Der Verein Deutsche Sprache produziert ja so schnell und ausdauernd so viel Unsinn, dass Deutschland eine Goldmedallie sicher wäre, wenn Unsinn eine olympische Disziplin wäre. Aber dass Sprachnörgelei (noch) nicht olympisch ist, hindert die Sprachnörgler natürlich nicht daran, die Olympischen Spiele trotzdem zu nutzen, um mediale Aufmerksamkeit zu bekommen.
Schlagwort-Archive: Eigennamen
[Schplock trifft Lehre] Rheinfränkisch
Ich jammere ja nun schon seit einiger Zeit darüber, dass ich kaum mehr Zeit fürs Schplock habe. Das liegt vor allem daran, dass ich so viel unterrichte. Schon letztes Semester habe ich aber immer wieder überlegt, ob einzelne Seminarthemen nicht auch schplockfähig wären, und dieses Sommersemester will ich die Verbloggung von Unterrichtsinhalten nun ernsthaft angehen.
Versuchsobjekt wird mein Seminar zum Rheinfränkischen. Das geht nächste Woche los, und dann will ich jede Woche einen kurzen Artikel über das Phänomen schreiben, das wir besprochen haben. Schlau wie ich bin, kündige ich euch das jetzt an, damit ich keinen Rückzieher mehr machen kann. Los geht es dann übernächste Woche, denn das, was ich nächste Woche machen will, erledige ich größtenteils in diesem Post schon.
Das Seminar gebe ich nicht, weil ich unglaublich viel über den rheinfränkischen Dialektraum weiß, sondern weil ich gerne unglaublich viel darüber wissen würde. Wird also auch für mich spannend. Ich denke, ich habe jetzt einen ganz guten Überblick für den Anfang. Was ich auch habe, ist eine viel zu lange Liste mit möglichen Themen, deshalb werde ich die Studierenden darüber abstimmen lassen, was sie besonders interessiert. Heute will ich euch diese Liste ganz kurz vorstellen. Weitere Ideen sind natürlich herzlich willkommen!
Zunächst einmal aber: Wo befinden wir uns eigentlich? Das Rheinfränkische ist ein Dialektgebiet des Westmitteldeutschen, Mainz liegt drin, allerdings ist man sich sonst nicht ganz einig, was alles dazugehört. Die klassische Einteilung (Beispiele bei der Wikipedia, im dtv-Atlas Deutsche Sprache) setzt einen breiten Streifen von Saarbrücken bis Kassel an, die Unterteilung von Wiesinger nimmt hingegen das Hessische (d.h. das dunkellila Gebiet auf der Karte rechts) weitgehend aus. Was wir uns im Seminar dann letztlich anschauen werden, hängt von den einzelnen Phänomenen ab.
Die Einteilung der westmitteldeutschen Dialekte erfolgt meistens anhand des Durchführungsgrads der 2. Lautverschiebung. Unter der Überschrift Rheinischer Fächer findet ihr hier etwas dazu. Im Rheinfränkischen sagt man also, abweichend von der hochdeutschen (und süddeutschen) Lautung, Abl ‘Apfel’ und Pund ‘Pfund’, aber übereinstimmend damit das, Dorf und machen (statt der nördlicheren Varianten dat, Dorp, maken). Das ist ein Thema, das definitiv im Seminar drankommen wird. Ebenfalls schon sicher ist die Koronalisierung (ch wird zu sch), ein generell mitteldeutsches Phänomen, das ich im Schplock mal am Beispiel von Kirsche ‘Kirche’ besprochen habe und seither innig liebe. Hier gibt es auch ein paar Beispielkarten aus dem Atlas der deutschen Alltagssprache.
Die weiteren möglichen Themen liste ich euch jetzt auf, immer mit einem Beispielsatz, einer kurzen Erklärung und eventuell Links. Die Beispielsätze stammen, sofern nicht anders angegeben, aus “Kuddelmuddel ums Kupperdibbe”, dem Mainzerischen Asterixband: Weiterlesen
[Anglizismus des Jahres] Greift ‑gate um sich?
Unter den Vorschlägen für den Anglizismus des Jahres 2011 gab es auch ein Wortteil von nicht so recht bestimmbarem Charakter, nämlich -gate. Das will ich mir heute genauer anschauen – parallel zu suz, die zeitgleich mit mir ihre Beobachtungen zum Thema postet.
Vorgeschlagen wurde es von Patrick Schulz, der letztes Jahr den Gewinner leaken nominiert hat, und zwar mit der folgenden Begründung:
Ich schlage dieses Jahr das Skandalisierungssufffix -gate zum AdJ vor. Es wird dazu benutzt, die semantische Denotation seines Kopfes (Also die Bedeutung dessen, an das es sich ranhängt) zu einem Skandal von nationaler Tragweite zu erklären oder auch zu verklären. Diese mitunter ironisierende Nebenbedeutung hebt es m.E. von bestehenden Äquivalenten ab.
Ganz aktuelle Beispiele sind u.a. padgate, Guttengate oder Jenagate.
Es geht dabei weniger darum, irgendwelche kurzlebigen Wörter, die auf ‑gate enden, für den AdJ2011 vorzuschlagen, sondern dieses gebundene und sie verbindende Morphem, welches an beliebige Kopflexeme angehängt werden darf um eine sozial- und/oder medienkritische Botschaft zu vermitteln. Es ist dabei im höchsten Maße produktiv, wie die eben erwähnten Beispiele zeigen. Noch dazu geht es mit einigen interessanten phonologischen Prozessen einher, so heist es etwa Guttengate, nicht aber *Guttenberggate o.ä..
Ich will in diesem Beitrag überprüfen, ob -gate wirklich so häufig neue Wortbildungen eingeht und falls ja, wozu sie dienen. Patrick vermutet ja einen ironischen Unterton, was ich nicht ganz von der Hand weisen will. Ob der aber nur durch den Äußerungskontext entsteht, oder wirklich schon dem Element anhaftet, bleibt zu klären. Weiterlesen
Jido Fister Filly
Ich habe eben bei Twitter via WortWirrWarr einen großartigen Zeitungsausschnitt aus einer sudanesischen Zeitung gesehen, in dem die Ankunft des deutschen Außenministers angekündigt wird:
German Foreign Minister Arrives Khartoum Today
The Democrat (Amal Abdul Rahim)
The German foreign minister, Jido Fister Filly, will arrive Khartoum today , Thursday, on an official visit during which he will hold talks with his Sudanese counterpart, Ali Ahmed Karti and a number of high ranking Sudanese officials. […]
Wie aber ist aus Guido Westerwelle hier Jido Fister Filly geworden? Weiterlesen
Ichi, ni, san …
Eben habe ich in einem Zeit-Artikel gelesen:
Die zwei Atomanlagen in Fukushima‑1 (Daiini) und ‑2 (Daiichi) wurden nach Angaben des Betreibers Tepco am Tag des Erdbebens vor gut einer Woche von einer 14 Meter hohen Flutwelle getroffen.
Bei den Benennungen in Klammern, Daiini und Daiichi, liegt ein bißchen was im Argen. Zunächst mal hat das erste ein i zu viel abbekommen (richtig: Daini). Und dann sind die beiden Wörter vertauscht. Das kann man mit geringfügigen Japanischkenntnissen erschließen: Es reicht, bis zwei zählen zu können. In Daini steckt ni ‘zwei’, in Daiichi steckt ichi ‘eins’.
Und das dai? Weiterlesen
[Lesetipp] Mobile Gesellschaft? Ach was!
Nachdem meine Beiträge zur Familiennamengeografie recht interessiert aufgenommen wurden, finden vielleicht einige von euch auch diesen Artikel aus der FAZ lesenswert (gedruckt erschienen letzten Sonntag in der FAS). Es geht um das Projekt Deutscher Familiennamenatlas, das ich schon erwähnt habe, mit vielen bunten Karten (die in der Druckausgabe größer sind als im Atlas selbst!) und einigen spannenden Details im Text.
Sprachkontakt im Deutschen? *gähn*
So, der Anglizismus des Jahres 2010 ist gekürt und heute geleakt worden. Das möchte ich zum Anlass nehmen, ein bißchen über Sprachkontakt nachzudenken und zu zeigen, welche Formen und Intensitätsgrade es dabei geben kann. Um es schon mal vorwegzunehmen: Das Deutsche kann beim Kontakt eigentlich einpacken. Wirklich viel haben wir nicht zu bieten.
Kulturkontakt bringt Sprachkontakt
Sprachkontakt ist eine natürliche Begleiterscheinung von Kulturkontakt und je intensiver dieser Kulturkontakt, desto intensiver können sich auch die beteiligten Sprachen beeinflussen. Diese Kontaktsituation ist meist irgendwie asymmetrisch, das heißt eine der Sprachen hat mehr Prestige, wird von mehr Menschen gesprochen, wird von den Menschen mit den gefährlicheren Waffen gesprochen o.ä. – da gibt es einen ganzen Haufen mehr oder weniger voneinander abhängiger Faktoren. Und damit auch eine Warnung vorweg: Sprachkontakt ist weitaus komplexer, als ich ihn hier darstelle, es gibt eine Vielzahl von Kontaktszenarien mit den wildesten Resultaten.
Änderungswillig: Wort- und Namenschatz
Es lässt sich grob sagen, dass eine Sprache Teilbereiche hat, die aufnahmebereiter für Neuerungen sind und welche, die sich stärker sträuben. Einer dieser sehr aufnahmebereiten Teile ist der Wortschatz (das “Lexikon”). Hat eine anderssprachige Kultur ein nützliches Ding, das man selbst nicht besitzt, dann will man nicht nur das Ding haben, nein, man will es auch benennen können. Dazu gibt es einige Strategien, die sich in lexikalische und semantische Entlehnungen teilen lassen. Weiterlesen
[Anglizismus des Jahres] Die App?
Ich will euch ein wenig an meinen Überlegungen zum Anglizismus des Jahres teilhaben lassen. Dazu picke ich ein paar Kandidaten heraus und schaue, was sie so unternommen haben, um sich im Deutschen zu verbreiten. Beginnen will ich mit der App. Das Wort bezeichnet ein kleines, i.d.R. kostenpflichtiges (aber günstiges) Programm, meist für ein Handy, aber auch für den Computer. Disclaimer: Ich habe noch nie wissentlich eine App genutzt.
Die Bedeutung
app entstand als Kurzform für application ‘Anwendung’. Die englische Wikipedia leitet entsprechend auch von App auf Application software weiter, es gibt keine Differenzierung wie in der deutschen. Entsprechend der allgemeinen Ausgangsbedeutung nennen frühe Texte das, was der App Store verkauft, auch meist Programm. In den Textbeispielen der ersten generischen Verwendungen (s.u.) finden sich als Quasi-Synonyme Progrämmchen, Handyerweiterungen und kleines Programm. Hier ist also schon eine semantische Verengung eingetreten, es geht nicht um irgendein Programm, sondern um ein kleines, das nicht zur Grundfunktion eines Handys oder Computers zählt (Erweiterung). Soweit ich das einschätzen kann, ist diese semantische Entwicklung nichts eigenständig Deutsches, sondern im Englischen passiert und dann mit dem Wort zusammen entlehnt worden. Weiterlesen
Namenlandschaften 2: Kleine Räume
Heute gibt es, wie versprochen, Beispiele für Namen, die sehr kleinräumig verbreitet sind. Im ersten Teil zu Namenlandschaften habe ich geschrieben:
Wenn ich in den Süden fahre, merke ich nicht nur am isch und kannsch und weisch, dass ich zuhause angekommen bin, sondern auch daran, dass die Leute plötzlich Himmelsbach, Göppert und Ohnemus heißen.
Vielleicht hat ja jemand von euch die Namen schon kartiert und festgestellt, dass ich aus dem Ortenaukreis in Baden-Württemberg komme. Einen anderen Schluss lassen sie nämlich wirklich nicht zu:
Weiterlesen
Namenlandschaften 1: Große Flächen
Über die Feiertage ist mir mal wieder aufgefallen, wie prägend Namen für eine Gegend sein können. Wenn ich in den Süden fahre, merke ich nicht nur am isch und kannsch und weisch, dass ich zuhause angekommen bin, sondern auch daran, dass die Leute plötzlich Himmelsbach, Göppert und Ohnemus heißen.
Und tatsächlich sind alle Namen, die mir typisch vorkamen, in “meinem” Landkreis oder einem direkt angrenzenden mit Abstand am häufigsten. Um noch mehr solcher Namen zu finden, habe ich dann die Facebookfreunde meiner Verwandtschaft durchgeschaut, was sich als exzellente Strategie erwiesen hat. (Man könnte da richtig kreativ werden mit Facebookprofilen: Öffentlich zugängliche Profile mit Wohnortangaben automatisch auswerten und damit ein “Namenprofil” eines Ortes erstellen. Namen von Leuten, die noch zur Schule gehen, könnten dabei ein stärkeres Gewicht bekommen, weil sie eher noch an ihrem Herkunftsort leben. Oder Namen von Leuten, bei denen Wohn- und Schulort identisch sind. Großstädte werden wegen der vielen Umzieherei ignoriert. Etc. Aber ich fürchte, das grenzt dann schon an Illegalität und setzt kein so gutes Zeichen in puncto Datenschutz.)
Wenn man nun Namen als typisch im Verdacht hat, wie kriegt man raus, wie häufig sie wo sind? Als am besten geeignet für solche Zwecke haben sich Daten aus elektronischen Telefonbüchern herausgestellt – darin sind die Namen ja ganz genau bestimmten Postleitzahlenbereichen zugeordnet. Mittels bestimmter Computerprogramme kann man sie dann prima auf einer Deutschlandkarte verorten.
Ideale, aber leider nicht öffentlich zugängliche Möglichkeiten dazu hat der Deutsche Familiennamenatlas (ein Projekt der Unis Mainz und Freiburg, mit Telefonbuchdaten von 2005), aber es gibt auch im Internet eine sehr brauchbare Option, auf die ich hier schon einmal verwiesen habe, nämlich Geogen (mit Telefonbuchdaten von 2002).
Unterteilt in zwei kleinere Beiträge will ich zunächst einmal zeigen, welche Namen es überall gibt und bei welchen man trotz recht weiter Verbreitung großflächige Unterschiede erkennen kann (heute) und dann die eingangs erwähnten Namen zeigen, die für einen ganz bestimmten Landkreis typisch sind und sonst fast nirgends in Deutschland auftreten (later this week). Weiterlesen