Ein kurzer Nachtrag zu meinem Beitrag über Lehnwörter und ihre Orthografie. Weiterlesen
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Die Filosofie der Ih-Mehl
In meinem Beitrag zur versandenden Sprache zitiere ich einen hypothetischen Satz, den Abendblatt-Chefredakteur Matthias Iken als Beispiel für die Überfrachtung der deutschen Sprache mit Anglizismen verwendet:
Wer heute beispielsweise durch das Internet surft, per Flatrate Software downloadet, seine E‑Mails checkt, in Datingclubs mit Singles chattet, Hits in die Charts votet oder clever shoppt — er tut dies muttersprachbefreit.
Ich bezeichne diesen Satz dort als einen „durch und durch … deutsche[n] Satz … von der Wortstellung über die Flexionsendungen der Lehnwörter bin hin zu deren Bedeutung“.
In einem Kommentar zu dem Beitrag weist mich mein Hamburger Kollege (und ehemaliger Professor) Wolfgang Börner sanft aber bestimmt zurecht: Weiterlesen
Will sell ebber?
Nummer 2 in der Reihe “Badische Wörter seltsamen Ursprungs”: ebber ‘jemand’.
[Nachtrag: Eben habe ich ein Verwendungsbeispiel in meinen Aufnahmen gefunden – es geht um erhaltene Burgen im Mittelrheintal:
ja, äh, wuhnd doo na no ebber drin? (ja, äh, wohnt da denn noch jemand drin?)
]
Mal wieder kein erkennbarer Bezug zum hochdeutschen Wort – aber dafür ähnelt es einem anderen Dialektwort auffällig: ebbis ‘etwas’, unbetont auch oft ebbs. Beide Wörter sind sogenannte “Indefinitpronomen”, also Pronomen, die nicht näher Bestimmtes bezeichnen.
Das dialektale ebbis ist historisch mit dem hochdeutschen etwas verwandt.
Das Grimmsche Wörterbuch gibt althochdeutsch ëddeshuaʒ und mittelhochdeutsch ët(e)swaʒ an, das schließlich zu unserem heutigen etwas wurde. Es kennt aber auch die Formen eppas, eppes, die es als von der “Volkssprache” assimiliert bezeichnet.
Das deutet darauf hin, dass das Wort nicht nur im Badischen auftaucht – und siehe da: In zahlreichen Dialektwörterbüchern findet es sich, z.B. im Pfälzischen (ębəs, ębis, abəs), Rheinischen (ębəs, mit der weiteren Bedeutung ‘sehr’), Elsässischen (eppis) und Lothringischen (èpəs, èbs, èbəs). Im Lothringischen Wörterbuch steht als Anmerkung dabei: “Kommt in fast allen ober- und mitteldeutschen Maa. [=Mundarten] vor”. Ostmitteldeutsche Wörterbücher gibt’s leider nicht online, Hinweise dazu werden dankbarst aufgenommen!
Jetzt aber zu ebber! Das Wort ähnelt ebbis nicht umsonst, es geht nämlich auf eine ähnliche Grundlage zurück:
- mhd. ëtes-was
- mhd. ëtes-wër
Im Mittelhochdeutschen (und auch schon früher) wurden die Indefinitpronomen also regelmäßig gebildet, und zwar aus etes und dem entsprechenden Fragepronomen (was für Dinge, wer für Menschen).
Außerdem konnte etes auch vor -lîch (etlich), -wâ (‘irgendwo’), -war (‘irgendwohin’), -wenne (‘manchmal’) und -wie (‘irgendwie’) stehen, immer mit der unbestimmten Bedeutung. Leider bin ich grade fern von meinem etymologischen Wörterbuch, aber wenn wir wieder glücklich vereint sind, werde ich mal nachschauen, ob für etes zu einer früheren Zeit eine konkretere Bedeutung belegt ist.
ebber ist also eine Variante von etwer, das es im Neuhochdeutschen nicht mehr gibt. Statt dessen verwenden wir jemand oder irgendwer.
Wie ebbis ist auch ebber weiter verbreitet: Im Pfälzischen (ębər, ębɒr), Elsässischen (epper) und Lothringischen (èbər). Das Elsässische kennt darüber hinaus auch noch eppe ‘etwa’ und eppen(e) ‘irgendwann, von Zeit zu Zeit’ (wahrscheinlich aus mhd. eteswenne).
Von tw zu bb
Wie konnte aber et-w… zu eb… werden? Die Grimms sprechen von einer Assimilation, aber hier wird ja nicht t zu w oder w zu t, sondern es verändern sich gleich beide Laute. Das ist eine sogenannte “reziproke Assimilation”, bei der sich die beiden Laute gegenseitig beeinflussen. Das neue [b] beinhaltet also Merkmale der beiden vorherigen Laute (grün = Stimmhaftigkeit, blau = Artikulationsort, orange = Artikulationsart):
- <t> ist ein stimmloser alveolarer Plosiv [t]
- <w>
- war früher mal ein labialisierter stimmhafter velarer Approximant (=Halbvokal) [w] – wie heute noch im Englischen –
- und ist jetzt ein stimmhafter labiodentaler Frikativ [v]
- <b> ist ein stimmhafter bilabialer Plosiv
Nun ist es etwas schwierig zu sagen, was genau wann passiert ist. Ist ebber entstanden, als wir noch ein [w] hatten, oder erst, als es schon ein [v] war? Ich tippe auf ersteres. Dann hätte das [t] seinen Artikulationsort verlagert, um dem [w] entgegenzukommen. Das [w] ist velar, das heißt der Zungenrücken ist bei der Bildung hinten am Gaumen, aber wichtiger ist hier, dass es labialisiert ist. Das bedeutet, dass man bei der Bildung beide Lippen benutzt. Wenn man zur Bildung eines Plosivs, was das [t] ja ist, die Lippen einsetzt, dann wird er bilabial und somit ein [b] oder [p]. Wir hätten also den Zwischenschritt *ebwas.
In einem zweiten Schritt hätte dann das [b] auf das [w] eingewirkt und es in seiner Artikulationsart verändert: Vom Halbvokal zum Plosiv. Et voilà, ebbas.1 Übrigens: Heute schreibt man zwar noch <bb>, aber in Wirklichkeit ist es längst auf einen b-Laut zusammengeschrumpft. (Den Vorgang nennt man “Degemination”.)
Das [a] wurde später oft abgeschwächt, sodass man dialektal meist ebbes hat. Woher das alemannische [i] stammt, kann ich leider nicht schlüssig erklären. Das Alemannische ist aber sehr i-phil, vielleicht wurde die abgeschwächte Endung einfach als ehemaliges [i] analysiert und dann wieder verstärkt. Das ist jetzt aber reine Spekulation!
Einen ganz ähnlichen Vorgang kann man übrigens zum Lateinischen hin beobachten: aus indogermanischem *dw wurde im Lateinischen b (z.B. *dwis ‘zweimal’ > bis). Im Deutschen hingegen haben wir das ursprüngliche *dw beibehalten, es wurde lediglich durch andere Lautwandelprozesse verändert (indogerm. *dw > germ. tw (1. Lautverschiebung) > ahd. zw (2. Lautverschiebung)).
Versandende Sprache
Ab und zu schafft es ein Sprachnörgler, so ausführlich und uninformiert danebenzugreifen, dass ich mich bei allen guten Vorsätzen nicht daran hindern kann, ausführlich darauf zu antworten. Sprachblogleser Dierk weist in einem Kommentar auf eine Glosse des stellvertretenden Chefredakteurs des Hamburger Abendblatts, Matthias Iken, hin, für die das gilt.
Iken fängt eigentlich sehr schön an: Weiterlesen
Rückbesinnung auf die Muttersprache
Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, käut in einer Videobotschaft zur Eröffnung des Festspiels der Deutschen Sprache in Bad Lauchstädt die Greatest Hits des Verein Deutsche Sprache wieder. Weiterlesen
Auf Feldforschung im Ur… ähm, Schwarzwald
Das Schplock leidet gerade unter meinem verstärkten Einsatz für die Magisterarbeit – ich bin für ein paar Tage im Schwarzwald und mache Dialektaufnahmen. Da ich nicht wirklich Zeit habe, an andere Dinge zu denken, erzähle ich einfach mal ein bißchen darüber.
Das Ziel
Ich untersuche ja die Pluralbildung im Alemannischen (bzw. in einem alemannischen Dialekt). Dazu will ich für alle hochdeutschen Möglichkeiten mindestens zwei Beispiele haben – also zwei Feminina auf Umlaut+e (z.B. Städteund Nächte), zwei Feminina auf -s (z.B. Kameras und Unis), zwei Neutra auf -er (z.B. Häuser und Kinder) und so weiter …
Außerdem will ich auch noch mindestens zwei Beispiele für alle althochdeutschen Möglichkeiten haben, und dann noch eine Menge Wörter, bei denen ich den leisen Verdacht habe, dass sie im Alemannischen ganz anders gehen als im Hochdeutschen oder Althochdeutschen.
Insgesamt hat das zu einer Auswahl von ca. 250 Wörtern geführt, die ich aus meinen InformantInnen herauslocken will. Diese Wörter brauche ich a) in der Einzahl, b) in der Mehrzahl und c) mit ihrem Genus (männlich, weiblich oder sächlich).
Die Einzahl brauche ich, um bestimmen zu können, was genau die Mehrzahlendung ist. So habe ich z.B. das Wort t’Zegger ‘die Zecken’ bekommen. Ohne die Einzahl könnte ich denken, dass das Wort aus Zegg+er besteht, also in eine Klasse mit Geischd+er, Kind+er, … gehört. Wenn ich aber weiß, dass es in der Einzahl auch Zegger heißt, kann ich es korrekt in eine Klasse mit Schäfer, Fischer, … einordnen, die auch in der Einzahl schon auf -er enden, also einen sogenannten Nullplural haben (d.h. das Wort verändert sich in der Mehrzahl nicht).
Die Methode
Ich arbeite hauptsächlich mit Bildern. Am Anfang habe ich sie noch ausgedruckt, aber das war sehr papierintensiv und die Fotos waren sehr klein. Jetzt sammle ich sie alle in einer Bildschirmpräsentation und zeige sie meinen InformantInnen am Laptop:
Ich versuche für jedes Wort zwei Bilder zu finden: eines mit mehreren der gesuchten Dinge und eines mit nur einem. Die beiden folgen i.d.R. nicht direkt aufeinander, sondern sind weit voneinander entfernt, meistens sogar in einer anderen Sitzung.
Damit ich auch wirklich eine Pluralform als Antwort bekomme, stelle ich bei den Bildern mit mehreren Objekten die Frage Was sin des? ‘Was sind das?’. Es klappt nicht immer, aber doch ganz schön oft.
Wörter, die sich nicht abbilden lassen, versuche ich mit Fragen zu erheben, z.B.:
- Masern und Windpocken sind …? (Krankheiten)
- Was waren Deutschland und Frankreich im Krieg? (Feinde)
- Wenn man zur Beichte geht, was wird einem dann vergeben? (Sünden)
An manchen Wörtern scheitere ich aber auch. Z.B. Breiten oder Tiefen habe ich bisher noch aus niemandem herauslocken können – zu abstrakt, zu selten in der Mehrzahl gebraucht.
Die Technik
Ich nehme die kompletten Gespräche mit einem Aufnahmegerät auf. Das habe ich mir vom Mainzer Germanistikinstitut ausgeliehen und es ist wirklich enorm praktisch. Alle Aufnahmen werden als mp3s gespeichert und ich kann sie anschließend von einer SD-Karte auf meinen Rechner kopieren.
Die Analyse
Wenn ich die Aufnahmen habe, höre ich sie mir noch einmal ganz genau an. Dabei erfasse ich jedes Substantiv auf einer elektronischen Karteikarte – u.a. mit dialektaler Pluralendung, Genus, genauer Position auf den Aufnahmen und neu- und althochdeutschen Klassen. Das dauert ewig. Drei Stunden Aufnahmen können gut und gerne in zwei Wochen Analysearbeit münden. Und wenn ich das alles beisammen habe, muss ich natürlich noch einmal analysieren: Dann muss ich schauen, welche Wörter sich im Dialekt anders verhalten als im Hochdeutschen, ob sie etwas gemeinsam haben, wie der Unterschied entstanden sein könnte, … und zuguterletzt muss ich das auch noch alles aufschreiben. Was ein Stress! Und was ein Spaß!
Sich committen
Man fragt sich manchmal, ob die vier glücklosen Brüder von der Aktion Lebendiges Deutsch auch nur dreißig Sekunden darauf verwenden, über die Machbarkeit ihrer Vorschläge nachzudenken. Im Sommerloch war eine Alternative zu sich committen gesucht. Wie schon oft wollten die Aktioneure damit ein Lehnwort abschaffen, das mir in freier Wildbahn kaum je begegnet ist. Aber sei’s drum. Die Neubewortung ist auf jeden Fall daneben gegangen: Weiterlesen
Flug-Hund, Meer-Katze, Fleder-Maus
Habt Ihr schon mal drüber nachgedacht, dass viele Tiere nach Tieren benannt sind? Obwohl sie gar nicht miteinander verwandt sind? Also z.B. eine Meerkatze keine Katze ist?
Meistens ist der Tierbestandteil ein Wort für ein schon lange domestiziertes Tier – ist ja logisch, dass man von Bekanntem ausgeht, um Unbekanntes zu benennen. In meiner Sammlung besonders prominent1:
Das Schwein
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Das Pferd
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Der Hund
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Die Katze
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Der Bär
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Der Igel
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Und sonst noch so?
- Fledermaus
- Seewolf (Fischfamilie)
- Seeelefant (Robbenart)
- Seeratte (Fischart, siehe Seekatze)
- Seehase (Fischart, Schneckenart)
- Seekuh
- Wasserfloh (Kleinkrebs)
- Walfisch
Woran liegt’s?
Die Gründe für solche Benennungen sind wahrscheinlich sehr vielfältig, jedes Wort hat seine eigene Etymologie.
Bei vielen Bezeichnungen ist ganz klar, dass man niemals dachte, das Tier gehöre zu der Gattung, nach der es benannt ist (Heupferd, Meerschweinchen, Seehase). Warum dann die Benennung? Der kognitive Prozess, der hier häufig mitspielt, nennt sich “Metapher”. Ja, genau, das gibt es nicht nur in Gedichten. Ein Heupferd könnte zum Beispiel nach dem Pferd benannt sein, weil es ebenfalls springt. Ein Wasserfloh könnte so heißen, weil er ähnlich klein wie ein Floh ist. Eine Eichkatze kann so gut klettern wie eine Katze. Ein Seepferdchen sieht einem Pferdekopf ähnlich.
Überhaupt ist die Gruppe der See-Irgendwasse ziemlich groß – vielleicht weil man versuchte, das Seetierreich ähnlich dem Landtierreich zu strukturieren? (Natürlich nicht bewusst. Und natürlich ist das nur eine wilde Vermutung.)
Es gibt aber auch eine Gruppe von Wörtern, bei denen man das Tier YX wirklich als eine Art von X betrachtete. Dazu gehören z.B. die Walfische, die man lange für eine Fischart hielt. (Natürlich entstanden die meisten Wörter, bevor unsere heutige Taxonomie entstand, sie waren also nicht wirklich “Fehlbenennungen”.)
Und schließlich gibt es auch noch die beliebten Volksetymologien: Das Tier hieß ursprünglich ganz anders, das Wort ähnelte aber einem bekannten Tier und wurde so daran angeschlossen. So nimmt man an, dass Meerkatze auf altindisch markáta- ‘Affe’ zurückzuführen ist. Schon im Althochdeutschen wurde es aber als mer(i)kazza bezeichnet.
Auch noch wichtig ist, dass viele dieser Wörter keine deutschen Bildungen sind, sondern Übersetzungen aus einer anderen Sprache. So stammt der Seehund aus dem Niederländischen oder Niederdeutschen und das Flusspferd aus dem Griechischen.
Falls Ihr noch weitere Tiere kennt, die nach Tieren benannt sind … ich freue mich über Kommentare! Auch über Beispiele aus anderen Sprachen oder Hinweise zur Herkunft der schon genannten Wörter.
[Buchtipp] The Unfolding of Language (Du Jane, ich Goethe)
Language is mankind’s greatest invention – except, of course, that it was never invented. (Guy Deutscher)
Schon wieder ein Buchtipp! Ui! Heute will ich Euch “The Unfolding of Language” von Guy Deutscher ans Herz legen. Ich hab’s auf Englisch gelesen, es gibt aber auch eine deutsche Übersetzung: “Du Jane, ich Goethe”. Keine Angst, der Inhalt wurde bedeutend besser übersetzt als der Titel befürchten lässt, ich hab mal in der Buchhandlung reingelesen.
Worum geht es? Darum, wie Sprache entsteht und sich verändert. Deutscher hat als großes Ziel vor Augen zu erklären, wie komplizierte Satzstrukturen und Grammatik entstanden sein könnten. Da die Entstehung der Sprache viel zu lange her ist, um darüber irgendwelche Aussagen zu treffen, wählt Deutscher “neuere” Beispiele aus ganz verschiedenen Sprachen, nur wenige Jahrhunderte oder Jahrtausende alt. Die allgemeinen Prinzipien, die darin wirken, vermutet er auch schon zu früheren Zeiten. Der unter Laien verbreiteten Ansicht, dass unsere Sprache einmal perfekt war und jetzt nur noch verfällt, widerspricht er entschieden.
Das Buch kommt komplett ohne Fachtermini aus – und ist dennoch wissenschaftlich fundiert. (Grammatikalisierung, Analogiebildung und Ökonomie spielen z.B. eine große Rolle.) Ich hatte eine Menge Spaß beim Lesen, und das, obwohl ich die meisten präsentierten Fakten und Gedanken schon kannte – es ist einfach richtig gut geschrieben und clever aufgebaut. Mein persönliches Highlight war die Theorie zur Entstehung der Wurzelkonsonanten im Arabischen, ein Thema, über das ich mir noch nie Gedanken gemacht hatte.
Deutschen würde ich übrigens eher zur deutschen Ausgabe raten, die keine bloße Übersetzung ist. Viele Grundlagen werden nämlich im Original an kleinen Beispielen aus dem Englischen erklärt. Für die deutsche Übersetzung wurde, wo es möglich war, nach deutschen Beispielen gesucht, die das gleiche zeigen. So geht es zum Beispiel einmal darum, dass im Englischen die Entwicklung von th zu f eigentlich ganz naheliegend ist und auch in einigen Dialekten vorkommt. Den Laut th gibt es im Deutschen aber nicht, so dass schließlich p zu b gewählt wurde, etwas, das man z.B. im Hessischen beobachten kann.
Wer sich für Sprache und Sprachen interessiert, dem kann ich das Buch wirklich nur empfehlen!
wirzind urlaup
photokej hat ein schönes Hinweisschild bei einem türkischen Lebensmittelhändler gefunden, das auch aus Schplock-Perspektive spannend ist:
Der deutsche Text Libe Kunden wirzind urlaup Danke verrät nämlich einiges über das türkische Schriftsystem und das Türkische generell.
Türkisch wird erst seit 1928 in lateinischen Buchstaben geschrieben, davor benutzte man arabische Schriftzeichen. Die waren allerdings ziemlich inadäquat, weil man damit nicht alle Laute des Türkischen notieren konnte. Seit 1928 benutzt man nun also lateinische Buchstaben: <a b c ç d e f g ğ h ı i j k l m n o ö p r s ş t u ü v y z>
wir zind ≠ wir tsind
Wie die Buchstaben im Einzelnen ausgesprochen werden, könnt Ihr ganz leicht selbst herausfinden, nur auf das <z> will ich eingehen. Wie in sehr vielen anderen Sprachen auch1, steht das <z> im Türkischen nicht für [ts], sondern für ein stimmhaftes s.
Im Deutschen gibt es <ß> und <ss> ausschließlich für das stimmlose s. Der Buchstabe <s> kann aber sowohl für die stimmlose als auch für die stimmhafte Variante stehen: in <Ast> ist er stimmlos, in <Sonne> stimmhaft. Bei deutschen Wörtern ist das <s> am Wortanfang immer dann stimmhaft, wenn ein Vokal direkt darauf folgt. (See, Sau, sieben, … aber Slalom, Skript, Sniper2)
Die Schreibung <zind> für <sind> kommt also daher, dass im Türkischen <z> der Buchstabe für das stimmhafte s ist.
(Darauf folgt natürlich auch umgekehrt die Erkenntnis, dass Namen wie Özdemir nicht Ötzdemir gesprochen werden.)
urlaup
Urlaub wird im Deutschen ja tatsächlich mit einem p-Laut am Ende gesprochen. Schuld ist die “Auslautverhärtung”, ein Phänomen des Deutschen, das bestimmte Konsonanten am Silbenende stimmlos macht.
Betroffen sind
- die Plosive [b], [d], [g]
- Urlaub wird Urlaup gesprochen (aber: Urlaube)
- Rad wird Rat gesprochen (aber: Räder)
- Splog wird Schplock gesprochen (aber: Schplögge … ähm, okay, lieber Weg wird Week gesprochen, aber: Wege)
- die Frikative [v] (der w-Laut) und [z] (das stimmhafte s)
- brav wird braf gesprochen (wobei da auch viele Leute immer f sagen, auch bei brave)
- Los /lo:z/ wird Los gesprochen (aber: Lose [lo:zə])
Die Auslautverhärtung ist ein sehr altes Phänomen, schon im Mittelhochdeutschen gab es sie (<c> = [k]):
… ich sach, deist sicherlîchen wâr,
eins gebûren sun, der truoc [trug] ein har,
daz was reide unde val;
ob der ahsel hin ze tal mit lenge ez volleclîchen gienc [ging]. […]wie Troye wart besezzen,
dô Pârîs der vermezzen
dem künege ûz Kriechen nam sin wîp, [Weib]
diu im was liep [lieb] alsam sîn lîp [Leib], … (Meier Helmbrecht)
Zwischenzeitlich hat man aber wieder aufgehört, sie auch zu schreiben. Der Grund nennt sich “Morphemkonstanz” was eigentlich nichts anderes heißt, als dass man am Schriftbild klar erkennen können soll, dass <Urlaub> und <Urlaube> Formen ein und desselben Lexems sind.
Aber zurück zur türkischen Transferenz: Die Person hat nicht nur urlaup geschrieben, weil sie nach Gehör geschrieben hat. Im Türkischen gibt es nämlich ein Phänomen, das auch mit stimmhaften und stimmlosen Konsonanten zu tun hat:
p, t, k oder ç am Wortende werden bei vielen Wörtern stimmhaft, wenn eine Endung angefügt wird. Man könnte es auch als “Inlauterweichung” bezeichnen:
- [p], [t], <ç> [tʃ] werden zu [b], [d], <c> [dʒ], also stimmhaft
- [k] wird zu <ğ> [ɣ], einem stimmhaften Reibelaut (wobei der Buchstabe auch oft nur dazu dient, eine Vokallängung anzuzeigen)
Im Gegensatz zum Deutschen schreibt man das im Türkischen aber auch verschieden:
- <kitap> ‘Buch’
- <kitap>+<ım> → <kitabım> ‘mein Buch’
Der Verschriftung der deutschen Auslautverhärtung wird also durch die türkische Rechtschreibung nachgeholfen – wenn man den Wechsel von <b> und <p> schon kennt, kommt’s einem auch im Deutschen nicht unbedingt komisch vor.
wirzind urlaup – wo?
Mein letzter Punkt hat mir Rechtschreibung nichts mehr zu tun – es geht um die fehlende Präposition im.
Im Türkischen gibt es keine Präpositionen. Ihre Funktion wird in den meisten Fällen von Kasusendungen erfüllt, die ans Substantiv angehängt werden:
- im Haus braucht im Türkischen einen Lokativ, einen Kasus, der den Ort angibt, an dem sich etwas befindet: evde ‘Haus+LOK’ (auch: ‘zuhause’)
- aus dem Haus (heraus) braucht einen Ablativ, der anzeigt, dass etwas vom Substantiv entfernt wird: evden ‘Haus+ABL’
Ich nehme an, dass auch bei im Urlaub im Türkischen ein Lokativ stehen müsste (?).
Die beiden Systeme sind also nicht wirklich kompatibel. Dazu kommen die Genera des Deutschen: Um im Urlaub korrekt sagen zu können, muss man nicht nur die entsprechende Präposition kennen, sondern auch noch wissen, dass Urlaub maskulin ist und daher im braucht, nicht in der. (Ganz abgesehen von der Kasusflexion …)
Die Präposition wegzulassen, ist da wahrscheinlich das einfachste. Vor allem, wenn man endlich entspannt Ferien machen will.