Vor zwei Wochen bin ich durch ein Industriegebiet geradelt (romanisch, was?) und habe dabei die Firma Kistenpfennig entdeckt. (Es scheint ihr da aber auch nicht so gut zu gefallen, denn im September zieht sie um.)
Kistenpfennig ist einer der schillernderen Familiennamen des Deutschen – und zwar ganz besonders, wenn man sich anschaut, wo er herkommt. Spontan vermuten wohl die meisten Menschen, dass es etwas mit einer Kiste zu tun hat – vielleicht eine Schatztruhe oder sowas – aber dem ist nicht so.
Was hat Bleibtreu mit Kistenpfennig zu tun?
Kistenpfennig ist ein sogenannter “Satzname”, also ein Name, der ursprünglich ein richtiger Satz war. Satznamen sind relativ selten, dazu gehören z.B. Dienegott, Bleibtreu, Nährdich, Lachnitt ‘lach nicht’, Thudichum, Springinsfeld, Kehrein, Flickenschild ‘flick den Schild’. Ich habe hier Beispiele ausgewählt, die heute noch recht gut verständlich sind (übrigens alle aus Kunze, S. 152). Viele dieser Satznamen haben aber lautliche Veränderungen mitgemacht oder sind dialektal geprägt, sodass man heute nicht mehr so klar sehen kann, woher sie kommen.
So ist das auch mit Kistenpfennig. Der Name beinhaltet das Verb küssen, wörtlich heißt er also ‘küss den Pfennig’ (kis ten pfennig). Dass ein i- statt eines ü-Lautes benutzt wird, ist dialektal gar nicht so selten. Man nennt das Phänomen “Entrundung”, weil der einzige Unterschied zwischen den beiden Lauten darin besteht, dass beim ü die Lippen gerundet werden, beim i aber nicht. (Einfach mal probieren: Wenn Ihr ein i aussprecht und dann langsam die Lippen zu einem Kussmund formt, wird automatisch ein ü draus.)
Es gibt den Namen auch in der gerundeten Variante, nämlich als Küssenpfenig (in Österreich). Olschansky gibt auch noch Küstenpfennig an, aber da finde ich zumindest keine Telefonbucheinträge, muss also sehr selten (oder schon ausgestorben) sein.
Kistenpfennigs gibt’s aber auch nicht gerade viele. Eine Abfrage mit Geogen, einer Kartierungssoftware für Familiennamen, ergibt 37 Telefonanschlüsse in Deutschland:
Und wer heißt so?
Wie kam man überhaupt auf die Idee, jemanden Kistenpfennig zu nennen?
Der Name ist ein sogenannter “Übername”. Übernamen beschreiben eine charakteristische Eigenschaft oder das Aussehen der benannten Person. So kann jemand mit schwarzem Haar Schwarz genannt werden, jemand von eher unterdurchschnittlicher Körpergröße Klein, eine unangenehme Person wird zum Greulich. Und ein Kistenpfennig ist ein Geizhals – einer, der jeden Pfennig küsst.
Es gibt noch einige weitere Satznamen mit dieser Bedeutung, z.B. Wehrenpfennig ‘verteidige den Pfennig’, Zippenpfennig ‘spare den Pfennig’ und Wriefpfennig ‘reib Pfennig’.
Es gibt auch noch weitere Familiennamen mit Pfennig. Menschen, die geschickt mit Geld umgehen können, heißen Wucherpfennig, Winnepfennig. Wer es nicht schafft, sein Geld gewinnbringend einzusetzen, ist ein Schimmelpfennig oder Sulzepfennig (von salzen, also einpökeln). Und wer verschwenderisch lebt wird Zehrenpfennig (von zehren, früher in der Bedeutung ‘verprassen’) oder Schmeltzpfennig genannt.
Wie konnte das passieren?
Familiennamen gab es nicht immer. Im Frühmittelalter und vorher trugen die Menschen Rufnamen (Sigfried, Kriemhilt, …) und, wenn das nicht ausreichte (weil z.B. jemand anders auch so hieß), Beinamen. Gab es also zwei Sigfrieds im Dorf, konnte einer Klein und der andere Groß genannt werden, oder nach den Berufen einer Müller und der andere Schneider, … man war sehr kreativ, es gab auch Benennungen nach dem Wohnort, dem Herkunftsort oder dem Vater.
Nun spitzte sich allerdings die Lage immer weiter zu, und zwar weil die Städte immer weiter wuchsen, also immer mehr Menschen den selben Rufnamen trugen, und weil man sich bei der Benennung traditionsbewusst zeigte: Die Nachbenennung war in Mode. Kinder wurden auf den Namen der Eltern, der Paten oder der Großeltern getauft, auch Herrschernamen waren sehr beliebt. Und Schutzheilige – und mit ihnen die biblischen Namen. Im Spätmittelalter hießen 23% aller Frauen Margareta, 18% Katharina. Bei den Männern hieß fast jeder dritte Johannes.
Schließlich wurden die Beinamen “fest”: Sie wurden auf die Kinder weitervererbt und somit zu Familiennamen. Sigfrid Klein hieß noch so, weil er klein war, aber sein Sohn Johannes Klein war vielleicht der größte Junge der Straße – trug aber trotzdem den Namen des Vaters. Man geht davon aus, dass dieser Prozess im 12. Jahrhundert in Süddeutschland begann und nach und nach das ganze deutsche Sprachgebiet erfasste. Als Gründe dafür sieht man neben Bevölkerungswachstum und Nachbenennung die Sicherung von Erbansprüchen und die zunehmende Bürokratie (Steuerlisten, Urkunden, …).
Und so stehen heute die armen Kistenpfennigs mit ihrem Namen da, obwohl sie womöglich sehr großzügig sind. Also vielleicht ein Segen, dass man die Herkunft des Namens nicht mehr direkt erkennt …