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AschRmittwoch

Von Kristin Kopf

Ascher­mittwoch kommt von der Asche, die man auf’s Haupt streut, soweit, so trans­par­ent. Warum aber Aschermittwoch? Warum nicht Aschen­mittwoch oder Aschemittwoch?

Syn­chron betra­chtet, d.h. wenn man nur das heutige Deutsch anschaut, ist es nicht weit­er ver­wun­der­lich. Ein Ver­fahren der Wort­bil­dung ist es, zwei Wörter zu einem neuen zusam­men­zuset­zen. Das nen­nt man “Kom­po­si­tion”. Häu­fig steckt aber zwis­chen diesen bei­den Wörtern noch etwas — das Fugenele­ment. Laut Gram­matik-Duden kommt es bei 30% der deutschen Wörter vor (allerd­ings scheint es mir fraglich, wie man die Zahl der deutschen Wörter messen will, da Kom­po­si­tion ja pro­duk­tiv ist). Fugenele­mente nen­nt man all diese Heizungskeller, Rinderställe, Lampenschirme und Donau­dampf­schiff­fahrtsgesellschaftskapitänsmützen.

Vie­len von ihnen sieht man ihre Herkun­ft noch an — sie sehen alten Gen­i­tiv­for­men ähn­lich, wie zum Beispiel des Teufels Kerl > Teufelskerl. Die Uminter­pre­ta­tion als Erst­glied des Kom­posi­tums nen­nt man “Reanalyse”. Heute hat das Fugenele­ment keine gram­ma­tis­che Funk­tion mehr.

Allerd­ings kom­men die Fugenele­mente bei weit­em nicht alle von alten Gen­i­tiv­en — bei Heizungskeller sieht man es ganz gut, der Gen­i­tiv würde der Heizung heißen, im Plur­al Heizun­gen. Kein s weit und bre­it. Es muss nach dem Vor­bild ander­er Wörter, die ein Genitiv‑s hat­ten, in den Heizungskeller einge­wan­dert sein. (Das nen­nt man “Analo­gie”.)

Bei Lam­p­en­schirm ist es mehr eine Sin­n­frage. Zwar heißt es der Lam­p­en, aber ist ein Schirm wirk­lich für mehrere Lam­p­en da? Doch wohl kaum? Warum hätte es jemand mit dem Plur­al bilden sollen?

Warum wird also nur der Ascher­mittwoch dem Vor­wurf aus­ge­set­zt, dass er sich zu Unrecht mit seinem r schmückt, wenn doch sehr viele Kom­posi­ta zu frem­dem Mate­r­i­al greifen?

Weil er eine alte Form ist. Der Ascher­mittwoch hat­te sein r schon immer. Wie kann das sein, wenn es der Asche, Aschen heißt? Kluge erk­lärt: Es ist eine regionale Plu­ral­form. Ein Blick ins mit­tel­hochdeutsche Wörter­buch macht nicht viel schlauer — außer dass Asche damals zwar meist fem­i­nin war, aber auch maskulin sein kon­nte. Ich habe mich auf die Suche gemacht und ins rheinis­che, pfälzis­che, elsäs­sis­che, elsäs­sisch-lothringis­che und lux­em­bur­gis­che Wörter­buch geschaut — nichts, immer mit n. Der dig­i­tale Wenker-Atlas hat auch nicht geholfen, da ste­ht keine Asche drin. Schw­eren Herzens gebe ich also auf … zumin­d­est vorerst.

Grimms Wörter­buch ken­nt mit r übri­gens auch Ascher­brödel, ascher­far­big, Ascherkleid und Ascherkuchen.

Im rheinis­chen Wörter­buch von gestern find­en sich neben der hochdeutschen Form Ascher­mittwoch auch r‑lose For­men: Öschemeppeg und Äis­chemet­twouch.

Am Pascal seine Mutter

Von Kristin Kopf

Quelle

Im Schut­ter­tal spricht man Alemannisch.
Bas­t­ian Sick mag die Nase rümpfen wie er will und den Tod des Gen­i­tivs herbeischrei(b)en — im Ale­man­nis­chen (wie in vie­len deutschen Dialek­ten) gibt es ihn eh schon lange nicht mehr. In der Regel ste­ht dort, wo im Hochdeutschen ein Gen­i­tiv ste­ht, ein Dativ, und das gilt ganz beson­ders für Possessivkonstruktionen.

Pos­ses­sivkon­struk­tio­nen sind Kon­struk­tio­nen, mit denen man aus­drückt, dass jeman­dem etwas gehört. Dazu gibt es im Deutschen eine ganze Menge Möglichkeiten:

(1) Kristins Sprach­blog
(2) das Sprach­blog der Studentin 
(3) das Sprach­blog von Kristin
(4) von (der) Kristin das Sprachblog
(5) (der) Kristin ihr Sprachblog 

Die Vari­anten (1) — (3) sind stan­dard- und schrift­sprach­lich, sie kön­nen prob­lem­los in ela­bori­erten Tex­ten ver­wen­det werden.
Der Unter­schied zwis­chen (1) und (2) liegt darin, dass bei (1) der Pos­ses­sor (also die Per­son, die etwas besitzt) dem Pos­ses­sum (also das, was besessen wird) vor­angestellt ist, in (2) ist es umgekehrt. In der Regel nutzt man Kon­struk­tion (1) nur für Eigen­na­men und Eigen­na­menähn­lich­es wie Mama, Papa, Oma, Opa. In allen anderen Fällen greift dann Kon­struk­tion (2).
Kon­struk­tion (3) geht eigentlich nur für Eigen­na­men, ist also eine Alter­na­tive zu (1), son­st ist sie eher umgangssprach­lich (?Das Blog von der Stu­dentin, ?Das Haus vom Präsi­den­ten).

Jet­zt aber zu (4) und (5) — (4) wird vom Gram­matik-Duden als region­al und mündlich beze­ich­net, (5) ist “seit langem im gesamten deutschen Sprachraum nach­weis­bar […], eige­nar­tiger­weise bish­er nicht in die geschriebene Stan­dard­sprache aufgenom­men wor­den.” (S. 835)

Zurück zum Ale­man­nis­chen, das Kon­struk­tion (5) benutzt:
Im Schut­tertäler Dialekt wird die Entsprechung des hochdeutschen dem [de:m] als [dɛm] (unge­fähr dämm) real­isiert1. Allerd­ings fällt, wenn das Wort unbe­tont ist, oft das d am Anfang weg. Es wird also zu [ɛm] oder [əm].

Das Wort am wird als [ɔm] aus­ge­prochen (unge­fähr omm), aber manch­mal wird es noch weit­er reduziert, sodass es fast wie [əm] klingt.

Das wurde dem armen Schulkind, das den obi­gen Auf­satz geschrieben hat, zum Ver­häng­nis — es schrieb Frau Ehret ist am Pas­cal seine Mut­ter.

Die dialek­tale Pos­ses­sivkon­struk­tion wird natür­lich auch in der Umgangssprache ver­wen­det, die die Kinder in der Schule sprechen (und als Hochdeutsch beze­ich­nen). Dieser Umgangssprache des Kindes entsprechend wäre es also kor­rekt gewe­sen, dem Pas­cal seine Mut­ter zu schreiben, aber da es nicht mehr wusste, woher das zusam­mengeschrumpfte Wort kam, schrieb es schließlich am.
Der Lehrkraft war’s egal — hochsprach­lich muss Frau Ehret halt doch Pas­cals Mut­ter sein.

Die ver­link­te Seite gibt noch viel mehr dialek­tale Eigen­heit­en her, aber dazu ein ander­mal.

[23.4.09: Zu diesem Beitrag gibt es eine Ergänzung.]

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[Weihnachten] Ihr Kinderlein, kommet …

Von Kristin Kopf

Wei­h­nacht­slieder geben eine Menge an sprach­lichen Relik­ten her, die ich mir über die Feiertage ein bißchen anschauen will. Den Anfang macht …

(1) Ihr Kinder­lein kommet

Schon­mal gewun­dert, dass wir hier einen Plur­al mit Diminu­tiv (=Verkleinerungs­form) haben? {kind}{er}{lein}?
Sub­stan­tiv: {kind}
Plu­ral­en­dung: {er}
Diminu­tiv: {lein}

Im Neuhochdeutschen tritt das {lein} ja direkt an das Sub­stan­tiv im Sin­gu­lar, erwartet wäre also {kind}{lein}:

Diminu­tiv, Deminu­tiv, Verkleinerungs­form
Zu vie­len Sub­stan­tiv­en wer­den durch Anfü­gung der Suf­fixe ‑chen oder ‑lein Verkleinerungs­for­men gebildet: Haus — Häuschen, Buch — Büch­lein.”
(Wahrig, 1997, S. 54)

Bei Kinder­lein muss es sich also um eine ver­al­tete Form han­deln. Und tat­säch­lich, in Grimms Wörter­buch find­en sich beim Lem­ma KINDERLEIN viele Beispiele. Heute wird die Form kaum noch ver­wen­det, und wenn, dann in Anspielung auf das Wei­h­nacht­slied oder beim Ver­such, alterthü… ähm, altertüm­lich zu sprechen.

Im Lux­em­bur­gis­chen gibt es die For­men mit Plu­ral­markierung direkt am Sub­stan­tiv heute noch:

(2) kand ‘Kind’ — kan­ner ‘Kinder’ -> kand­chen ‘Kind­chen, sg.’ — kan­nercher ‘Kind(er)chen, pl.’
(3) Haus ‘Haus’ - Hais­er ‘Häuser’ -> Hais­chen ‘Häuschen, sg.’ — Hais­ercher ‘Häuschen, pl.’

Und es geht sog­ar mit lexikalisierten Diminu­tiv­en, also mit For­men, die eigentlich auf eine Verkleinerungs­form zurück­ge­hen, jet­zt aber als ganz nor­male Form benutzt werden:

(4) Meed­chen ‘Mäd­chen, sg.’ — Meed­ercher ‘Mäd­chen, pl.’

Der Unter­schied zur alten deutschen Form im Wei­h­nacht­slied beste­ht darin, dass das Lux­em­bur­gis­che den Plur­al zweimal markiert, ein­mal durch das -er am Stamm und ein­mal durch die Endung -cher (statt -chen).

Das Lux­em­bur­gis­che und das Deutsche gehen ja auf gemein­same Wurzeln zurück, das Lux. ist eng mit den mosel­fränkischen Dialek­ten in und um Tri­er herum ver­wandt.
Da über­rascht es nicht, auch auf der deutschen Seite solche For­men als Relik­te zu ent­deck­en — z.B. gibt es einen Ort namens Wincherin­gen im Land­kreis Tri­er-Saar­burg, in dem es die Gemarkung “Auf den Häuserchen” gibt.

Wirft man einen Blick in Grimms Wörter­buch, so find­et man unter dem Lem­ma CHEN:

auch die plu­ral­bil­dung schwankt, jene kete­hinne kinderchinne schel­lichinne sind längst ver­al­tet, gewöhn­lich pflegt nach ahd. mhd. weise beim neu­trum über­haupt die form des sg. unverän­dert zu bleiben. einige aber erlauben sich bübchens leutchens mäd­chens, z. b. LESSING 1, 461 in der anrede: seht fre­undlich aus, mäd­chens! ich will euch etwas fröh­lich­es melden. andere tadel­hafter selb­st bübch­er mäd­ch­er:
und wenn das laub herunter fällt,
so trau­ren alle äst­ger.
MITTLER 465a,
wofür man doch einen noch des N ent­bund­nen sg. bübche mäd­che ästche anzuset­zen hat. neu­tra und mas­culi­na, die des epenthetis­chen er fähig sind, ver­mö­gen es mit in die diminu­tion zu ziehen, und von beinchen bretchen bild­chen häuschen kind­chen lämm­chen würm­chen läszt sich ausz­er dem gle­ich­lauti­gen pl. in traulich­er sprache bilden: bein­erchen breterchen bilderchen häuserchen kinderchen läm­merchen män­nerchen (LESSING 1, 242) würmerchen. […] ein fehler ist der pl. mäderchen oder gar mädercher von mäd­chen = mägd­chen, da das f. magd keinen pl. mägder zu bilden ver­mag. breterchen häuserchen u. s. w. laufen den bil­dun­gen breter­lein häuser­lein par­al­lel.”

Da ich momen­tan lei­der fern von all meinen Bücher­lein bin, kann ich nicht her­aus­find­en, ob die Ver­sion mit dem eingeschobe­nen Plur­al eine zeitweilige Vari­ante war, oder ob sie tat­säch­lich die ursprüngliche Form war. Ich tippe auf ersteres, zumal der er-Plur­al sich ja erst recht spät ver­bre­it­et hat.

[Surftipp] Strange Maps — Sprachkarten

Von Kristin Kopf

Ich bin zurück, mit dem fes­ten Vor­satz, endlich mal so regelmäßig zu schreiben, dass auch jemand regelmäßig vorbeischaut.
Heute soll es um ein Blog gehen, das ich heiß und innig liebe: Strange Maps.
Jed­er Ein­trag dreht sich um eine Land­karte oder einen Stadt­plan irgen­dein­er Art, und darunter sind auch viele sprach­be­zo­gene Karten.

Hier ein klein­er Überblick:

334 — The Atlas of True Names: Ety­molo­gie

Hier geht es um Karten, auf denen alle Namen (Städte, Län­der, Gewäss­er, …) ety­mol­o­gisch auf ihre “Urform” zurück­ge­führt wer­den. Es han­delt sich mehr um ein Spaßpro­jekt als um eine wis­senschaftliche Arbeit, weshalb es auch das Lan­guage Log ziem­lich kri­tisiert hat — aber ich finde die Idee sehr witzig, und was ich bish­er von der Umset­zung gese­hen habe ich auch nicht so übel.
Ich hab mir die Karten bestellt und werde bes­timmt bald was drüber schreiben.

329 — Chaffinch Map of Scot­land
: Dialek­tolo­gie

Ein Gedicht in der Form Schot­t­lands — das Ver­bre­itungs­ge­bi­et des chaffinch ‘Buchfink’ wird mit der jew­eili­gen regionalen Beze­ich­nung markiert.

308 — The Pop Vs Soda Map: Region­al­is­men

Es geht darum, wie alko­hol­freie Erfrischungs­getränke in den USA genan­nt wer­den. Zur “Pop vs. Soda con­tro­ver­sy” gibt es auch eine eigene Inter­net­seite.

2008-12-strangemaps
231 — Praise the Lord and Pass the Dic­tio­nary!: Sprachen Europas & Graphie

Europa Poly­glot­ta, Lin­guarum Genealo­giam exhibens, una cum Literis, Scribendique modis, Omni­um Gen­tium — eine Karte mit dem Beginn des Vaterun­sers in der jew­eili­gen europäis­chen Sprache (und dem entsprechen­den Alpha­bet) im entsprechen­den Land.

230 — Papua New Guinea, the Lin­guis­tic Super­pow­er: Sprachen der Welt

Diese Karte liebe ich ganz beson­ders — sie rückt die Dinge ein­mal in die richtige Per­spek­tive, sprachtech­nisch. Eine Weltkarte, die zeigt, wie groß die Län­der sein müssten, wenn man ihre Größe nach den in ihnen gesproch­enen Sprachen berech­nete. Auf nach Ozeanien!

41 — Amike­jo, the World’s First (and Only) Esperan­to State
: Kun­st­sprache

Die kreativ­en Bemühun­gen ein­er Sprache, ein Land zu finden …

13 — The retreat of Cor­nish: Sprach­tod

Hier sieht man, wie Kor­nisch “ins Meer gedrängt” wurde. Vom bösen Englisch. Es wurde aber zwis­chen­zeitlich wieder­belebt, das sieht man auf der Karte nicht.

Strange Maps lohnt sich aber nicht nur wegen der ab und an lin­guis­tis­chen Karten — auch alles andere ist sehr lesens- und sehenswert. Drin­gend mal vorbeischauen!

Sprache vs. Dialekt

Von Kristin Kopf

.אַ שפראַך איז אַ דיאַלעקט מיט אַן אַרמײ און פֿלאָט
A shprakh iz a dialekt mit an armey un flot.
(Max Wein­re­ich, 1945)

Nun hat Jid­disch wed­er das eine, noch das andere.
Außer­dem hat es (teil­weise abge­wan­delte) hebräis­che Buch­staben, wie man oben sehen kann. Aber das heißt noch lange nicht, dass es so schw­er zu lesen ist wie Hebräisch — man schreibt näm­lich auch die Vokale.
Schon ziem­lich lange übri­gens: Dukus Horant — eine Art altjid­dis­che Kudrun.