Eine der unsympathischsten Aktionen des Vereins Deutsche Sprache ist die alljährliche Wahl eines „Sprachpanschers des Jahres“. Die funktioniert so: 1) Der Verein nominiert prominente Personen wegen abstrus konstruierter sprachlicher Sünden; 2) die Prominenz der Nominierten sorgt für eine breite Berichterstattung; 3) der VDS steht ohne nennenswerte Leistung als Wahrer der deutschen Sprache da. Getroffen hat es diesmal Wolfgang Schäuble, dessen Verbrechen gegen die Deutschlichkeit in „unbeholfenen Exkursionen ins Englische“ bestehe. Mit denen „mache er seit Jahren den Übersetzern in Brüssel Konkurrenz und falle damit allen Versuchen in den Rücken, Deutsch als echte Arbeitssprache in der EU zu verankern“. Weiterlesen
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Keine Austerität bitte, wir sind Deutsche
Wie viel Verantwortung die deutsche Regierung an der Wirtschaftskrise im Euro-Raum trägt, will ich nicht beurteilen (wenigstens nicht im Sprachlog), aber dass Außenminister Guido Westerwelle sich mit einem linguistischen Argument der Rechenschaft entziehen will, kann ich natürlich nicht durchgehen lassen. Vor allem nicht, weil das Argument nicht nur eine merkwürdige Vorstellung der Beziehung zwischen Sprache und Wirklichkeit offenbart, sondern auch sachlich falsch ist.
Westerwelles Argument ist das folgende:
Das dritte Zerrbild zeige ein Deutschland, das einem „Dogma der Austerität“ anhänge und der Frage neuen Wachstums gleichgültig, wenn nicht sogar ablehnend gegenüberstehe. „Das Wort ‚Austerität‘ gibt es in der deutschen Sprache nicht einmal“, sagte Westerwelle und versicherte, dass auch für Deutschland die Frage, wie sich neues und zugleich nachhaltiges, dauerhaftes Wachstum fördern lässt, ganz oben auf der Agenda stehe. ((Kaczmarek, Michael (2009) Westerwelle: EU-Reformen sind kein deutsches Diktat, euractiv.de, 24.5.2013 [Link]))
Deutschland kann für die europäische Austeritätspolitik also nicht verantwortlich sein, weil das Deutsche kein Wort für „Austerität“ habe.
Diese Aussage kann ich auf zwei Arten verstehen, von denen eine völlig und eine leicht verwirrt wäre (von der Tatsache, dass das Deutsche ganz offensichtlich sehr wohl ein Wort für Austerität hat, einmal abgesehen – auf die komme ich gleich zurück).
Entweder, Westerwelle meint hier, wer kein Wort für etwas hat, kann es nicht tun. Das wäre eine extreme Version der sprachlichen Relativität, die offensichtlich falsch ist: Hunde haben keine Worte für „seinen eigenen Schwanz jagen“, trotzdem können sie es tun. Deutsche bräuchten das Wort Austerität nicht, um auf die Idee zu kommen, den Staatshaushalt durch einen Investitionsstop und Kürzungen der Sozialausgaben auszugleichen.
Oder Westerwelle will sagen, da die Deutschen das Wort Austerität nicht erfunden, sondern entlehnt haben, müsse auch das dahinterstehende Konzept von jemandem anders erfunden worden sein. Das wäre ebenso falsch, denn natürlich ist es für eine Sprachgemeinschaft möglich, Wörter für etwas zu entlehnen, das sie bereits praktiziert. Die deutsche Sprachgemeinschaft hat z.B. mit hoher Wahrscheinlichkeit schon Sex gehabt, bevor sie das Wort Sex aus dem Englischen entlehnt hat. Außerdem wäre die Tatsache, dass auch das Wort Austerität (bzw. seine hier relevante Bedeutung) aus dem Englischen stammt, kein Grund, warum die aktuelle Austeritätspolitik nicht von Deutschland ausgehen sollte. Es ist ja problemlos möglich, anderen Menschen Dinge aufzuzwingen, die man nicht selbst erfunden hat: Alle Missionare machen das zum Beispiel so.
Bleibt die Frage, warum Westerwelle überhaupt auf die Idee kommt, das Deutsche habe kein Wort für Austerität. Natürlich hat es das, und Westerwelle verwendet es ja selbst: Austerität, halt. ((Im Duden steht es derzeit übrigens nicht.)) Was er damit nur meinen kann, ist, dass es sich bei diesem Wort nicht um eins handelt, das uns aus dem Proto-Germanischen erhalten geblieben ist. Stattdessen stammt es ursprünglich aus dem Lateinischen (austeritas), wo es „Herbheit“ (z.B. von Wein) und im übertragenen Sinne auch „Strenge, Ernst“ hieß. Mit dieser Bedeutung findet es sich schon im 14 Jahrhundert im Englischen:
- Þe gret austerité, Þat Crist sal shew þat day. [1340, cit. Oxford English Dictionary, s.v. austerity („Die große Strenge, die Christus an diesem Tage zeigen wird.“)
Ab Anfang des 17. Jahrhunderts findet es sich außerdem mit der Bedeutung „Selbstdisziplin, Zurückhaltung, moralische Strenge, Abstinenz, Asketentum“:
- Or on Dianaes altar to protest, For aye, austeritie and single life. [1600, Shakespeare, Midsummer Night’s Dream, cit. OED, s.v. austerity]
(In der Übersetzung von Schlegel wird austerity in Beispiel 2 recht eng mit „ehloser Stand“ übersetzt).
In dieser Bedeutung findet sich das Wort Austerität spätestens seit dem 18. Jahrhundert auch im Deutschen (Jahreszahlen verlinken auf die Quellen bei Google Books):
- Dieses erklären die Welt-Menschen also: wenn man bey einer lustigen Compagnie sey, so soll man mit machen, und nicht mit seiner Austerität sie in ihrer Lustbarkeit stören… [1738]
- Nun scheinet er zwar eines Theils die Sache fast allzuweit wegzuwerfen, andern Theils aber zu seiner Verwahrung eine übrige Austerität anzunehmen; allein im Mittel zu bleiben, ist es wohl zu erachten , daß er zu keiner solchen Conferenz vorjetzo leicht stimmen werde. [1745]
Die finanzpolitische Bedeutung („Ausgleich des Staatshaushalts durch strenge Sparmaßnahmen“) stammt aus dem Großbritannien des Zweiten Weltkriegs, das Oxford English Dictionary nennt die Times Weekly vom 2. Dezember 1942 als erste Quelle:
- A General Limitation Order—..which suggests that the United States have got quite a way on the road to austerity.
Im Deutschen findet sich diese Bedeutung spätestens 1954, noch in Anführungszeichen und im direkten Zusammenhang mit der britischen Austeritätspolitik, schon 1961 (und seitdem durchgängig) aber ganz selbstverständlich auch in anderen Zusammenhängen:
- Das britische Volk ist müde geworden durch Krieg und „Austerität”, eine zwiefache Prüfung, die der Amerikaner niemals kennengelernt hat. Der britische Stolz ist verletzt, weil Britanniens Gewicht in der Kräfteverteilung der Welt geringer geworden ist. [1954]
- Gleichzeitig ist in Belgien, keine 500 km von uns entfernt, die Wirtschaft durch die Evakuierung des Kongos und die Streiks so sehr durcheinander geraten, daß wohl nur ein Programm striktester Austerität das Land wieder auf die Beine kommen kann, wobei auch hier damit zu rechnen ist, daß ein beträchtlicher Pool von Arbeitslosen zurückbleiben wird. [1961]
Und sogar das Wort Austeritätspolitik findet sich schon seit 1960 im Deutschen:
- Die Voraussetzung einer Eindämmung der Geldschöpfung wäre die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen den Einnahmen und den Ausgaben im Staatshaushalt gewesen. Es gab genug Möglichkeiten, wirksame Maßnahmen zur Erzielung einer Austeritätspolitik zu ergreifen. [1960]
Das Wort Austerität existiert also im Deutschen seit weit über 250 Jahren, und davon seit über 50 Jahren mit der für Westerwelles Zitat relevanten Bedeutung. Nun könnte er sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass lateinische Wörter niemals genuin deutsch werden, und deshalb auch nie genuin deutsches Denken oder Handeln bezeichnen können. Dann würde sich aber die Frage stellen, wie die FDP liberal (von lat. liberalis) sein kann. Hm, wenn ich so darüber nachdenke – vielleicht hat Westerwelle ja mit seiner Theorie doch recht.
Sprachbrocken 20/2013
Die französische Sprache steht kurz vor dem Aussterben: zu einer „banalen“, ja „toten Sprache“ werde es, befürchtet der Sprachschützer Bernard Pivot, wenn die französische Bildungsministerin sich mit ihrem Plan durchsetze, an französischen Universitäten auch das Englische als Unterrichtssprache zuzulassen. Denn Sprache, so Pivot, sei das, was eine Nation ausmache und schon seit jeher sei es so gewesen, dass Siegermächte den Besiegten ihre Sprache aufgezwungen hätten. Als Franzose kennt er sich da aus, denn die Kolonialmacht Frankreich hat das bestens vorgemacht, was es Pivot ermöglicht, in einem Nebensatz von „unseren“ – also französischen – „großen Schriftstellern aus Afrika und von den Antillen“ zu schwärmen. Aber wenn es das Französische ist, das verdrängt wird, und sei es nur aus ein paar Seminaren, dann steht die französische Nation vor dem Aus. Auch die Ironie, dass mit dem Englischen eine Sprache nach Frankreich zurückkehrt, die sich durch eine jahrhundertelange französische Besatzung bis zur Unkenntlichkeit verändert hat, entgeht ihm offensichtlich. Weiterlesen
Shitstormgeburtstag
Seit wir 2011 Shitstorm zum Anglizismus des Jahres gewählt haben, vergeht kaum eine Woche, in der ich meinen Namen nicht irgendwo in Verbindung mit diesem Wort lesen darf. Wann immer ein Shitstorm diskutiert wird, finden sich in einem Nebensatz oder in einem erklärenden Kasten ein Hinweis auf unsere Wahl und ein oder zwei Zitate von mir. Obwohl ich leicht zu erreichen bin, sind diese Zitate normalerweise alt und stammen aus Pressemitteilungen oder Interviews, und nicht aus meiner Laudatio oder Susannes exzellenten Beiträgen zu diesem Wort. ((Wobei hier ein Lob an die Wikipedia angemessen ist, die sich in dem Eintrag zu diesem Wort in wichtigen Punkten auf unsere Recherchen stützt.)) So auch heute, wo eine Pressemeldung der dpa den 50. Geburtstag des Wortes bekannt gibt (abgedruckt z.B. in der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung unter der Überschrift „Vermeintlich neues Wort“): Weiterlesen
Sprachbrocken 17/2013
Über die religiösen Mythen exotischer Kulturen kursieren ja die wildesten Gerüchte, was häufig daran liegt, dass sie in ebenso exotischen Sprachen abgefasst sind und dass es keine Übersetzungen gibt. Ein Grund mehr, einen Meilenstein des interkulturellen Verständnisses zu feiern, der diese Woche bekannt wurde: der Mythos „Star Wars Episode IV: Eine neue Hoffnung“ (bei Fundamentalisten aus nicht nachvollziehbaren Gründen als „Episode I“ bekannt) wird, wie der HOLLYWOOD REPORTER meldet, endlich ins Navajo übersetzt. Damit wird dieses urtümliche und schwer verständliche Epos erstmals Mitgliedern einer fortgeschrittenen Zivilisation zugänglich gemacht, die so unschätzbar wertvolle Einblicke in das spirituelle Leben der sogenannten „Amerikaner“ (die sich selbst nur People, also grob übersetzt „Menschen“ nennen) erhalten. Weiterlesen
Sprachbrocken 14/2013
Sich über die Jugend und ihren Sprachgebrauch zu echauffieren, sei den Sprachnörglern, Kulturfixierern und anderen Veränderungs-verängstigten von Herzen gegönnt – schließlich haben es schon ihre Großeltern so gehalten, und deren Großeltern und die Großeltern der Großeltern von deren Großeltern. Aber spätestens wenn er sich unversehens dabei ertappt, mit Wladimir Putin einer Meinung zu sein, sollte auch der fanatischste Vergangenheitsfundamentalist einen Augenblick innehalten und über die gedanklichen Schritte nachdenken, die ihn in diese unangenehme Situation gebracht haben. Das ist Edwin Baumgartner von der WIENER ZEITUNG nicht gelungen. Putins Gesetz gegen Kraftausdrücke im Fernsehen ziele zwar wegen seiner willkürlichen Auslegbarkeit eindeutig auf eine Zensur der öffentlichen Rede ab. Aber angesichts des durch die synchronisierten Fassungen amerikanischer Filme inspirierten zotig-vulgären Sprachgebrauchs der heutigen Jugend (wirklich, das habe ich mir nicht ausgedacht) sei es ja Zensur zu einem guten Zwecke.
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Sprachschmuggler in der Wikipedia?
In meiner gestrigen Laudatio zum Anglizismus des Jahres 2012, Crowdfunding, sprach ich meine Vermutung an, dass die vereinzelt zu findende Eindeutschung „Schwarmfinanzierung“ eine Wortschöpfung von Anglizismuskritikern sei, die diese über den Wikipedia-Eintrag zum Crowdfunding zunächst in den journalistischen Sprachgebrauch eingeschleust hätten. Diese Vermutung stützt sich auf die Tatsache, das die früheste Verwendung, des Wortes, die ich finden kann, eben aus diesem Wikipedia-Eintrag, genauer, in der Artikelversion vom 23. März 2011 stammt. Eingetragen wurde es von einem anonymen Nutzer, weshalb die Wikipedia-Software nur die IP-Adresse des Bearbeiters dokumentiert. Eine Überprüfung der Bearbeitungen, die unter dieser IP-Adresse im selben Zeitraum vorgenommen wurden, zeigt, dass außerdem das Schlagwort „Schwarmfinanzierung“ mit einer Weiterleitung auf den Artikel zu Crowdfunding angelegt und das Wort Schwarmfinanzierung in den Eintrag zu einer bestimmten Crowdfundingplattform hinein redigiert wurden. Dass es sich bei dem anonymen Nutzer um einen Sprachkritiker auf Sprachsäuberungsmission handelte, schließe ich daraus, dass das Wort „Schwarmfinanzierung“ im Anglizismenindex des Vereins Deutsche Sprache steht (dazu gleich mehr). Weiterlesen
Tablet [Anglizismus 2012]
Das Tablet ist ein Wiedergänger: Bereits letztes Jahr hat es Anspruch auf den Anglizismusdesjahrestitel erhoben. Wer sich für die ausführliche Besprechung interessiert, sollte sich daher den damaligen Blogbeitrag dazu anschauen – heute untersuche ich, wie sich das Wort seither gemacht hat und ob es 2012 eine Gewinnchance hat.
Rein subjektiv rechne ich mit einer enormen Frequenzzunahme, basierend auf der Beobachtung, dass die Geräte immer häufiger zu sehen und für viele Menschen zu einem Alltagsgegenstand geworden sind.
Ein Blick in die Zeitung bestätigt das:
Erstmals übertraf 2012 das blanke Wort Tablet (grüne Linie) verdeutlichende Zusammensetzungen wie Tablet-PC oder Tablet-Computer (blaue Linie). Das Konzept ist jetzt also fest genug bei der Zeitungsleserschaft verankert, es bedarf sprachlicher Hilfestellung nicht mehr unbedingt. Damit ist eingetreten, was ich letztes Jahr geradezu prophetisch prognostiziert habe – und zwar schneller als gedacht:
Ich wage zu behaupten, dass sich die Form Tablet, falls das Gerät überlebt, auf lange Sicht gegenüber Tablet-Computer durchsetzen wird. Ist kürzer, und wenn man weiß, was gemeint ist, braucht kein Mensch mehr eine deskriptive Benennung.
Diese Zusammensetzungen werden in den kommenden Jahren sicher noch weiter zurückgehen. ((Sag ich jetzt, damit ich bei der AdJ-2013-Nominierung erneut auf meine prophetischen Fähigkeiten verweisen kann.))
Im Gegenzug braucht man mittlerweile mehr Differenzierungsmöglichkeiten, um all die Tablets voneinander unterscheiden zu können: Komposita mit einem Erstglied, das das Tablet näher bestimmt (lila Linie) nehmen weiter zu. In fast allen Fällen wird hier Bezug auf den Hersteller oder Verkäufer (Apple, Aldi, Sony-Tablet, …) oder auf Leistungsfähigkeit und Größe genommen (Highend-, Full-HD-, Sieben-Zoll-, Riesen-Tablet, …).
Zwar war der Anstieg des Wortes Tablet von 2010 nach 2011 viel deutlicher (um 3,8 Prozentpunkte) als der von 2011 nach 2012 (um 2,2 Prozentpunkte) ((Eine Suche über Begriffe im Wandel der ZEIT liefert zwar für Die Zeit einen sprunghaften Anstieg 2012, hier in ich aber skeptisch, was die Datenbasis betrifft. Über den Bugfixing-Modus gelangt man an absolute Zahlen, das sind für 2012 genau 116 Treffer, die sich recht gleichmäßig über das Jahr verteilen (z.B. je 10 im November und Dezember). Hier muss also bei der Normalisierung etwas schiefgegangen sein.)), allerdings würde ich das nicht sofort als AdJ-Aus sehen. Das Tablet hat 2012 an Land gewonnen, besonders gegenüber bemutternden Bildungen, in denen es nur Erstglied ist. Es ist zwar sprachlich nicht besonders aufregend, aber man kann von so einem Anglizismus jetzt auch nicht alles erwarten.
posten [Anglizismus 2012]
Nachtwerker hat uns posten beschert, was zu seiner „eigenen Überraschung“ Runde 1 überstanden hat. Die Skepsis war nicht unbegründet: „Ach was, viel zu alt!“. Aber eine kontinuierliche Steigerung seit Jahren ist eine Möglichkeit, das Kriterium FREQUENZZUWACHS zu interpretieren: Und: posten ist wirklich nicht unspannend.
Ursprung & Integration
posten hat einen Eintrag im Duden (und steht natürlich auf sonem Anglizismenindex, aber der wächst erfahrungsgemäß schneller, als Sie fail! sagen können). Im DUDEN liest man zum Ursprung: „englisch to post, eigentlich = mit der Post verschicken, zu: post < französisch poste“. Die konzeptuelle und orthografische Parallele zur deutschen Post ist naheliegend, etymologisch nicht falsch und könnte dazu geführt haben, es besonders mit schreiben, aber auch den Alternativen senden oder schicken eindeutschen zu wollen (die ganz unerschütterlichen schlagen auch schon mal veröffentlichen, kommentieren oder einstellen vor).
Des Dudens Aussprachehilfe ist [poʊstn]
(mit [oʊ]
an nordamerikanische Varietäten angelehnt; im britischen Englisch ist es [əʊ]
). Weil mich das nicht überzeugt hat, habe ich vor der Bibliothek kurzerhand zwei hippen jungen Menschen [po:stn]
aus dem akustischen Jutebeutel geleiert und nehme das mal als heute gängigere Form an. Im Gegensatz zur deutschen Post (kurzer halboffener Vokal) liegt bei posten ein langer halbgeschlossener Vokal vor. Das ist wenig verwunderlich: /oʊ/
ist ein Laut (z.b. wie in go, low oder boat), den wir im Deutschen nicht haben und deshalb mit Bordmittel ersetzen. Das ist ein normaler Vorgang und ist bei Alt-Anglizismen wie Koks nicht mehr erkennbar ([ko:ks]
statt [kəʊks]
). ((Sie sehen, wir nähern uns der Fortsetzung der Keks-Trilogie.))
Auch morphologisch fügt sich posten nahtlos ins heimische Flexionsparadigma: ich poste, du postest, sie postet oder er hat gepostet. Anders als bei manchen Entlehnungen gibt’s bei posten kaum orthografische Verwirrung: gepostet ist mit über 5 Millionen Google-Treffern deutlich vor geposted mit etwa einer halben Million. Das könnte an der lautlich bereits erfolgten Integration liegen und/oder ist durch das <t> im Stamm von posten begünstigt (bei adden beispielsweise ist das Verhältnis etwa 2:1 für geadded). Auch im Teilkorpus „Wikipedia-Diskussionen 2003–2011“ im DeReKo liegt gepostet mit etwa 1,400 Treffern klar vor geposted mit 29.
Schreiben? veröffentlichen? Posten!
Wir posten Fotos, Statusmeldungen, Videos oder Links auf Facebook, Beiträge auf Blogs oder Kommentare und Tipps in Foren und Mailinglisten. Nun könnte man auch sagen, dass man einen Blogbeitrag schreibt, Fotos veröffentlicht, Nachrichten innerhalb einer Mailinglist sendet/verschickt oder in Foren kommentiert. Zu argumentieren, dass wir mit posten ein Wort für all diese Dinge haben, würde diesen Beitrag aber nur unnötig abkürzen und posten aus dem Rennen werfen.
Denn wir können keine Bücher posten (sehr wohl aber schreiben, veröffentlichen oder schicken), Lady Gaga postet keine neue Single (höchstens das dazugehörige Video), und ob ich einen Kommentar poste oder einen Kommentar kommentiere sind zwei verschiedene Dinge. Aber auch hier wäre die Diskussion eher langweilig.
Neben dem semantischen Unterschied, welche nicht-/realen Objekte ich posten kann oder nicht, liegt eine syntaktische Erklärung darin, mit welcher Argumentstruktur posten überwiegend assoziiert ist. Anders als viele potentielle Konkurrenten wie schicken/schreiben wird posten meist transitiv verwendet (das hat es mit veröffentlichen gemein), etwa ich poste ein Bild oder er postet seine Meinung (im Forum); seltener intransitiv (sie postet oft nachts) und noch seltener ditransitiv. Eine ditransitive Verwendung würde ein/e Empfänger/in und einen intendierten Transfer implizieren und braucht deshalb einen besonderen Interpretationskontext: ?ich poste dir morgen einen Link (auf die Wall) oder ??sie postet ihrem Profil ein Video.
Warum? Weil der Prozess des Postens bzw. das, was wir posten, keine/n lokalisierbare/n, bestimmte/n Empfänger/in hat oder haben muss. Zumindest liegt der Fokus überhaupt nicht darauf, den Transfervorgang zu jemandem abzuschließen oder zu betonen: ich könnte mir nen Wolf posten mit Bildern, Statusmeldungen, Links, Kommentare, Blogbeiträge und Videos — unabhängig davon, ob’s jemand sieht, hätte ich immer noch Bilder, Statusmeldungen, Links, Kommentare, Blogbeiträge und Videos gepostet (aber immer noch nicht geschickt).
Damit unterscheidet sich posten grundlegend von schreiben oder schicken (wer hat sich eigentlich und übrigens diese Alternativen aus welchem Ärmel gezogen?), die in ihrer prototypischen Verwendung ditransitiv sind und deshalb mit Prozessen von DINGEN/OBJEKTEN > EMPFÄNGER/INNEN assoziiert sind (ich schreibe dir einen Brief, er schickt mir ein Paket). Weil in transitiven Verwendungen wie bei posten das indirekte Objekt fehlt, fehlt natürlich auch der Fokus auf den Empfänger/innen.
Und bei schreiben und schicken (trans.) sonst so? Die Behauptung, diese beiden Alternativen werden überwiegend ditransitiv verwendet, fehlt ein Plausibilitätskern. Klar, denn sie können einen Kommentar schreiben, dessen Signale niemand wirklich empfängt (ich schreibe einen Beitrag). Aber schreiben Sie tatsächlich URLs und RAW-Daten in Ihre Statuszeile bei Facebook? Eben. Die These wäre dann ja noch zusätzlich, dass man mit posten üblicherweise das Verbreiten von Dingen und Gedanken bezeichnet, die gar keinen schreiberischen Charakter haben, oder, wenn das bei Statusmeldungen doch der Fall ist, der Fokus auf dem Gesamtkunstwerk liegt. Aber selbst wenn Sie URLs abtippen würden (nein, nein, es heißt nicht copy & post), bezeichnen wir den abgeschlossenen oder geplanten Vorgang mit posten, nicht den Prozess des, äh, Abtippens.
Gepostete Daten
Eine lose Belegsammlung aus den Wikipedia-Diskussionen (DeReKo):
Den Link zum Raubdruck-Verlag habe ich gepostet, falls du dir das Heft zum Nachlesen kaufen willst. [WDD11/A00.16711]
Sorry dass ich anonym poste, aber ich habe mich noch nicht angemeldet. [WDD11/A01.05660]
darf ich jetzt trotzdem was posten, auch wenn ich (noch) nicht auf alle argumente eingehe? [WDD11/A00.10032]
Ich wäre dir dankbar, wenn Du hier mal zu deinem Malesta entsprechende Links posten würdest. Vielleicht wirds dann ja klarer. [WDD11/A00.16711]
Im übrigen poste ich Beiträge wenn ich Zeit und Lust dazu habe und nicht wenn du es dir wünscht. [WDD11/A02.06862]
Er hat ihn einfach nur aus Prinzip gepostet … typisch. [WDD11/A02.82922]
Der Fokus liegt hier natürlich auf der interaktiven Kommunikation zwischen Wikipedia-Autor/innen mit erhofften Empfänger/innen, aber die transitive Verwendung überwiegt (Links, Quellen, Beiträge, Meinungen). Weil nach gut 100 Belegen keine ditransitive Verwendung zu finden war, habe ich auf Google explizit danach gesucht:
Like & ich poste dir was auf die pinnwand [Quelle]
ich poste dir meinen skypenamen privat. [aus einem Coaching-Forum]
Ich poste dir mal einen trigger mit dem man per auferstehung Helden wiederbelben kann, den musst du prinzipiell nur noch an deinen anpassen [aus einem Gaming-Forum, mit Code]
Im Unterschied zu kommentieren oder veröffentlichen ist die ditransitive Verwendung aber durchaus möglich (bei ?Ich veröffentliche ihr was auf die Pinnwand wär ich skeptisch). In diesen Beispielen tritt die Transferbedeutung in den Vordergrund: Intention und ein Fokus auf Empfang und Empfänger/in. Denn entweder ist posten in der Bedeutung von schicken/emailen zu verstehen (1 & 2, wobei in 2 eine eher untypische Verwendung vorliegt) oder, wie im letzten Beispiel, erfüllt das dir eine Funktion ‚hab ich mal extra für dich gemacht und eingestellt‘.
Vielleicht ist es ein quantitativ wackliger Versuch. Aber die Tendenz ist eindeutig: posten hat sich semantisch und konzeptuell und syntaktisch in genau die Lücke gesetzt, die das Web im deutschen Inventar gerissen hat. Von der Beschränkung auf einen irgendwie konkreten, aber irgendwie nicht-physikalischen Kontexts natürlich ganz zu schweigen.
Fazit (postende)
Bei soner Wahl sollte man sich immer überraschen lassen.
Blackfacing [Anglizismus 2012]
Das Wort Blackfacing ist abgeleitet vom Englischen blackface, der Bezeichnung für eine ursprünglich aus den USA stammende Theater- und Varieté-Tradition, bei der weiße Schauspieler/innen oder Sänger/innen auf meistens übertrieben stereotypisierte Weise als Schwarze geschminkt auftreten.
Einen soliden Einstieg in die Geschichte des Blackface bietet die englische Wikipedia. Für die Geschichte des Lehnworts Blackfacing ist zunächst entscheidend, dass diese Praxis in doppelter Weise rassistisch belegt ist: Erstens, weil die Tradition aus einem zutiefst rassistischen historischen Zusammenhang stammt, in dem ein Auftreten schwarzer Schauspieler/innen als inakzeptabel gegolten hätte, und zweitens, weil beim Blackface nicht nur das Make-Up selbst und die dazugehörige Mimik übertrieben stereotypisiert ist (dicke rote Lippen, struppige Haare, weit aufgerissene Augen, wie auf dem weiter unten abgebildeten zeitgenössische Plakat), sondern auch die Zusammenhänge, in denen es verwendet wurde (Schwarze als naive, immer fröhliche Unterhalter).
[Hinweis: Der folgende Beitrag enthält eine rassistische Abbildung.] Weiterlesen