Die sprachliche Nachricht der Woche war fraglos „‚Tweet‘ kommt ins Wörterbuch“. Das Wörterbuch, um das es dabei ging, war das Oxford English Dictionary, das tweet war das englische Verb to tweet. Und tatsächlich findet sich der entsprechende Eintrag bereits in der Online-Version des Wörterbuchs, ebenso, wie der für das Substantiv tweet. Dabei ist nicht das Wort selbst neu, denn das stand bisher natürlich schon mit der Bedeutung „einen kurzen, hohen Ton oder eine Serie solcher Töne machen“ (für das Verb) und „kurzer, hoher Ton wie ihn ein kleiner Vogel macht“ (für das Substantiv) im größten Wörterbuch der englischen Sprache. Nun kommen zwei Verbbedeutungen hinzu. Eine für das Verb ohne Objekt (z.B. John tweets): „einen Beitrag auf dem sozialen Netzwerkdienst Twitter machen. Auch: Twitter regelmäßig oder gewohnheitsmäßig verwenden“. Und eine für das Verb mit Objekt (z.B. John tweeted a picture of a cat): „eine Nachricht, eine Information auf Twitter veröffentlichen“. Als Erstbeleg für Verb und Substantiv gibt das OED derzeit einen Blogbeitrag auf dem Blog NevOn vom 15. März 2007 an – für Sprachfans eine klare Herausforderung, einen früheren Beleg zu finden. Weiterlesen
Schlagwort-Archive: Deutsch
Leipzigs Juristen: Echte Männer
Wir befinden uns im Jahre 2013 nach Christus (einem Mann). Ganz Leipzig ist von den Feministinnen besetzt. Ganz Leipzig? Nein! Eine von unbeugsamen Männern bevölkerte Fakultät hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Auf der Startseite der Fakultät an prominenter Stelle verlinkt findet sich folgende Erklärung des Dekans (eines Mannes): Weiterlesen
Sprachbrocken 23/2013
Eine der unsympathischsten Aktionen des Vereins Deutsche Sprache ist die alljährliche Wahl eines „Sprachpanschers des Jahres“. Die funktioniert so: 1) Der Verein nominiert prominente Personen wegen abstrus konstruierter sprachlicher Sünden; 2) die Prominenz der Nominierten sorgt für eine breite Berichterstattung; 3) der VDS steht ohne nennenswerte Leistung als Wahrer der deutschen Sprache da. Getroffen hat es diesmal Wolfgang Schäuble, dessen Verbrechen gegen die Deutschlichkeit in „unbeholfenen Exkursionen ins Englische“ bestehe. Mit denen „mache er seit Jahren den Übersetzern in Brüssel Konkurrenz und falle damit allen Versuchen in den Rücken, Deutsch als echte Arbeitssprache in der EU zu verankern“. Weiterlesen
Das neue längste Wort des Deutschen
Da die „Abschaffung“ des längsten deutschen Wortes sehr viel mehr Aufsehen erregt hat, als ich es mir hätte vorstellen können – Glückwunsch an die dpa, übrigens, die als einzige das Potenzial dieser Meldung erkannt hat – hatte ich gestern viele Anfragen, was denn nun das neue längste Wort des Deutschen sei. Ich ignoriere einmal, dass Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz ja nach wie vor Wörter des Deutschen sind, auch wenn die Gesetze, auf die sie sich beziehen, nicht mehr existieren (eine für mich recht einleuchtende Tatsache, die aber kaum eine/r der Anfragenden teilen mochte (David Charter von der Times erwähnt es in seinem Artikel immerhin). Aber lassen wir die beiden Wörter außen vor, so haben meine (aufgrund der unerwarteten Anfragen eher hastig durchgeführten) Recherchen Folgendes ergeben. Weiterlesen
Das längste Wort
Vor einiger Zeit habe ich der dpa ein kurzes Interview zu langen Wörtern im Allgemeinen gegeben, und anlässlich der Aufhebung des Rinderkennzeichnungs- und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetzes (das war nämlich eins der längsten orthografischen Wörter des Deutschen) sind Teile dieses Interviews nun als Teil der dpa-Meldung über die Aufhebung des Gesetzes erschienen, nachzulesen z.B. auf Spiegel Online. Weiterlesen
Sprachbrocken 22/2013
Keine Woche vergeht, in der ich nicht irgendwo lese, dass die Sprache der „Schlüssel zur Integration“ sei. Dabei geht es meistens um Schulkinder mit Migrationshintergrund, denen mittels wenig nachvollziehbarer Kriterien mangelhafte Deutschkenntnisse attestiert werden. In Österreich, berichtet unter anderem der KURIER, dürfen Schuldirektor/innen solchen sprachlichen Schlüsselkindern in Zukunft die Schulreife absprechen und sie in gesonderte Vorschulklassen abschieben, wo sie dann ohne Kontakt zu deutschsprachigen Schüler/innen, also vermutlich durch Magie, Deutsch lernen sollen.
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[Surftipp] Kemie, Chemie oder Schemie?
Auf manche Aussprachefragen gibt es keine eindeutige Antwort — zum Beispiel darauf, wie man <Chemie> ausspricht: Schemie, Chemie oder Kemie? Zwar vermerkt Duden online …
In der Standardlautung gilt nur die Aussprache çeˈmiː [d.i. der ich-Laut, KK] als korrekt; süddeutsch und österreichisch wird die Aussprache keˈmiː verwendet.
… aber dass hier eine Norm angesetzt wird, die sich nicht halten lässt, zeigen die Ergebnisse des Projekts Deutsch heute am Mannheimer Institut für deutsche Sprache. Man kann sie sich im Atlas zur Aussprache des deutschen Gebrauchsstandards (AADG) anschauen und sogar anhören. Die Chemie-Karte zeigt, dass die k-Lautung im Süden (Baden-Württemberg, Bayern, Österreich) fast ausnahmslos vorherrscht, während die sch-Aussprache im mittel- und ostniederdeutschen Raum dominiert. Die Variante mit dem ach-Laut ist auf die Schweiz beschränkt. Das vom Duden als »korrekt« gekennzeichnete ch findet sich nur im Nordwesten dominant. Damit wird sehr fraglich, mit welcher Berechtigung es als Standardlautung angesetzt wird, während die anderen Formen als regional abgetan werden (k) oder gar nicht erst Erwähnung finden (sch, schweizerdt. ch).
Entsprechend plädieren die AtlasmacherInnen auch für die Akzeptanz von mehr Variation im Standard und stellen fest: Weiterlesen
Keine Austerität bitte, wir sind Deutsche
Wie viel Verantwortung die deutsche Regierung an der Wirtschaftskrise im Euro-Raum trägt, will ich nicht beurteilen (wenigstens nicht im Sprachlog), aber dass Außenminister Guido Westerwelle sich mit einem linguistischen Argument der Rechenschaft entziehen will, kann ich natürlich nicht durchgehen lassen. Vor allem nicht, weil das Argument nicht nur eine merkwürdige Vorstellung der Beziehung zwischen Sprache und Wirklichkeit offenbart, sondern auch sachlich falsch ist.
Westerwelles Argument ist das folgende:
Das dritte Zerrbild zeige ein Deutschland, das einem „Dogma der Austerität“ anhänge und der Frage neuen Wachstums gleichgültig, wenn nicht sogar ablehnend gegenüberstehe. „Das Wort ‚Austerität‘ gibt es in der deutschen Sprache nicht einmal“, sagte Westerwelle und versicherte, dass auch für Deutschland die Frage, wie sich neues und zugleich nachhaltiges, dauerhaftes Wachstum fördern lässt, ganz oben auf der Agenda stehe. ((Kaczmarek, Michael (2009) Westerwelle: EU-Reformen sind kein deutsches Diktat, euractiv.de, 24.5.2013 [Link]))
Deutschland kann für die europäische Austeritätspolitik also nicht verantwortlich sein, weil das Deutsche kein Wort für „Austerität“ habe.
Diese Aussage kann ich auf zwei Arten verstehen, von denen eine völlig und eine leicht verwirrt wäre (von der Tatsache, dass das Deutsche ganz offensichtlich sehr wohl ein Wort für Austerität hat, einmal abgesehen – auf die komme ich gleich zurück).
Entweder, Westerwelle meint hier, wer kein Wort für etwas hat, kann es nicht tun. Das wäre eine extreme Version der sprachlichen Relativität, die offensichtlich falsch ist: Hunde haben keine Worte für „seinen eigenen Schwanz jagen“, trotzdem können sie es tun. Deutsche bräuchten das Wort Austerität nicht, um auf die Idee zu kommen, den Staatshaushalt durch einen Investitionsstop und Kürzungen der Sozialausgaben auszugleichen.
Oder Westerwelle will sagen, da die Deutschen das Wort Austerität nicht erfunden, sondern entlehnt haben, müsse auch das dahinterstehende Konzept von jemandem anders erfunden worden sein. Das wäre ebenso falsch, denn natürlich ist es für eine Sprachgemeinschaft möglich, Wörter für etwas zu entlehnen, das sie bereits praktiziert. Die deutsche Sprachgemeinschaft hat z.B. mit hoher Wahrscheinlichkeit schon Sex gehabt, bevor sie das Wort Sex aus dem Englischen entlehnt hat. Außerdem wäre die Tatsache, dass auch das Wort Austerität (bzw. seine hier relevante Bedeutung) aus dem Englischen stammt, kein Grund, warum die aktuelle Austeritätspolitik nicht von Deutschland ausgehen sollte. Es ist ja problemlos möglich, anderen Menschen Dinge aufzuzwingen, die man nicht selbst erfunden hat: Alle Missionare machen das zum Beispiel so.
Bleibt die Frage, warum Westerwelle überhaupt auf die Idee kommt, das Deutsche habe kein Wort für Austerität. Natürlich hat es das, und Westerwelle verwendet es ja selbst: Austerität, halt. ((Im Duden steht es derzeit übrigens nicht.)) Was er damit nur meinen kann, ist, dass es sich bei diesem Wort nicht um eins handelt, das uns aus dem Proto-Germanischen erhalten geblieben ist. Stattdessen stammt es ursprünglich aus dem Lateinischen (austeritas), wo es „Herbheit“ (z.B. von Wein) und im übertragenen Sinne auch „Strenge, Ernst“ hieß. Mit dieser Bedeutung findet es sich schon im 14 Jahrhundert im Englischen:
- Þe gret austerité, Þat Crist sal shew þat day. [1340, cit. Oxford English Dictionary, s.v. austerity („Die große Strenge, die Christus an diesem Tage zeigen wird.“)
Ab Anfang des 17. Jahrhunderts findet es sich außerdem mit der Bedeutung „Selbstdisziplin, Zurückhaltung, moralische Strenge, Abstinenz, Asketentum“:
- Or on Dianaes altar to protest, For aye, austeritie and single life. [1600, Shakespeare, Midsummer Night’s Dream, cit. OED, s.v. austerity]
(In der Übersetzung von Schlegel wird austerity in Beispiel 2 recht eng mit „ehloser Stand“ übersetzt).
In dieser Bedeutung findet sich das Wort Austerität spätestens seit dem 18. Jahrhundert auch im Deutschen (Jahreszahlen verlinken auf die Quellen bei Google Books):
- Dieses erklären die Welt-Menschen also: wenn man bey einer lustigen Compagnie sey, so soll man mit machen, und nicht mit seiner Austerität sie in ihrer Lustbarkeit stören… [1738]
- Nun scheinet er zwar eines Theils die Sache fast allzuweit wegzuwerfen, andern Theils aber zu seiner Verwahrung eine übrige Austerität anzunehmen; allein im Mittel zu bleiben, ist es wohl zu erachten , daß er zu keiner solchen Conferenz vorjetzo leicht stimmen werde. [1745]
Die finanzpolitische Bedeutung („Ausgleich des Staatshaushalts durch strenge Sparmaßnahmen“) stammt aus dem Großbritannien des Zweiten Weltkriegs, das Oxford English Dictionary nennt die Times Weekly vom 2. Dezember 1942 als erste Quelle:
- A General Limitation Order—..which suggests that the United States have got quite a way on the road to austerity.
Im Deutschen findet sich diese Bedeutung spätestens 1954, noch in Anführungszeichen und im direkten Zusammenhang mit der britischen Austeritätspolitik, schon 1961 (und seitdem durchgängig) aber ganz selbstverständlich auch in anderen Zusammenhängen:
- Das britische Volk ist müde geworden durch Krieg und „Austerität”, eine zwiefache Prüfung, die der Amerikaner niemals kennengelernt hat. Der britische Stolz ist verletzt, weil Britanniens Gewicht in der Kräfteverteilung der Welt geringer geworden ist. [1954]
- Gleichzeitig ist in Belgien, keine 500 km von uns entfernt, die Wirtschaft durch die Evakuierung des Kongos und die Streiks so sehr durcheinander geraten, daß wohl nur ein Programm striktester Austerität das Land wieder auf die Beine kommen kann, wobei auch hier damit zu rechnen ist, daß ein beträchtlicher Pool von Arbeitslosen zurückbleiben wird. [1961]
Und sogar das Wort Austeritätspolitik findet sich schon seit 1960 im Deutschen:
- Die Voraussetzung einer Eindämmung der Geldschöpfung wäre die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen den Einnahmen und den Ausgaben im Staatshaushalt gewesen. Es gab genug Möglichkeiten, wirksame Maßnahmen zur Erzielung einer Austeritätspolitik zu ergreifen. [1960]
Das Wort Austerität existiert also im Deutschen seit weit über 250 Jahren, und davon seit über 50 Jahren mit der für Westerwelles Zitat relevanten Bedeutung. Nun könnte er sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass lateinische Wörter niemals genuin deutsch werden, und deshalb auch nie genuin deutsches Denken oder Handeln bezeichnen können. Dann würde sich aber die Frage stellen, wie die FDP liberal (von lat. liberalis) sein kann. Hm, wenn ich so darüber nachdenke – vielleicht hat Westerwelle ja mit seiner Theorie doch recht.
Shitstormgeburtstag
Seit wir 2011 Shitstorm zum Anglizismus des Jahres gewählt haben, vergeht kaum eine Woche, in der ich meinen Namen nicht irgendwo in Verbindung mit diesem Wort lesen darf. Wann immer ein Shitstorm diskutiert wird, finden sich in einem Nebensatz oder in einem erklärenden Kasten ein Hinweis auf unsere Wahl und ein oder zwei Zitate von mir. Obwohl ich leicht zu erreichen bin, sind diese Zitate normalerweise alt und stammen aus Pressemitteilungen oder Interviews, und nicht aus meiner Laudatio oder Susannes exzellenten Beiträgen zu diesem Wort. ((Wobei hier ein Lob an die Wikipedia angemessen ist, die sich in dem Eintrag zu diesem Wort in wichtigen Punkten auf unsere Recherchen stützt.)) So auch heute, wo eine Pressemeldung der dpa den 50. Geburtstag des Wortes bekannt gibt (abgedruckt z.B. in der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung unter der Überschrift „Vermeintlich neues Wort“): Weiterlesen
Sprachbrocken 17/2013
Über die religiösen Mythen exotischer Kulturen kursieren ja die wildesten Gerüchte, was häufig daran liegt, dass sie in ebenso exotischen Sprachen abgefasst sind und dass es keine Übersetzungen gibt. Ein Grund mehr, einen Meilenstein des interkulturellen Verständnisses zu feiern, der diese Woche bekannt wurde: der Mythos „Star Wars Episode IV: Eine neue Hoffnung“ (bei Fundamentalisten aus nicht nachvollziehbaren Gründen als „Episode I“ bekannt) wird, wie der HOLLYWOOD REPORTER meldet, endlich ins Navajo übersetzt. Damit wird dieses urtümliche und schwer verständliche Epos erstmals Mitgliedern einer fortgeschrittenen Zivilisation zugänglich gemacht, die so unschätzbar wertvolle Einblicke in das spirituelle Leben der sogenannten „Amerikaner“ (die sich selbst nur People, also grob übersetzt „Menschen“ nennen) erhalten. Weiterlesen