Der Anglizismus des Jahres 2017 ist Influencer. In der Fachsprache des Internet-Marketing, von der aus das Wort sich in den allgemeinen Sprachgebrauch ausgebreitet hat, bezeichnet man damit eine
a) Person, die in sozialen Netzwerken viele Kontakte oder Abonnenten hat, sich an diese regelmäßig mit informierenden Beiträgen wendet und ihren Einfluss dafür nutzt, um (gegen Entgelt von Wirtschaftsunternehmen) Werbung für bestimmte Produkte, Dienstleistungen o. Ä. zu machen [Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, s.v. Influencer]
Die hier beschriebene Form der Werbung, das sogenannte Influencer Marketing, liefert für den aktuellen Sprachgebrauch den wichtigsten inhaltlichen Zusammenhang, in dem das Wort Influencer verwendet wird, aber tatsächlich gibt es das Wort schon länger in einer allgemeineren Bedeutung, die das DWDS mit „b) Person, die einen größeren Einfluss, insbesondere auf die Meinungsbildung, ausübt“ erfasst. Und da die beiden Bedeutungen miteinander verwandt sind, fallen viele Verwendungen des Wortes auch dazwischen.
Für ein allgemeines Verständnis des Wortes ist es wichtig, sich zunächst die Besonderheit bewusst zu machen, die Influencer (in der engeren Bedeutung a) von anderen Werbeträger/innen unterscheidet: ihr Einfluss leitet sich nicht aus einer unabhängig von den sozialen Medien bestehenden Prominenz ab, sondern allein aus ihrer Reichweite in einem oder mehreren sozialen Netzwerken. Influencer können zwar Berühmtheiten aus Musik, Sport oder Film sein, sind es aber normalerweise nicht, sondern werden erst durch ihre Social-Media-Präsenz zu Stars und Sternchen.
Mit Sternen beginnt auch die lange Bedeutungsgeschichte des Wortes Influencer: In der Astrologie der Spätantike bezeichnete der Ausdruck influxus stellarum eine unsichtbare Kraft, die von den Sternen aus in alle Körper hineinströmte und deren Schicksal bestimmte (wörtlich bedeutet es „das Hinenfließen der Sterne“). In dieser Bedeutung wurde der Ausdruck im Mittelalter ins Englische übernommen – die erste anglisierte Verwendung stammt von keinem geringeren als dem englischen Dichtergenie und Shakespeare-Vorbild Geoffrey Chaucer:
O influences of thise heuenes hye, / Soth is that vnder god e ben oure hierdes […]
(„Oh, Einflüsse der hohen Himmel, ihr seid wahrhaftig unsere Hirten“)
[Geoffrey Chaucer, Troilus & Criseyde, 1374]
Die Bedeutung von influence weitete sich dann auf einen Einfluss aus, der von Personen ausgeübt wurde – zunächst noch bildhaft, indem diese Personen den Sternen gleichgestellt wurden. Zu Beginn der Neuzeit war daraus eine wörtliche Bedeutung geworden – influence bezeichnete schlicht eine bestimmende Wirkung, die Menschen oder abstrakte Kräfte auf andere Menschen haben. Das Verb to influence entstand um die Mitte des 17. Jahrhunderts — der erste Beleg stammt aus einer Rede des Staatsoberhaupts der kurzlebigen Republik Commonwealth of England, Oliver Cromwell von 1658.
Am dem späten 17. Jahrhundert findet sich dann die aus dem Verb abgeleitete Personenbezeichnung influencer, zunächst für Menschen mit institutioneller Macht (wie Staats- und Kirchenoberhäupter), später auch für solche, deren Einfluss sich aus der ihnen zugesprochenen Autorität und Relevanz in einem bestimmten Bereich ergibt. In dieser Bedeutung findet sich das Wort auch im heutigen Englisch, etwa, wenn von „policy influencers“, „industry influencers“, „fashion influencers“ usw. die Rede ist – Industriekapitäne, Ex-Präsidenten und andere Menschen, die sich auf „Global Influencer Summits” treffen und „Influencer-of-the-Year-Awards“ verliehen bekommen.
An diese Bedeutung angelehnt entwickelte sich in den letzten zehn Jahren der Begriff „social media influnencers“ oder „digital influencers“, der dann – schnell auf den Wortbestandteil Influencer verkürzt – ins Deutsche entlehnt wurde. Vereinzelte Belege gibt es im Deutschen mindestens seit 2007 – der früheste Beleg, den ich finden konnte, stammt aus einem Text der einer Schweizer Werbeagentur:
Die Blog-Einträge versorgen Unternehmen mit glaubhafter und langfristiger Aufmerksamkeit und wertvollem Feedback, denn Blogger gelten als Early Adopters und Influencers. [Trigami, 2007 (Link)]
Interessant ist, dass hier die englische Pluralform Influencers gewählt wird. Das deutet auf eine zu diesem Zeitpunkt noch sehr schwache Integration ins Deutsche hin, denn bei maskulinen Substantiven auf -er wäre eigentlich ein Nullplural zu erwarten. Ein solcher Nullplural findet sich dann 2010 in dem frühesten gedruckten Beleg, den ich finden konnte:
6.2 Die Influencer … Es gibt einige wenige Kunden, die aufgrund der Anzahl ihrer Kontakte großen Einfluss auf den Erfolg einer Marke haben können. Sie werden als Influencer bezeichnet und wahrgenommen. [Klaus Eck, 2010]
Das Wort bleibt in dieser neuen Bedeutung zunächst, wie schon in den früheren Bedeutungen, auf fachsprachliche Zusammenhänge beschränkt. In Zeitungen findet sich bis 2015 nur eine Handvoll von Treffern, die sich größtenteils auf die ältere, allgemeinere Bedeutung beziehen (oft in feststehenden Ausdrücken wie Influencer Relations Web Officer, Influencer of the Year und Global Influencer Summit).
Erst 2016 erreicht die Verwendungshäufigkeit ein messbares Niveau – die eingangs zitierte Bedeutung ist nun die dominante geworden, auch wenn die ältere Bedeutung nach wie vor zu finden ist. Die zunehmende Verbreitung führt auch zu einer engeren Einbindung in die deutsche Grammatik: 2016 finden sich im Deutschen Referenzkorpus die ersten weiblichen Formen, auch als Mehrzahl:
So kommt es, dass die gebürtige Russin nun um den Globus jetten und ihr Geld als «Digital Influencerin» verdienen kann. [St. Galler Tagblatt, 9.11.2016]
Die neuen Vorbilder junger Mädchen sind sogenannte Influencerinnen wie Juliane Diesner alias Style Shiver. [NZZ am Sonntag, 18.12.2016]
Im Jahr 2017 vervielfacht sich die Gebrauchshäufigkeit dann sprungartig: das Referenzkorpus des Instituts für Deutsche Sprache zeigt einen Anstieg in Zeitungstexten von 0,2 auf etwas über 2 Vorkommen pro 1 Million Wörter. Damit ist Influencer in Zeitungstexten genauso häufig wie alteingesessene Personen-bezeichnungen wie Augenarzt, Bergarbeiter, Dramatiker, Friseurin, Kinobesucher, Mitbewohner, Tagesmutter, Raubkopierer oder Werber.
Dass die Verwendungshäufigkeit so stark angestiegen ist, liegt nicht daran, dass die Sprachgemeinschaft plötzlich ein Interesse an Methoden des Online-Marketings entdeckt hätte, sondern daran, dass die Influencer/innen zu einem kulturell relevanten Phänomen geworden sind. Natürlich wird auch die Werbeform selbst diskutiert – anhand von misslungenen Kampagnen, bei denen z.B. plötzlich dutzende bekannter Instagrammer/innen penetrant-lässig lila Schokoladetafeln in ihre Lifestyle-Fotos einbauen – die Facebookseite Perlen des Influencer-Marketings hat sich dem Sammeln solcher Beispiele verschrieben. Oder anhand allgemeiner Fragen zum Problem der Schleichwerbung. Aber die Influencer/innen sind längst (Anti-)Held/innen der Popkultur. Mal wird der Influencer als neuer Trend-Berufswunsch junger Menschen präsentiert, mal die (fehlende) Verantwortung reichweitestarker Youtuber (Inhaltswarnung: Selbsttötung) diskutiert. Und besonders gerne regt man sich über die „Dreistigkeit“ von Influencer/innen auf, wenn diese bei Hotels oder Restaurants ihre Dienste im Austausch gegen Kost und Logis anbieten.
Egal, ob man die Influencer nun liebt oder hasst, das Wort Influencer erlaubt eine klare und präzise Benennung des Phänomens. Während das Englische das Kompositum social media influencer benötigt, um die betreffenden Menschen von anderen Arten von influencers zu unterscheiden, hat das Deutsche mit dem Lehnwort Influencer die Möglichkeit, diese Bedeutung direkt auszudrücken. Influencer verdrängt damit nicht die manchmal verwendeten Alternativen Vorbild, Meinungsführer, Meinungsmacher, Meinungsbildner oder Trendsetter, sondern ergänzt sie. Damit ist das Wort Influencer eine Bereicherung der deutschen Sprache.
Ob auch für die Influencer selbst eine Bereicherung darstellen, muss jede und jeder für sich entscheiden. Ihr Einfluss auf jeden Fall ist – anders als der des influxus stellarum der Spätantike – real, auch wenn 10 000 Likes für ein durschnittliches Selfie mit Schokoladentafel fast so geheimnisvoll erscheinen wie der unsichtbare Kräftefluss, von dem unsere Vorfahren glaubten, dass er ihre Geschicke lenke.