Nachtwerker hat uns posten beschert, was zu seiner „eigenen Überraschung“ Runde 1 überstanden hat. Die Skepsis war nicht unbegründet: „Ach was, viel zu alt!“. Aber eine kontinuierliche Steigerung seit Jahren ist eine Möglichkeit, das Kriterium FREQUENZZUWACHS zu interpretieren: Und: posten ist wirklich nicht unspannend.
Ursprung & Integration
posten hat einen Eintrag im Duden (und steht natürlich auf sonem Anglizismenindex, aber der wächst erfahrungsgemäß schneller, als Sie fail! sagen können). Im DUDEN liest man zum Ursprung: „englisch to post, eigentlich = mit der Post verschicken, zu: post < französisch poste“. Die konzeptuelle und orthografische Parallele zur deutschen Post ist naheliegend, etymologisch nicht falsch und könnte dazu geführt haben, es besonders mit schreiben, aber auch den Alternativen senden oder schicken eindeutschen zu wollen (die ganz unerschütterlichen schlagen auch schon mal veröffentlichen, kommentieren oder einstellen vor).
Des Dudens Aussprachehilfe ist [poʊstn]
(mit [oʊ]
an nordamerikanische Varietäten angelehnt; im britischen Englisch ist es [əʊ]
). Weil mich das nicht überzeugt hat, habe ich vor der Bibliothek kurzerhand zwei hippen jungen Menschen [po:stn]
aus dem akustischen Jutebeutel geleiert und nehme das mal als heute gängigere Form an. Im Gegensatz zur deutschen Post (kurzer halboffener Vokal) liegt bei posten ein langer halbgeschlossener Vokal vor. Das ist wenig verwunderlich: /oʊ/
ist ein Laut (z.b. wie in go, low oder boat), den wir im Deutschen nicht haben und deshalb mit Bordmittel ersetzen. Das ist ein normaler Vorgang und ist bei Alt-Anglizismen wie Koks nicht mehr erkennbar ([ko:ks]
statt [kəʊks]
). ((Sie sehen, wir nähern uns der Fortsetzung der Keks-Trilogie.))
Auch morphologisch fügt sich posten nahtlos ins heimische Flexionsparadigma: ich poste, du postest, sie postet oder er hat gepostet. Anders als bei manchen Entlehnungen gibt’s bei posten kaum orthografische Verwirrung: gepostet ist mit über 5 Millionen Google-Treffern deutlich vor geposted mit etwa einer halben Million. Das könnte an der lautlich bereits erfolgten Integration liegen und/oder ist durch das <t> im Stamm von posten begünstigt (bei adden beispielsweise ist das Verhältnis etwa 2:1 für geadded). Auch im Teilkorpus „Wikipedia-Diskussionen 2003–2011“ im DeReKo liegt gepostet mit etwa 1,400 Treffern klar vor geposted mit 29.
Schreiben? veröffentlichen? Posten!
Wir posten Fotos, Statusmeldungen, Videos oder Links auf Facebook, Beiträge auf Blogs oder Kommentare und Tipps in Foren und Mailinglisten. Nun könnte man auch sagen, dass man einen Blogbeitrag schreibt, Fotos veröffentlicht, Nachrichten innerhalb einer Mailinglist sendet/verschickt oder in Foren kommentiert. Zu argumentieren, dass wir mit posten ein Wort für all diese Dinge haben, würde diesen Beitrag aber nur unnötig abkürzen und posten aus dem Rennen werfen.
Denn wir können keine Bücher posten (sehr wohl aber schreiben, veröffentlichen oder schicken), Lady Gaga postet keine neue Single (höchstens das dazugehörige Video), und ob ich einen Kommentar poste oder einen Kommentar kommentiere sind zwei verschiedene Dinge. Aber auch hier wäre die Diskussion eher langweilig.
Neben dem semantischen Unterschied, welche nicht-/realen Objekte ich posten kann oder nicht, liegt eine syntaktische Erklärung darin, mit welcher Argumentstruktur posten überwiegend assoziiert ist. Anders als viele potentielle Konkurrenten wie schicken/schreiben wird posten meist transitiv verwendet (das hat es mit veröffentlichen gemein), etwa ich poste ein Bild oder er postet seine Meinung (im Forum); seltener intransitiv (sie postet oft nachts) und noch seltener ditransitiv. Eine ditransitive Verwendung würde ein/e Empfänger/in und einen intendierten Transfer implizieren und braucht deshalb einen besonderen Interpretationskontext: ?ich poste dir morgen einen Link (auf die Wall) oder ??sie postet ihrem Profil ein Video.
Warum? Weil der Prozess des Postens bzw. das, was wir posten, keine/n lokalisierbare/n, bestimmte/n Empfänger/in hat oder haben muss. Zumindest liegt der Fokus überhaupt nicht darauf, den Transfervorgang zu jemandem abzuschließen oder zu betonen: ich könnte mir nen Wolf posten mit Bildern, Statusmeldungen, Links, Kommentare, Blogbeiträge und Videos — unabhängig davon, ob’s jemand sieht, hätte ich immer noch Bilder, Statusmeldungen, Links, Kommentare, Blogbeiträge und Videos gepostet (aber immer noch nicht geschickt).
Damit unterscheidet sich posten grundlegend von schreiben oder schicken (wer hat sich eigentlich und übrigens diese Alternativen aus welchem Ärmel gezogen?), die in ihrer prototypischen Verwendung ditransitiv sind und deshalb mit Prozessen von DINGEN/OBJEKTEN > EMPFÄNGER/INNEN assoziiert sind (ich schreibe dir einen Brief, er schickt mir ein Paket). Weil in transitiven Verwendungen wie bei posten das indirekte Objekt fehlt, fehlt natürlich auch der Fokus auf den Empfänger/innen.
Und bei schreiben und schicken (trans.) sonst so? Die Behauptung, diese beiden Alternativen werden überwiegend ditransitiv verwendet, fehlt ein Plausibilitätskern. Klar, denn sie können einen Kommentar schreiben, dessen Signale niemand wirklich empfängt (ich schreibe einen Beitrag). Aber schreiben Sie tatsächlich URLs und RAW-Daten in Ihre Statuszeile bei Facebook? Eben. Die These wäre dann ja noch zusätzlich, dass man mit posten üblicherweise das Verbreiten von Dingen und Gedanken bezeichnet, die gar keinen schreiberischen Charakter haben, oder, wenn das bei Statusmeldungen doch der Fall ist, der Fokus auf dem Gesamtkunstwerk liegt. Aber selbst wenn Sie URLs abtippen würden (nein, nein, es heißt nicht copy & post), bezeichnen wir den abgeschlossenen oder geplanten Vorgang mit posten, nicht den Prozess des, äh, Abtippens.
Gepostete Daten
Eine lose Belegsammlung aus den Wikipedia-Diskussionen (DeReKo):
Den Link zum Raubdruck-Verlag habe ich gepostet, falls du dir das Heft zum Nachlesen kaufen willst. [WDD11/A00.16711]
Sorry dass ich anonym poste, aber ich habe mich noch nicht angemeldet. [WDD11/A01.05660]
darf ich jetzt trotzdem was posten, auch wenn ich (noch) nicht auf alle argumente eingehe? [WDD11/A00.10032]
Ich wäre dir dankbar, wenn Du hier mal zu deinem Malesta entsprechende Links posten würdest. Vielleicht wirds dann ja klarer. [WDD11/A00.16711]
Im übrigen poste ich Beiträge wenn ich Zeit und Lust dazu habe und nicht wenn du es dir wünscht. [WDD11/A02.06862]
Er hat ihn einfach nur aus Prinzip gepostet … typisch. [WDD11/A02.82922]
Der Fokus liegt hier natürlich auf der interaktiven Kommunikation zwischen Wikipedia-Autor/innen mit erhofften Empfänger/innen, aber die transitive Verwendung überwiegt (Links, Quellen, Beiträge, Meinungen). Weil nach gut 100 Belegen keine ditransitive Verwendung zu finden war, habe ich auf Google explizit danach gesucht:
Like & ich poste dir was auf die pinnwand [Quelle]
ich poste dir meinen skypenamen privat. [aus einem Coaching-Forum]
Ich poste dir mal einen trigger mit dem man per auferstehung Helden wiederbelben kann, den musst du prinzipiell nur noch an deinen anpassen [aus einem Gaming-Forum, mit Code]
Im Unterschied zu kommentieren oder veröffentlichen ist die ditransitive Verwendung aber durchaus möglich (bei ?Ich veröffentliche ihr was auf die Pinnwand wär ich skeptisch). In diesen Beispielen tritt die Transferbedeutung in den Vordergrund: Intention und ein Fokus auf Empfang und Empfänger/in. Denn entweder ist posten in der Bedeutung von schicken/emailen zu verstehen (1 & 2, wobei in 2 eine eher untypische Verwendung vorliegt) oder, wie im letzten Beispiel, erfüllt das dir eine Funktion ‚hab ich mal extra für dich gemacht und eingestellt‘.
Vielleicht ist es ein quantitativ wackliger Versuch. Aber die Tendenz ist eindeutig: posten hat sich semantisch und konzeptuell und syntaktisch in genau die Lücke gesetzt, die das Web im deutschen Inventar gerissen hat. Von der Beschränkung auf einen irgendwie konkreten, aber irgendwie nicht-physikalischen Kontexts natürlich ganz zu schweigen.
Fazit (postende)
Bei soner Wahl sollte man sich immer überraschen lassen.