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… der weiß nicht, was er will

Von Kristin Kopf

Willkom­men im April! Ich hoffe, Euch macht heute kein­er zum Aprill­snar­ren:

APRILLSNARR, m. pois­son d’avril, engl. april’s fool, april­fool: selb­st die übri­gen, die man hier als lächer­lich hin­ter­gangne april­snar­ren (dupes) beze­ich­net. GÖTHE 46, 161. im nördlichen Eng­land sagt man april­gouk, aprils­gauch, kukuk. BRAND pop­u­lar antiq­ui­ties ed. Hal­li­well. Lond. 1848. 1, 139.

Inter­es­sant, dass es das Wort heute gar nicht mehr gibt, dafür aber den Aprilscherz. Eine kurze Recherche im DWDS fördert let­zteren in den let­zten hun­dert Jahren 49-mal zutage, ersteren hinge­gen über­haupt nicht. Im W‑Archiv der geschriebe­nen Sprache von Cos­mas-II gibt grade mal es einen April­snar­ren, allerd­ings in einem Liedti­tel (und den Aprilscherz 1039-mal).

Mey­ers Großes Kon­ver­sa­tions-Lexikon von 1905 ken­nt den April­snar­ren noch (dafür den -scherz nicht), so lange kann sein Tod also nicht her sein:

April­snarr, Spot­tname eines »in den April Geschickten«.

Wann ist der Narr also ver­schwun­den und der Scherz aufge­taucht? Haben die bei­den sich gegen­seit­ig abgelöst? Oder ist der Narr gar nicht tot, son­dern nur extrem sel­ten? So viele Fragen …

Egal wie – auf einen guten April! Ohne sein Wetter:

  • APRILLENWETTER, m. her­ren­gun­st und april­len­wet­ter sind verän­der­lich; april­len­wet­ter, män­ner­schwüre. FR. MÜLLER 1, 292.
  • APRILLENZEIT, f.

dein lieb­ster war ein junges blut,
und junges blut hegt wankelmut
wie die aprillenzeit.
BÜRGER 47a.

Von meiner Tante der Mann (Verwandtschaftstrilogie Teil 1)

Von Kristin Kopf

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Wegen mein­er Ver­wandtschaft­shausar­beit habe ich mich in der let­zten Zeit viel, viel, viel mit Ver­wandtschafts­beze­ich­nun­gen beschäftigt. Dabei gibt es ein paar Dinge, die mich schon immer plagen:

  1. Ehep­art­ner von Tan­ten und Onkel
  2. Großkusi­nen und Groß­cousins / Groß­tan­ten und Großonkel
  3. Großel­tern müt­ter- und väterlicherseits

Zu jedem der Punk­te will ich in einem eige­nen Beitrag ein bißchen was erk­lären, und dann wer­den ich pseu­do-empirisch: Ich habe eine Umfrage gemacht! Die Ergeb­nisse baue ich ein, wo sie passen, aber sie sind natür­lich nicht sta­tis­tisch sig­nifikant oder sonst­wie ern­stzunehmen. Meine Ver­suchsper­so­n­en waren 51 deutsche Studierende/AkademikerInnen (27w/24m), alle mit deutsch­er Mut­ter­sprache1, einige wenige zweis­prachig, Alters­durch­schnitt 28,4 Jahre.

Mit den Ehep­art­nern der Tan­ten und Onkel geht es los:

Die meis­ten Men­schen, die ich kenne, beze­ich­nen die Ehep­art­ner ihrer Tanten/Onkel eben­falls als Tante/Onkel. Als Kind fand ich das unmöglich, Heiratsver­wandtschaft hat­te unter dieser Beze­ich­nung nichts für mich zu suchen. Aber was ist die Alter­na­tive? Jedes Mal zu sagen “Ach übri­gens, mein ange­heirateter Onkel hat sich gestern zusam­men mit dem Mann mein­er Tante betrunk­en” ist ziem­lich umständlich, und umständliche For­mulierun­gen umge­ht man ja gerne, vor allem bei so hochfre­quenten Ver­wen­dun­gen wie meinem Beispielsatz.

Die Wahl, vor der man ste­ht, ist also sich a) präzise oder b) kurz auszu­drück­en. Kurz ist die natür­lichere Wahl. Das zeigt auch das Umfrageergebnis:

Im Gespräch mit Drit­ten, wie beze­ich­net Ihr die Ehe­frau Eueres Onkels und wie den Ehe­mann Euer­er Tante? 

tantetorte

33 Per­so­n­en wählten die kürzeste Möglichkeit und beze­ich­nen die Ehep­art­ner eben­falls als Tante und Onkel. Zwei beson­ders span­nende Details:

  • Eine Per­son beze­ich­net dann nur ange­heiratete Tanten/Onkels als Tante/Onkel, wenn die Eheschließung vor ihrer Geburt stattge­fun­den hat.
  • Jemand beze­ich­net die ihm sym­pa­this­cheren und näher­ste­hen­den Ehep­art­ner als Tante/Onkel, die weniger sympathischen/entfernteren als Frau von Onkel, Mann von Tante.

Die 11 Per­so­n­en, die manch­mal Tante/Onkel und manch­mal Umschrei­bun­gen gebrauchen, ver­weisen meist auf das Kom­mu­nika­tion­sziel. Nur wenn ein Mißver­ständ­nis dro­ht, greifen sie zur Erläuterung. (Nur drei Per­so­n­en gaben an, bei­des aus­tauschbar zu gebrauchen.)

Die 3 Per­so­n­en, die Erläuterun­gen bevorzu­gen, wählen For­mulierun­gen wie “der Mann mein­er Tante”, mein ange­heirateter Onkel oder mein Onkel, der Mann mein­er Tante.

Es gibt übri­gens ein schönes Buch, Comut­ter, Papi und Lebens­ab­schnitts­ge­fährte von Helen Chris­ten, in dem die neueren Entwick­lun­gen in der Benen­nung und der Anrede von Ver­wandten und Ich-weiß-nicht-so-recht-ob-Ver­wandten unter­sucht wer­den. Ich habe es vor Ewigkeit­en mal ange­le­sen und komme grade nicht dran, aber wenn ich es das näch­ste Mal in den Hän­den halte, schaue ich, ob sich davon nicht etwas für das Sch­plock eignet.

[poll­dad­dy poll=1505575]

Für alle, die nicht Teil mein­er exk­lu­siv­en Umfrage sein kon­nten, gibt’s jet­zt noch die Möglichkeit, was zu sagen. Bitte nur ein­mal abstimmen:

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Wortarten (Teil 1): „Tuwörter“

Von Anatol Stefanowitsch

Auf dem Schul­weg heute morgen.

Meine Tochter: Papa, wir nehmen jet­zt endlich die Wor­tarten durch.

(Sie hat­te schon ungeduldig darauf gewartet, seit ich ihr irgend­wann ein­mal erk­lärt habe, dass manche Wörter großgeschrieben wer­den, weil sie zu ein­er bes­timmten Wor­tart gehören).

Ich: Na endlich! Und welche Wor­tart habt ihr gestern kennengelernt?

Sie: Tuwörter.

Oh, nein. Lehrer tun also heutzu­tage immer­noch so, als könne man Wor­tarten an ihrer Bedeu­tung erken­nen? Bei uns hießen Ver­ben damals Tätigkeitswörter, aber irgend­wie hat­te ich gehofft, dass sich in den let­zten dreißig Jahren in dieser Hin­sicht etwas getan hätte. Weit­er­lesen

Japaner kein Ch-Champion?

Von Kristin Kopf

Das BILD­blog hat heute einen Beitrag veröf­fentlicht, in dem es um fehler­hafte Worter­set­zun­gen in der Bild geht. Ein­er der Artikel han­delt von einem Japan­er namens Hasebe, der bei Wolfs­burg Fußball spielt. Bild schreibt zu sein­er deutschen Aussprache:

Mit­telfeld­mann Mako­to Hasebe (25) kann das “ch” nicht aussprechen, z.B. also Cham­pi­ons League. Sein Dol­metsch­er Yun­pei Yamamori: “Diesen Laut gibt es im Japanis­chen nicht.” Stattdessen kommt bei ihm immer ein “F”.

Selt­sam, denkt man sich – das <ch> in Champi­ons League wird doch als tsch (IPA: [tʃ]) aus­ge­sprochen, und mit diesem Laut soll­ten Japaner­In­nen eigentlich kein großes Prob­lem haben, besitzen sie doch einen, der aus­re­ichend ähn­lich klingt, das [ʨ]. Urteilt selb­st – wer keine Sprache mit diesem Laut spricht, wird ihn ziem­lich sich­er für ein [tʃ] hal­ten: お茶 ocha ‘Tee’ (auf das dritte Wort von oben klicken).

Lesen wir mal weiter …

Das Sprach­prob­lem amüsierte die Mannschaft beim Früh­stück. Hasebe bestellt “Grape-FruFFt statt “Grape-FruCHt.

Der Ver­dacht bestätigt sich: Es ist gar nicht der [tʃ]-Laut gemeint, son­dern der [χ]-Laut. Also das, was in deutschen Wörtern als <ch> geschrieben wird, nicht das, was in englis­chen Wörtern als <ch> geschrieben wird. Oder sprechen die Bil­dredak­teure etwa Cham­pi­on wie Chemie aus?

Den [χ]-Laut, wie er in Grape­frucht (was ich eh nur als Grape­fruit oder Pam­pel­muse kenne) vorkommt, existiert im Japanis­chen tat­säch­lich nicht.1

Wie kommt es jet­zt aber zum [f]?

Im Japanis­chen gibt es fünf Vokale, die (fast) immer auf einen Kon­so­nan­ten fol­gen. So entste­hen z.B. die Sil­ben ha, hi, ho, he, hu. Das u ist aber kein [u] wie im Deutschen, der Laut klingt etwas anders. Man notiert ihn in IPA als [ɯ] und er klingt wie ein [u] wenn man dabei die Lip­pen nicht run­det. Wenn [h] vor diesem Laut ste­ht, wird es zu ein­er Art [f] – ganz genau zu einem [ɸ]. Nah genug an [f] dran, um ihn dafür zu ver­wen­den (wie auch schon mit [ʨ] und [tʃ]).

2009-03-30-ipazeichen2[ɸ] kommt also eigentlich nur vor [ɯ] vor. Trotz­dem kann Herr Hasebe es auch ander­swo im Wort aussprechen, z.B. bei Grape­fruɸt, wo er das [χ], das seine Sprache nicht hat, durch das [ɸ] erset­zt, weil es einiger­maßen ähn­lich klingt.

Wie kam es also zur Cham­pi­ons League? Ich ver­mute2, dass Bild das Wort nur deshalb gewählt hat, weil es aus dem Bere­ich Fußball kommt und es vielle­icht lustig klingt, dass ein Fußballer ein so wichtiges Wort nicht aussprechen kann. Man ging also ein­fach nach dem ver­meintlichen Prinzip “Was gle­ich geschrieben wird, wird auch gle­ich aus­ge­sprochen” und erset­zte den wirk­lichen Aussprachefehler bei Grape­frucht durch den einge­bilde­ten bei Cham­pi­ons League.

Dass Hasebe wed­er das [tʃ] noch das [χ] aussprechen kön­nen soll, erscheint mir extrem unwahrschein­lich. Oder sagt er nicht nur Grape­fruft, son­dern auch Fambions League?

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Bücher freestyle

Von Anatol Stefanowitsch

Es entste­ht vielle­icht manch­mal der Ein­druck, ich würde das Ein­streuen englis­chen Wortguts in deutschsprachi­gen Zusam­men­hän­gen immer und über­all gutheißen. Das ist nicht der Fall: Mir geht es bei der Beobach­tung dieses Phänomens über­haupt nicht darum, ob ich es „gut“ oder „schlecht“ finde, son­dern darum, ob es die deutsche Sprache bedro­ht (tut es nicht), was für Motive dahin­ter­ste­hen (sich­er keine Scham der deutschen Sprache gegenüber) und was für kom­mu­nika­tive Wirkun­gen damit erzielt wer­den. Weit­er­lesen

Beitragsersuche und selbsterfüllende Wikipediaeinträge

Von Anatol Stefanowitsch

Ein sehr merk­würdi­ges Wort geis­tert durch meine Bitte um eine deutsche Alter­na­tive zum Call for Papers: das Wort Beitragser­such. Es stammt aus der Wikipedia, wo es im Ein­trag zu Call for Papers als deutsche Über­set­zung angegeben wird.

Anders als viele mein­er Kol­le­gen bin ich der Mei­n­ung, dass die deutschsprachige Wikipedia grund­sät­zlich eine zuver­läs­sige Quelle darstellt. Fehler wer­den schnell kor­rigiert und wenn mal ein Artikel über­lebt, der inhaltlich nichts taugt, erken­nt man den nor­maler­weise auf den ersten Blick an for­malen Mängeln.

Aber in diesem Fall hat jemand die Wikipedia manip­uliert: Weit­er­lesen

Wort gesucht

Von Anatol Stefanowitsch

Ich will nicht von mein­er von eini­gen so heiß ersehn­ten Rück­kehr zu enger fach­wis­senschaftlichen Beiträ­gen ablenken (enjoy them while they last…) und erwarte nach wie vor Beschrei­bun­gen von selb­st beobachteten metapho­rischen Gesten.

Aber ich will heute auch ein­mal Aktion Lebendi­ges Deutsch spie­len, denn es gibt Begriffe, für die wäre eine grif­fige deutsche Entsprechung wirk­lich sin­nvoll für die hätte ich aus völ­lig indi­vidu­ellen Geschmack­spräferen­zen gerne eine deutsche Entsprechung: Weit­er­lesen

Fragen an das Internet beantwortet

Von Kristin Kopf

Word­Press ver­fügt über eine elende Sta­tis­tik­funk­tion, die man stun­den­lang sinn­los anstar­ren kann. Um die vergeudete Zeit etwas zu recht­fer­ti­gen, will ich ein paar “Fra­gen” beant­worten, die über Suchan­fra­gen zum Sch­plock geleit­et wur­den, wo dann zwar die Such­wörter, nicht aber die Antworten vorhan­den waren.

schmettern ethymologisch (12.3.2009)

Wahrschein­lich ist es ein laut­ma­lerisches Wort, das irgend­wie mit mit­tel­hochdeutschem smîzen ‘stre­ichen, schmieren’ (das ist die Vor­form von schmeißen) und niederdeutschem schmad­dern ‘schmieren’ ver­wandt ist.

Im Mit­tel­hochdeutschen hieß es sme­tern und hat­te die Bedeu­tung ‘klap­pern, schwatzen’. Das Wort hat ab dem 16. Jahrhun­dert die Bedeu­tung ‘mit Geräusch hin­schleud­ern’, man musste also immer etwas schmettern. Später dann brauchte das Verb kein Objekt mehr, es beze­ich­net sei­ther eher die Tat­sache, dass etwas einen ‘krachen­den Schall’ verur­sacht. Wenn man ein Objekt ver­wen­den will, benutzt man hin­schmettern.

Danke übri­gens für die Inspi­ra­tion mit ethymol­o­gisch!

eichhörnchen etymologisch (22.3.2009)

Voll­tr­e­f­fer – eine Volk­se­t­y­molo­gie! Klas­sis­ch­er Fall für Olschan­sky: Schon im Althochdeutschen hat man das Wort als Zusam­menset­zung aus Eiche und Horn analysiert (eih­horno), dabei geht es eigentlich auf das ger­man­is­che Wort *aikur­na- zurück, was die indoger­man­is­che Wurzel *aig- bein­hal­tet, ‘sich heftig bewe­gen, schwingen’.

Obwohl also ety­mol­o­gisch von einem Horn nicht die Rede sein kann, wurde das Wort Mitte des 19. Jahrhun­derts zu ein­er generellen Beze­ich­nung für alle ver­wandten Nagetiere der Famile Sci­uri­dae wie z.B. Baumhörnchen, Erd­hörnchen, Flughörnchen.

Quelle: Wikipedia

Quelle: Wikipedia (Ray eye), CC-by-sa‑2.0‑de

paumen hochdeutsch (19.3.2009)

Wahrschein­lich geht es hier um eine alte dialek­tale Form des Wortes Bäume. Zu Beginn der althochdeutschen Zeit gab es die soge­nan­nte “Zweite Lautver­schiebung”, und ein Teil davon, die “Medi­en­ver­schiebung”, verän­derte die west­ger­man­is­chen Laute b, d und g.

  • [d] wurde zu [t], das sieht man z.B. an Wörtern wie Tag, auf Englisch day, weil das Englis­che keine Zweite Lautver­schiebung hat­te. Es gibt noch massen­haft weit­ere Beispiele (Tochterdaugh­ter, Tordoor, Tierdeer, …).
  • [b] und [g] blieben im Hochdeutschen weit­er­hin [b] und [g] – ver­glichen mit dem Englis­chen ist also kein Unter­schied festzustellen: Buch book, Bierbeer, gutgood, graugrey, …

Im Alto­berdeutschen aber, vor allem im Alt­bairischen, wurde teil­weise [b] > [p] und [g] > [k]. (Es ist aber zumin­d­est in der Schrei­bung nicht kon­se­quent durchge­führt, oft ste­hen auch <b> und <g>.) Wir find­en in alt­bairischen Tex­ten also Wörter wie perg ‘Berg’, kot ‘Gott’ und paum, ‘Baum’. Hier ist z.B. ein Auss­chnitt aus dem Wes­so­brun­ner Gebet, dessen Entste­hung auf ca. 790 geschätzt wird:

Dat gafre­gin ih mit firahim fir­i­u­uiz­zo meista,
dat ero ni uuas noh ûfhimil,
noh paum nih­heinîg noh pereg ni uuas,
ni suigli ster­ro nohheinîg noh sun­na ni scein,
noh mâno ni liuh­ta noh der mâręo sêo.
Dô dâr niu­ui­ht ni uuas enteo ni uuenteo
enti dô uuas der eino almahtî­co cot, …

(Text nach TITUS)

Das habe ich bei den Men­schen als größtes Wun­der erfahren: dass es die Erde nicht gab und nicht den Him­mel, es gab nicht den Baum und auch nicht den Berg, es schien nicht ein einziger Stern, nicht die Sonne, es leuchtete wed­er der Mond noch die glänzende See. Als es da also nichts gab, was man als Anfang oder Ende hätte ver­ste­hen kön­nen, gab es schon lange den einen, allmächti­gen Gott, …” (Über­set­zung aus Nübling 2006:23)

Und im Grimm­schen Wörter­buch gibt es einige Beispiele für paumen:

  • FRUCHTTRÄGERLEIN, n. frucht­knospe, bei MEGENBERG 93, 15: (vor dem blitz) ver­hül­let diu nâtûr diu fruht­trager­lein, daჳ sint die frühti­gen knödel (knötchen) auf den paumen, mit pletern, sam dâ ain amme ir kint ver­hül­let mit windeln.
  • FÜRBASZ , adv. weit­er, weit­er fort. […] STEINHÖWEL (1487) 64; doch nach langem seinen bedunken in gůt dauchte, seyt­mal er der fin­ster nacht hal­ben nitt fürpasz mochte, auf einen paumen ze steigen.
  • NACHSPÜREN, verb.1) intran­si­tiv, spürend fol­gen, aufzus­püren (zu erforschen, zu ergrün­den) suchen […] die aich­hörn­lein lof­fen / auf den paumen, der ich keim kund / nach-spüren, weil ich het kein hund. H. SACHS 4, 286, 8 K.

So. Auf die näch­sten Suchan­fra­gen ist das Sch­plock vorbereitet!

… wie meine Muhme, die berühmte Schlange.

Von Kristin Kopf

Von mein­er Ger­man­is­tik-Ver­wandtschaft­shausar­beit sind ein paar Bröckchen fürs Sch­plock abge­fall­en. Es geht um den Wan­del der Typolo­gie von Ver­wandtschaftssys­te­men – also nicht darum, wie sich einzelne Wörter verän­dern (wobei ich darauf auch ein wenig einge­hen will), son­dern darum, wie sich kom­plette Sys­teme verän­dern. Und da kann sich erstaunlich viel tun. Ich will heute nur auf einen kleinen Teilaspekt einge­hen, der die Eltern­gener­a­tion (auch G+1 genan­nt) betrifft.

Dort wer­den im heuti­gen Deutsch zwis­chen Blutsver­wandten zwei Unter­schei­dun­gen getroffen:

  • Frau oder Mann? Mut­ter, Tante vs. Vater, Onkel
  • In direk­ter Lin­ie ver­wandt oder nicht? Vater, Mut­ter vs. Tante, Onkel

Da drang ein Dutzend Anverwandten / Herein, ein wahrer Menschenstrom!

Im Althochdeutschen gab es noch eine weit­ere Unterscheidung:

  • Frau oder Mann? muot­er, muo­ma, basa vs. fater, fetiro, oheim
  • In direk­ter Lin­ie ver­wandt oder nicht? muot­er, fater vs. muo­ma, basa, fetiro, oheim
  • Müt­ter­lich­er­seits oder väter­lich­er­seits? muo­ma, oheim vs. basa, fetiro

Die vier Beze­ich­nun­gen für die Geschwis­ter der Eltern lauteten also:

(1) muo­ma ‘Schwest­er der Mutter’
(2) basa ‘Schwest­er des Vaters’
(3) fetiro ‘Brud­er des Vaters’
(4) oheim ‘Brud­er der Mutter’

Und hier für Leute, die es lieber visuell haben:

verwahd

Ahd. Ver­wandtschaftssys­tem nach Nübling et al. (2006)

Ein solch­es Sys­tem nen­nt man auch bifur­cate col­lat­er­al type.

Da kamen Brüder, guckten Tanten, …”

Die Unter­schei­dung mütterlicherseits/väterlicherseits ist heute also ver­schwun­den. Wenn man sich die Wörter anschaut, dann kom­men sie einem aber alle noch bekan­nt vor. Wie kommt’s?

In mein­er Abbil­dung habe ich die Cousins und Kusi­nen unter­schla­gen. Die gab es in althochdeutsch­er Zeit natür­lich auch schon, unter anderem Namen. Wahrschein­lich hießen sie muomen­sun etc., waren also zusam­menge­set­zte Beze­ich­nun­gen – beson­ders viele Quellen gibt es aber nicht ger­ade, ich habe nur einen Auf­satz von 1900 gefun­den, der die For­men erwäh­nt, die meis­ten Darstel­lun­gen lassen sie ein­fach weg.

Schließlich kam es zu einem Bedeu­tungswan­del. In einem ersten Schritt begann man, die Beze­ich­nun­gen für die Geschwis­ter der Eltern auch für deren Kinder zu ver­wen­den – die Tochter von Base oder Vet­ter (wir sind jet­zt schon im Früh­neuhochdeutschen!) wurde auch zur Base, der Sohn von Oheim und Muhme auch zum Oheim, etc. Die Beze­ich­nun­gen hat­ten jet­zt also zwei Bedeu­tun­gen. Nach einem wilden Kud­del­mud­del einigten sich die Begriffe dann endlich: Oheim und Muhme durften Brud­er oder Schwest­er der Eltern beze­ich­nen, egal auf welch­er Seite, und Base und Vet­ter beka­men den Job, deren Kinder zu übernehmen. Damit sind wir typol­o­gisch bei unserem heuti­gen Sys­tem ange­langt: Es wird zwar unter­schieden, ob Schwest­er oder Brud­er der Eltern, aber nicht von welch­er Seite. Das nen­nt man auch lin­eal type. Von da an gab es nur noch auf der Wor­tebene Veränderungen:

… Da stand ein Vetter und ein Ohm!

Der Fam­i­liensegen stand bald schon wieder schief: Muhme und Oheim beka­men harte Konkur­renz, die neu­modis­chen Beze­ich­nun­gen Tante und Onkel, aus dem Franzö­sis­chen entlehnt, macht­en sich ab Mitte des 17./Anfang des 18. Jahrhun­derts bre­it. Unge­fähr Mitte des 20. Jahrhun­derts war die Schlacht dann geschla­gen, Tante und Onkel gin­gen siegre­ich hervor.

Auch Base und Vet­ter hat­ten zwis­chen­zeitlich keine Ruhe gefun­den, Anfang bis Mitte des 17. Jahrhun­derts kamen Cou­sine und Cousin zu Besuch, und es gefiel ihnen so gut, dass sie blieben. Die Base warf Mitte des 20. Jahrhun­derts das Hand­tuch, der Vet­ter führt noch Rückzugsgefechte.

2009-03-20-verwfnhd

(Früh-)Neuhochdeutsches Ver­wandtschaftssys­tem

Im Dig­i­tal­en Wörter­buch der deutschen Sprache habe ich mal ein bißchen herumpro­biert, in der Hoff­nung, den Nieder­gang von Muhme, Oheim, Base und Vet­ter sicht­bar machen zu kön­nen. Base musste ich gle­ich rauswer­fen, da waren zu viele Tre­f­fer mit der chemis­chen Bedeu­tung drunter. Muhme hat­te kaum Tre­f­fer, Oheim und Vet­ter gin­gen so. Hier mal exem­plar­isch der Oheim – auf­grund der gerin­gen Tre­f­fer­zahl ist das Dia­gramm aber nur dazu geeignet, einen groben Ein­druck zu bekommen:

oheimgrafik

Den Auf­stieg von Onkel, Tante, Cousin und Kusine kann man lei­der nicht nachver­fol­gen, zumin­d­est sehen die Unter­schiede für mich völ­lig insignifikant aus. An den Zahlen kann man im Ver­gle­ich aber ganz gut sehen, welche Form sich durchge­set­zt hat, nur eine Zunahme ist eben nicht erkennbar. Hier der Onkel1:

onkelgrafik

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Ethymo- und Etnologie

Von Kristin Kopf

Heute hat jemand das Sch­plock mit dem Such­be­griff “ethy­mol­o­gisch” gefun­den (der Such­maschi­nen-Rechtschreib-Kor­rek­tur sei Dank!) – auch ein Fall von Hyper­ko­r­rek­tur: Weil wir bei Fremd­wörtern aus dem Griechis­chen dauernd irgendwelche <th>s schreiben, wird das auch manch­mal in Fällen gemacht, bei denen das <t> der Buch­stabe der Wahl wäre. (Schnell gegooglet: 271.000 Tre­f­fer für Ethy­molo­gie mit <th>, 289.000 mit <t> – *puh* Das war knapp!)

Wie kommt es, dass zwei Wörter, die aus der­sel­ben Sprache entlehnt wur­den und an der entschei­den­den Stelle gle­ich klin­gen, ver­schieden geschrieben werden?

Die Etymologie von Etymologie

Kluge ver­weist für Ety­molo­gie auf alt­griech. etymolo­gia ‘Lehre vom Wahren’, das über das Lateinis­che ins Deutsche entlehnt wurde.

Eth­nolo­gie hinge­gen geht auf alt­griech. éthnos ‘Volk, Schar’ zurück.

Tau vs. Theta

Was wir in lateinis­chen Buch­staben als <t> und <th> schreiben, sind im Griechis­chen zwei ver­schiedene Buch­staben: τ (Tau) und θ (Theta). Und auch zwei ver­schiedene Laute:

  • τ (Tau) klang im Alt­griechis­chen wie unser heutiges [t] in trinken,
  • θ (Theta) klang wie unser heutiges [] in taufen.

Bei der Schrei­bung von Wörtern mit diesen Buch­staben ori­en­tieren wir uns an der lateinis­chen Umschrift der Römer (die auch meis­tens zwis­chengeschal­tet waren, d.h. viele griechis­che Wörter wur­den aus dem Lateinis­chen entlehnt, nicht direkt aus dem Griechis­chen) – und die Römer nah­men für das Theta die Kom­bi­na­tion <th>.

Was ist der Unterschied?

[] ist ein soge­nan­ntes “aspiri­ertes T”. Das bedeutet, dass nach dem eigentlichen [t] noch ein klein­er Luftschwall fol­gt. Wir hören den Unter­schied im Deutschen i.d.R. nicht, weil er nicht bedeu­tung­sun­ter­schei­dend ist – das aspiri­erte T wird meist gesprochen, wenn es am Wor­tan­fang ste­ht und danach ein Vokal fol­gt, son­st kommt das “nor­male”. (Lei­der habe ich im Netz keine Audioauf­nahme gefun­den. Aber wenn man sich beim Sprechen genau zuhört und vielle­icht ein Blatt Papi­er vor den Mund hält – das bewegt sich bei aspiri­erten Laut­en –, kann man den Unter­schied schon bemerken.)

Das ist in anderen Sprachen anders – z.B. im Alt­griechis­chen.1 Dort sind [] und [t] so ver­schieden wie [t] und [d] im Deutschen.

Woher kommt’s?

Jet­zt wird es vage, wie das so ist, wenn man sich jen­seits schriftlich­er Quellen tum­melt. Griechisch ist ja eine indoger­man­is­che Sprache, wie das Deutsche auch, d.h. let­ztlich müssen diese Kon­so­nan­ten auf diesel­ben “Urkon­so­nan­ten” zurückgehen.

Für das Indoger­man­is­che set­zt man fol­gende Plo­sive2 an:3

  • p, t, k (“Tenues”)
  • bʰ, dʰ, gʰ (“aspiri­erte Medien”)
  • b, d, g (“Medi­en”)

Das alt­griechis­che geht wohl auf das idg. dʰ zurück – die aspiri­erten Medi­en wur­den näm­lich zu aspiri­erten Tenues, also stimm­los: idg. dʰ > pro­togriech. .

Die deutsche Entsprechung hat fol­gende Entwick­lung mit­gemacht: idg. dʰ > germ. ð (klingt wie engl. <th> in that) > west­germ. d > althochdt. t.4 Das griech. θύρα und das deutsche Tür sind z.B. miteinan­der ver­wandt. (Indogerm. hieß es *dʰw­er-.)

Mit dem geschriebe­nen <h> nach dem <t> kann das Deutsche also ein­fach nichts mehr anfan­gen – für Aspi­ra­tion gibt es ja Regeln: Eth­nolo­gie ist im Deutschen z.B. nicht aspiri­ert (weil das T nicht am Wor­tan­fang vor Vokal ste­ht), die alt­griech. Aussprache wird nicht berücksichtigt.

Das <th> in der Orthografie

Dass wir das <th> weit­er­hin fleis­sig schreiben, liegt daran, dass es in der deutschen Rechtschrei­bung kein starkes Prinzip zur Eingliederung von Fremd­wörtern gibt. Im anderen Sprachen wird auf die Orig­i­nalschrei­bung wenig Rück­sicht genom­men – Orthogra­phie heißt im Spanis­chen z.B. ortografía, Eth­nolo­gie ist etnología. Das Deutsche scheut sich vor so etwas. Dazu schreibe ich vielle­icht mal mehr.

Es gab einst ein <th> auch in Wörtern deutschen Ursprungs wie Thal, Thür, thun, Noth. Das <h> in solchen Wörtern wird im Grimm­schen Wörter­buch als Dehnungsze­ich­nen inter­pretiert: “[…] wobei h vor oder nach langem oder gedehn­tem vocal nur ein dehnungsze­ichen ist.”

Das “deutsche” <th> wurde bei der II. Orthographis­chen Kon­ferenz in Berlin 1901 abgeschafft, das Fremdwort-<th> wurde aus­drück­lich belassen.

Auch <ph> geht übri­gens auf ein pʰ zurück, und das <ch> in Wörtern griechis­chen Ursprungs auf kʰ. Dass <ph> im Deutschen als [f] aus­ge­sprochen wird (wie im mod­er­nen Griechis­chen übri­gens auch), kann ich nicht so gut erk­lären, es kön­nte etwas mit dem Lateinis­chen als Zwis­chen­schritt zu tun haben. Da werde ich aber noch nachforschen.

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