Ein kurzer Nachtrag zu meinem Beitrag über Lehnwörter und ihre Orthografie. Weiterlesen
Schlagwort-Archive: Entlehnung
Die Filosofie der Ih-Mehl
In meinem Beitrag zur versandenden Sprache zitiere ich einen hypothetischen Satz, den Abendblatt-Chefredakteur Matthias Iken als Beispiel für die Überfrachtung der deutschen Sprache mit Anglizismen verwendet:
Wer heute beispielsweise durch das Internet surft, per Flatrate Software downloadet, seine E‑Mails checkt, in Datingclubs mit Singles chattet, Hits in die Charts votet oder clever shoppt — er tut dies muttersprachbefreit.
Ich bezeichne diesen Satz dort als einen „durch und durch … deutsche[n] Satz … von der Wortstellung über die Flexionsendungen der Lehnwörter bin hin zu deren Bedeutung“.
In einem Kommentar zu dem Beitrag weist mich mein Hamburger Kollege (und ehemaliger Professor) Wolfgang Börner sanft aber bestimmt zurecht: Weiterlesen
Versandende Sprache
Ab und zu schafft es ein Sprachnörgler, so ausführlich und uninformiert danebenzugreifen, dass ich mich bei allen guten Vorsätzen nicht daran hindern kann, ausführlich darauf zu antworten. Sprachblogleser Dierk weist in einem Kommentar auf eine Glosse des stellvertretenden Chefredakteurs des Hamburger Abendblatts, Matthias Iken, hin, für die das gilt.
Iken fängt eigentlich sehr schön an: Weiterlesen
Rückbesinnung auf die Muttersprache
Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, käut in einer Videobotschaft zur Eröffnung des Festspiels der Deutschen Sprache in Bad Lauchstädt die Greatest Hits des Verein Deutsche Sprache wieder. Weiterlesen
Sich committen
Man fragt sich manchmal, ob die vier glücklosen Brüder von der Aktion Lebendiges Deutsch auch nur dreißig Sekunden darauf verwenden, über die Machbarkeit ihrer Vorschläge nachzudenken. Im Sommerloch war eine Alternative zu sich committen gesucht. Wie schon oft wollten die Aktioneure damit ein Lehnwort abschaffen, das mir in freier Wildbahn kaum je begegnet ist. Aber sei’s drum. Die Neubewortung ist auf jeden Fall daneben gegangen: Weiterlesen
Bibliothek, Könyvtár, पुस्तकालय
Im Eingangsbereich der Bereichsbibliothek Philosophicum in Mainz hat man versucht, thematische Gestaltungselemente einzubringen. Das Ergebnis strahlt nicht gerade vor Originalität, aber es sieht ganz gut aus und gibt Schplockstoff her:
Jedes Mal, wenn ich vorbeikomme, frage ich mich, wie viele verschiedene Sprachen da wirklich drauf sind. Ganz offensichtlich wiederholen sich die Wörter ja nach einer Weile. Jetzt hab ich’s endlich mal fotografiert und zuhause in Ruhe nachgezählt: Ich sehe 37. Viele sind natürlich langweilig, weil sie einfach nur Variationen des griechischen Wortes sind, aber dazwischen steckt immer noch genug Interessantes. Gerade die Sprachen mit den “fremden” Schriftsystemen werden übrigens zu einem großen Teil nicht im Philosophicum gelehrt, sondern anderswo auf dem Campus (wenn überhaupt). Ich schätze mal, man hat sie hauptsächlich aus optischen Gründen ausgewählt.
Im Folgenden eine Liste aller verschiedenen Wörter, die ich gefunden habe. Vielleicht habt Ihr ja Lust, beim Identifizieren mitzuhelfen?
Ferry Very Good (Reloaded)
Vor einiger Zeit habe ich mir hier im Sprachblog über den Werbeslogan ferry-very-good der niederländischen Firma Dalessi gewundert. Zum einen fand ich ihn semantisch schwer durchschaubar, zum anderen war ich der Meinung, dass die formale Analogie zwischen ferry und very nur dann wirklich gut funktioniert, wenn man den Unterschied in der Stimmhaftigkeit des ersten Lauts ignoriert — so, wie es die nördlichen Dialekte des Niederländischen tun.
Nun hat ein Kommentator, der nach eigener Aussage Gerrit Potsma, Chef der Firma Dalessi ist, auf diesen Beitrag geantwortet und hat versucht, zumindest in das Bedeutungsdunkel etwas Licht zu bringen (ob der Kommentar wirklich von Potsma stammt, kann ich natürlich nicht beurteilen, aber es scheint zumindest plausibel, da der Kommentar insgesamt nicht nach einem Täuschungsmanöver klingt; seine IP-Adresse gehört immerhin einem niederländischen Internetanbieter): Weiterlesen
Googlehupf gegoogelt
Patrick hat im Mai bemerkt, dass ich <gegooglet> schreibe statt <gegoogelt>:
Mir ist auch aufgefallen, dass Du „gegooglet“ schreibst, obwohl Präskriptivisten „googel-“ als Stamm vorschreiben (vgl. hier). Wäre mal interessant rauszufinden wie oft dieser „Fehler“ so im Schnitt passiert.
Ich habe natürlich einen Grund für meine Schreibung, und zwar die Tatsache, dass Google drinsteckt. Da das Verb eine Ableitung des Eigennamens ist, erscheint es mir höchst gewagt, diesen Eigennamen schriftlich zu entstellen, in googel. Genau das tun aber Wörterbücher wie der Duden. Und haben dafür zugegebenermaßen auch einen guten Grund: Es gibt eine ganze Menge deutscher Verben auf -eln, in die sich googeln ausgezeichnet einfügt:
- handeln, ich handle – gehandelt
- lächeln, ich lächle – gelächelt
- googeln, ich google – gegoogelt
Die 1. Person Singular spielt hier eine wichtige Rolle: Statt ich handele, lächele kann es auch ich handle, lächle heißen. Den Ausfall des e im Wortinneren bezeichnet man als “Synkope”. Dadurch entsteht eine Form auf -le, die dem Ende von Goog-le gleicht. Das bietet eine Art Anknüpfungspunkt für das neue Verb: In der 1. Person Singular kann es unverändert bleiben, in den anderen fügt es sich in die Reihe der anderen l-Verben ein. (Diesen Vorgang nennt man “Analogie”.)
Dass die 1. Person Singular in den deutschen Verben aus der Reihe tanzt (ich handle, du handelst, er handelt; wir/sie handeln, ihr handelt) ist zwei verschiedenen Tilgungsprozessen geschuldet. Das e in handle ist nämlich nicht dasselbe wie in handeln: Bei handeln gehört es zum Wortstamm, bei handle ist es die Flexionsendung.
Vor langer, langer Zeit (im Mittelhochdeutschen, 1050–1350) hatten einmal sowohl Stamm als auch Endung immer ein e:
Stamm | Endung | |
Infinitiv | handel | en |
ich | handel | e |
du | handel | est |
er/sie/es | handel | et |
wir | handel | en |
ir | handel | et |
sie | handel | en |
Dann wurde das Endungs-e synkopiert, und zwar
- bei allen Verben in der 2./3. Sg. und der 2. Pl. (du machest > du machst)
- bei Verben, deren Stamm auf -er oder -el endet im Infinitiv und der 1./3. Pl. (sie handelen > sie handeln).
Es bleibt also nur die 1. Person Singular be-e-t:
Stamm | Endung | |
Infinitiv | handel | n |
ich | handel | e |
du | handel | st |
er/sie/es | handel | t |
wir | handel | n |
ihr | handel | t |
sie | handel | n |
Nun gibt es aber noch eine zweite e-Tilgung. Diesmal ist sie freiwillig und betrifft das e im Stamm. Bei Verben, die auf -el enden, kann es in der 1. Person Singular getilgt werden, also ich handele oder ich handle. Ersteres sieht man aber m.E. wirklich nur noch in schriftlicher Form:
Stamm | Endung | |
Infinitiv | handel | n |
ich | hand(e)l | e |
du | handel | st |
er/sie/es | handel | t |
wir | handel | n |
ihr | handel | t |
sie | handel | n |
Daraus resultierend ist das vorher dreisilbige Wort in allen Präsensformen zweisilbig geworden: han-deln, han-dle, … Dadurch wird das Wort ohne Informationsverlust kürzer und bekommt das trochäische Betonungsmuster (betonte Silbe – unbetonte Silbe), das generell im Deutschen sehr beliebt ist.
Die gesprochene Sprache ist vielerorts noch viel weiter und hat mittlerweile alle e-Laute eliminiert: ich handl, du handlst, er handlt, wir/sie handln, ihr handlt. Deshalb ist die Debatte darüber, ob man <googlen> oder <googeln> schreibt für das gesprochene Deutsch auch ziemlich irrelevant – gesprochen heißt es einfach gugln.
Ich habe mal gegooglet (“Seiten auf Deutsch”), und zwar den Infinitiv (goog[el/le]n) und das Partizip (gegoog[el/le]t):
- -le: 726 000 (gesamt) – Infinitiv: 644.000, Partizip: 82.000
- -el: 964 000 (gesamt) – Infinitiv: 543.000, Partizip: 421.000
Insgesamt hat also die Dudenlösung die Nase vorn, allerdings gibt es große Unterschiede zwischen Infinitiv (googlen dominiert leicht) und Partizip (gegoogelt dominiert extrem). Google selbst scheint das Wort übrigens nicht zu gebrauchen.
Posieren vor dem Gesicht
Auf Mallorca wartet auf arglose Pauschaltouristen ja derzeit eine nicht zu unterschätzende Gefahr, eine schreckliche Seuche, die gnadenlos und ohne Ansehen der Person zuschlägt, vor der es keinen Schutz und für die es keine wirksame Behandlung gibt.
Ich rede natürlich von den Animateuren, die uns Urlaubern unsere paar Tage ehrlich verdiente Auszeit vermiesen, indem sie uns mit Pool- und Strandspielen, Gesangswettbewerben und Bingoabenden belästigen. In meinem Hotel waren die Animateure eher halbherzig bei der Sache, und so konnte ich mich ihnen vollständig entziehen. Aber gestern abend, längst aus dem Urlaub zurück, bin ich ihnen doch in die Falle getappt. Weiterlesen
Scheißmeister
Ich habe mich bei meiner Suche nach Beispielen für das Wort Scheißmeister im vorangehenden Beitrag in die Irre leiten lassen. Die Hörfunkkorrespondentin der ARD in New York hatte in einem Beitrag über deutsche Lehnwörter im amerikanischen Englisch über dieses Wort, gestützt auf das Urban Dictionary, Folgendes geschrieben:
Andere [deutsche Wörter im Englischen] sind aber reine Erfindung, pseudodeutsche Kunstworte: “Scheißmeister” — zum Beispiel — soll in etwa “fünftes Rad am Wagen” heißen.
Ich hatte solche Verwendungen gesucht und nicht gefunden und deshalb vermutet, dass es sich bei dem Wort um die ins Urban Dictionary eingeschleuste Erfindung eines Spaßvogels handeln könnte. Aber bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, dass nur die Bedeutung erfunden ist — das Wort an sich gibt es, und ein pseudodeutsches Kunstwort ist es nicht. Weiterlesen