Schlagwort-Archive: Deutsch

Heiße Mohr, will nichts verstehen

Von Anatol Stefanowitsch

Es gibt die ganz nor­male Denk­faul­heit. Es gibt mutwillige Igno­ranz. Und dann gibt es noch das deutsche Feuil­leton – erfun­den, damit Denk­faul­heit und mutwillige Igno­ranz nicht so schlecht dastehen.

Ein Beispiel? Na gut:

Ges­tat­ten, mein Name ist Mohr. Rein­hard Mohr. Mohr mit o‑h, wohlge­merkt. Nie habe ich Stamm­baum­forschung oder Ety­molo­gie betrieben, aber soviel weiß ich: Mohr kommt von Mau­re, ein ursprünglich griechis­ches Wort, das dunkel- und schwarzhäutige Men­schen beze­ich­net. Ich aber bin weiß.

In einem einzi­gen kurzen Absatz verdeut­licht Rein­hard Mohr für das Deutsch­landra­dio Kul­tur hier das Kern­prinzip des Feuil­letons. Erstens: „Es geht um mich, mich, mich!“ Zweit­ens: „Natür­lich habe ich nicht recher­chiert.“ Drit­tens: „Trotz­dem erk­läre ich euch Gut­men­schen jet­zt gle­ich mal, wo der große weiße Ham­mer hängt.“ Weit­er­lesen

Leichte Sprache, komplexe Wirklichkeit

Von Anatol Stefanowitsch

Die aktuelle Aus­gabe der Zeitschrift „Aus Poli­tik und Zeit­geschichte“ (APUZ 9–11/2014) mit dem The­ma „Leichte und Ein­fache Sprache“ ist seit gestern online ver­füg­bar. ((Das Heft kommt am Mon­tag als Beilage der Wochen­zeitung „Das Par­la­ment“ und kann dann auch bei der Bun­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung bestellt wer­den)) Neben fünf anderen Autor/innen bin auch ich mit einem Beitrag vertreten, in dem ich ver­suche, eine sprach­wis­senschaftliche Einord­nung der „Leicht­en Sprache“ vorzunehmen. Hier die Ein­leitung: Weit­er­lesen

Sacharbeit, zurückkehren zur

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn Thomas Opper­mann Dinge been­det, dann tut er das sprach­lich etwas raf­finiert­er als Ronald Pofal­la. Die Diskus­sion darum, ob nach dem Rück­tritt des CSU-Land­wirtschaftsmin­is­ters Hans-Peter Friedrich auch die SPD per­son­elle Kon­se­quen­zen ziehen müsse, beant­wortet er so:

Wir wer­den zur Sachar­beit zurück­kehren und nicht Dinge verknüpfen, die nichts miteinan­der zu tun haben. [NDR.de, 18.2.2014]

Damit bedi­ent er sich ein­er Redewen­dung, die so sprich­wörtlich ist, dass der Duden sie als Beispiel für die kor­rek­te Ver­wen­dung des Wortes Sachar­beit nen­nt: Weit­er­lesen

Wikipedia und die starken Männer

Von Anatol Stefanowitsch

Dass die Wikipedia ein Frauen­prob­lem hat (näm­lich: dass sie haupt­säch­lich, näm­lich zu etwa neun­zig Prozent von Män­nern edi­tiert wird), ist seit Jahren The­ma in den Medi­en. Für die Wiki­me­dia-Foun­da­tion ist es Anlass zur Sorge, die Lösung wird darin gese­hen, Frauen geziel­ter zu umwer­ben und Ange­bote zu schaf­fen, durch die sie sich sicher­er und willkommen­er fühlen.

Zwei deutsche Wikipedi­anutzer haben sich nun anscheinend Gedanken gemacht, wie sie ganz per­sön­lich bei der Lösung des Män­ner­prob­lems, und einem Vorschlag entwick­elt, über den ab heute Abend 18:00 Uhr ein Mei­n­ungs­bild einge­holt wer­den soll: Weit­er­lesen

Steine im Glashaus, oder: das #Gategate

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn wir den „Anglizis­mus des Jahres“ bekan­nt­geben, sind zwei Reak­tio­nen sich­er wie das Amen in der Kirche. Erstens: „Das Wort habe ich noch nie gehört“. Zweit­ens: „Das Wort ist doch uralt, was soll daran inter­es­sant sein.“ Das liegt ver­mut­lich daran, dass die „Sprachge­mein­schaft“ eher aus vie­len kleinen Sprach­cliquen beste­ht, die einan­der sprach­lich nur am Rande wahrnehmen: Was für die einen ein alt­bekan­ntes Lehn­wort ist, haben andere noch nie gehört.

In diesen Reigen rei­ht sich dieses Jahr zum ersten Mal ein Major Play­er ein: Die Gesellschaft für deutsche Sprache, die unsere Wörter­wahl bis­lang geflissentlich ignori­ert hat. In ein­er Pressemit­teilung lassen sie wis­sen, dass ihnen unsere Wahl so über­haupt nicht zusagt. Zwar spreche aus ihrer Sicht „nichts dage­gen, den Anglizis­men eine eigene „Wort des Jahres“-Aktion zu wid­men“ – vie­len Dank, das beruhigt uns unge­mein – aber gegen unseren diesjähriger Sieger -gate spreche dafür umso mehr:

Her­aus­gekom­men ist in diesem Jahr mit dem Suf­fixoid ‑gate allerd­ings ein Wort (bess­er gesagt: Wortbe­standteil), das es im Deutschen bere­its seit 1972 gibt, entlehnt im Zusam­men­hang mit dem Water­gate-Skan­dal. Im Anglizis­men­wörter­buch von Broder Carstensen aus dem Jahr 1993 wird ‑gate mit der all­ge­meinen Bedeu­tung „Skan­dal“ auch bere­its als im Deutschen pro­duk­tiv und rei­hen­bildend beschrieben. […]

Unklar an der Wahl von -gate zum Anglizis­mus des Jahres bleibt jedoch, warum die zunehmende Ver­wen­dung aus­gerech­net für das Jahr 2013 so beson­ders charak­ter­is­tisch sein soll. […] -gate ist im deutschen Sprachge­brauch wohl spätestens mit der Ver­wen­dung im CDU-Spenden­skan­dal im Jahr 2000 angekom­men und insofern eben kein aktuelles Beispiel für einen neu ins Deutsche inte­gri­erten Anglizis­mus, son­dern ein alter Hut.

Der Fokus hat die Mel­dung aufge­grif­f­en und zu einem „Zoff zwis­chen Sprach-Wis­senschaftlern“ hochstil­isiert. Ihr wollt Zoff? Ihr bekommt Zoff.
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And the Winner is: ‑gate

Von Anatol Stefanowitsch

Als das Wort Water­gate 1972 ins Deutsche entlehnt wurde, war es nur der Name ein­er bes­timmten poli­tis­chen Affäre: Der repub­likanis­che US-Präsi­dent Richard Nixon hat­te das im Water­gate Build­ing behei­matete Haup­tquarti­er der geg­ner­ischen Demokrat­en abhören lassen. Dass er dafür 1974 zurück­treten musste, kön­nen wir uns angesichts der poli­tis­chen Kon­se­quen­zlosigkeit des aktuellen Dauer-Abhörskan­dals kaum noch vorstellen – so wie sich damals nie­mand hätte vorstellen kön­nen, dass die let­zte Silbe des Eigen­na­mens Water­gate vierzig Jahre später zum deutschen Anglizis­mus des Jahres gekürt wer­den würde.

Und um ein Haar wäre es dazu auch nie gekom­men, denn zunächst schien es für die deutsche Sprachge­mein­schaft keinen Grund zu geben, den Wortbe­standteil -gate her­auszulösen. Stattdessen sah es eher so aus, als kön­nte sich das Wort Water­gate im Ganzen als all­ge­meine Beze­ich­nung für poli­tis­che Skan­dale durch­set­zen. Frühe Tre­f­fer im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus beziehen sich zum Beispiel auf ein franzö­sis­ches, philip­pinis­ches oder englis­ches Water­gate, ein Ham­burg­er oder Bon­ner Water­gate, und (wohl in Anlehnung an das zum all­ge­meinen Wort für eine Nieder­lage gewor­de­nen Water­loo) sog­ar davon, dass jemand vor seinem Water­gate ste­he. Weit­er­lesen

Anglizismus 2013: Publikumsabstimmung

Von Anatol Stefanowitsch

Fast drei Monate lang hat die Jury Nominierun­gen gesichtet und die aus­sicht­sre­ich­sten Wortkan­di­dat­en aus­führlich auf ihre Tauglichkeit geprüft, Anglizis­mus des Jahres 2013 zu wer­den. Aus fast hun­dert Bewer­bun­gen wur­den zunächst die sechzehn Wörter aus­gewählt, die den Kri­te­rien am besten entsprachen, die also a) ganz oder teil­weise aus englis­chem Wort­ma­te­r­i­al beste­hen, b) im Jahr 2013 in den Sprachge­brauch ein­er bre­it­eren Öffentlichkeit gelangt sind, und c) auf inter­es­sante Weise eine Lücke im deutschen Wortschatz füllen. Nach ein­er aus­führlichen Diskus­sion dieser sechzehn Wörter schickt die Jury nun elf Kan­di­dat­en in die Endrunde. Während sie hin­ter ver­schlosse­nen Türen hitzig debat­tiert, um pünk­tlich am 28. Jan­u­ar 2014 das Ergeb­nis verkün­den zu kön­nen, läuft bis Don­ner­stag auch die Pub­likumsab­stim­mung, bei der Sie Ihren per­sön­lichen Liebling wählen können.

Hier noch ein­mal die elf Wortkan­di­dat­en im Überblick, mit Links zu den entsprechen­den Blog­beiträ­gen im Sprachlog und lexiko­grafieblog und dem Faz­it der Jurymit­glieder, die sich das jew­eilige Wort näher ange­se­hen haben. Weit­er­lesen

Unwort des Jahres 2013: Sozialtourismus

Von Anatol Stefanowitsch

Die „Sprachkri­tis­che Aktion“ hat das Unwort des Jahres 2013 bekan­nt gegeben: Sozial­touris­mus. Beim Sprachlog sind wir ja notorische Nör­g­lerin­nen, wenn es um ander­er Leute Wörter­wahlen geht, aber an der Arbeit der Unwort-Jury haben wir wenig auszuset­zen, seit Nina Janich, Sprach­wis­senschaft­lerin an der TU Darm­stadt, den Vor­sitz über­nom­men hat.

Um Unwort des Jahres zu wer­den, muss ein Wort „gegen das Prinzip der Men­schen­würde“ oder „Prinzip­i­en der Demokratie ver­stoßen“ oder „einzelne gesellschaftliche Grup­pen diskri­m­inieren“, und es muss „euphemistisch, ver­schleiernd oder gar irreführend“ sein. Auf das unsägliche Dön­er-Morde (2011), traf das auch aus unser­er Sicht klar zu, und auch beim per­fi­den Opfer-Abo waren wir im Prinzip ein­er Mei­n­ung mit der Jury. Weit­er­lesen

Kandidatinnen für den Anglizismus des Jahres 2013: Cyber–

Von Anatol Stefanowitsch

Schon im let­zten Jahr war mit -gate neben ein­er Rei­he von Wörtern auch ein Affix für den Anglizis­mus des Jahres nominiert, also ein Wort­bil­dungse­le­ment, das nicht (oder nicht vor­rangig) alleine ste­ht, son­dern an ein existieren­des Wort ange­fügt wird, um ein neues abzuleit­en. In diesem Jahr sind gle­ich drei Affixe auf der Short­list: das Suf­fix -gate als Wiedergänger, und erst­mals nominiert die Prä­fixe Fake– (von Susanne hier disku­tiert und Cyber–. Um let­zteres geht es in diesem Beitrag.

Als eigen­ständi­ger Wortkan­di­dat ist Cyber- zwar neu nominiert, aber das Prä­fix war schon 2011 qua­si als Beifahrer der Wörter Cyberwar/Cyberkrieg mit im Ren­nen. Damals kon­nte ich zeigen, dass diese Wörter, obwohl sie manchen vielle­icht zu alt erschienen, erst in den Jahren 2010–2011 einen Häu­figkeit­sanstieg erfuhren, der auf eine Ver­wen­dung außer­halb klein­er spezial­isiert­er Grup­pen hin­wies. Die Wörter waren also ern­sthafte Anwärter auf den Titel, schafften es am Ende aber wed­er in der Pub­likumsab­stim­mung noch in der Entschei­dung der Jury unter die Top 3.

Die Frage, ob das Prä­fix Cyber- neu genug ist, um im laufend­en Jahr eine Chance auf den Titel zu haben, lässt sich deut­lich schw­er­er beant­worten, denn im Falle eines Affix­es zählt ja für die Frage der Ver­bre­itung nicht so sehr das erste Auftreten eines Wortes oder die Gesamthäu­figkeit aller Wörter, in dem bzw. in denen es enthal­ten ist. Vielmehr ist entschei­dend, wie pro­duk­tiv das Affix zur Bil­dung von Wörtern einge­set­zt wird und wie sich diese Pro­duk­tiv­ität entwick­elt hat. Auf diese Frage werde ich mich konzen­tri­eren, aber natür­lich erst, nach­dem ich die Vorgeschichte des Prä­fix­es Cyber- im Englis­chen gek­lärt habe (wer an der nicht inter­essiert ist, kann den fol­gen­den Abschnitt über­sprin­gen). Weit­er­lesen