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In eigener Sache

Von Kristin Kopf

Gestern habe ich meine Mag­is­ter­ar­beit angemeldet: “Flex­ion­sklassen diachron und dialek­tal: Das Sys­tem der Sub­stan­tivk­lassen im Ale­man­nis­chen

Und nicht nur weil der Kom­men­tar der Sach­bear­bei­t­erin im Dekanat lautete “Äh, ja. Schön geschrieben, das kann ich gut abtip­pen”, will ich noch ein bißchen mehr dazu sagen:

1. Flexionsklassen & Substantivklassen

Darum ging es schon ein­mal in Oh Herz Jesu, meine Kasus! Ganz kurz gesagt: Flex­ion­sklassen gibt es für alle flek­tieren­den Wortarten.

Für Ver­ben heißt die Flex­ion auch Kon­ju­ga­tion. Ver­ben besitzen im Deutschen je nach Numerus (Ein- oder Mehrzahl), Per­son (1., 2., 3.), Tem­pus (Präsens, Prä­ter­i­tum, …), Modus (Indika­tiv, Kon­junk­tiv, Imper­a­tiv) ver­schiedene For­men. Alle ver­schiede­nen For­men eines Verbs zusam­mengenom­men nen­nt man Par­a­dig­ma. Alle Ver­ben, die auf die gle­iche Weise kon­jugiert wer­den, gehören zusam­men zu ein­er Klasse. Das ist für das Deutsche nicht so leicht einzuteilen, bei Sprachen wie Spanisch geht es bess­er: Die Infini­tiven­dung Vokal+r beste­ht bei manchen Ver­ben aus i+r, bei anderen aus a+r oder e+r. Je nach Vokal wird anders konjugiert.

Bei Sub­stan­tiv­en spricht man von Dek­li­na­tion. Ein Sub­stan­tiv benötigt im Deutschen die Infor­ma­tio­nen Kasus (Nom­i­na­tiv, Gen­i­tiv, Dativ, Akkusativ), Genus (maskulin, fem­i­nin, neu­trum), Numerus (Sin­gu­lar, Plur­al) und Definitheit (bes­timmt, unbes­timmt). Genus und Definitheit wer­den nur am Artikel markiert, Kasus und Numerus sowohl am Sub­stan­tiv als auch am Artikel.

Die Sub­stan­tivk­lassen wer­den im Deutschen also an Kasus und Numerus fest­gemacht. Im Gen­i­tiv kön­nen Sub­stan­tive z.B. auf -(e)s enden (des Mannes), oder auf -(e)n (des Bären), oder völ­lig endungs­los sein (der Frau_). Im Plur­al gibt es unglaublich viele Möglichkeit­en: die Männer, die Frauen, die Nächte, die Autos, die Nägel, die Wagen, … Die Sub­stan­tivk­lassen teilt man durch die Kom­bi­na­tion von Gen­i­tiv Sin­gu­lar und Nom­i­na­tiv Plur­al ein. Alle Sub­stan­tive, die diese bei­den For­men auf die gle­iche Weise bilden, bilden auch alle anderen For­men iden­tisch. Eine sehr schöne Über­sicht find­et Ihr auf canoo.net.

2. Diachron & dialektal

Diachron (oder diachro­nisch) kommt von griechisch dia ‘(hin)durch’ und chronos ‘Zeit’. Das Adjek­tiv beze­ich­net eine Vorge­hensweise, bei der man Sprache über einen län­geren Zeitraum hin­weg (Jahrhun­derte, nicht Tage) betra­chtet und die Verän­derun­gen unter­sucht. In meinem Fall werde ich schauen, wie die Sub­stan­tive im Althochdeutschen eingeteilt waren und wie und warum sich diese Ein­teilung zum Neuhochdeutschen hin verän­dert hat. Das Gegen­stück zu diachron ist syn­chron, die Betra­ch­tung eines Sprach­sys­tems zu einem bes­timmten Zeitpunkt.

Dialek­tal bezieht sich auf Punkt 3:

3. Alemannisch

Im Ale­man­nis­chen unter­schei­den sich die Klassen sowohl vom althochdeutschen als auch vom neuhochdeutschen Sys­tem. Es gibt zum Beispiel keinen Gen­i­tiv mehr, der Plu­ral­mark­er alleine bes­timmt über die Sub­stan­tivk­lasse. Ich unter­suche zwei Orts­di­alek­te im ale­man­nis­chen Sprachraum und schaue, wie die Klassen da eingeteilt sind.

Ein paar Aspek­te zum The­ma find­et Ihr auch schon auf dem Schplock:

Unter einem Teppich stecken …

Von Kristin Kopf

Kür­zlich habe ich mit meinen Eltern tele­foniert und wollte dabei eine Wort­form im badis­chen Dialekt wis­sen. Es ging mir um das Wort Decke, das ja zwei Bedeu­tun­gen hat: Ein­mal die ‘Zim­merdecke’ und ein­mal die ‘Decke zum Zudeck­en’. Die Zim­merdecke heißt Deg­gi und in der Mehrzahl Deg­gine. Das ist eine spez­i­fisch ale­man­nis­che Plu­ral­form, über die ich bes­timmt dem­nächst mehr schreiben werde.

Woran ich jet­zt zweifelte war, dass das Wort in der Bedeu­tung ‘Decke zum Zudeck­en’ auch den ne-Plur­al bildet. (Meine Hypothese war, dass es in der Ein­zahl Deck und in der Mehrzahl Decke hieße.) Also fragte ich meine Mut­ter ganz direkt. Das ist eine schlechte Meth­ode, weil sie so eine Chance hat­te, nachzu­denken. Da wir aber eh schon über Plu­rale sprachen und sie somit bere­its über For­men­bil­dung nach­dachte, war eh nichts mehr zu ret­ten. Wie erwartet zögerte sie und wusste nicht so richtig, was die Mehrzahl war. Also wurde sie inves­tiga­tiv tätig …

Meine Mut­ter zu meinem Vater: Du, was isch sell wu ma sich noochds mit zuedeckt?
Mein Vater: Ha e Deckbett.
Meine Mut­ter: Un häm­mir nur eins defu?
Mein Vater: Nai, mir hän mäh Deckbedder.
Meine Mut­ter zu mir: Deckbed­der!
Ich: Ja Mama, aber das ist ja die Mehrzahl von Bett, nicht von Decke.
Meine Mut­ter: Aaah, ja, stimmt. Wardemol.
Meine Mut­ter zu meinem Vater: Un im Winder, wenn’s kalt isch, was nimm­sch donn noch dezue?
Mein Vater: E Dep­pich.
(Über­set­zung)

So endete die tele­fonis­che Feld­forschung mit ein­er uner­warteten Fest­stel­lung: Das, was im Hochdeutschen als Decke beze­ich­net wird (Bettdecke, Zudecke, Pick­nick­decke, …), wird im Badis­chen durch andere Wörter abgedeckt. Die Bettdecke durch Deck­bett (gibt’s im Hochdeutschen ja auch) und jede andere Form ein­er tex­tilen Decke als Tep­pich.

Weil ich mir aber soooo sich­er war, dass es auch Decke irgend­wie geben muss, habe ich mich auf der ale­man­nis­chen Wikipedia umge­se­hen, und siehe da: die Tis­chdecke ist kein Tischteppich!

Ing­var Kam­prad het mit sinere Fir­ma am Afang aller­lei ver­schi­deni Ware, dorun­der Chugelschriber, Brief­dasche, Bilder­rämme, Dis­chdeck­ene, Uhre, Zünd­höl­zli, Schmuck un Nylon­strümpf ver­chauft. (Quelle)

[Ing­var Kam­prad hat mit sein­er Fir­ma am Anfang aller­lei ver­schiedene Waren, darunter Kugelschreiber, Brief­taschen, Bilder­rah­men, Tis­chdeck­en, Uhren, Stre­ich­hölz­er, Schmuck und Nylon­strümpfe verkauft.]

Jet­zt mal schauen, wie meine Mut­ter die badis­che Form dazu aus meinem Vater herauslockt …

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Schuttertal revisited

Von Kristin Kopf

(Ergänzun­gen zu: Am Pas­cal seine Mut­ter | Wer­be­hefter für Motogross­ren­nen)

Nach­dem ich gestern – nicht primär für das Sch­plock – eine Stunde vor dem Regal mit Dialek­tbeschrei­bun­gen in der Insti­tuts­bib­lio­thek ges­tanden habe, gibt es noch ein paar Kleinigkeit­en zum Ale­man­nis­chen nachzu­tra­gen, lustiger­weise aus einem Buch, das Lehrerin­nen helfen soll, Dialek­te­in­flüsse aus dem Ale­man­nis­chen zu erken­nen und die Schüler dafür zu sen­si­bil­isieren. Darin wer­den Schüler­fehler analysiert und erk­lärt, also sehr ähn­lich wie das, was ich hier gemacht habe. Dann mal los:

Am Pascal seine Mutter …

… scheint ein beliebter Fehler zu sein. Zur Erin­nerung: dem wird dialek­tal so aus­ge­sprochen, dass es nur noch wie äm oder am klingt, weshalb das Kind hier am Pas­cal statt dem Pas­cal geschrieben hat. (Dass die Namen Artikel haben, ist ja auch über das Ale­man­nis­che hin­aus verbreitet.)

Das Buch hat ein Beispiel, in dem es eigentlich um die falsche Flex­ion von Her­rn geht, wo es auch zu ein­er solchen Rein­ter­pre­ta­tion kam:

(1) wir woll­ten im Herr Lehrer die Hose zunähen ‘wir woll­ten dem Her­rn Lehrer die Hose zunähen’

Der reduzierte Vokal vor dem [m] wurde hier als [i] analysiert, in meinem Pas­cal-Beispiel als [a], aber der Effekt ist sehr ähnlich.

Werbehefter für Motogrossrennen

Das Büch­lein gibt noch eine ganz ordentliche Aus­beute an Sub­stan­tiv­en her, die im Ale­man­nis­chen den Plur­al mit -er bilden, im Hochdeutschen aber nicht. Im Orig­i­nal­beitrag habe ich ja schon Heft Hefter und StückStück­er genan­nt, die kom­men in der Liste auch vor, und zusät­zlich gibt es:

  • Stein – Steiner
  • Seil – Seiler
  • Bein – Beiner
  • Ding – Dinger
  • Geschenk – Geschenker
  • Scheit – Scheiter
  • Bett – Better
  • Geschäft – Geschäfter
  • Hemd – Hemder
  • Spiel – Spieler
  • Gewicht – Gewichter
  • Men­sch – Menscher
  • Geschmack – Geschmack­er (kommt mir ohne Umlaut selt­sam vor)
  • Unglück – Unglücker
  • Schick­sal – Schick­saler (kommt mir ohne Umlaut selt­sam vor)
  • Gewehr – Gewehrer
  • Geschirr – Geschirrer
  • Hag – Häger
  • Brot – Bröter
  • Ross – Rösser
  • Ort – Örter

Nicht alle davon ver­wen­det man im Schut­ter­tal, aber sehr viele kom­men mir sehr ver­traut vor.

Werbehefter für Motogrossrennen

Von Kristin Kopf

Neues aus Schut­ter­tal … nach­dem wir alles über am Pas­cal seine Mut­ter wis­sen, geht es heute um Frau Schwab und das, was sie so macht:

Näm­lich Wer­be­hefter.

Im Hochdeutschen gibt es zwar das Wort der Hefter (Plur­al: die Hefter), das eine Mappe zum Ein­heften beze­ich­net (oder gele­gentlich einen Tack­er). Wahrschein­lich wurde es aus dem Verb­stamm von heften und der Endung -er gebildet, so wie Bohrer aus bohren+er, Steck­er aus stecken+er, und so weiter.

Dieses Wort ist hier aber nicht gemeint, es geht vielmehr um Prospek­te, also Werbehefte. Der Plur­al auf -er bei diesem Wort ist eine dialek­tale Eigen­heit: KindKinder, LiedLieder, GliedGlieder, … im Hochdeutschen gibt es eine ganze Gruppe von Wörtern mit Plur­al auf -er.

In Dialek­ten gibt es zwar meist diesel­ben (oder sehr ähn­liche) Arten der Plu­ral­bil­dung, aber es müssen nicht unbe­d­ingt diesel­ben Wörter in diese Grup­pen gehören. Im Schut­ter­tal gehört HeftHefter ganz reg­ulär zur Gruppe mit -er-Plur­al, während es im Hochdeutschen zur Gruppe mit -e-Plur­al gehört (wie Beete, Stifte, Wege, …). Auch mit dabei: StickSticker ‘Stücke’.1

Gut möglich, dass die Ver­wen­dung von Hefter als Plur­al von Heft noch zusät­zlich durch das vorhan­dene hochdeutsche Wort Hefter gestärkt wird, das ja auch eine sehr ähn­liche Bedeu­tung hat.

[23.4.09: Zu diesem Beitrag gibt es eine Ergänzung.]

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O Herz Jesu, meine Kasus!

Von Kristin Kopf

Lateinis­che Wörter im Deutschen wer­den oft gnaden­los assim­i­liert. Zwar beste­hen Sprach­fa­natik­er häu­fig auf den “kor­rek­ten” Plur­al (Prak­ti­ka, Visa, oder aus meinem All­t­ag – und ich muss zugeben, dass ich da auch ein bißchen präskrip­tiv ver­an­lagt bin – Tem­po­ra, Kasus, Gen­era, Sim­plizia, …), aber was bet­rifft die anderen Kasus? (Ja, Kasus. Mit langem uuu­u­uu. Eigentlich vol­lkom­men abar­tig, so etwas im Deutschen beizubehalten.)

Wie gut, dass ich das “Studi­um Lat­inum” im Som­mer 2005 in mein­er ersten Euphorie nicht direkt verkauft habe. Ein bißchen was zu lateinis­chen Sub­stan­tivk­lassen. Ich mach’s kurz, versprochen!

Stimuli für Tempora

Also … jedes lateinis­che Sub­stan­tiv gehört in eine “(Deklinatinons-)Klasse”, auch oft verkürzt “Dek­li­na­tion” genan­nt. Diese Klasse bes­timmt über die Flex­ion­sendun­gen in den Kasus, also Nom­i­na­tiv, Gen­i­tiv und­soweit­er. Alle Sub­stan­tive ein­er Klasse ver­hal­ten sich gle­ich. Es gibt die a‑, i‑, u‑, e- und o‑Deklination (let­ztere gle­ich dop­pelt, ein­mal für Maskuli­na, ein­mal für Neu­tra), die kon­so­nan­tis­che, die gemis­chte und die aus aus Par­tizip­i­en beste­hende (wie amâns ‘Lieben­der’).

Und es gibt ein Prob­lem: Viele der Flex­ions­for­men ähneln sich sehr. Die beliebte lat. Endung -us, eine Endung für masku­line Wörter, find­et sich z.B. im Nom­i­na­tiv dreier Klassen.

Betra­chtet man daher Wörter wie Tem­pus, Genus, Kasus, Jesus, Exo­dus, Exi­tus, Koi­tus, … sehen sie ober­fläch­lich betra­chtet alle gle­ich aus – aber dahin­ter lauert das Grauen: Sie gehören alle zu unter­schiedlichen Klassen. Seht und staunt (vor allem, dass ich HTML-Tabellen machen kann!):

kons. Dekl. o‑Dekl. (m) u‑Dekl.
Sg. Nom. genus genius casus
Gen. generis geniî casûs
Dat. generî geniô cas
Akk. genus genium casum
Abl. genere geniô casû
Pl. Nom. genera geniî casûs
Gen. generum geniôrum casuum
Dat. generibus geniîs casibus
Akk. genera geniôs casûs
Abl. generibus geniîs casibus

-us und -i forever

Beson­ders beliebt scheint die o‑Klasse zu sein: Dass man aus lateinis­chen Wörtern, die auf -us enden, Plu­rale machen kann, die auf -i enden, weiß jedes Kind. (Modus Modi, Alum­nusAlum­ni, Stim­u­lusStim­uli, …) Vielle­icht wird dieser i‑Plural auch zusät­zlich noch durch ital­ienis­che Wörter gestärkt, die eine ziem­lich feste Kor­re­spon­denz oi aufweisen (Cel­loCel­li, Espres­soEspres­si, …) – aber das ist jet­zt freie Spekulation.

Auf jeden Fall wird das Wis­sen um den i-Plur­al häu­fig über­gen­er­al­isiert und es entste­hen Geni, Kasi oder Tem­pi – let­zteres gibt es sog­ar, aber als Plur­al zu Tem­po (aus dem Ital­ienis­chen). Um solche Bil­dun­gen zu umge­hen, muss man für jedes lateinis­che Wort extra den Plur­al ler­nen. Das gelingt uns zwar bei deutschen Wörtern ziem­lich prob­lem­los, aber die Wörter lateinis­ch­er Herkun­ft sind so infre­quent, dass ihre Plu­rale ein­fach zu sel­ten vorkom­men um sie sich wirk­lich zu merken. Wir müssten ja nicht nur die drei erwäh­n­ten Klassen ler­nen, son­dern auch noch alle anderen oben erwäh­n­ten. Und dann muss man natür­lich auch noch wis­sen, für welche Wörter lateinis­chen Ursprungs das nicht mehr gilt, denn viele haben ja mit­tler­weile einen “deutschen” Plur­al erhal­ten, wie Globus Globen.

Men­schen, die bei lateinis­chen Wörtern falsche Plu­rale bilden, wer­den oft verspot­tet und für min­der intel­li­gent gehal­ten. Das ist natür­lich Quatsch. Eigentlich ist das, was sie machen, viel span­nen­der als das, was wir braven Pro­duk­te bil­dungs­bürg­er­lich-human­is­tis­ch­er Erziehung nach­plap­pern: Sie suchen Muster und wen­den sie an. Das nen­nt man “Analo­gie”, und sie war und ist ein treiben­der Fak­tor in vie­len, vie­len Sprachwandelprozessen.

Warum nur ein lateinischer Plural?

Außer­dem, und jet­zt komme ich zum eigentlichen The­ma, ist die Gren­ze, die wir da ziehen, ziem­lich willkür­lich. Wie viel Latein braucht ein Wort lateinis­chen Ursprungs? Wir benutzen den Nom­i­na­tiv Sin­gu­lar für alle Sin­gu­lar­for­men und den Nom­i­na­tiv Plur­al für alle Pluralformen:

(1) Das Genus des Genus ist kein Genuss. [Nom, Gen]

(2) Ich helfe Dir mit dem Genus. [Dat]

(3) Ich kenne das Genus von Genus nicht. [Akk]

(4) Die Gen­era sind mir unbekan­nt. [Nom]

(5) Ich bedi­ene mich der Gen­era, weil ich es kann. [Gen]

(6) Mit den Gen­era tue ich mich schw­er. [Dat]

(7) Ich kenne die Gen­era viel­er Wörter nicht. [Akk]

Gin­ge es nicht noch orig­i­naler? Warum sollte man sich darauf beschränken, den lateinis­chen Plur­al zu benutzen, kann man nicht auch die anderen Kasus verwenden?

(1) Das Genus des Generis ist kein Genuss. [Nom, Gen]

(2) Ich helfe Dir mit dem Generi. [Dat]

(3) Ich kenne das Genus von Genus nicht. [Akk]

(4) Die Gen­era sind mir unbekan­nt. [Nom]

(5) Ich bedi­ene mich der Gen­erum, weil ich es kann. [Gen]

(6) Mit den Gen­eribus tue ich mich schw­er. [Dat]

(7) Ich kenne die Gen­era viel­er Wörter nicht. [Akk]

Dass das nicht passiert, ist irgend­wo erk­lär­lich: Es würde zu unseren nor­malen Sub­stan­tivk­lassen noch viele weit­ere hinzufü­gen, die wir extra für Fremd­wörter ler­nen müsste. So ein Stress! Das Sprach­sys­tem würde unglaublich aufge­bläht, der prak­tis­che Nutzen wäre aber gering.

Es gibt im Deutschen viele ver­schiedene Möglichkeit­en der Plu­ral­bil­dung (Hüte, Tage, Hämmer, Lämmer, Autos, Wagen, Pfannen, …), da fällt es nicht so auf, wenn noch ein paar lateinis­che Endun­gen dazus­toßen, das Sys­tem ist eh schon zer­split­tert. Zur Dek­li­na­tion von Sub­stan­tiv­en hinge­gen gibt es nur sehr begren­zte Mit­tel: Entwed­er sie ist stark (der Hut, des Huts, dem Hut, den Hut) oder schwach (der Löwe, des Löwen, dem Löwen, den Löwen). Es gibt ein paar Unregelmäßigkeit­en, aber die sind kaum der Rede wert. Ein Sys­tem also, in dem sich irgendwelche anderen Flex­ion­sendun­gen viel schlechter ver­steck­en können.

Christi Ausnahmeregelung

Aber … es gibt ein Gegen­beispiel. In einem Bere­ich hängt man ganz enorm an den lateinis­chen Flex­ion­sendun­gen. Na wo schon? Klar, in der Kirche! Ganz beson­ders in fes­ten Aus­drück­en sind sie beina­he Pflicht:

(8) Christi Him­melfahrt, Pas­sion Christi, Herz Jesu, Mariä Verkündi­gung, Mariä Him­melfahrt1, Lob sei dir, o Christe!

Aber auch in der son­sti­gen Ver­wen­dung tauchen sie immer wieder auf. Jesus ist u‑Deklination, Chris­tus o‑Deklination:

(9) Gen­i­tiv

a) Leben, Tod und Aufer­weck­ung Jesu (Quelle)

b) Christi Him­melfahrt […] beze­ich­net im Chris­ten­tum den Glauben an die Rück­kehr Jesu Christi als Sohn Gottes zu seinem Vater in den Him­mel. (Quelle)

(10) Dativ2

a) Erlö­sung von Jesu Chris­to (ein Buchti­tel von 1957 – Quelle)

b) die Wiederkehr und per­sön­liche Erschei­n­ung Jesu Chris­to mit seinen Heili­gen und den Engeln sein­er Macht auf die Erde. (in einem Lehrbuch von 1924 Quelle)

(11) Akkusativ

a) in Jesum Chris­tum wurde uns die Möglichkeit gegeben die [Ur]Sünde zu über­winden um dem Kreis­lauf von Tat und Tat­nach­folge zu entkom­men (Quelle) (wahrsch. ist in hier die lat. Präposition)

b) nicht das Seinige getan hat zur Erhal­tung des Glaubens an Jesum Chris­tum als Sohn Gottes. (1938, Quelle)

Während die Dek­li­na­tion in den anderen Kasus eher sel­ten genutzt wird und es ziem­lich schwierig war, einiger­maßen aktuelle Beispiel­sätze zu find­en, ist sie für den Gen­i­tiv extrem üblich. Mein Duden (1996) gibt Jesu Christi sog­ar als einzig möglichen Gen­i­tiv an, für Dativ und Akkusativ lässt er Alter­na­tiv­en offen.

Alte Kirchen­lieder und Gebete sind eine wahre Fund­grube, dort gibt es sog­ar den Voka­tiv wie bei Lob sei dir, o Christe!3 Das ist ein Extraka­sus zur Anrede, so etwas gibt es im Deutschen eigentlich über­haupt nicht.

Dass sich das Kirchen­deutsch so ver­hält, ist aber nicht ver­wun­der­lich: Viele der Lied­texte, Gebete und auch die Bibelüber­set­zung selb­st sind viele hun­dert Jahre alt und wur­den meist kaum verän­dert weit­ergegeben. Da sie Vor­bilder für weit­ere Textpro­duk­tion und auch die gesproch­ene Sprache waren, wurde die lateinis­che Flex­ion lange Zeit beibehal­ten. Bes­timmt mit­ge­holfen hat auch die hohe Fre­quenz von Jesus Chris­tus, denn bei Wörtern, die sehr oft benutzt wer­den, behält man Unregelmäßigkeit­en eher bei als bei sel­te­nen Wörtern. Und ist ja auch irgend­wo cool, die zen­trale Per­son ganz anders zu behan­deln, auch sprachlich.

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AschRmittwoch

Von Kristin Kopf

Ascher­mittwoch kommt von der Asche, die man auf’s Haupt streut, soweit, so trans­par­ent. Warum aber Aschermittwoch? Warum nicht Aschen­mittwoch oder Aschemittwoch?

Syn­chron betra­chtet, d.h. wenn man nur das heutige Deutsch anschaut, ist es nicht weit­er ver­wun­der­lich. Ein Ver­fahren der Wort­bil­dung ist es, zwei Wörter zu einem neuen zusam­men­zuset­zen. Das nen­nt man “Kom­po­si­tion”. Häu­fig steckt aber zwis­chen diesen bei­den Wörtern noch etwas — das Fugenele­ment. Laut Gram­matik-Duden kommt es bei 30% der deutschen Wörter vor (allerd­ings scheint es mir fraglich, wie man die Zahl der deutschen Wörter messen will, da Kom­po­si­tion ja pro­duk­tiv ist). Fugenele­mente nen­nt man all diese Heizungskeller, Rinderställe, Lampenschirme und Donau­dampf­schiff­fahrtsgesellschaftskapitänsmützen.

Vie­len von ihnen sieht man ihre Herkun­ft noch an — sie sehen alten Gen­i­tiv­for­men ähn­lich, wie zum Beispiel des Teufels Kerl > Teufelskerl. Die Uminter­pre­ta­tion als Erst­glied des Kom­posi­tums nen­nt man “Reanalyse”. Heute hat das Fugenele­ment keine gram­ma­tis­che Funk­tion mehr.

Allerd­ings kom­men die Fugenele­mente bei weit­em nicht alle von alten Gen­i­tiv­en — bei Heizungskeller sieht man es ganz gut, der Gen­i­tiv würde der Heizung heißen, im Plur­al Heizun­gen. Kein s weit und bre­it. Es muss nach dem Vor­bild ander­er Wörter, die ein Genitiv‑s hat­ten, in den Heizungskeller einge­wan­dert sein. (Das nen­nt man “Analo­gie”.)

Bei Lam­p­en­schirm ist es mehr eine Sin­n­frage. Zwar heißt es der Lam­p­en, aber ist ein Schirm wirk­lich für mehrere Lam­p­en da? Doch wohl kaum? Warum hätte es jemand mit dem Plur­al bilden sollen?

Warum wird also nur der Ascher­mittwoch dem Vor­wurf aus­ge­set­zt, dass er sich zu Unrecht mit seinem r schmückt, wenn doch sehr viele Kom­posi­ta zu frem­dem Mate­r­i­al greifen?

Weil er eine alte Form ist. Der Ascher­mittwoch hat­te sein r schon immer. Wie kann das sein, wenn es der Asche, Aschen heißt? Kluge erk­lärt: Es ist eine regionale Plu­ral­form. Ein Blick ins mit­tel­hochdeutsche Wörter­buch macht nicht viel schlauer — außer dass Asche damals zwar meist fem­i­nin war, aber auch maskulin sein kon­nte. Ich habe mich auf die Suche gemacht und ins rheinis­che, pfälzis­che, elsäs­sis­che, elsäs­sisch-lothringis­che und lux­em­bur­gis­che Wörter­buch geschaut — nichts, immer mit n. Der dig­i­tale Wenker-Atlas hat auch nicht geholfen, da ste­ht keine Asche drin. Schw­eren Herzens gebe ich also auf … zumin­d­est vorerst.

Grimms Wörter­buch ken­nt mit r übri­gens auch Ascher­brödel, ascher­far­big, Ascherkleid und Ascherkuchen.

Im rheinis­chen Wörter­buch von gestern find­en sich neben der hochdeutschen Form Ascher­mittwoch auch r‑lose For­men: Öschemeppeg und Äis­chemet­twouch.

[Weihnachten] Wie schon die Alten sungen …

Von Kristin Kopf

Heute geht es um ein Lied, dessen Text 1587/88 in Mainz geschrieben wurde: “Es ist ein Ros entsprun­gen”. Lei­der ist das, was ich aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht dazu zu sagen habe, nicht beson­ders kreativ — Frau N. hat die Stelle sog­ar schon für einen Auf­satzti­tel benutzt.1
Aber wer noch keine Ein­führung in die his­torische Sprach­wis­senschaft des Deutschen hin­ter sich hat, wird sich vielle­icht den­noch dran freuen.

Erst­mal der Text der ersten Strophe:

Es ist ein Ros entsprun­gen aus ein­er Wurzel zart,
wie uns die Alten sun­gen, von Jesse kam die Art,
und hat ein Blüm­lein bracht
mit­ten im kalten Win­ter, wohl zu der hal­ben Nacht.

Und dann eine kurze Inhalt­sangabe, für die Athe­istIn­nen unter uns:
Mit­ten im Win­ter und mit­ten in der Nacht erblühte eine Rose (bzw. , nach der Gottes­lob-Inter­pre­ta­tion, ein ganz­er Rosen­stock), und zwar so, wie es im Alten Tes­ta­ment ste­ht (=“die Alten sun­gen”), wo es Jesa­ja (=“Jesse”) vorherge­sagt hat. (Natür­lich hat er die Geburt des Mes­sias vorherge­sagt, nicht die ein­er Rose, aber so iss­es halt mit den Metaphern …)

Und jet­zt der vergnügliche Teil des Abends. Es geht um diese Stelle:

(1) … wie uns die Alten sungen, …

Warum nicht “wie uns die Alten (vor)sangen”? Weil es sich dann nicht mehr auf “entsprun­gen” reimt? Wohl kaum … und hier­mit kom­men wir zum Phänomen der viel­ge­fürchteten Ablautrei­hen.
Wenn wir uns die heuti­gen Ver­ben des Deutschen anschauen, so kann man sie (qua­si) alle in zwei Grup­pen teilen: Schwache Ver­ben vs. Starke Verben.
Zu welch­er Gruppe ein Verb gehört, erken­nt man an seinen Ver­gan­gen­heits­for­men, und zwar am Prä­ter­i­tum (sagte, dachte, schlug, ging) und am Par­tizip II (gesagt, gedacht, geschla­gen, gegan­gen).

Die schwachen Ver­ben sind die, die ein­fach ein -te für’s Prä­ter­i­tum anhän­gen (sag-te) und für das Par­tizip II den Stamm mit ge-…-t umgeben (ge-sag‑t). Das ist sehr ein­fach, deshalb machen wir das mit den aller­meis­ten Ver­ben. Auch mit neuen Ver­ben, die wir z.B. aus dem Englis­chen entlehnen (down­load­ete, gedown­load­et/down­ge­loaded).

Viel älter und kom­pliziert­er sind hinge­gen die starken Ver­ben, die, wenn sie Ver­gan­gen­heit aus­drück­en wollen, ihren Stam­m­vokal ändern: werfenwarfge‑worf-en (das Par­tizip II hat zusät­zlich noch das ge-…-en außenrum.)
Ver­ben, die wir neu ins Deutsche entlehnen, funk­tion­ieren nie nach diesem Prinzip2 — nur die richtig alten Ver­ben haben diesen Vokalwech­sel zwis­chen den ver­schiede­nen Zeit­for­men. Den man Ablaut nen­nt. (Es gibt sog­ar Ver­ben aus dieser Gruppe, die zu den schwachen Ver­ben ent­fliehen — z.B. bellen, dessen Prä­ter­i­tum mal boll war. Oder melken, bei dem momen­tan der molk-melk­te-Kampf tobt.)

Heute unter­schei­den wir bei den starken Ver­ben ja drei For­men: Präsens, Prä­ter­i­tum und Par­tizip II. Das Max­i­mum an Unter­schied ist, wenn jede der drei For­men einen anderen Vokal hat, wie bei wer­fen. Manch­mal sind’s auch nur zwei ver­schiedene, z.B. bei schla­gen. Aber nii­i­i­i­ie sind es vier verschiedene.

Vor langer, langer Zeit (im Alt- und Mit­tel­hochdeutschen, und sog­ar noch vorher) gab es aber nicht drei unter­schiedliche For­men, son­dern vier:
a) Präsens: werfan ‘wer­fen’
b) Prä­ter­i­tum Sin­gu­lar: warf ‘warf’
c) Prä­ter­i­tum Plur­al: wurfun ‘war­fen’
d) Par­tizip II: giworfan ‘gewor­fen’
Es kam also drauf an, ob ein Verb im Prä­ter­i­tum Sin­gu­lar (also der Ein­zahl) oder im Plur­al (also der Mehrzahl) benutzt wurde. Man sagte also so etwas wie *der alto sang (weil’s ja nur ein­er ist) aaaaaber: *diu alton sun­gun (weil’s mehrere sind).

Im Früh­neuhochdeutschen (also ab ca. 1350) begann das Sys­tem zusam­men­zubrechen. Von den bei­den Vokalen im Prä­ter­i­tum set­zte sich jew­eils ein­er durch, bei wer­fen z.B. war es das a aus dem Sin­gu­lar (warf, wur­fun > warf, war­fen), bei reit­en war es das i aus dem Plur­al (reit, rit­un > ritt, rit­ten). Es gab also bei jedem Verb nur noch einen Vokal ins­ge­samt für das Prä­ter­i­tum, keine zwei mehr. Was ja auch irgend­wie prak­tisch ist, weil die Infor­ma­tion über das Prä­ter­i­tum jet­zt klar­er zu erken­nen ist — nicht mehr entwed­er Vokal 1 oder Vokal 2 zeigt, je nach Per­son, Prä­ter­i­tum an, son­dern nur noch ein einziger.
Diese Entwick­lung nen­nt man den Prä­ter­i­tal­en Numerusaus­gle­ich, aber das nur für diejeni­gen unter Euch, die damit angeben wollen.

Wäre also alles mit recht­en Din­gen zuge­gan­gen, müssten wir heute von den Alten sin­gen, die san­gen — aber dann würde es sich ja nicht mehr reimen. Und außer­dem haben alte Lieder meist eine gewisse Narrenfreiheit.

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