich also nicht gegen­seit­ig — mit ein­er klitzek­leinen Aus­nahme, näm­lich der Cree-Beto­nung, die den frz. Teil in eini­gen Fällen (drei- oder mehrsil­bige Wörter) beeinflusst.

Syn­tax

Die Wort­stel­lung ist wie im Cree, näm­lich sehr frei. Inner­halb der Nom­i­nalphrase ist sie wie im Französischen.

Die Kon­gruen­zsys­teme der bei­den Sprachen verbinden sich — im frz. Teil maskulin/feminin in der NP, im Cree belebt/unbelebt — die frz. Nomen wer­den also als belebt oder unbelebt klas­si­fiziert und entsprechend kon­gruiert dann das Cree-Verb.

Mor­pholo­gie

Manch­mal kön­nen frz. Wörter Cree-Affixe haben, aber das kommt eher sel­ten vor.

Und wer macht sowas?

Gesprochen wird Michif von den Métis in Kana­da und Nor­dameri­ka, ein Volk, das sich eben­so fein säu­ber­lich ver­bun­den hat: Die Män­ner waren europäis­che Pelzhändler, die Frauen Cree-Indi­aner­in­nen. Heute gibt es weniger als 1000 Sprecherin­nen und Sprech­er, zu Spitzen­zeit­en waren es aber auch nur max­i­mal 3000. Die meis­ten von ihnen sprechen wed­er Franzö­sisch noch Cree.

Das Buch von Bakker hat sich zum Ziel geset­zt, her­auszubekom­men, wie es zu dieser ungewöhn­lichen Mis­chung kam. Bish­er hat er allerd­ings nur Hypothe­sen ver­wor­fen, die eh nicht ern­stzunehmen waren, ich warte noch auf die magis­che Lösung … wenn die kommt, sage ich natür­lich Bescheid, und ich suche auch noch ein paar schöne Beispiel­sätze aus!

Update:

Ich habe natür­lich schon lange her­aus­ge­fun­den, was Bakker denkt, auch wenn ich das Buch lei­der nicht zu Ende lesen kon­nte. Uuu­u­u­und zwar:
Es han­delt sich um ein absichtlich geschaf­fenes Phänomen, um die neue kul­turelle Iden­tität der Métis zu stärken. Das denkt auch Sarah Grey Thoma­son, ich bin mir aber noch nicht so sich­er, ob ich es so plau­si­bel finde. Sollte ich mal wieder in die Nähe des Bakker-Buch­es kom­men, lasse ich mich aber gerne eines Besseren belehren.

Oh, und der ver­sproch­ene Beispiel­satz:
æ be:bi la præses ki:-aja:w‑e:w
ART:Sg. Baby ART:Sg. Prinzessin PRÄT-haben-TRANS.ANIM.3.>3.Sg.
‘Die Prinzessin hat­te ein Kind.’
(Bakker/Papen 1997:336)