Schlagwort-Archive: Deutsch

Vom Beck und der Bäckerin

Von Kristin Kopf

Bei der deutschen Debat­te über geschlechterg­erechte Sprache geht es oft um eine bes­timmte Wort­bil­dungsendung: das -in. Es ist ein soge­nan­ntes »Movierungssuf­fix«, das aus ein­er Män­ner- eine Frauen­beze­ich­nung macht: Min­is­terin, Wirtin, Klemp­ner­in. Die männliche Form bildet also das Grund­ma­te­r­i­al, das durch einen Zusatz angepasst wird.

Das ist aber nicht die einzige for­male Beziehung, in der For­men für Män­ner und Frauen in ein­er Sprache zueinan­der ste­hen kön­nen! In der deutschen Sprachgeschichte gab es auch ein Muster, das keine der bei­den For­men als Voraus­set­zung für die andere nutzte. Wie das aus­sah, wohin es ver­schwun­den ist, wie man son­st noch Beze­ich­nun­gen für han­del­nde Per­so­n­en bilden kon­nte und was dem -in so wieder­fahren ist, will ich heute ein wenig beleucht­en. Weit­er­lesen

Das Binnen‑I ist der Demokratie ihr Tod

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn ich mit Büch­ern, Spie­len und Fernsehsendun­gen zur deutschen Sprache berühmt gewor­den wäre, ohne beson­ders viel von der deutschen Sprache zu ver­ste­hen; wenn ich dann einen offe­nen Brief von ein paar öster­re­ichis­chen Reak­tionären mitun­terze­ich­net hätte, in dem die fordern, sprach­lichen Sex­is­mus zur Norm zu machen; wenn mich dann die Wiener Zeitung fra­gen würde, warum ich das getan habe, dann würde ich antworten, dass ein „ange­se­hen­er Wiener Autor“ mich in einem „höflichen, for­mvol­len­de­ten Stil“ darum gebeten habe (man würde ver­ste­hen, dass ich ange­se­henen Autoren nichts abschla­gen kann, und dass etwas, das höflich und for­mvol­len­det for­muliert ist, nicht falsch sein kann). Weit­er­lesen

Die fünf Freunde und die Rückkehr zur sprachlichen Normalität

Von Anatol Stefanowitsch

Öster­re­ich ist ja, nach eigen­er Aus­sage, die Heimat großer Söhne – so groß, dass für große Töchter neben ihnen kaum noch Platz ist. Aber nicht nur das – es ist auch das Land der Berge, das Land am Strome, das Land der Äck­er, das Land der Dome – und das Land der Häm­mer. Und einen beson­ders großen Ham­mer haben 650 Expert/innen für die psy­cholin­guis­tis­che Ver­ar­beitung männlich­er Pronomen und Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen, äh, nein, für die, äh, nein, für die Struk­tur und Bedeu­tung der deutschen Gegen­wartssprache – nein, ich fange noch mal an. Weit­er­lesen

Israel und die Hamas im Spiegel deutscher Schlagzeilen

Von Anatol Stefanowitsch

Hin­weis: Eine neuere Ver­sion des unten ste­hen­den Textes mit ein­er umfassenderen Analyse auf ein­er bre­it­eren Daten­grund­lage ist hier erschienen.

Die Presse­berichte der let­zten Tage aus Israel und dem Gaza­s­treifen haben viele Men­schen in meinen sozialen Net­zw­erken als unaus­ge­wogen emp­fun­den: viele waren der Ansicht, die deutsche Presse berichte nicht angemessen über den soge­nan­nten „Nahost-Kon­flikt“ son­dern bew­erte die israelis­che Seite über­mäßig neg­a­tiv und inter­essiere sich haupt­säch­lich für Angriffe Israels auf Ziele im Gaza­s­treifen, aber nicht für Angriffe der Hamas auf Israel. Da mir dieser Vor­wurf im Zusam­men­hang mit der Israel-Berichter­stat­tung nicht zum ersten Mal begeg­net, habe mich gefragt, ob dieser Ein­druck stimmt, oder ob er das Ergeb­nis selek­tiv­er Wahrnehmung ist – die wenig­sten von uns analysieren ja sys­tem­a­tisch die Berichter­stat­tung tage­sak­tueller Ereignisse, und die eigene Per­spek­tive kann sich deshalb ja leicht zu einem falschen Gesamtein­druck verfestigen.

Um das zu über­prüfen, habe ich heute mor­gen auf Google News die Such­be­griffe Israel und Hamas eingegeben, und die Über­schriften der jew­eils 25 ersten Tre­f­fer analysiert (da einige Mel­dun­gen natür­lich bei bei­den Such­be­grif­f­en auf­taucht­en, waren das 37 Über­schriften; sie sind alle am Ende des Beitrags aufge­lis­tet). Ich konzen­triere mich auf die Über­schriften, weil sie erstens der Teil der Presse­berichte sind, der am stärk­sten Wahrgenom­men wird (vor allem in sozialen Net­zw­erken, wo außer Über­schriften häu­fig nicht viel gele­sen wird), und weil sie zweit­ens die Per­spek­tive oder den Frame verdeut­lichen, die ein bes­timmtes Medi­um uns auf die Ereignisse ver­mit­teln will. Weit­er­lesen

Hochmut großer Söhne

Von Anatol Stefanowitsch

Am Text der öster­re­ichis­chen Nation­al­hymne find­et sich, wie es bei Tex­ten von Nation­al­hym­nen nun ein­mal so ist, wenig Erhal­tenswertes. Sie feiert die Land­schaft (gut, das ist ger­ade noch erträglich), das „für das Schöne beg­nadete“ und mit „hoher Sendung“ aus­ges­tat­tete Volk (das ist dann eben, nation­al­hym­nen­typ­isch, nicht mehr erträglich), die kriegerische Ver­gan­gen­heit, und eine „arbeits­fro­he“ Zukun­ft. Und natür­lich wird dem „Vater­land“ auch ordentlich Treue geschworen.

Kann von mir aus alles weg, zusam­men mit dem „God save the Queen“, dem „land of the free and … home of the brave“, dem „Россия — священная наша держава“, dem „Einigkeit und Recht und Frei­heit“ und all den anderen Din­gen, die sich Natio­nen in ihren Hym­nen so zusam­men­phan­tasieren. Weit­er­lesen

Eine Mannschaft, die sie Elf nannten

Von Anatol Stefanowitsch

Die dpa hat sich gestern in ein­er inter­es­san­ten Hin­ter­grundgeschichte mit den Spitz­na­men der National­mannschaften beschäftigt, die derzeit in Brasilien um die Welt­meis­ter­schaft spie­len. Diese einzi­gar­tige Gele­gen­heit, Sprach­wis­senschaft und Fußball zu ein­er klick­trächti­gen Geschichte zu verbinden, kann ich natür­lich nicht ungenutzt vorüberziehen lassen.

Spitznamen für Fußballmannschaften

Die Spitz­na­men der Mannschaften fall­en in drei große Kategorien:

1. Mannschaftsfarben/Nationalfarben. In diese größte der drei Kat­e­gorien fall­en Spanien (La Roja oder La Furia Roja, „die rote Furie“), Chile (eben­falls La Roja), die Nieder­lande (Oran­je), Argen­tinien (Albice­leste „weiß-him­mel­blau“), Uruguay (Celeste, „him­mel­blau“), Ital­ien (Squadra Azzu­ra, „blaues Geschwad­er“) und Frankre­ich (Les Bleus) – let­ztere heißen ja eigentlich auch Équipe Tri­col­ore („drei­far­bige Mannschaft“) nach der franzö­sis­chen Flagge, den Namen habe ich aber länger nicht mehr in der deutschen Berichter­stat­tung gehört. El Tri­col­or, oder kurz El Tri heißt auch die mexikanis­che National­mannschaft (manch­mal auch La Verde „die Grüne“). Manch­mal kommt zur Farbe noch ein weit­eres Wort dazu, z.B. bei Bel­gien (Rode Duiv­els oder Dia­bles Rouges, „Rote Teufel“) oder Ghana (Black Stars, „schwarze Sterne“, nach dem Stern auf der Nation­alflagge). Weit­er­lesen

Sprachpolizeiliche Ermittlungen [re:publica]

Von Anatol Stefanowitsch

Hier nun also das Video meines Vor­trags „Sprach­polizeiliche Ermit­tlun­gen“ von der re:publica 2014, ergänzt um die wichtig­sten im Vor­trag erwäh­n­ten Texte, weit­ere Links und Berichte zum Vor­trag und eine PDF-Datei der Präsentation.

Wichtigste im Vortrag erwähnte Texte

Links

Präsentation

Weitere Vorträge

  • YouTube-Playlist mit weit­eren Vorträ­gen von mir zu den The­men gerechte Sprache, Sprachkri­tik usw.

Männer sind Norm, Frauen sind Ideologie

Von Anatol Stefanowitsch

Geschlechterg­erechte Sprache ist nicht nur ein gesellschaftlich kon­tro­ver­s­es The­ma – kein Wun­der in ein­er Gesellschaft, in der der Mann immer noch als Norm gilt –, son­dern vor allem auch eines, über das sich viele Men­schen schlicht noch nie Gedanken gemacht haben – eben­falls kein Wun­der in ein­er Gesellschaft, in der der Mann immer noch als Norm gilt. Es ist deshalb klar, dass man nicht automa­tisch vom Schlimm­sten aus­ge­hen sollte, wenn jemand gegen geschlechterg­erechte Sprache argu­men­tiert und etwa behauptet, das „gener­ische“ Maskulinum sei unprob­lema­tisch, da ja alle wüssten, dass dabei auch Frauen ein­be­zo­gen sind, und jede Abwe­ichung von dieser sprach­lichen Form würde Texte nur unles­bar machen. Die- oder der­jenige kön­nte ja ein­fach aus ein­er Unken­nt­nis des The­mas so argumentieren.

Das kön­nte auch für das „Komi­tee zur Regelung des Schriftverkehrs“ des Aus­tri­an Stan­dards Insti­tute gel­ten, das in einem Entwurf für eine Über­ar­beitung ÖNORM A 1080 („Richtlin­ien für die Textgestal­tung“) vorschlägt, das „gener­ische“ Maskulinum tat­säch­lich zur Norm zu erheben und damit alle For­men geschlechterg­erechter Sprache für inko­r­rekt zu erk­lären (wir berichteten).

Als die öster­re­ichis­che Sprach­wis­senschaft­lerin und Lek­torin Karin Wetschanow, Mitau­torin eines Leit­fadens für geschlechterg­erechte Sprache des öster­re­ichis­chen Bun­desmin­is­teri­ums für Bil­dung, Wis­senschaft und Kul­tur (PDF) dem Komi­tee in der Wiener Zeitung vor­warf, „von ein­er ‚antifem­i­nis­tis­chen Ide­olo­gie‘ geprägt zu sein und auf die Exper­tise maßge­blich­er Wis­senschaftler verzichtet zu haben“, war ich zunächst sehr skep­tisch. Weit­er­lesen

Der Mann als Norm

Von Anatol Stefanowitsch

Vor eini­gen Wochen haben wir hier über den Ver­such zweier Wikipedia-Autoren berichtet, das soge­nan­nte „gener­ische“ Maskulinum (also die patri­ar­chale Prax­is, männliche Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen „geschlecht­sneu­tral“ zu ver­wen­den) als all­ge­meinen Stan­dard festzule­gen (in der Abstim­mung scheit­erte dieser Ver­such spek­takulär, was entwed­er darauf hin­weist, dass die Wikipedianer/innen ins­ge­samt mehr Bewusst­sein für diskri­m­inierende Sprach­struk­turen haben als gemein­hin angenom­men, oder dass sie Vorschriften noch mehr has­sen als geschlechterg­erechte Sprache).

Aktuell ver­sucht nun das Aus­tri­an Stan­dards Insti­tute, densel­ben Taschen­spiel­er­trick abzuziehen. Wie der Vere­in öster­re­ichis­ch­er Juristin­nen berichtet, schlägt das ASI im aktuellen Entwurf für die ÖNORM A 1080 („Richtlin­ien für die Textgestal­tung“) vor, „auf weib­liche For­men zu verzicht­en und stattdessen mit­tels Gen­er­alk­lauseln klarzustellen, dass Frauen in der männlichen Form mit­ge­meint seien.“ Auch das Binnen‑I und die in Öster­re­ich üblichen weib­lichen For­men für akademis­che Titel (z.B. Dr.in, Prof.in) sollen nach der Vorstel­lung des ASI als inko­r­rekt gel­ten. „Auf weib­liche For­men könne in schriftlichen Tex­ten verzichtet wer­den, denn männliche For­men wür­den für bei­de Geschlechter gel­ten, so die Empfehlung.“ Weit­er­lesen

Bericht zur Lage der deutschen Sprache Reloaded

Von Sprachlog

Im Novem­ber haben wir hier im Blog den von der Deutschen Akademie für Sprache und Dich­tung und der Union der deutschen Akademien der Wis­senschaften her­aus­gegebe­nen Band Reich­tum und Armut der deutschen Sprache. Erster Bericht zur Lage der deutschen Sprache in drei Blog­beiträ­gen disku­tiert [Teil 1 von Ana­tol, Teil 2 von Susanne, Teil 3 von Kristin]. Da wir den Band ja sowieso gele­sen hat­ten, haben wir uns entsch­ieden, ihn auch gle­ich richtig zu rezen­sieren. Das Ergeb­nis ist nun in zwei Teilen in der Zeitschrift für Rezen­sio­nen zur ger­man­is­tis­chen Sprach­wis­senschaft erschienen, und da das eine Open-Access-Zeitschrift ist, ste­ht allen inter­essierten Leser/innen ab sofort sowohl unsere inhaltliche Rezen­sion des Berichts als auch unsere Bew­er­tung sein­er Öffentlichkeit­stauglichkeit und ‑wirk­samkeit frei zur Ver­fü­gung. Das wird übri­gens nicht das einzige Mal bleiben, dass aus dem Sprachlog gemein­same Fachveröf­fentlichun­gen entste­hen, aber dazu ein ander­mal mehr.