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Am Pascal seine Mutter

Von Kristin Kopf

Quelle

Im Schut­ter­tal spricht man Alemannisch.
Bas­t­ian Sick mag die Nase rümpfen wie er will und den Tod des Gen­i­tivs herbeischrei(b)en — im Ale­man­nis­chen (wie in vie­len deutschen Dialek­ten) gibt es ihn eh schon lange nicht mehr. In der Regel ste­ht dort, wo im Hochdeutschen ein Gen­i­tiv ste­ht, ein Dativ, und das gilt ganz beson­ders für Possessivkonstruktionen.

Pos­ses­sivkon­struk­tio­nen sind Kon­struk­tio­nen, mit denen man aus­drückt, dass jeman­dem etwas gehört. Dazu gibt es im Deutschen eine ganze Menge Möglichkeiten:

(1) Kristins Sprach­blog
(2) das Sprach­blog der Studentin 
(3) das Sprach­blog von Kristin
(4) von (der) Kristin das Sprachblog
(5) (der) Kristin ihr Sprachblog 

Die Vari­anten (1) — (3) sind stan­dard- und schrift­sprach­lich, sie kön­nen prob­lem­los in ela­bori­erten Tex­ten ver­wen­det werden.
Der Unter­schied zwis­chen (1) und (2) liegt darin, dass bei (1) der Pos­ses­sor (also die Per­son, die etwas besitzt) dem Pos­ses­sum (also das, was besessen wird) vor­angestellt ist, in (2) ist es umgekehrt. In der Regel nutzt man Kon­struk­tion (1) nur für Eigen­na­men und Eigen­na­menähn­lich­es wie Mama, Papa, Oma, Opa. In allen anderen Fällen greift dann Kon­struk­tion (2).
Kon­struk­tion (3) geht eigentlich nur für Eigen­na­men, ist also eine Alter­na­tive zu (1), son­st ist sie eher umgangssprach­lich (?Das Blog von der Stu­dentin, ?Das Haus vom Präsi­den­ten).

Jet­zt aber zu (4) und (5) — (4) wird vom Gram­matik-Duden als region­al und mündlich beze­ich­net, (5) ist “seit langem im gesamten deutschen Sprachraum nach­weis­bar […], eige­nar­tiger­weise bish­er nicht in die geschriebene Stan­dard­sprache aufgenom­men wor­den.” (S. 835)

Zurück zum Ale­man­nis­chen, das Kon­struk­tion (5) benutzt:
Im Schut­tertäler Dialekt wird die Entsprechung des hochdeutschen dem [de:m] als [dɛm] (unge­fähr dämm) real­isiert1. Allerd­ings fällt, wenn das Wort unbe­tont ist, oft das d am Anfang weg. Es wird also zu [ɛm] oder [əm].

Das Wort am wird als [ɔm] aus­ge­prochen (unge­fähr omm), aber manch­mal wird es noch weit­er reduziert, sodass es fast wie [əm] klingt.

Das wurde dem armen Schulkind, das den obi­gen Auf­satz geschrieben hat, zum Ver­häng­nis — es schrieb Frau Ehret ist am Pas­cal seine Mut­ter.

Die dialek­tale Pos­ses­sivkon­struk­tion wird natür­lich auch in der Umgangssprache ver­wen­det, die die Kinder in der Schule sprechen (und als Hochdeutsch beze­ich­nen). Dieser Umgangssprache des Kindes entsprechend wäre es also kor­rekt gewe­sen, dem Pas­cal seine Mut­ter zu schreiben, aber da es nicht mehr wusste, woher das zusam­mengeschrumpfte Wort kam, schrieb es schließlich am.
Der Lehrkraft war’s egal — hochsprach­lich muss Frau Ehret halt doch Pas­cals Mut­ter sein.

Die ver­link­te Seite gibt noch viel mehr dialek­tale Eigen­heit­en her, aber dazu ein ander­mal.

[23.4.09: Zu diesem Beitrag gibt es eine Ergänzung.]

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Ich hab’n jpg in dem pdf und will’s auf DVD brennen …

Von Kristin Kopf

Viele com­put­er­be­zo­gene Abkürzun­gen sind ja noch recht bekan­nt (www, http, CD, …) — aber ger­ade bei eini­gen der For­mate, die ich täglich benutze, hat­te ich keine Ahnung, was sie eigentlich bedeuten.

Wer ein bißchen rät­seln will, dem sei meine Auswahl hier genan­nt: pdf, jpg, mp3, DVD, CD-ROM

Und wer Erleuch­tung sucht, möge nach unten scrollen!

dateiendungen

Jet­zt zur Auflösung:

  1. pdf - portable doc­u­ment for­mat: So weit, so nahe­liegend. Ich wün­schte, mehr Men­schen wür­den es benutzen, im ihre Doku­mente trans­portier­bar zu machen ...
  2. jpgJoint Pho­to­graph­ic Experts Group: Wahrschein­lich ein Depart­ment des CIA …
  3. mp3 - MPEG‑1 Audio Lay­er 3 (MPEGMov­ing Pic­ture Experts Group): Noch mehr Experten, hui.
  4. DVDDig­i­tal Ver­sa­tile Disc: Ein wahrhaft viel­seit­iges Medi­um und der Tod der
  5. CD-ROM - Com­pact Disc Read-Only Mem­o­ry: Der erste Teil war mir klar, aber woher das ROM kam … Ich meine, ich wusste, dass es nichts mit Rom zu tun hat, wie ein beliebtes Bren­npro­gramm sug­geriert (Gibt’s das noch? Ist es noch beliebt?), aber dass es so pro­fan sein würde …

Ich würde ja vorschla­gen, dass Ihr in die Kom­mentare schreibt, wie klar Euch das längst war, oder welche anderen bekan­nten Com­put­er­abkürzun­gen Ihr auflösen kön­nt — aber ich fürchte, dann wird klar, wie wenige Leute hier lesen. Also … vielle­icht lieber nicht 😉

Lieber noch ein paar Über­legun­gen zum Sta­tus dieser Abkürzun­gen. Sind es Wörter? So richtige?

DVD und CD-ROM sich­er: Schon ihre Lang­for­men waren Sub­stan­tive (disc), die ein­fach nur gekürzt wur­den, sie beze­ich­nen (in der Mehrzahl) sil­berne Scheiben, die man anfassen und rum­schlep­pen kann, Sätze wie “Ich habe meine CD-ROM zerkratzt, aber glück­licher­weise hat­te ich den Film noch auf DVD hört man alle nase­lang, sie bilden auch ganz nor­male Plu­ral­fomen (die DVDs, die CD-ROMs) — aber was ist mit den Dateiformaten?

Bei der Lang­form dieser Abkürzun­gen han­delt es sich auch um Sub­stan­tive — allerd­ings um welche, die etwas anderes beze­ich­neten: for­mat bezog sich auf das Spe­icher­for­mat, nicht auf das konkrete Doku­ment, das in diesem For­mat existiert, group bezog sich auf die Gruppe von Men­schen, die das For­mat erstellt hat, nicht auf die konkrete Bild­datei (JPEG), lay­er (mp3) auf … was weiß ich, irgend­was Tech­nis­ches halt. Bei let­zterem wurde sog­ar so krass abgekürzt, dass es von lay­er keinen Rest mehr in der Abkürzung gibt.

Die Abkürzun­gen wur­den kreiert um zu kennze­ich­nen, dass eine Datei einem bes­timmten For­mat ange­hört. Oder sog­ar einem von ein­er bes­timmten Gruppe erstell­ten For­mat. (So gese­hen fol­gt JPG ein­er ähn­lichen Benen­nungsmo­ti­va­tion wie Kolumbi­en, Cook­town oder Peter Moosleit­ners inter­es­santes Mag­a­zin. Allerd­ings hat aus­gerech­net JPG die Sache nicht sooo weit mit­gemacht wie PDF und mp3, wahrschein­lich, weil das For­mat meist nur eine geringe Rolle spielt, man spricht halt von einem Bild.)

Natür­lich waren sie extrem kurz, wie das bei Dateien­dun­gen immer ist. (Manche Betrieb­ssys­teme lassen nur drei Zeichen zu. *hach* Wikipedia bildet unglaublich …)
Als Com­put­er­nutzerIn wird man also tagtäglich mit den Endun­gen kon­fron­tiert, aber fast nie mit den Fein­heit­en des dahin­ter­ste­hen­den For­mats. So gese­hen war der Weg nicht weit von der Grundbe­deu­tung ‘Dateifor­mat’ zu ‘gehört einem bes­timmten For­mat an’ (in Kon­tex­ten, bei denen die Endung an einen Dateina­men ange­fügt wurde) zu ‘konkrete Datei in einem bes­timmten For­mat’ — wobei noch immer alle Bedeu­tun­gen existieren. (Finde ich.)

So war die Abkürzung anfangs ein Wort, dann eine Art tech­nis­ch­er Mark­er, bei dem ich mich schw­ertue, ihn als Wort zu beze­ich­nen (immer, wenn’s an einem Dateina­men hängt) und wurde schließlich wieder zu einem Wort mit ein­er anderen Bedeutung.

Diese Wörter in ihrer neuen Bedeu­tung haben noch mit eini­gen Schwierigkeit­en zu kämpfen, ganz beson­ders was die Schrei­bung anbetrifft.
Wie heißt es nun, .pdf, pdf, Pdf oder PDF?

(1) Ich habe ein .pdf gefun­den (lei­der auf Japanisch) es hiess: Main­Mem­o­ry Exten­sion Man­u­al — for End User.
Quelle

(2) ach du möcht­est ein pdf erstellen?
Quelle

(3) Ich habe ein Pdf, kön­nte es Ihnen bei Inter­esse per Mail schick­en, PN darf ich noch nicht. 
Quelle

(4) Ich habe ein PDF zur ein­er ach so tollen Inter­net­druck­erei geschickt und bekam ein Druck­ergeb­nis in der manche Texte richtig waren und manche halt nur aus ä bestanden. 
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Manche Leute schreiben PDF-For­mat, aber ein­fach das For­mat zu ver­dop­peln ist auch nicht so ele­gant. PDF-Doku­ment gibt’s auch.

Ich bin ges­pan­nt, was sich da durch­set­zen wird. Mein Wun­schtraum wäre ja Pedeäf (wie Ede­ka aus E.d.K., Einkauf­sgenossen­schaft der Kolo­nial­waren­händler im Halleschen Tor­bezirk zu Berlin).

Snack su Silvester: Seeunkraut

Von Kristin Kopf

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Ein schön­er Fall, der zeigt, dass bei zusam­menge­set­zen Wörtern (Kom­posi­ta) die Teilbe­deu­tun­gen nicht automa­tisch die Gesamtbe­deu­tung ergeben — und dass man entsprechend ganz schön daneben­liegen kann, wenn man die Einzelbe­standteile wörtlich übersetzt:

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Manch­mal wur­den solche wörtlichen Über­set­zun­gen übri­gens zu “richti­gen” deutschen Wörtern — allerd­ings meis­tens nur, wenn es entwed­er noch kein deutsches Wort dafür gab, oder das Wort aus irgen­deinem Grund als inadäquat emp­fun­den wurde.
So etwas nen­nt man dann Lehnüber­set­zung: Hellse­her (frz. clair­voy­ant), Einkauf­szen­trum (engl. shop­ping cen­ter), allmächtig (lat. omnipotens).

[Weihnachten] Die Christmette und Xmas

Von Kristin Kopf

Heute, dank meines Brud­ers, ein bißchen Ety­molo­gie … Warum heißt es Christ­mette und nicht Christmesse?
Die bei­den For­men haben, wider Erwarten, nichts miteinan­der zu tun:

Mette kommt von lat. laudes mātūtī­nae, also ‘Mor­gen­lob’. Irgend­wann fiel das erste Wort weg und im spät­lat. hieß es nur noch mat­ti­na. In dieser Form wurde es dann ins Althochdeutsche (500/750‑1050) entlehnt, wurde im Mit­tel­hochdeutschen (1050–1350) zu mettî(ne), met­tene und kam schließlich bei der heuti­gen Form an.
laudes mātūtī­nae beze­ich­nete die erste Gebet­szeit des Tages, sie wird auch Vig­il oder Matutin genan­nt. Dieses Stun­denge­bet wurde nachts ver­richtet, früh­estens um Mit­ter­nacht, und bezieht sich entsprechend auf den fol­gen­den Tag. Es ist eigentlich keine Messe, also kein Gottes­di­enst mit Eucharistiefeier — dazu wurde nur die Christ­mette. Die ja jet­zt vielerorts auch schon um 22 Uhr gefeiert wird.

Messe kommt von spät­lat. mis­sa ‘Gottes­di­enst’, das so ins Althochdeutsche entlehnt wurde und im Mit­tel­hochdeutschen dann zu messe wurde.
Woher das lat. mis­sa genau kommt, ist nicht ganz gek­lärt, Kluge nen­nt als gängige Hypothese, dass es von Ite, mis­sa est. ‘Gehet, es ist ent­lassen!’ kommt, was vor dem Abendmahl gesagt wurde, um alle wegzuschick­en, die nicht daran teil­nehmen durften.
Von der kirch­lichen Messe kommt übri­gens auch die weltliche, über den Zwis­chen­schritt ‘kirch­lich­es Fest’ zu ‘Jahrmarkt, Großausstellung’.

Das englis­che mass ‘Gottes­di­enst’ hat densel­ben Ursprung wie Messe, Christ­mas entspräche also einem fik­tiv­en *Christmesse für ‘Wei­h­nacht­en’.
Zu Xmas gibt es grade einen kurzen Artikel bei der FAZ, der erk­lärt, woher das X kommt — vom griechis­chen Buch­staben Chi näm­lich, mit dem das Wort Chris­tus (‘der Gesalbte’) im Griechis­chen begin­nt: Χριστός.

[Buchtipp] Täuschende Wörter

Von Kristin Kopf

2008-12-25-olschanskySchon lange mal wollte ich Euch Heike Olschan­skys Buch “Täuschende Wörter”1 ans Herz leg­en. So lange schon, dass ich grade ein sehr inten­sives déjà-écrit-Erleb­nis habe. Naja, hier auf jeden Fall nicht.
Das Buch ist ein Mini-Lexikon für Volksetymologien.

Eine Ety­molo­gie ist die Geschichte eines Wortes — woher es kommt und wie es sich im Lauf der Zeit verän­dert hat, laut­lich und seman­tisch (also von der Bedeu­tung her).
Wenn man z.B. das heutige Wort Marschall nimmt und es zurück­ver­fol­gt, kommt man bei althochdeutsch maras­calc raus, ‘Pfer­deknecht’ (mar ‘Pferd’, scalc ‘Diener’ — da kommt übri­gens auch der Gottschalk her!).
Wenn ver­schiedene Wörter auf einen gemein­samen Stamm zurück­ge­führt wer­den kön­nen, so beze­ich­net man sie als ety­mol­o­gisch ver­wandt und kann damit im Tuto­ri­um Angst und Schreck­en ver­bre­it­en. (Ety­mol­o­gisch ver­wandt ist z.B. schnei­den mit Schnitt oder frieren mit Frost.)
Für Ety­molo­gien gibt es ety­mol­o­gis­che Wörter­büch­er — für’s Deutsche z.B. den “Kluge”.2

Eine Volksety­molo­gie kommt dann zus­tande, wenn ein Wort fälschlicher­weise mit Wörtern zusam­menge­bracht wird, mit denen es gar nichts zu tun hat. Klas­sis­ches Beispiel sind der Maulwurf und der Toll­patsch, daher lieber was anderes:

schmetterling1

Der Schmetter­ling hat nichts mit schmettern zu tun son­dern kommt wahrschein­lich von Schmetten­ling (ost­mit­teldeutsch), dessen erster Bestandteil wohl von Tschechisch smetana ‘Milchrahm’ her­rührt3. Das hat dann seine Ursache darin, dass im Volks­glauben Schmetter­linge oft mit Milch­pro­duk­ten in Verbindung gebracht wur­den — Olschan­sky führt an, dass sie sich ange­blich gerne auf Milchge­fäße set­zen oder dass Hex­en sich in Schmetter­linge ver­wan­del­ten, um Milch und Rahm zu stehlen. Was lustiger­weise auch am engl. but­ter­fly zu sehen ist.

Weit­ere Erk­lärun­gen gibt’s im ange­priese­nen Buch, unter anderen für die Wörter Affen­schande, Arm­brust, Beispiel, Brat­en, Eich­hörnchen, Eisvo­gel, Fried­hof, …
Außer­dem gibt es ein Kapi­tel zu Volk­se­t­y­molo­gien in anderen Sprachen und in Eigen­na­men und ein wun­der­bares Mini-Glos­sar von vier Seit­en, das alle ver­wen­de­ten Fach­be­griffe auch für Laien ver­ständlich macht.

Natür­lich sind viele der Volk­se­t­y­molo­gien auch in einem nor­malen ety­mol­o­gis­chen Wörter­buch erk­lärt, aber dazu muss man sie alle erst ein­mal find­en. Und Olschan­sky schreibt so angenehm les­bar und gle­ichzeit­ig ern­sthaft wis­senschaftlich (sie gibt z.B. alle bekan­nten For­men in älteren Sprach­stufen an, manch­mal sog­ar bis ins Indoger­man­is­che zurück), dass es eine Freude ist.
Also: Lesen!

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[Weihnachten] Wie schon die Alten sungen …

Von Kristin Kopf

Heute geht es um ein Lied, dessen Text 1587/88 in Mainz geschrieben wurde: “Es ist ein Ros entsprun­gen”. Lei­der ist das, was ich aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht dazu zu sagen habe, nicht beson­ders kreativ — Frau N. hat die Stelle sog­ar schon für einen Auf­satzti­tel benutzt.1
Aber wer noch keine Ein­führung in die his­torische Sprach­wis­senschaft des Deutschen hin­ter sich hat, wird sich vielle­icht den­noch dran freuen.

Erst­mal der Text der ersten Strophe:

Es ist ein Ros entsprun­gen aus ein­er Wurzel zart,
wie uns die Alten sun­gen, von Jesse kam die Art,
und hat ein Blüm­lein bracht
mit­ten im kalten Win­ter, wohl zu der hal­ben Nacht.

Und dann eine kurze Inhalt­sangabe, für die Athe­istIn­nen unter uns:
Mit­ten im Win­ter und mit­ten in der Nacht erblühte eine Rose (bzw. , nach der Gottes­lob-Inter­pre­ta­tion, ein ganz­er Rosen­stock), und zwar so, wie es im Alten Tes­ta­ment ste­ht (=“die Alten sun­gen”), wo es Jesa­ja (=“Jesse”) vorherge­sagt hat. (Natür­lich hat er die Geburt des Mes­sias vorherge­sagt, nicht die ein­er Rose, aber so iss­es halt mit den Metaphern …)

Und jet­zt der vergnügliche Teil des Abends. Es geht um diese Stelle:

(1) … wie uns die Alten sungen, …

Warum nicht “wie uns die Alten (vor)sangen”? Weil es sich dann nicht mehr auf “entsprun­gen” reimt? Wohl kaum … und hier­mit kom­men wir zum Phänomen der viel­ge­fürchteten Ablautrei­hen.
Wenn wir uns die heuti­gen Ver­ben des Deutschen anschauen, so kann man sie (qua­si) alle in zwei Grup­pen teilen: Schwache Ver­ben vs. Starke Verben.
Zu welch­er Gruppe ein Verb gehört, erken­nt man an seinen Ver­gan­gen­heits­for­men, und zwar am Prä­ter­i­tum (sagte, dachte, schlug, ging) und am Par­tizip II (gesagt, gedacht, geschla­gen, gegan­gen).

Die schwachen Ver­ben sind die, die ein­fach ein -te für’s Prä­ter­i­tum anhän­gen (sag-te) und für das Par­tizip II den Stamm mit ge-…-t umgeben (ge-sag‑t). Das ist sehr ein­fach, deshalb machen wir das mit den aller­meis­ten Ver­ben. Auch mit neuen Ver­ben, die wir z.B. aus dem Englis­chen entlehnen (down­load­ete, gedown­load­et/down­ge­loaded).

Viel älter und kom­pliziert­er sind hinge­gen die starken Ver­ben, die, wenn sie Ver­gan­gen­heit aus­drück­en wollen, ihren Stam­m­vokal ändern: werfenwarfge‑worf-en (das Par­tizip II hat zusät­zlich noch das ge-…-en außenrum.)
Ver­ben, die wir neu ins Deutsche entlehnen, funk­tion­ieren nie nach diesem Prinzip2 — nur die richtig alten Ver­ben haben diesen Vokalwech­sel zwis­chen den ver­schiede­nen Zeit­for­men. Den man Ablaut nen­nt. (Es gibt sog­ar Ver­ben aus dieser Gruppe, die zu den schwachen Ver­ben ent­fliehen — z.B. bellen, dessen Prä­ter­i­tum mal boll war. Oder melken, bei dem momen­tan der molk-melk­te-Kampf tobt.)

Heute unter­schei­den wir bei den starken Ver­ben ja drei For­men: Präsens, Prä­ter­i­tum und Par­tizip II. Das Max­i­mum an Unter­schied ist, wenn jede der drei For­men einen anderen Vokal hat, wie bei wer­fen. Manch­mal sind’s auch nur zwei ver­schiedene, z.B. bei schla­gen. Aber nii­i­i­i­ie sind es vier verschiedene.

Vor langer, langer Zeit (im Alt- und Mit­tel­hochdeutschen, und sog­ar noch vorher) gab es aber nicht drei unter­schiedliche For­men, son­dern vier:
a) Präsens: werfan ‘wer­fen’
b) Prä­ter­i­tum Sin­gu­lar: warf ‘warf’
c) Prä­ter­i­tum Plur­al: wurfun ‘war­fen’
d) Par­tizip II: giworfan ‘gewor­fen’
Es kam also drauf an, ob ein Verb im Prä­ter­i­tum Sin­gu­lar (also der Ein­zahl) oder im Plur­al (also der Mehrzahl) benutzt wurde. Man sagte also so etwas wie *der alto sang (weil’s ja nur ein­er ist) aaaaaber: *diu alton sun­gun (weil’s mehrere sind).

Im Früh­neuhochdeutschen (also ab ca. 1350) begann das Sys­tem zusam­men­zubrechen. Von den bei­den Vokalen im Prä­ter­i­tum set­zte sich jew­eils ein­er durch, bei wer­fen z.B. war es das a aus dem Sin­gu­lar (warf, wur­fun > warf, war­fen), bei reit­en war es das i aus dem Plur­al (reit, rit­un > ritt, rit­ten). Es gab also bei jedem Verb nur noch einen Vokal ins­ge­samt für das Prä­ter­i­tum, keine zwei mehr. Was ja auch irgend­wie prak­tisch ist, weil die Infor­ma­tion über das Prä­ter­i­tum jet­zt klar­er zu erken­nen ist — nicht mehr entwed­er Vokal 1 oder Vokal 2 zeigt, je nach Per­son, Prä­ter­i­tum an, son­dern nur noch ein einziger.
Diese Entwick­lung nen­nt man den Prä­ter­i­tal­en Numerusaus­gle­ich, aber das nur für diejeni­gen unter Euch, die damit angeben wollen.

Wäre also alles mit recht­en Din­gen zuge­gan­gen, müssten wir heute von den Alten sin­gen, die san­gen — aber dann würde es sich ja nicht mehr reimen. Und außer­dem haben alte Lieder meist eine gewisse Narrenfreiheit.

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[Weihnachten] Ihr Kinderlein, kommet …

Von Kristin Kopf

Wei­h­nacht­slieder geben eine Menge an sprach­lichen Relik­ten her, die ich mir über die Feiertage ein bißchen anschauen will. Den Anfang macht …

(1) Ihr Kinder­lein kommet

Schon­mal gewun­dert, dass wir hier einen Plur­al mit Diminu­tiv (=Verkleinerungs­form) haben? {kind}{er}{lein}?
Sub­stan­tiv: {kind}
Plu­ral­en­dung: {er}
Diminu­tiv: {lein}

Im Neuhochdeutschen tritt das {lein} ja direkt an das Sub­stan­tiv im Sin­gu­lar, erwartet wäre also {kind}{lein}:

Diminu­tiv, Deminu­tiv, Verkleinerungs­form
Zu vie­len Sub­stan­tiv­en wer­den durch Anfü­gung der Suf­fixe ‑chen oder ‑lein Verkleinerungs­for­men gebildet: Haus — Häuschen, Buch — Büch­lein.”
(Wahrig, 1997, S. 54)

Bei Kinder­lein muss es sich also um eine ver­al­tete Form han­deln. Und tat­säch­lich, in Grimms Wörter­buch find­en sich beim Lem­ma KINDERLEIN viele Beispiele. Heute wird die Form kaum noch ver­wen­det, und wenn, dann in Anspielung auf das Wei­h­nacht­slied oder beim Ver­such, alterthü… ähm, altertüm­lich zu sprechen.

Im Lux­em­bur­gis­chen gibt es die For­men mit Plu­ral­markierung direkt am Sub­stan­tiv heute noch:

(2) kand ‘Kind’ — kan­ner ‘Kinder’ -> kand­chen ‘Kind­chen, sg.’ — kan­nercher ‘Kind(er)chen, pl.’
(3) Haus ‘Haus’ - Hais­er ‘Häuser’ -> Hais­chen ‘Häuschen, sg.’ — Hais­ercher ‘Häuschen, pl.’

Und es geht sog­ar mit lexikalisierten Diminu­tiv­en, also mit For­men, die eigentlich auf eine Verkleinerungs­form zurück­ge­hen, jet­zt aber als ganz nor­male Form benutzt werden:

(4) Meed­chen ‘Mäd­chen, sg.’ — Meed­ercher ‘Mäd­chen, pl.’

Der Unter­schied zur alten deutschen Form im Wei­h­nacht­slied beste­ht darin, dass das Lux­em­bur­gis­che den Plur­al zweimal markiert, ein­mal durch das -er am Stamm und ein­mal durch die Endung -cher (statt -chen).

Das Lux­em­bur­gis­che und das Deutsche gehen ja auf gemein­same Wurzeln zurück, das Lux. ist eng mit den mosel­fränkischen Dialek­ten in und um Tri­er herum ver­wandt.
Da über­rascht es nicht, auch auf der deutschen Seite solche For­men als Relik­te zu ent­deck­en — z.B. gibt es einen Ort namens Wincherin­gen im Land­kreis Tri­er-Saar­burg, in dem es die Gemarkung “Auf den Häuserchen” gibt.

Wirft man einen Blick in Grimms Wörter­buch, so find­et man unter dem Lem­ma CHEN:

auch die plu­ral­bil­dung schwankt, jene kete­hinne kinderchinne schel­lichinne sind längst ver­al­tet, gewöhn­lich pflegt nach ahd. mhd. weise beim neu­trum über­haupt die form des sg. unverän­dert zu bleiben. einige aber erlauben sich bübchens leutchens mäd­chens, z. b. LESSING 1, 461 in der anrede: seht fre­undlich aus, mäd­chens! ich will euch etwas fröh­lich­es melden. andere tadel­hafter selb­st bübch­er mäd­ch­er:
und wenn das laub herunter fällt,
so trau­ren alle äst­ger.
MITTLER 465a,
wofür man doch einen noch des N ent­bund­nen sg. bübche mäd­che ästche anzuset­zen hat. neu­tra und mas­culi­na, die des epenthetis­chen er fähig sind, ver­mö­gen es mit in die diminu­tion zu ziehen, und von beinchen bretchen bild­chen häuschen kind­chen lämm­chen würm­chen läszt sich ausz­er dem gle­ich­lauti­gen pl. in traulich­er sprache bilden: bein­erchen breterchen bilderchen häuserchen kinderchen läm­merchen män­nerchen (LESSING 1, 242) würmerchen. […] ein fehler ist der pl. mäderchen oder gar mädercher von mäd­chen = mägd­chen, da das f. magd keinen pl. mägder zu bilden ver­mag. breterchen häuserchen u. s. w. laufen den bil­dun­gen breter­lein häuser­lein par­al­lel.”

Da ich momen­tan lei­der fern von all meinen Bücher­lein bin, kann ich nicht her­aus­find­en, ob die Ver­sion mit dem eingeschobe­nen Plur­al eine zeitweilige Vari­ante war, oder ob sie tat­säch­lich die ursprüngliche Form war. Ich tippe auf ersteres, zumal der er-Plur­al sich ja erst recht spät ver­bre­it­et hat.

[Surftipp] Strange Maps — Sprachkarten

Von Kristin Kopf

Ich bin zurück, mit dem fes­ten Vor­satz, endlich mal so regelmäßig zu schreiben, dass auch jemand regelmäßig vorbeischaut.
Heute soll es um ein Blog gehen, das ich heiß und innig liebe: Strange Maps.
Jed­er Ein­trag dreht sich um eine Land­karte oder einen Stadt­plan irgen­dein­er Art, und darunter sind auch viele sprach­be­zo­gene Karten.

Hier ein klein­er Überblick:

334 — The Atlas of True Names: Ety­molo­gie

Hier geht es um Karten, auf denen alle Namen (Städte, Län­der, Gewäss­er, …) ety­mol­o­gisch auf ihre “Urform” zurück­ge­führt wer­den. Es han­delt sich mehr um ein Spaßpro­jekt als um eine wis­senschaftliche Arbeit, weshalb es auch das Lan­guage Log ziem­lich kri­tisiert hat — aber ich finde die Idee sehr witzig, und was ich bish­er von der Umset­zung gese­hen habe ich auch nicht so übel.
Ich hab mir die Karten bestellt und werde bes­timmt bald was drüber schreiben.

329 — Chaffinch Map of Scot­land
: Dialek­tolo­gie

Ein Gedicht in der Form Schot­t­lands — das Ver­bre­itungs­ge­bi­et des chaffinch ‘Buchfink’ wird mit der jew­eili­gen regionalen Beze­ich­nung markiert.

308 — The Pop Vs Soda Map: Region­al­is­men

Es geht darum, wie alko­hol­freie Erfrischungs­getränke in den USA genan­nt wer­den. Zur “Pop vs. Soda con­tro­ver­sy” gibt es auch eine eigene Inter­net­seite.

2008-12-strangemaps
231 — Praise the Lord and Pass the Dic­tio­nary!: Sprachen Europas & Graphie

Europa Poly­glot­ta, Lin­guarum Genealo­giam exhibens, una cum Literis, Scribendique modis, Omni­um Gen­tium — eine Karte mit dem Beginn des Vaterun­sers in der jew­eili­gen europäis­chen Sprache (und dem entsprechen­den Alpha­bet) im entsprechen­den Land.

230 — Papua New Guinea, the Lin­guis­tic Super­pow­er: Sprachen der Welt

Diese Karte liebe ich ganz beson­ders — sie rückt die Dinge ein­mal in die richtige Per­spek­tive, sprachtech­nisch. Eine Weltkarte, die zeigt, wie groß die Län­der sein müssten, wenn man ihre Größe nach den in ihnen gesproch­enen Sprachen berech­nete. Auf nach Ozeanien!

41 — Amike­jo, the World’s First (and Only) Esperan­to State
: Kun­st­sprache

Die kreativ­en Bemühun­gen ein­er Sprache, ein Land zu finden …

13 — The retreat of Cor­nish: Sprach­tod

Hier sieht man, wie Kor­nisch “ins Meer gedrängt” wurde. Vom bösen Englisch. Es wurde aber zwis­chen­zeitlich wieder­belebt, das sieht man auf der Karte nicht.

Strange Maps lohnt sich aber nicht nur wegen der ab und an lin­guis­tis­chen Karten — auch alles andere ist sehr lesens- und sehenswert. Drin­gend mal vorbeischauen!

Sportreporterkontaminationen

Von Kristin Kopf

Diese bei­den wun­der­baren Äußerun­gen haben mich fast davon überzeugt, dass es sich lohnt, Sportre­portern zuzuhören1:

… ist das große Unschuld­slamm vom Lande.… ein Baum­fäller von einem Mann …

Bei­des aufgeschnappt bei der SWR1-Europameis­ter­schafts­berichter­stat­tung. Es war das Spiel mit den ganzen Bild- und Tonaus­fällen. Deutsch­land gegen irgendwen. Glaube ich.

Eben mal ein bißchen gegooglet — jemand anders hat den Baum­fäller auch gehört: da. Ver­wen­det hat ihn im ganzen weit­en Inter­net aber kein zweiter.
Das Unschuld­slamm vom Lande hinge­gen scheint weit ver­bre­it­et zu sein: 37 Tre­f­fer! Darunter der Focus (Rus­s­land & Verona Pooth) und die Berlin­er Zeitung. Gegen die Unschuld vom Lande ver­liert das Lamm dann aber doch nach wie vor: 43.200.

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