Da ich für den Londoner Radiosender Monocle (der mich immer anruft, wenn in Deutschland etwas sprachlich Signifikantes passiert) noch einmal den Siegern von Langenscheidts Jugendwort-Wettbewerb hinterher recherchieren musste, hier noch ein paar Fakten und Nachgedanken zu unserem gestrigen Leak (die Radiosendung selbst gibt es als Podcast hier, ich komme ganz am Schluss). Weiterlesen
Schlagwort-Archive: Deutsch
Gedeih und Verderb des deutschen Wortschatzes
In der öffentlichen Diskussion um den Zustand der deutschen Sprache lag die Hoheit lange Zeit völlig unangefochten bei den Sprachnörglern. Wohl wagte sich ab und zu eine einsame Stimme aus der Sprachwissenschaft ins Feuilleton, um an der einen oder anderen Stelle etwas Realität in die Debatte zu bringen, aber insgesamt schien es intellektuell wenig befriedigend, sich in die unweigerlich klamaukhafte Auseinandersetzung mit Anglizismenjägern und Sprachverarmungs-apokalyptikern zu begeben – und vielleicht war man sich auch einfach etwas zu schade dafür.
Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Bücher wie das unglücklich betitelte aber inhaltlich ordentlich gemachte Sick of Sick? Ein Streifzug durch die Sprache als Antwort auf den »Zwiebelfisch« von André Meinunger, Du Jane, ich Goethe von Guy Deutscher oder Kiezdeutsch: Ein neuer Dialekt entsteht von Heike Wiese nahmen zu Themen wie dem Verfall von Grammatik, der Entstehung von Sprache(n) u.a. Stellung, und seit 2007 bloggen Kristin (damals noch im Schplock) und ich (damals noch im Bremer Sprachlog) regelmäßig über Sprachwandel, Lehnwörter, Jugendsprache, Sprachpolitik und vieles mehr (später kamen andere junge Sprachbloggerinnen dazu – z.B. unsere Sprachlogkollegin Susanne, Michael Mann vom lexikografieblog).
Über die Jahre ist es uns, denke ich, gelungen, die öffentliche Diskussion zu beeinflussen – zwar haben die Sprachnörgler immer noch die Oberhand, aber vielen interessierten Menschen ist inzwischen klar, dass Sprachnörgelei nicht die einzige Sichtweise auf Sprache ist (und auch nicht die richtige).
Es freut uns, dass nun mit etwas Verspätung (oder, sagen wir, mit ruhiger Würde) auch die institutionalisierte Sprachwissenschaft die öffentliche Diskussion um Sprache sucht. Gestern Abend stellten die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften unter dem Titel „Reichtum und Armut der deutschen Sprache“ ihren „ersten Bericht zur Lage der deutschen Sprache“ vor. Die Presse berichtet bisher eher zögerlich, aber das kommt hoffentlich noch [→Google News].
Weiterlesen
Halbzeit bei den Nominierungen zum Anglizismus 2013
Bei unserem Voting zum Anglzismus des Jahres 2013 haben wir einen Milestone erreicht: Halbzeit bei der Nominierungsphase. Zeit, also, für eine Executive Summary auch hier im Sprachlog. Bis gestern konnten wir auf unserer Nominierungsseite 41 Vorschläge unserer Target Group posten, und heute kamen noch einmal elf Wortkandidaten dazu, die die Jury in einer ersten eigenen Recherche identifiziert hat. Damit stehen wir in unserer Competition aktuell bei 52 Wörtern, die um den Sieg in unserer Winner-takes-all-Wörterwahl kämpfen müssen. Weiterlesen
Anglizismus 2013: Es geht los
Am Freitag haben wir darauf hingewiesen: Es ist die Jahreszeit der Wörterwahlen, und damit auch Zeit für den „Anglizismus des Jahres 2013“: Wie schon in den letzten drei Jahren werden wir mit Ihrer Hilfe in den nächsten Monaten wieder das englische Lehnwort wählen, das die deutsche Sprache im laufenden Jahr am stärksten bereichert hat. Wir erinnern uns: 2010 kam das Wort leaken auf Platz 1 (und zwar ohne dass Mitglieder der Jury das vor der Bekanntgabe enthüllt hätte); im Jahr 2011 wurde der Shitstorm zum Sieger gekürt (eine Entscheidung, die einen internationalen Mediensturm, aber keine Empörungswelle auslöste; im letzten Jahr gewann dann Crowdfunding knapp vor Hipster und Fracking (die Kosten der Wörterwahl trug die Jury ganz ohne finanzielle Hilfe aus dem Netz). Weiterlesen
Das generische Femininum und die Gegner des Femininums
Es mag diejenigen überraschen, die mich für einen „politisch korrekten“ Sprachextremisten halten, aber meine Meinung ist: Niemand muss gerechte Sprache gut finden. Es gibt da schlicht keinen Zwang. Wer ungerechte Sprache verwenden will, darf das selbstverständlich tun, muss aber natürlich mit den Konsequenzen leben. Die normalerweise völlig ausbleiben, und im unangenehmsten Fall darin bestehen, auf die Tatsache hingewiesen zu werden, ungerechte Sprache zu verwenden.
Und erst recht muss niemand bestimmte Vorschläge für gerechte Sprache gut finden. Gerade Sexismus ist derartig tief nicht nur im Wortschatz, sondern auch in der Grammatik des Deutschen verankert, dass fast jeder Vorschlag zu einer gerechteren Sprache kurzfristig ein mehr oder weniger problematischer Kompromiss bleiben muss. Das wissen natürlich auch die feministischen Sprachwissenschaftlerinnen ((Aus Gründen der Lesbarkeit verwende ich hier und im Folgenden in generischen Zusammenhängen ausschließlich die feminine Form; das männliche Geschlecht ist dabei selbstverständlich mit gemeint.)) und Aktivistinnen, von denen die Vorschläge kommen, denn die haben sich ja im Zweifelsfall überdurchschnittlich ausführlich mit Sprache beschäftigt.
Und natürlich ist es völlig legitim, bestimmte Vorschläge für gerechte Sprache aus der Perspektive einer Sprachwissenschaftlerin zu kritisieren. Aber wer das tut, sollte dann eben auch fundierte Argumente bringen. Das tun die Sprachwissenschaftlerinnen, die sich zum generischen Femininum bisher zu Wort gemeldet haben, leider nur selten. Weder der Freiburger Romanist Hans-Martin Gauger noch der Berliner Sprachwissenschaftler André Meinunger hatten irgendein Argument zu bieten, das in der feministischen Sprachwissenschaft nicht schon vielfach entkräftet worden wäre. Und auch dem jüngsten Neuzugang in der Gruppe femininumkritischer Sprachwissenschaftlerinnen, dem Frankfurter Germanisten Horst Dieter Schlosser, fällt keins ein.
Weiterlesen
Meine Suppe ess’ ich nicht unter anderem Namen!
Ein kurzer Nachtrag zur Sache mit dem Zigeunerschnitzel: Wie der Tagesspiegel berichtet, folgen Teile der Hannoveraner Gastronomie dem Beispiel der Stadt, und streichen dieses und ähnliche Wörter (z.B. Zigeunersauce und -gulasch) von der Speisekarte. Die Gerichte nennen sie stattdessen Puzsta-Schnitzel oder Schnitzel Ungarischer Art, Pikante Sauce oder Paprika-Sauce und Paprikagulasch. Weiterlesen
Im Zenit der Macht
Merkel sei am (oder im oder auf dem) Zenit ihrer (oder der) Macht, berichtet die deutsche Presse einmütig. Ein paar der vielen Beispiele:
- Angela Merkel steht im Zenit ihrer Macht. (Tagesspiegel)
- Merkel ist jetzt auf dem Zenit ihrer Macht (Focus)
- Angela Merkels größter Erfolg: Bundeskanzlerin auf Zenit ihrer Macht (Rhein Zeitung)
- Die alte und wohl auch neue Kanzlerin steht im Zenit ihrer Macht. (Spiegel Online)
- Während François Hollande gerade mit nur noch 23 Prozent Zustimmung in der jüngsten Umfrage einen Tiefpunkt erreicht habe, stehe die Bundeskanzlerin im Zenit ihrer Macht. (Die WELT)
- Merkiavelli am Zenit der Macht (Wiener Zeitung)
Wahlprogrammlinguistik
Für Unentschlossene bietet das Sprachlog zur heutigen Bundestagswahl eine allerletzte Entscheidungshilfe. Für jede Partei, die in den Umfragen über 2 Prozent liegt, haben wir mittels quantitativer korpuslinguistischer Verfahren (einer distinktiven Kollexemanalyse, für diejenigen, die es genau wissen wollen) ermittelt, welche Wörter in ihrem Wahlprogramm häufiger vorkommen als in allen Wahlprogrammen zusammen. Das ist interessanter, als einfach für jedes Wahlprogramm die häufigsten Wörter zu ermitteln, weil wir auf unserem Weg für jede Partei besonders die Unterschiede zu allen anderen Parteien, also das, was sie besonders macht, herausfinden.
Wir präsentieren hier kommentarlos die Top 10 jeder Partei, wobei wir den jeweils eigenen Parteinamen und Teile davon, Funktionswörter (Präpositionen, Pronomen usw.) und Eigennamen sowie das Wort Wahlprogramm und seine Synonyme weggelassen haben. Weiterlesen
Krautspeak Day
To most Germans, today is just an ordinary Samstag (or Sonnabend, depending on where they live). But to German language prescriptivists, it is a quasi-national holiday, a linguistic Fourth of July and Fifth of November rolled into one: the Tag der Deutschen Sprache (“Day of the German Language”), a sort of prescient commemoration day for the German language as it will have been when it no longer is.
In the English-speaking world, prescriptivists are concerned mainly with a small set of words and grammatical structures that they call “bad grammar” – phenomena like the “split” infinitive or the passive (structures which they would like to remove from the language completely), the relative markers that and which (which they would like to see used for restrictive and non-restrictive relative clauses respectively), and certain sentential adverbs like hopefully (which they seem to think should never be used to express the speaker’s attitude towards the contents of a sentence). They typically justify their proscriptions and prescriptions by appeals to logic (although they never spell out what that logic actually is). Weiterlesen
Ein Feiertag für die deutsche Sprache
Das Deutsche hat eine Sprachgemeinschaft mit über 100 Millionen Mitgliedern, von denen die meisten im Alltag nie ernsthaft mit irgendeiner anderen Sprache in Berührung kommen.
Auf deutschen Fernsehkanälen laufen nicht nur den ganzen Tag lang qualitativ zweifelhafte aber unzweifelhaft deutschsprachige Eigenproduktionen, auch Filme und Serien aus dem Ausland werden ausschließlich in deutsch synchronisierten Fassungen gesendet. Kaum noch ein Kino zeigt Filme im Original und seit Online die DVD getötet hat, wird es immer schwerer, Originalfassungen überhaupt noch zu bekommen. Weiterlesen