Schlagwort-Archive: Entlehnung

Die Filosofie der Ih-Mehl

Von Anatol Stefanowitsch

In meinem Beitrag zur ver­sanden­den Sprache zitiere ich einen hypo­thetis­chen Satz, den Abend­blatt-Chefredak­teur Matthias Iken als Beispiel für die Über­frach­tung der deutschen Sprache mit Anglizis­men verwendet:

Wer heute beispiel­sweise durch das Inter­net surft, per Fla­trate Soft­ware down­load­et, seine E‑Mails checkt, in Dat­ing­clubs mit Sin­gles chat­tet, Hits in die Charts votet oder clever shoppt — er tut dies muttersprachbefreit.

Ich beze­ichne diesen Satz dort als einen „durch und durch … deutsche[n] Satz … von der Wort­stel­lung über die Flex­ion­sendun­gen der Lehn­wörter bin hin zu deren Bedeutung“.

In einem Kom­men­tar zu dem Beitrag weist mich mein Ham­burg­er Kol­lege (und ehe­ma­liger Pro­fes­sor) Wolf­gang Börn­er san­ft aber bes­timmt zurecht: Weit­er­lesen

Versandende Sprache

Von Anatol Stefanowitsch

Ab und zu schafft es ein Sprach­nör­gler, so aus­führlich und unin­formiert daneben­zu­greifen, dass ich mich bei allen guten Vorsätzen nicht daran hin­dern kann, aus­führlich darauf zu antworten. Sprach­blogleser Dierk weist in einem Kom­men­tar auf eine Glosse des stel­lvertre­tenden Chefredak­teurs des Ham­burg­er Abend­blatts, Matthias Iken, hin, für die das gilt.

Iken fängt eigentlich sehr schön an: Weit­er­lesen

Sich committen

Von Anatol Stefanowitsch

Man fragt sich manch­mal, ob die vier glück­losen Brüder von der Aktion Lebendi­ges Deutsch auch nur dreißig Sekun­den darauf ver­wen­den, über die Mach­barkeit ihrer Vorschläge nachzu­denken. Im Som­mer­loch war eine Alter­na­tive zu sich com­mit­ten gesucht. Wie schon oft woll­ten die Aktioneure damit ein Lehn­wort abschaf­fen, das mir in freier Wild­bahn kaum je begeg­net ist. Aber sei’s drum. Die Neube­wor­tung ist auf jeden Fall daneben gegan­gen: Weit­er­lesen

Bibliothek, Könyvtár, पुस्तकालय

Von Kristin Kopf

Im Ein­gangs­bere­ich der Bere­ichs­bib­lio­thek Philo­soph­icum in Mainz hat man ver­sucht, the­ma­tis­che Gestal­tungse­le­mente einzubrin­gen. Das Ergeb­nis strahlt nicht ger­ade vor Orig­i­nal­ität, aber es sieht ganz gut aus und gibt Sch­plock­stoff her:

Bereichsbibliothek

2009-08-BB

Jedes Mal, wenn ich vor­beikomme, frage ich mich, wie viele ver­schiedene Sprachen da wirk­lich drauf sind. Ganz offen­sichtlich wieder­holen sich die Wörter ja nach ein­er Weile. Jet­zt hab ich’s endlich mal fotografiert und zuhause in Ruhe nachgezählt: Ich sehe 37. Viele sind natür­lich lang­weilig, weil sie ein­fach nur Vari­a­tio­nen des griechis­chen Wortes sind, aber dazwis­chen steckt immer noch genug Inter­es­santes. Ger­ade die Sprachen mit den “frem­den” Schrift­sys­te­men wer­den übri­gens zu einem großen Teil nicht im Philo­soph­icum gelehrt, son­dern ander­swo auf dem Cam­pus (wenn über­haupt). Ich schätze mal, man hat sie haupt­säch­lich aus optis­chen Grün­den ausgewählt.

Im Fol­gen­den eine Liste aller ver­schiede­nen Wörter, die ich gefun­den habe. Vielle­icht habt Ihr ja Lust, beim Iden­ti­fizieren mitzuhelfen?

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Ferry Very Good (Reloaded)

Von Anatol Stefanowitsch

Vor einiger Zeit habe ich mir hier im Sprach­blog über den Werbeslo­gan fer­ry-very-good der nieder­ländis­chen Fir­ma Dalessi gewun­dert. Zum einen fand ich ihn seman­tisch schw­er durch­schaubar, zum anderen war ich der Mei­n­ung, dass die for­male Analo­gie zwis­chen fer­ry und very nur dann wirk­lich gut funk­tion­iert, wenn man den Unter­schied in der Stimmhaftigkeit des ersten Lauts ignori­ert — so, wie es die nördlichen Dialek­te des Nieder­ländis­chen tun.

Nun hat ein Kom­men­ta­tor, der nach eigen­er Aus­sage Ger­rit Pots­ma, Chef der Fir­ma Dalessi ist, auf diesen Beitrag geant­wortet und hat ver­sucht, zumin­d­est in das Bedeu­tungs­dunkel etwas Licht zu brin­gen (ob der Kom­men­tar wirk­lich von Pots­ma stammt, kann ich natür­lich nicht beurteilen, aber es scheint zumin­d­est plau­si­bel, da der Kom­men­tar ins­ge­samt nicht nach einem Täuschungs­man­över klingt; seine IP-Adresse gehört immer­hin einem nieder­ländis­chen Inter­ne­tan­bi­eter): Weit­er­lesen

Googlehupf gegoogelt

Von Kristin Kopf

Patrick hat im Mai bemerkt, dass ich <gegooglet> schreibe statt <gegoogelt>:

Mir ist auch aufge­fall­en, dass Du „gegooglet“ schreib­st, obwohl Präskrip­tivis­ten „googel-“ als Stamm vorschreiben (vgl. hier). Wäre mal inter­es­sant rauszufind­en wie oft dieser „Fehler“ so im Schnitt passiert.

2009-07-28-gegooglet

Ich habe natür­lich einen Grund für meine Schrei­bung, und zwar die Tat­sache, dass Google drin­steckt. Da das Verb eine Ableitung des Eigen­na­mens ist, erscheint es mir höchst gewagt, diesen Eigen­na­men schriftlich zu entstellen, in googel. Genau das tun aber Wörter­büch­er wie der Duden. Und haben dafür zugegeben­er­maßen auch einen guten Grund: Es gibt eine ganze Menge deutsch­er Ver­ben auf -eln, in die sich googeln aus­geze­ich­net einfügt:

  • han­deln, ich han­dle – gehandelt
  • lächeln, ich läch­le gelächelt
  • googeln, ich google gegoogelt

Die 1. Per­son Sin­gu­lar spielt hier eine wichtige Rolle: Statt ich han­dele, lächele kann es auch ich han­dle, läch­le heißen. Den Aus­fall des e im Wortin­neren beze­ich­net man als “Synkope”. Dadurch entste­ht eine Form auf -le, die dem Ende von Goog-le gle­icht. Das bietet eine Art Anknüp­fungspunkt für das neue Verb: In der 1. Per­son Sin­gu­lar kann es unverän­dert bleiben, in den anderen fügt es sich in die Rei­he der anderen l-Ver­ben ein. (Diesen Vor­gang nen­nt man “Analo­gie”.)

Dass die 1. Per­son Sin­gu­lar in den deutschen Ver­ben aus der Rei­he tanzt (ich handle, du handelst, er handelt; wir/sie handeln, ihr handelt) ist zwei ver­schiede­nen Tilgung­sprozessen geschuldet. Das e in han­dle ist näm­lich nicht das­selbe wie in handeln: Bei han­deln gehört es zum Wort­stamm, bei han­dle ist es die Flexionsendung.

Vor langer, langer Zeit (im Mit­tel­hochdeutschen, 1050–1350) hat­ten ein­mal sowohl Stamm als auch Endung immer ein e:

Stamm Endung
Infini­tiv handel en
ich handel e
du handel est
er/sie/es handel et
wir handel en
ir handel et
sie handel en

Dann wurde das Endungs-e synkopiert, und zwar

  • bei allen Ver­ben in der 2./3. Sg. und der 2. Pl. (du mach­est > du machst)
  • bei Ver­ben, deren Stamm auf -er oder -el endet im Infini­tiv und der 1./3. Pl. (sie han­de­len > sie han­deln).

Es bleibt also nur die 1. Per­son Sin­gu­lar be-e-t:

Stamm Endung
Infini­tiv handel n
ich handel e
du handel st
er/sie/es handel t
wir handel n
ihr handel t
sie handel n

Nun gibt es aber noch eine zweite e-Tilgung. Dies­mal ist sie frei­willig und bet­rifft das e im Stamm. Bei Ver­ben, die auf -el enden, kann es in der 1. Per­son Sin­gu­lar getil­gt wer­den, also ich han­dele oder ich han­dle. Ersteres sieht man aber m.E. wirk­lich nur noch in schriftlich­er Form:

Stamm Endung
Infini­tiv handel n
ich hand(e)l e
du handel st
er/sie/es handel t
wir handel n
ihr handel t
sie handel n

Daraus resul­tierend ist das vorher dreisil­bige Wort in allen Präsens­for­men zweisil­big gewor­den: han-deln, han-dle, … Dadurch wird das Wort ohne Infor­ma­tionsver­lust kürz­er und bekommt das trochäis­che Beto­nungsmuster (betonte Silbe – unbe­tonte Silbe), das generell im Deutschen sehr beliebt ist.

Die gesproch­ene Sprache ist vielerorts noch viel weit­er und hat mit­tler­weile alle e-Laute eli­m­iniert: ich han­dl, du han­dlst, er han­dlt, wir/sie han­dln, ihr han­dlt. Deshalb ist die Debat­te darüber, ob man <googlen> oder <googeln> schreibt für das gesproch­ene Deutsch auch ziem­lich irrel­e­vant – gesprochen heißt es ein­fach gugln.

Ich habe mal gegooglet (“Seit­en auf Deutsch”), und zwar den Infini­tiv (goog[el/le]n) und das Par­tizip (gegoog[el/le]t):

  • -le: 726 000 (gesamt) – Infini­tiv: 644.000, Par­tizip: 82.000
  • -el: 964 000 (gesamt) – Infini­tiv: 543.000, Par­tizip: 421.000

Ins­ge­samt hat also die Duden­lö­sung die Nase vorn, allerd­ings gibt es große Unter­schiede zwis­chen Infini­tiv (googlen dominiert leicht) und Par­tizip (gegoogelt dominiert extrem). Google selb­st scheint das Wort übri­gens nicht zu gebrauchen.

Posieren vor dem Gesicht

Von Anatol Stefanowitsch

Auf Mal­lor­ca wartet auf arglose Pauschal­touris­ten ja derzeit eine nicht zu unter­schätzende Gefahr, eine schreck­liche Seuche, die gnaden­los und ohne Anse­hen der Per­son zuschlägt, vor der es keinen Schutz und für die es keine wirk­same Behand­lung gibt.

Ich rede natür­lich von den Ani­ma­teuren, die uns Urlaubern unsere paar Tage ehrlich ver­di­ente Auszeit ver­miesen, indem sie uns mit Pool- und Strand­spie­len, Gesangswet­tbe­wer­ben und Bin­goaben­den belästi­gen. In meinem Hotel waren die Ani­ma­teure eher halb­herzig bei der Sache, und so kon­nte ich mich ihnen voll­ständig entziehen. Aber gestern abend, längst aus dem Urlaub zurück, bin ich ihnen doch in die Falle getappt. Weit­er­lesen

Scheißmeister

Von Anatol Stefanowitsch

Ich habe mich bei mein­er Suche nach Beispie­len für das Wort Scheißmeis­ter im vor­ange­hen­den Beitrag in die Irre leit­en lassen. Die Hör­funkko­r­re­spon­dentin der ARD in New York hat­te in einem Beitrag über deutsche Lehn­wörter im amerikanis­chen Englisch über dieses Wort, gestützt auf das Urban Dic­tio­nary, Fol­gen­des geschrieben:

Andere [deutsche Wörter im Englis­chen] sind aber reine Erfind­ung, pseu­do­deutsche Kunst­worte: “Scheißmeis­ter” — zum Beispiel — soll in etwa “fün­ftes Rad am Wagen” heißen.

Ich hat­te solche Ver­wen­dun­gen gesucht und nicht gefun­den und deshalb ver­mutet, dass es sich bei dem Wort um die ins Urban Dic­tio­nary eingeschleuste Erfind­ung eines Spaßvo­gels han­deln kön­nte. Aber bei näherem Hin­se­hen stellt sich her­aus, dass nur die Bedeu­tung erfun­den ist — das Wort an sich gibt es, und ein pseu­do­deutsches Kunst­wort ist es nicht. Weit­er­lesen