Frankreich ist ja, wenn man deutschen Sprachnörglern glauben schenkt, ein sprachpflegerisches Paradies. Reine Sprachflüsse plätschern dort gallisch glitzernd durch romanisch rollende Wörterwiesen, auf denen präziöse Pariser Phrasenstrukturbäume Schatten spenden. Aus der Fremde eindringendes Sprachunkraut wird von von weisen Wortwächtern mit fester Hand ausgemerzt, die an seiner stelle liebevoll latinisierende landessprachliche Leckerbissen züchten. Die Französinnen und Franzosen würden es auch gar nicht anders wollen, und so herrschte feingeistiges frankophones Frohlocken, als die Academie Française verkündete, dass das Wort Hashtag schon an der Grenze gestoppt worden und durch das mot-dièse („Rautenwort“) ersetzt worden sei. Nur die französische Sprachgemeinschaft konnte dem neuen Wort natürlich wieder mal nichts abgewinnen. Aber die besteht eben, wie überall, aus degoutanten Degenerierten, von denen wir uns nicht düpieren lassen sollten. Weiterlesen
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Fracking/fracken [Anglizismus 2012]
In den nächsten Wochen diskutiert die Anglizismus-des-Jahres-Jury die Wortkandidaten, die es in die Endrunde geschafft haben. Heute das Substantiv Fracking und das dazugehörige Verb fracken.
Das Wort Fracking (machmal auch: Fracing) ist eine Kurzform des englischen Hydraulic Fracturing, der Bezeichnung für eine Technik zur Förderung von Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas. Dabei wird in die Gesteinsschichten, die die Rohstoffe umschließen, unter hohem Druck ein Gemisch aus Wasser und verschiedenen Chemikalien hineingepumpt, um auf diese Weise Risse zu erzeugen, durch die die Rohstoffe zur Bohrungsstelle fließen können.
Wer mehr über die Technik selbst erfahren will, dem sei dieser aktuelle Beitrag im Fischblog empfohlen; aus lexikografischer Perspektive sind zwei Dinge wichtig: In Deutschland lagert sehr viel Erdgas in Gesteinsschichten, an die ohne diese Technik derzeit kein Herankommen ist (weshalb die Energiekonzerne die Technik gerne in großem Maßstab anwenden möchten), und die Technik hat schwerwiegende Konsequenzen für die Umwelt (weshalb vor allem die Menschen in den potenziellen Fracking-Gebieten das unbedingt verhindern wollen). Das führt zu einer anhaltenden Debatte, die das Wort im letzten Jahr in den allgemeineren Sprachgebrauch gespült hat: Im Deutschen Referenzkorpus taucht es 2010 in nur zwei Texten auf, 2011 findet es sich bereits 70 Mal in 25 verschiedenen Texten, und bis Juli 2012 (weiter geht das Korpus derzeit noch nicht) waren es dann schon über 400 Treffer in mehr als 160 Texten. Weiterlesen
Log in for Sprachschutz
Alle Wege führen zum Sprachlog! Deshalb begrüßen wir die ZDFinfo-Zuschauer/innen, die über Anatols Besuch in der Sendung login hierher gespült wurden. Und für den Fall, dass Sie diese Unterrichtsstunde zum Klassiker der Apokalypsethemen verpasst haben, können Sie seit heute morgen in der Mediathek Ihre Hausaufgaben nachholen (und das Chatprotokoll von nach der Sendung). Möglicherweise stellen Sie sich danach aber die Frage, wer eigentlich „gewonnen“ hat, wenn man so will. Zwar „kippte“ die Stimmung unter den Zuschauer/innen während der Sendung zugunsten der sachlichen Diskussionsführung. Erstaunlich ist aber, dass die Gegenseite gewohnt argumentfrei, unerwartet schlecht vorbereitet und mit einem vorhersagbaren Plattitüdenbingo immer noch 43% der Publikumsgunst auf sich ziehen konnte.
Aber der Reihe nach.
Wissenschafts(unterrichts)sprache Deutsch
Anfang Dezember machte wieder mal die Panikmache vor dem Aus des Deutschen als Wissenschaftssprache die Runde (z.B. hier in einem Beitrag auf DRadio). Darin wird in einem Nebensatz des Arguments „fehlender Mehrsprachigkeit“ mal wieder gemault, dass beim Aussterben des Deutschen in der Wissenschaft gleich auch die Hochschulunterrichtssprache Deutsch bedroht ist.
Saure Pflaumen
Wolfgang Thierse hat sich ja in den letzten Tagen etwas unbeliebt gemacht. Auf die Nachfrage eines Interviewers der Berliner Morgenpost, ob er dem „Nachbarschaftsmix mit den vielen Schwaben und Latte-Macchiato-Muttis“ etwas abgewinnen könne, verteidigte er zunächst netterweise die Muttis (bzw. die Eltern allgemein), was aber in der Folge niemanden interessierte, und „kritisierte“ dann die Schwaben dafür, dass sie erst nach Berlin zögen, „weil alles so bunt und so abenteuerlich und so quirlig“ sei, dann aber nach einer gewissen Zeit versuchen würden, Berlin in die „Kleinstadt mit Kehrwoche“ zu verwandeln, aus der sie eigentlich entfliehen wollten.
Schwaben-Bashing wirft man ihm dafür vor und stellt seine Bemerkung auf eine Ebene mit Ausländerfeindlichkeit. Den Kontext ignoriert man dabei ebenso, wie die Tatsache, dass die „Schwaben“ nicht lange zögerten, Thierses Worte nachträglich zu rechtfertigen, in dem sie für sich in Anspruch nahmen, den Berliner/innen über den Länderfinanzausgleich überhaupt erst eine menschenwürdige Lebensqualität zu ermöglichen (Oettinger), und „Dankbarkeit“ einzufordern (Özdemir). Weiterlesen
Sprachbrocken 52/2012
Die CDU ist ohne Frage die deutschtümelndste Partei im deutschen Bundestag, wie sich unter anderem am Wunsch erkennen lässt, Deutsch notfalls auch gegen die eigene Kanzlerin im Grundgesetz zu verankern (das Sprachlog berichtete). Aber ab und zu wagt sich jemand aus ihren Reihen hervor, um eine Lanze für die englische Sprache zu brechen, und dann kann man absolut sicher sein, dass das aus den falschen Gründen geschieht. Vor einigen Jahren wollte Günther Oettinger Englisch zur Sprache des Berufslebens machen und das Deutsche in die Sphäre des trauten Heims verbannen, und jetzt hat Wolfgang Schäuble ein Plädoyer für das Englische gehalten: Die „Sprache der europäischen Einigung“ sei es. Und warum? Wie vor ihm Oettinger beruft er sich auf die Bedarfe der Wirtschaft — „in global agierenden Unternehmen“ werde eben „nur noch Englisch gesprochen“. Sein eigenes Englisch schätzt er übrigens realistisch ein: Er bedauert diejenigen, die es ertragen müssen (und zwar zu recht). Weiterlesen
Sprachbrocken 51/2012
Alle Jahre wieder wendet sich Hans Zehetmair, Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung, an die Presse um den Verfall der deutschen Sprache zu beklagen. Dieses Jahr beschwert er sich über „Recycling-Sprache“, den SMS-bedingten Mangel an „Gefühl und Herzlichkeit“ und über englische Wörter, „die man ebenso auch auf Deutsch formulieren könnte“. Und natürlich benennt er schonungslos die Verantwortlichen für den Sprachverfall: die Jugend von heute und ihre iPads, auf denen sie die Sprache Schillers und Goethes regelrecht kaputt twittern. Weiterlesen
Für Gott und Pippi Langstrumpf
Man kann — und muss — Kristina Schröder für vieles kritisieren — ihren schiefen Extremismusbegriff und die Folgen, die der für die Förderung von Initiatven gegen Rechtsextremismus hatte, ihren leichtfertigen Umgang mit rechtspopulistischen Schlagworten wie dem von der „deutschenfeindlichen Gewalt“ und maskulistischen wie dem von der „jungenfeindlichen Pädagogik“, und ganz allgemein natürlich ihre oft antifeministische und antiemanzipatorische Weltsicht, wie sie z.B. in ihrem Buch „Danke, emanzipiert sind wir selber: Abschied vom Diktat der Rollenbilder“ zum Ausdruck kommt.
Darüber vergisst man dann leicht, dass ihre konkreten familienpolitischen Positionen deutlich progressiver sind als die der Mehrheit ihrer Partei (was ja auch der Grund ist, warum sie sich mit diesen Positionen nie durchsetzen kann).
[Hinweis: Im folgenden Text werden Beispiele rassistischer Sprache zitiert.] Weiterlesen
Es ist nicht alles Gold, was Bär
Das Markenrecht macht mich als Sprachwissenschaftler schon an ganz normalen Tagen traurig. Ich bin kein Rechtsanwalt (deshalb ja auch „mich als Sprachwissenschaftler“), aber so weit ich das beurteilen kann, ermöglicht es Handeltreibenden, so gut wie jedes sprachliche Element als Bezeichnung ihres Produkts zu reservieren, solange sie die ersten sind, die es für sich beanspruchen.
So werden nicht nur Wörter, Wortkombinationen und Satzteile oder ganze Sätze dem allgemeinen Sprachgebrauch entzogen, sondern auch produktive Wortbildungsprozesse – Volkswagen und Springer haben sich vor einigen Jahren darum gestritten, wem Wörter gehören, die mit Volks- beginnen (auch solche, die noch gar nicht existieren) – oder einzelne Buchstaben (BMW hat gerade vom Patentgericht bescheinigt bekommen, dass der Buchstabe M als Bezeichnung für ein Auto schutzfähig ist).
Eine Entscheidung des Landgerichts Köln geht nun einen Schritt weiter und verbietet sogar Dinge, die uns an Wörter erinnern könnten, die dem allgemeinen Sprachgebrauch entzogen sind. Weiterlesen
Nicht zu retten: das Wort des Jahres
Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat eine sehr gemischte Nachvollziehbarkeitsbilanz, wenn es um das Wort des Jahres geht. Die Kriterien, die ein Wort zu einem Anwärter um diesen Titel machen, beschreibt die Gesellschaft so:
Ausgewählt werden Wörter und Ausdrücke, die die öffentliche Diskussion des betreffenden Jahres besonders bestimmt haben, die für wichtige Themen stehen oder sonst als charakteristisch erscheinen („verbale Leitfossilien“ eines Jahres). Es geht nicht um Worthäufigkeiten. Auch ist mit der Auswahl keine Wertung bzw. Empfehlung verbunden. [Webseite der GfdS]
Um Wort des Jahres zu werden, soll ein Wort also einerseits im laufenden Jahr „wichtig“ und „charakteristisch“ gewesen sein, gar die „öffentliche Diskussion … besonders bestimmt haben“, auf der anderen Seite muss es aber nicht besonders häufig gewesen sein.
Ein analytisch denkender Mensch könnte da einen gewissen Widerspruch erkennen, und dieser Widerspruch würde auch erklären, warum die Wörter des Jahres von milde interessant (Teuro [2002], Stresstest [2011], Hartz IV [2004]) über milde trivial (Finanzkrise [2008], Klimakatastrophe [2007]) bis mildes Kopfschütteln auslösend (Wutbürger [2010], Das alte Europa [2003]) reichen.
Aber, und ich will da gar nicht lange um den heißen Brei herumreden, selbst bei einer an dieses Wörterwirrwar angepassten Erwartungshaltung kann ich das Gefühl, das mich beim diesjährigen Siegerwort erfasst, nur als „nicht einmal fassungslos“ bezeichnen. Die Jury selbst scheint zu ahnen, dass sie da eine merkwürdige Wahl getroffen hat, denn auch in der Pressemitteilung wiederholt sie noch einmal, dass „[n]icht die Häufigkeit eines Ausdrucks“ entscheidend sei, sondern „seine Signifikanz bzw. Popularität“.
So, wie beim Wort Rettungsroutine, halt:
Dieses Wort spiegelt nicht nur das schon seit einigen Jahren dauerhaft aktuelle Thema der instabilen europäischen Wirtschaftslage wider, sondern beschreibt zudem die zahlreichen und wiederkehrenden Maßnahmen, die bisher zur Stabilisierung unternommen wurden. Sprachlich interessant ist die widersprüchliche Bedeutung der beiden Wortbestandteile: Während eine Rettung im eigentlichen Sinn eine akute, initiative, aber abgeschlossene Handlung darstellt, beinhaltet Routine – als Lehnwort aus dem Französischen – eine wiederkehrende, wenn nicht gar auf Dauer angelegte und auf Erfahrungen basierende Entwicklung.
Ich meine, es ist ja das gute Recht der Jury, sich nicht an Vorkommenshäufigkeiten zu binden, aber.
Aber.
Ein Wort, das im Deutschen Referenzkorpus des Instituts für Deutsche Sprache genau einen Treffer hat? Und das in der Schweizer Tageszeitung St. Galler Tagblatt? Aus dem Jahr 2001? In einem Zusammenhang, der so gar nichts mit der Bedeutung zu tun hat, mit der die Gesellschaft das Wort versieht? Nämlich:
Ist der Zusammenstoss unvermeidlich, könnte eine Früherkennung zumindest das Verletzungsrisiko der Passagiere mindern. Denn heute starten Sicherheitssysteme wie Airbag oder Gurtstraffer ihre Rettungsroutine erst, wenn sich die Kontrahenten tatsächlich berühren und die Sensorik eine bedrohliche Situation erkannt hat. [St. Galler Tagblatt, Das sehende Auto, 9.11.2001]
Ein Wort, das selbst der Spiegel im gemeinsamen Archiv von Print und Online nur ein einziges Mal findet? Und zwar ebenfalls in einem Zusammenhang, der keinen Bezug zu Wirtschaft und Stabilisierung hat? Nämlich:
1614 Einsätze fuhren die Nothelfer letztes Jahr, retteten dabei 1933 Menschen, holten verletzte Maschinisten von Frachtern und klaubten im Sturm Männer von Bohrinseln. … Häufig findet die Rettungsroutine im tückischen Brandungsbereich statt, bei hohen Grundseen und mit nur wenigen Metern Wasser unter dem Kiel. [Der Spiegel, Sie rauschen weiter, bis es böse knallt, 15.9.1975]
Ein Wort, für das sich nur mit Mühe überhaupt relevante Treffer finden lassen, die nicht mit der Wörterwahl selbst zusammenhängen? Ein Wort, das hauptsächlich in einem einsamen Zitat des CDU-Politikers Wolfgang Bosbach überliefert ist? Nämlich:
Bosbach hat schon mehrfach gegen Rettungsmaßnahmen gestimmt. Dennoch rechnet er mit einer klaren eigenen Mehrheit der Koalition im Parlament: „Alleine der Umstand, dass die EFSF noch einige Jahre parallel läuft zum ESM, wird nicht dazu führen, dass die Regierung keine eigene Mehrheit bekommt“, sagte er. Bosbach beklagte „eine Art Rettungsroutine“, die sich bei den Euro-Hilfen eingestellt habe. [dpa, zit. laut. Wirtschaftswoche, 28.3.2012]
Einem Zitat, das, wie die dpa in ihrer Meldung feststellt, die einzige Fundstelle ist, die sie für das Wort in den „470 000 Artikeln, die alle deutschsprachigen Dienste der Nachrichtenagentur dpa dieses Jahr bis zum Donnerstag verbreiteten“ finden kann?
Wenn dieses Wort „populär“ und „signifikant“ ist, dann mehr so im Stillen und gut versteckt vor der deutschen Sprachgemeinschaft. Wenn es „öffentliche Diskussion des betreffenden Jahres besonders bestimmt“ hat, dann muss das unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschehen sein. Wenn es „charakteristisch“ ist, dann in dem Sinne, in dem Delphine charakteristisch für die Sahara sind.
Das ist kein „verbales Leitfossil“, das ist eine verbale Zufallsmutation, die es kaum aus der Mundhöhle heraus geschafft hat, in der sie geschlüpft ist. Wenn es den Wettbewerb „Das bedrohte Wort“ noch gäbe, man würde aufgeregt herbeieilen, denn ein derart seltenes Wort hat man selbst dort mit viel Mühe nie finden können.
Um ein Wort zu finden, das es noch weniger verdient, Wort des Jahres zu werden, wird die Gesellschaft für deutsche Sprache den Sieger im nächsten Jahr gleich selbst erfinden müssen. Vielleicht Wörterwahlfälschung. Oder Signifikanzverbot. Oder Populärm (wie in Viel Populärm um Nichts).