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Sprachbrocken 23/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Eine der unsym­pa­this­chsten Aktio­nen des Vere­ins Deutsche Sprache ist die alljährliche Wahl eines „Sprach­pan­sch­ers des Jahres“. Die funk­tion­iert so: 1) Der Vere­in nominiert promi­nente Per­so­n­en wegen abstrus kon­stru­iert­er sprach­lich­er Sün­den; 2) die Promi­nenz der Nominierten sorgt für eine bre­ite Berichter­stat­tung; 3) der VDS ste­ht ohne nen­nenswerte Leis­tung als Wahrer der deutschen Sprache da. Getrof­fen hat es dies­mal Wolf­gang Schäu­ble, dessen Ver­brechen gegen die Deutschlichkeit in „unbe­holfe­nen Exkur­sio­nen ins Englis­che“ beste­he. Mit denen „mache er seit Jahren den Über­set­zern in Brüs­sel Konkur­renz und falle damit allen Ver­suchen in den Rück­en, Deutsch als echte Arbeitssprache in der EU zu ver­ankern“. Weit­er­lesen

Keine Austerität bitte, wir sind Deutsche

Von Anatol Stefanowitsch

Wie viel Ver­ant­wor­tung die deutsche Regierung an der Wirtschaft­skrise im Euro-Raum trägt, will ich nicht beurteilen (wenig­stens nicht im Sprachlog), aber dass Außen­min­is­ter Gui­do West­er­welle sich mit einem lin­guis­tis­chen Argu­ment der Rechen­schaft entziehen will, kann ich natür­lich nicht durchge­hen lassen. Vor allem nicht, weil das Argu­ment nicht nur eine merk­würdi­ge Vorstel­lung der Beziehung zwis­chen Sprache und Wirk­lichkeit offen­bart, son­dern auch sach­lich falsch ist.

West­er­welles Argu­ment ist das folgende:

Das dritte Zer­rbild zeige ein Deutsch­land, das einem „Dog­ma der Aus­ter­ität“ anhänge und der Frage neuen Wach­s­tums gle­ichgültig, wenn nicht sog­ar ablehnend gegenüber­ste­he. „Das Wort ‚Aus­ter­ität‘ gibt es in der deutschen Sprache nicht ein­mal“, sagte West­er­welle und ver­sicherte, dass auch für Deutsch­land die Frage, wie sich neues und zugle­ich nach­haltiges, dauer­haftes Wach­s­tum fördern lässt, ganz oben auf der Agen­da ste­he. ((Kacz­marek, Michael (2009) West­er­welle: EU-Refor­men sind kein deutsches Dik­tat, euractiv.de, 24.5.2013 [Link]))

Deutsch­land kann für die europäis­che Aus­ter­ität­spoli­tik also nicht ver­ant­wortlich sein, weil das Deutsche kein Wort für „Aus­ter­ität“ habe.

Diese Aus­sage kann ich auf zwei Arten ver­ste­hen, von denen eine völ­lig und eine leicht ver­wirrt wäre (von der Tat­sache, dass das Deutsche ganz offen­sichtlich sehr wohl ein Wort für Aus­ter­ität hat, ein­mal abge­se­hen – auf die komme ich gle­ich zurück). 

Entwed­er, West­er­welle meint hier, wer kein Wort für etwas hat, kann es nicht tun. Das wäre eine extreme Ver­sion der sprach­lichen Rel­a­tiv­ität, die offen­sichtlich falsch ist: Hunde haben keine Worte für „seinen eige­nen Schwanz jagen“, trotz­dem kön­nen sie es tun. Deutsche bräucht­en das Wort Aus­ter­ität nicht, um auf die Idee zu kom­men, den Staat­shaushalt durch einen Investi­tion­sstop und Kürzun­gen der Sozialaus­gaben auszugleichen.

Oder West­er­welle will sagen, da die Deutschen das Wort Aus­ter­ität nicht erfun­den, son­dern entlehnt haben, müsse auch das dahin­ter­ste­hende Konzept von jeman­dem anders erfun­den wor­den sein. Das wäre eben­so falsch, denn natür­lich ist es für eine Sprachge­mein­schaft möglich, Wörter für etwas zu entlehnen, das sie bere­its prak­tiziert. Die deutsche Sprachge­mein­schaft hat z.B. mit hoher Wahrschein­lichkeit schon Sex gehabt, bevor sie das Wort Sex aus dem Englis­chen entlehnt hat. Außer­dem wäre die Tat­sache, dass auch das Wort Aus­ter­ität (bzw. seine hier rel­e­vante Bedeu­tung) aus dem Englis­chen stammt, kein Grund, warum die aktuelle Aus­ter­ität­spoli­tik nicht von Deutsch­land aus­ge­hen sollte. Es ist ja prob­lem­los möglich, anderen Men­schen Dinge aufzuzwin­gen, die man nicht selb­st erfun­den hat: Alle Mis­sion­are machen das zum Beispiel so.

Bleibt die Frage, warum West­er­welle über­haupt auf die Idee kommt, das Deutsche habe kein Wort für Aus­ter­ität. Natür­lich hat es das, und West­er­welle ver­wen­det es ja selb­st: Aus­ter­ität, halt. ((Im Duden ste­ht es derzeit übri­gens nicht.)) Was er damit nur meinen kann, ist, dass es sich bei diesem Wort nicht um eins han­delt, das uns aus dem Pro­to-Ger­man­is­chen erhal­ten geblieben ist. Stattdessen stammt es ursprünglich aus dem Lateinis­chen (aus­ter­i­tas), wo es „Herb­heit“ (z.B. von Wein) und im über­tra­ge­nen Sinne auch „Strenge, Ernst“ hieß. Mit dieser Bedeu­tung find­et es sich schon im 14 Jahrhun­dert im Englischen:

  1. Þe gret aus­ter­ité, Þat Crist sal shew þat day. [1340, cit. Oxford Eng­lish Dic­tio­nary, s.v. aus­ter­i­ty („Die große Strenge, die Chris­tus an diesem Tage zeigen wird.“)

Ab Anfang des 17. Jahrhun­derts find­et es sich außer­dem mit der Bedeu­tung „Selb­st­diszi­plin, Zurück­hal­tung, moralis­che Strenge, Absti­nenz, Asketentum“:

  1. Or on Dianaes altar to protest, For aye, aus­ter­i­tie and sin­gle life. [1600, Shake­speare, Mid­sum­mer Night’s Dream, cit. OED, s.v. aus­ter­i­ty]

(In der Über­set­zung von Schlegel wird aus­ter­i­ty in Beispiel 2 recht eng mit „ehlos­er Stand“ übersetzt).

In dieser Bedeu­tung find­et sich das Wort Aus­ter­ität spätestens seit dem 18. Jahrhun­dert auch im Deutschen (Jahreszahlen ver­linken auf die Quellen bei Google Books):

  1. Dieses erk­lären die Welt-Men­schen also: wenn man bey ein­er lusti­gen Com­pag­nie sey, so soll man mit machen, und nicht mit sein­er Aus­ter­ität sie in ihrer Lust­barkeit stören… [1738]
  2. Nun scheinet er zwar eines Theils die Sache fast allzuweit wegzuw­er­fen, andern Theils aber zu sein­er Ver­wahrung eine übrige Aus­ter­ität anzunehmen; allein im Mit­tel zu bleiben, ist es wohl zu eracht­en , daß er zu kein­er solchen Con­ferenz vor­jet­zo leicht stim­men werde. [1745]

Die finanzpoli­tis­che Bedeu­tung („Aus­gle­ich des Staat­shaushalts durch strenge Spar­maß­nah­men“) stammt aus dem Großbri­tan­nien des Zweit­en Weltkriegs, das Oxford Eng­lish Dic­tio­nary nen­nt die Times Week­ly vom 2. Dezem­ber 1942 als erste Quelle:

  1. A Gen­er­al Lim­i­ta­tion Order—..which sug­gests that the Unit­ed States have got quite a way on the road to aus­ter­i­ty.

Im Deutschen find­et sich diese Bedeu­tung spätestens 1954, noch in Anführungsze­ichen und im direk­ten Zusam­men­hang mit der britis­chen Aus­ter­ität­spoli­tik, schon 1961 (und seit­dem durchgängig) aber ganz selb­stver­ständlich auch in anderen Zusammenhängen: 

  1. Das britis­che Volk ist müde gewor­den durch Krieg und „Aus­ter­ität”, eine zwiefache Prü­fung, die der Amerikan­er niemals ken­nen­gel­ernt hat. Der britis­che Stolz ist ver­let­zt, weil Bri­tan­niens Gewicht in der Kräftev­erteilung der Welt geringer gewor­den ist. [1954]
  2. Gle­ichzeit­ig ist in Bel­gien, keine 500 km von uns ent­fer­nt, die Wirtschaft durch die Evakuierung des Kon­gos und die Streiks so sehr durcheinan­der ger­at­en, daß wohl nur ein Pro­gramm strik­tester Aus­ter­ität das Land wieder auf die Beine kom­men kann, wobei auch hier damit zu rech­nen ist, daß ein beträchtlich­er Pool von Arbeit­slosen zurück­bleiben wird. [1961]

Und sog­ar das Wort Aus­ter­ität­spoli­tik find­et sich schon seit 1960 im Deutschen:

  1. Die Voraus­set­zung ein­er Eindäm­mung der Geld­schöp­fung wäre die Her­stel­lung eines Gle­ichgewichts zwis­chen den Ein­nah­men und den Aus­gaben im Staat­shaushalt gewe­sen. Es gab genug Möglichkeit­en, wirk­same Maß­nah­men zur Erzielung ein­er Aus­ter­ität­spoli­tik zu ergreifen. [1960]

Das Wort Aus­ter­ität existiert also im Deutschen seit weit über 250 Jahren, und davon seit über 50 Jahren mit der für West­er­welles Zitat rel­e­van­ten Bedeu­tung. Nun kön­nte er sich natür­lich auf den Stand­punkt stellen, dass lateinis­che Wörter niemals gen­uin deutsch wer­den, und deshalb auch nie gen­uin deutsches Denken oder Han­deln beze­ich­nen kön­nen. Dann würde sich aber die Frage stellen, wie die FDP lib­er­al (von lat. lib­er­alis) sein kann. Hm, wenn ich so darüber nach­denke – vielle­icht hat West­er­welle ja mit sein­er The­o­rie doch recht.

Sprachbrocken 20/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Die franzö­sis­che Sprache ste­ht kurz vor dem Ausster­ben: zu ein­er „banalen“, ja „toten Sprache“ werde es, befürchtet der Sprach­schützer Bernard Piv­ot, wenn die franzö­sis­che Bil­dungsmin­is­terin sich mit ihrem Plan durch­set­ze, an franzö­sis­chen Uni­ver­sitäten auch das Englis­che als Unter­richtssprache zuzu­lassen. Denn Sprache, so Piv­ot, sei das, was eine Nation aus­mache und schon seit jeher sei es so gewe­sen, dass Siegermächte den Besiegten ihre Sprache aufgezwun­gen hät­ten. Als Fran­zose ken­nt er sich da aus, denn die Kolo­nial­macht Frankre­ich hat das bestens vorgemacht, was es Piv­ot ermöglicht, in einem Neben­satz von „unseren“ – also franzö­sis­chen – „großen Schrift­stellern aus Afri­ka und von den Antillen“ zu schwär­men. Aber wenn es das Franzö­sis­che ist, das ver­drängt wird, und sei es nur aus ein paar Sem­i­naren, dann ste­ht die franzö­sis­che Nation vor dem Aus. Auch die Ironie, dass mit dem Englis­chen eine Sprache nach Frankre­ich zurück­kehrt, die sich durch eine jahrhun­derte­lange franzö­sis­che Besatzung bis zur Unken­ntlichkeit verän­dert hat, ent­ge­ht ihm offen­sichtlich. Weit­er­lesen

Shitstormgeburtstag

Von Anatol Stefanowitsch

Seit wir 2011 Shit­storm zum Anglizis­mus des Jahres gewählt haben, verge­ht kaum eine Woche, in der ich meinen Namen nicht irgend­wo in Verbindung mit diesem Wort lesen darf. Wann immer ein Shit­storm disku­tiert wird, find­en sich in einem Neben­satz oder in einem erk­lären­den Kas­ten ein Hin­weis auf unsere Wahl und ein oder zwei Zitate von mir. Obwohl ich leicht zu erre­ichen bin, sind diese Zitate nor­maler­weise alt und stam­men aus Pressemit­teilun­gen oder Inter­views, und nicht aus mein­er Lau­da­tio oder Susannes exzel­len­ten Beiträ­gen zu diesem Wort. ((Wobei hier ein Lob an die Wikipedia angemessen ist, die sich in dem Ein­trag zu diesem Wort in wichti­gen Punk­ten auf unsere Recherchen stützt.)) So auch heute, wo eine Pressemel­dung der dpa den 50. Geburt­stag des Wortes bekan­nt gibt (abge­druckt z.B. in der Wolfs­burg­er All­ge­meinen Zeitung unter der Über­schrift „Ver­meintlich neues Wort“): Weit­er­lesen

Sprachbrocken 17/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Über die religiösen Mythen exo­tis­ch­er Kul­turen kur­sieren ja die wildesten Gerüchte, was häu­fig daran liegt, dass sie in eben­so exo­tis­chen Sprachen abge­fasst sind und dass es keine Über­set­zun­gen gibt. Ein Grund mehr, einen Meilen­stein des interkul­turellen Ver­ständ­niss­es zu feiern, der diese Woche bekan­nt wurde: der Mythos „Star Wars Episode IV: Eine neue Hoff­nung“ (bei Fun­da­men­tal­is­ten aus nicht nachvol­lziehbaren Grün­den als „Episode I“ bekan­nt) wird, wie der HOLLYWOOD REPORTER meldet, endlich ins Nava­jo über­set­zt. Damit wird dieses urtüm­liche und schw­er ver­ständliche Epos erst­mals Mit­gliedern ein­er fort­geschrit­te­nen Zivil­i­sa­tion zugänglich gemacht, die so unschätzbar wertvolle Ein­blicke in das spir­ituelle Leben der soge­nan­nten „Amerikan­er“ (die sich selb­st nur Peo­ple, also grob über­set­zt „Men­schen“ nen­nen) erhal­ten. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 14/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Sich über die Jugend und ihren Sprachge­brauch zu echauffieren, sei den Sprach­nör­glern, Kul­tur­fix­ier­ern und anderen Verän­derungs-verängstigten von Herzen gegön­nt – schließlich haben es schon ihre Großel­tern so gehal­ten, und deren Großel­tern und die Großel­tern der Großel­tern von deren Großel­tern. Aber spätestens wenn er sich unverse­hens dabei ertappt, mit Wladimir Putin ein­er Mei­n­ung zu sein, sollte auch der fanatis­chste Ver­gan­gen­heits­fun­da­men­tal­ist einen Augen­blick innehal­ten und über die gedanklichen Schritte nach­denken, die ihn in diese unan­genehme Sit­u­a­tion gebracht haben. Das ist Edwin Baum­gart­ner von der WIENER ZEITUNG nicht gelun­gen. Putins Gesetz gegen Kraftaus­drücke im Fernse­hen ziele zwar wegen sein­er willkür­lichen Ausleg­barkeit ein­deutig auf eine Zen­sur der öffentlichen Rede ab. Aber angesichts des durch die syn­chro­nisierten Fas­sun­gen amerikanis­ch­er Filme inspiri­erten zotig-vul­gären Sprachge­brauchs der heuti­gen Jugend (wirk­lich, das habe ich mir nicht aus­gedacht) sei es ja Zen­sur zu einem guten Zwecke.
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Sprachschmuggler in der Wikipedia?

Von Anatol Stefanowitsch

In mein­er gestri­gen Lau­da­tio zum Anglizis­mus des Jahres 2012, Crowd­fund­ing, sprach ich meine Ver­mu­tung an, dass die vere­inzelt zu find­ende Ein­deutschung „Schwarm­fi­nanzierung“ eine Wortschöp­fung von Anglizis­muskri­tik­ern sei, die diese über den Wikipedia-Ein­trag zum Crowd­fund­ing zunächst in den jour­nal­is­tis­chen Sprachge­brauch eingeschleust hät­ten. Diese Ver­mu­tung stützt sich auf die Tat­sache, das die früh­este Ver­wen­dung, des Wortes, die ich find­en kann, eben aus diesem Wikipedia-Ein­trag, genauer, in der Artikelver­sion vom 23. März 2011 stammt. Einge­tra­gen wurde es von einem anony­men Nutzer, weshalb die Wikipedia-Soft­ware nur die IP-Adresse des Bear­beit­ers doku­men­tiert. Eine Über­prü­fung der Bear­beitun­gen, die unter dieser IP-Adresse im sel­ben Zeitraum vorgenom­men wur­den, zeigt, dass außer­dem das Schlag­wort „Schwarm­fi­nanzierung“ mit ein­er Weit­er­leitung auf den Artikel zu Crowd­fund­ing angelegt und das Wort Schwarm­fi­nanzierung in den Ein­trag zu ein­er bes­timmten Crowd­fund­ing­plat­tform hinein redigiert wur­den. Dass es sich bei dem anony­men Nutzer um einen Sprachkri­tik­er auf Sprach­säu­berungsmis­sion han­delte, schließe ich daraus, dass das Wort „Schwarm­fi­nanzierung“ im Anglizis­menin­dex des Vere­ins Deutsche Sprache ste­ht (dazu gle­ich mehr). Weit­er­lesen

Tablet [Anglizismus 2012]

Von Kristin Kopf

Das Tablet ist ein Wiedergänger: Bere­its let­ztes Jahr hat es Anspruch auf den Anglizis­mus­des­jahresti­tel erhoben. Wer sich für die aus­führliche Besprechung inter­essiert, sollte sich daher den dama­li­gen Blog­beitrag dazu anschauen – heute unter­suche ich, wie sich das Wort sei­ther gemacht hat und ob es 2012 eine Gewin­n­chance hat.

Rein sub­jek­tiv rechne ich mit ein­er enor­men Fre­quenz­zu­nahme, basierend auf der Beobach­tung, dass die Geräte immer häu­figer zu sehen und für viele Men­schen zu einem All­t­ags­ge­gen­stand gewor­den sind.

Ein Blick in die Zeitung bestätigt das:

Vorkom­men pro Mio Tex­twörter. Quelle: Nürn­berg­er Nachricht­en, Mannheimer Mor­gen, Ham­burg­er Mor­gen­post, Braun­schweiger Zeitung via Cos­mas II. (n=1.632)

Erst­mals über­traf 2012 das blanke Wort Tablet (grüne Lin­ie) verdeut­lichende Zusam­menset­zun­gen wie Tablet-PC oder Tablet-Com­put­er (blaue Lin­ie). Das Konzept ist jet­zt also fest genug bei der Zeitungsle­ser­schaft ver­ankert, es bedarf sprach­lich­er Hil­festel­lung nicht mehr unbe­d­ingt. Damit ist einge­treten, was ich let­ztes Jahr ger­adezu prophetisch prog­nos­tiziert habe – und zwar schneller als gedacht:

Ich wage zu behaupten, dass sich die Form Tablet, falls das Gerät über­lebt, auf lange Sicht gegenüber Tablet-Com­put­er durch­set­zen wird. Ist kürz­er, und wenn man weiß, was gemeint ist, braucht kein Men­sch mehr eine deskrip­tive Benennung.

Diese Zusam­menset­zun­gen wer­den in den kom­menden Jahren sich­er noch weit­er zurück­ge­hen. ((Sag ich jet­zt, damit ich bei der AdJ-2013-Nominierung erneut auf meine prophetis­chen Fähigkeit­en ver­weisen kann.))

Im Gegen­zug braucht man mit­tler­weile mehr Dif­feren­zierungsmöglichkeit­en, um all die Tablets voneinan­der unter­schei­den zu kön­nen: Kom­posi­ta mit einem Erst­glied, das das Tablet näher bes­timmt (lila Lin­ie) nehmen weit­er zu. In fast allen Fällen wird hier Bezug auf den Her­steller oder Verkäufer (Apple, Aldi, Sony-Tablet, …) oder auf Leis­tungs­fähigkeit und Größe genom­men (High­end-, Full-HD-, Sieben-Zoll-, Riesen-Tablet, …).

Zwar war der Anstieg des Wortes Tablet von 2010 nach 2011 viel deut­lich­er (um 3,8 Prozent­punk­te) als der von 2011 nach 2012 (um 2,2 Prozent­punk­te) ((Eine Suche über Begriffe im Wan­del der ZEIT liefert zwar für Die Zeit einen sprung­haften Anstieg 2012, hier in ich aber skep­tisch, was die Daten­ba­sis bet­rifft. Über den Bug­fix­ing-Modus gelangt man an absolute Zahlen, das sind für 2012 genau 116 Tre­f­fer, die sich recht gle­ich­mäßig über das Jahr verteilen (z.B. je 10 im Novem­ber und Dezem­ber). Hier muss also bei der Nor­mal­isierung etwas schiefge­gan­gen sein.)), allerd­ings würde ich das nicht sofort als AdJ-Aus sehen. Das Tablet hat 2012 an Land gewon­nen, beson­ders gegenüber bemut­tern­den Bil­dun­gen, in denen es nur Erst­glied ist. Es ist zwar sprach­lich nicht beson­ders aufre­gend, aber man kann von so einem Anglizis­mus jet­zt auch nicht alles erwarten.

posten [Anglizismus 2012]

Von Susanne Flach

Nachtwerk­er hat uns posten beschert, was zu sein­er „eige­nen Über­raschung“ Runde 1 über­standen hat. Die Skep­sis war nicht unbe­grün­det: „Ach was, viel zu alt!“. Aber eine kon­tinuier­liche Steigerung seit Jahren ist eine Möglichkeit, das Kri­teri­um FREQUENZZUWACHS zu inter­pretieren: Und: posten ist wirk­lich nicht unspannend.

Ursprung & Integration

posten hat einen Ein­trag im Duden (und ste­ht natür­lich auf sonem Anglizis­menin­dex, aber der wächst erfahrungs­gemäß schneller, als Sie fail! sagen kön­nen). Im DUDEN liest man zum Ursprung: „englisch to post, eigentlich = mit der Post ver­schick­en, zu: post < franzö­sisch poste“. Die konzeptuelle und orthografis­che Par­al­lele zur deutschen Post ist nahe­liegend, ety­mol­o­gisch nicht falsch und kön­nte dazu geführt haben, es beson­ders mit schreiben, aber auch den Alter­na­tiv­en senden oder schick­en ein­deutschen zu wollen (die ganz uner­schüt­ter­lichen schla­gen auch schon mal veröf­fentlichen, kom­men­tieren oder ein­stellen vor).

Des Dudens Aussprachehil­fe ist [poʊstn] (mit [oʊ] an nor­damerikanis­che Vari­etäten angelehnt; im britis­chen Englisch ist es [əʊ]). Weil mich das nicht überzeugt hat, habe ich vor der Bib­lio­thek kurz­er­hand zwei hip­pen jun­gen Men­schen [po:stn] aus dem akustis­chen Jute­beu­tel geleiert und nehme das mal als heute gängigere Form an. Im Gegen­satz zur deutschen Post (kurz­er hal­bof­fen­er Vokal) liegt bei posten ein langer hal­bgeschlossen­er Vokal vor. Das ist wenig ver­wun­der­lich: /oʊ/ ist ein Laut (z.b. wie in go, low oder boat), den wir im Deutschen nicht haben und deshalb mit Bor­d­mit­tel erset­zen. Das ist ein nor­maler Vor­gang und ist bei Alt-Anglizis­men wie Koks nicht mehr erkennbar ([ko:ks] statt [kəʊks]). ((Sie sehen, wir näh­ern uns der Fort­set­zung der Keks-Trilo­gie.))

Auch mor­phol­o­gisch fügt sich posten naht­los ins heimis­che Flex­ion­spar­a­dig­ma: ich poste, du postest, sie postet oder er hat gepostetAnders als bei manchen Entlehnun­gen gibt’s bei posten kaum orthografis­che Ver­wirrung: gepostet ist mit über 5 Mil­lio­nen Google-Tre­f­fern deut­lich vor gepost­ed mit etwa ein­er hal­ben Mil­lion. Das kön­nte an der laut­lich bere­its erfol­gten Inte­gra­tion liegen und/oder ist durch das <t> im Stamm von posten begün­stigt (bei adden beispiel­sweise ist das Ver­hält­nis etwa 2:1 für geadded). Auch im Teilko­r­pus „Wikipedia-Diskus­sio­nen 2003–2011“ im DeReKo liegt gepostet mit etwa 1,400 Tre­f­fern klar vor gepost­ed mit 29.

Schreiben? veröffentlichen? Posten!

Wir posten Fotos, Sta­tus­meldun­gen, Videos oder Links auf Face­book, Beiträge auf Blogs oder Kom­mentare und Tipps in Foren und Mail­inglis­ten. Nun kön­nte man auch sagen, dass man einen Blog­beitrag schreibt, Fotos veröf­fentlichtNachricht­en inner­halb ein­er Mail­inglist sendet/verschickt oder in Foren kom­men­tiert. Zu argu­men­tieren, dass wir mit posten ein Wort für all diese Dinge haben, würde diesen Beitrag aber nur unnötig abkürzen und posten aus dem Ren­nen werfen.

Denn wir kön­nen keine Büch­er posten (sehr wohl aber schreibenveröf­fentlichen oder schick­en), Lady Gaga postet keine neue Sin­gle (höch­stens das dazuge­hörige Video), und ob ich einen Kom­men­tar poste oder einen Kom­men­tar kom­men­tiere sind zwei ver­schiedene Dinge. Aber auch hier wäre die Diskus­sion eher langweilig.

Neben dem seman­tis­chen Unter­schied, welche nicht-/realen Objek­te ich posten kann oder nicht, liegt eine syn­tak­tis­che Erk­lärung darin, mit welch­er Argu­mentstruk­tur posten über­wiegend assozi­iert ist. Anders als viele poten­tielle Konkur­renten wie schicken/schreiben wird posten meist tran­si­tiv ver­wen­det (das hat es mit veröf­fentlichen gemein), etwa ich poste ein Bild oder er postet seine Mei­n­ung (im Forum); sel­tener intran­si­tiv (sie postet oft nachts) und noch sel­tener ditran­si­tiv. Eine ditran­si­tive Ver­wen­dung würde ein/e Empfänger/in und einen intendierten Trans­fer implizieren und braucht deshalb einen beson­deren Inter­pre­ta­tion­skon­text: ?ich poste dir mor­gen einen Link (auf die Wall) oder ??sie postet ihrem Pro­fil ein Video.

Warum? Weil der Prozess des Postens bzw. das, was wir posten, keine/n lokalisierbare/n, bestimmte/n Empfänger/in hat oder haben muss. Zumin­d­est liegt der Fokus über­haupt nicht darauf, den Trans­fer­vor­gang zu jeman­dem abzuschließen oder zu beto­nen: ich kön­nte mir nen Wolf posten mit Bildern, Sta­tus­meldun­gen, Links, Kom­mentare, Blog­beiträge und Videos — unab­hängig davon, ob’s jemand sieht, hätte ich immer noch Bilder, Sta­tus­meldun­gen, Links, Kom­mentare, Blog­beiträge und Videos gepostet (aber immer noch nicht geschickt).

Damit unter­schei­det sich posten grundle­gend von schreiben oder schick­en (wer hat sich eigentlich und übri­gens diese Alter­na­tiv­en aus welchem Ärmel gezo­gen?), die in ihrer pro­to­typ­is­chen Ver­wen­dung ditran­si­tiv sind und deshalb mit Prozessen von DINGEN/OBJEKTEN > EMPFÄNGER/INNEN assozi­iert sind (ich schreibe dir einen Brief, er schickt mir ein Paket). Weil in tran­si­tiv­en Ver­wen­dun­gen wie bei posten das indi­rek­te Objekt fehlt, fehlt natür­lich auch der Fokus auf den Empfänger/innen.

Und bei schreiben und schick­en (trans.) son­st so? Die Behaup­tung, diese bei­den Alter­na­tiv­en wer­den über­wiegend ditran­si­tiv ver­wen­det, fehlt ein Plau­si­bil­itätskern. Klar, denn sie kön­nen einen Kom­men­tar schreiben, dessen Sig­nale nie­mand wirk­lich empfängt (ich schreibe einen Beitrag). Aber schreiben Sie tat­säch­lich URLs und RAW-Dat­en in Ihre Sta­tuszeile bei Face­book? Eben. Die These wäre dann ja noch zusät­zlich, dass man mit posten üblicher­weise das Ver­bre­it­en von Din­gen und Gedanken beze­ich­net, die gar keinen schreiberischen Charak­ter haben, oder, wenn das bei Sta­tus­meldun­gen doch der Fall ist, der Fokus auf dem Gesamtkunst­werk liegt. Aber selb­st wenn Sie URLs abtip­pen wür­den (nein, nein, es heißt nicht copy & post), beze­ich­nen wir den abgeschlosse­nen oder geplanten Vor­gang mit posten, nicht den Prozess des, äh, Abtippens.

Gepostete Daten

Eine lose Belegsamm­lung aus den Wikipedia-Diskus­sio­nen (DeReKo):

Den Link zum Raub­druck-Ver­lag habe ich gepostet, falls du dir das Heft zum Nach­le­sen kaufen willst. [WDD11/A00.16711]

Sor­ry dass ich anonym poste, aber ich habe mich noch nicht angemeldet. [WDD11/A01.05660]

darf ich jet­zt trotz­dem was posten, auch wenn ich (noch) nicht auf alle argu­mente einge­he? [WDD11/A00.10032]

Ich wäre dir dankbar, wenn Du hier mal zu deinem Males­ta entsprechende Links posten würdest. Vielle­icht wirds dann ja klar­er. [WDD11/A00.16711]

Im übri­gen poste ich Beiträge wenn ich Zeit und Lust dazu habe und nicht wenn du es dir wün­scht. [WDD11/A02.06862]

Er hat ihn ein­fach nur aus Prinzip gepostet … typ­isch. [WDD11/A02.82922]

Der Fokus liegt hier natür­lich auf der inter­ak­tiv­en Kom­mu­nika­tion zwis­chen Wikipedia-Autor/in­nen mit erhofften Empfänger/innen, aber die tran­si­tive Ver­wen­dung über­wiegt (Links, Quellen, Beiträge, Mei­n­un­gen). Weil nach gut 100 Bele­gen keine ditran­si­tive Ver­wen­dung zu find­en war, habe ich auf Google expliz­it danach gesucht:

Like & ich poste dir was auf die pin­nwand [Quelle]

ich poste dir meinen skype­na­men pri­vat. [aus einem Coach­ing-Forum]

Ich poste dir mal einen trig­ger mit dem man per aufer­ste­hung Helden wieder­bel­ben kann, den musst du prinzip­iell nur noch an deinen anpassen [aus einem Gam­ing-Forum, mit Code]

Im Unter­schied zu kom­men­tieren oder veröf­fentlichen ist die ditran­si­tive Ver­wen­dung aber dur­chaus möglich (bei ?Ich veröf­fentliche ihr was auf die Pin­nwand wär ich skep­tisch). In diesen Beispie­len tritt die Trans­ferbe­deu­tung in den Vorder­grund: Inten­tion und ein Fokus auf Emp­fang und Empfänger/in. Denn entwed­er ist posten in der Bedeu­tung von schicken/emailen zu ver­ste­hen (1 & 2, wobei in 2 eine eher untyp­is­che Ver­wen­dung vor­liegt) oder, wie im let­zten Beispiel, erfüllt das dir eine Funk­tion ‚hab ich mal extra für dich gemacht und eingestellt‘.

Vielle­icht ist es ein quan­ti­ta­tiv wack­liger Ver­such. Aber die Ten­denz ist ein­deutig: posten hat sich seman­tisch und konzeptuell und syn­tak­tisch in genau die Lücke geset­zt, die das Web im deutschen Inven­tar geris­sen hat. Von der Beschränkung auf einen irgend­wie konkreten, aber irgend­wie nicht-physikalis­chen Kon­texts natür­lich ganz zu schweigen. 

Fazit (postende)

Bei son­er Wahl sollte man sich immer über­raschen lassen.

Blackfacing [Anglizismus 2012]

Von Anatol Stefanowitsch

Das Wort Black­fac­ing ist abgeleit­et vom Englis­chen black­face, der Beze­ich­nung für eine ursprünglich aus den USA stam­mende The­ater- und Vari­eté-Tra­di­tion, bei der weiße Schauspieler/innen oder Sänger/innen auf meis­tens über­trieben stereo­typ­isierte Weise als Schwarze geschminkt auftreten.

Einen soli­den Ein­stieg in die Geschichte des Black­face bietet die englis­che Wikipedia. Für die Geschichte des Lehn­worts Black­fac­ing ist zunächst entschei­dend, dass diese Prax­is in dop­pel­ter Weise ras­sis­tisch belegt ist: Erstens, weil die Tra­di­tion aus einem zutief­st ras­sis­tis­chen his­torischen Zusam­men­hang stammt, in dem ein Auftreten schwarz­er Schauspieler/innen als inakzept­abel gegolten hätte, und zweit­ens, weil beim Black­face nicht nur das Make-Up selb­st und die dazuge­hörige Mimik über­trieben stereo­typ­isiert ist (dicke rote Lip­pen, strup­pige Haare, weit aufgeris­sene Augen, wie auf dem weit­er unten abge­bilde­ten zeit­genös­sis­che Plakat), son­dern auch die Zusam­men­hänge, in denen es ver­wen­det wurde (Schwarze als naive, immer fröh­liche Unterhalter).

[Hin­weis: Der fol­gende Beitrag enthält eine ras­sis­tis­che Abbil­dung.] Weit­er­lesen