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Laudatio für den Anglizismus des Jahres 2014: Blackfacing

Von Anatol Stefanowitsch

Anders als beim Wort des Jahres und beim Unwort des Jahres geht es bei unser­er Wörter­wahl nicht darum, ein Wort zu find­en, das das ver­gan­gene Jahr im pos­i­tiv­en oder neg­a­tiv­en Sinne charak­ter­isiert. Stattdessen wählen wir ein englis­ches Lehn­wort, das eine inter­es­sante Lücke im Wortschatz des Deutschen füllt und das sich (deshalb) mess­bar im all­ge­meinen Sprachge­brauch ver­bre­it­et hat. Solche Lück­en tun sich typ­is­cher­weise auf, weil die Sprachge­mein­schaft über neue tech­nis­che oder gesellschaftliche Entwick­lun­gen sprechen will, für die es bis­lang keine Wörter gibt. Unsere Anglizis­men des Jahres reflek­tieren diese Entwick­lun­gen und charak­ter­isieren so am Ende doch ein Stück weit das ver­gan­gene Jahr. Leak­en spiegelte 2010 die ger­ade erst begonnene Diskus­sion um ein neues Ver­hält­nis zwis­chen Staats­ge­heimnis­sen und öffentlichem Infor­ma­tion­sin­ter­esse wider, Shit­storm griff 2011 Verän­derun­gen in der öffentlichen Kom­mu­nika­tion­skul­tur auf, Crowd­fund­ing wies 2012 auf ein neu entste­hen­des Wirtschaftsmod­ell hin, und –gate ver­wies 2013 auf einen Triv­i­al­isierungsef­fekt im Umgang mit Skan­dalen, der unter anderem mit ein­er Gewöh­nung an die von leak­en und Shit­storm aufgezeigten Verän­derun­gen zusammenhängt.

Der diesjährige Anglizis­mus des Jahres set­zt diese Tra­di­tion fort: Black­fac­ing, eine eingedeutsche Form des englis­chen black­face. Diese Beze­ich­nung für die Darstel­lung schwarz­er Men­schen durch dunkel geschmink­te weiße Men­schen reflek­tiert einen Kon­flikt zwis­chen ein­er Mehrheit, die für sich eine uneingeschränk­te kul­turelle Deu­tung­shoheit in Anspruch nimmt, und ein­er (wach­senden) Min­der­heit, die das nicht mehr stillschweigend hinnimmt.

Das Wort stammt ursprünglich aus der US-amerikanis­chen Tra­di­tion der min­strel shows des 19. Jahrhun­derts, bei dem weiße Vari­etékün­stler mit schwarz geschmink­ten Gesichter (in black­face) Stereo­type von naiv­en, immer fröh­lichen Sklaven zur Schau stell­ten und die bru­tale Unter­drück­ung schwarz­er Men­schen damit unsicht­bar macht­en. Mit Bezug auf diese Tra­di­tion (die sich nach der Erfind­ung des Films darin fort­set­zte, schwarze Fig­uren durch weiße Schaus­piel­er dargestellt wur­den), find­et sich das Wort black­face ab dem Jahr 2000 vere­inzelt außer­halb der Fach­lit­er­atur. Zu diesem Zeit­punkt dürfte es dem größten Teil der Sprachge­mein­schaft aber noch nicht aufge­fall­en sein. Erst ab 2009 nimmt es in sein­er Häu­figkeit und Ver­bre­itung langsam zu, vor allem, weil es nun auch auf Ereignisse im deutschen Sprachraum angewen­det wird. Ein früh­es Beispiel ist die Kri­tik an Gün­ter Wall­raffs Film „Schwarz auf Weiß“, für dem er All­t­agsras­sis­mus doku­men­tieren wollte, indem er schwarz geschminkt durch Deutsch­land reiste – und damit genau wie die Min­strel­darsteller des 19. Jahrhun­derts seine ober­fläch­lich Darstel­lung über die Lebenswirk­lichkeit der schwarzen Men­schen stellte, die diesen Ras­sis­mus tat­säch­lich jeden Tag erleben. ((Noah Sow, Ein ange­mal­ter Weißer ist kein Schwarz­er, tagesschau.de, 20.10.2009; Cristi­na Nord und Daniel Bax, Ist Gün­ter Wall­raff ein Aufk­lär­er?, taz.de, 24.10.2009.))

Einige Jahre lang bezieht das Wort Blackface/Blackfacing (zur Form unten mehr) danach auch in deutschsprachi­gen Zusam­men­hän­gen auss­chließlich auf Film und The­ater. Bekan­nte Fälle sind zum Beispiel eine Insze­nierung des Stücks „Clybourne Park“ am Deutschen The­ater 2011, die dessen Autor Bruce Nor­ris unter­sagte, weil eine schwarze Fig­ur von ein­er weißen Schaus­pielerin gespielt wer­den sollte, ((Schwarz und weiß, Spiegel 51/2011.)) oder Dieter Haller­vor­dens Insze­nierung des Stücks „Ich bin nicht Rapa­port“, in dem der weiße Schaus­piel­er Joachim Bliese eben­falls eine schwarze Fig­ur spielte. ((Hadi­ja Haruna, Schwarz auf Weiß, tagesspiegel.de, 11.1.2012.)) Im Zuge der Diskus­sion um diese Insze­nierun­gen wurde die Plat­tform Büh­nen­watch gegrün­det, ((Nadia Schnei­der, Black­face in Ger­many — Eine kurze Geschichte der Igno­ranz oder der Anfang von Büh­nen­watch, buehnenwatch.com. 2.2012.)) die seit­dem Fälle von Black­face an deutschen The­atern doku­men­tiert und die durch Tagun­gen und Veröf­fentlichun­gen wertvolle Arbeit dabei leis­tet, den Begriff des Blackface/Blackfacing aus dem ursprünglichen amerikanis­chen Kon­text her­aus zu ver­all­ge­mein­ern und zu zeigen, wie und warum er auch auf das deutsche The­ater des 21. Jahrhun­derts Anwen­dung find­en muss. ((z.B. Black­face, White­ness and the Pow­er of Def­i­n­i­tion in Con­tem­po­rary Ger­man The­atre, Tex­tures, 2013/2014.)) Es mag in Deutsch­land keine Min­strel Shows gegeben haben, aber auch auf deutschen Büh­nen wird schwarzen Men­schen durch Black­face die Möglichkeit genom­men, sich selb­st zu repräsentieren.

Die Diskus­sion um Black­face auf deutschsprachi­gen The­ater­büh­nen wird bis heute inten­siv geführt. Für die Bedeu­tungs­geschichte des Wortes Blackface/Blackfacing ist aber entschei­dend, dass es sich spätestens seit Ende 2013 auch außer­halb von Diskus­sio­nen um Film und The­ater find­et. Entschei­dende Momente in dieser Ausweitung waren zum Beispiel: ein Auftritt des weißen Lit­er­aturkri­tik­ers Denis Scheck, der sich schwarz geschminkt über über die Ent­fer­nung ras­sis­tis­ch­er Sprache aus Kinder­büch­ern empörte ((Han­nah Pilar­czyk, Die Maske des Denis Scheck, Spiegel Online, 30.01.2013.)); eine Saal­wette bei der Fernsehsendung „Wet­ten, dass?…“, bei der Zuschauer/innen von Mod­er­a­tor Markus Lanz aufge­fordert wur­den, sich mit­tels „Schuhcreme, Kohle, was auch immer“ als Kinder­buch- und Pup­pen­spielfig­ur Jim Knopf zu verklei­den ((Marie-Sophie Adeoso, „Wet­ten, dass..?“ in Augs­burg; Ras­sis­tisch auf mehreren Ebe­nen. Frank­furter Rund­schau, 18.12.2013.)); ein Auftritt des weißen Radiomod­er­a­tors Chris Stephan, der sich schwarz geschminkt auf den Wiener Opern­ball begab und sich der amerikanis­chen Schaus­pielerin Kim Kar­dashi­an als deren dama­liger Ver­lobter (inzwis­chen Ehe­mann) Kanye West vorstellte ((Olja Alvir, Opern­ball: N‑Wort und Black­face, derStandard.at, 28. Feb­ru­ar 2014.)); ein Auftritt weißer deutsch­er Fußball­fans, die sich bei einem WM-Spiel der deutschen National­mannschaft schwarz geschminkt als Fans der geg­ner­ischen ghanais­chen National­mannschaft verklei­de­ten. ((Vera Kern, Zu viel WM-Patri­o­tismus in Deutsch­land?, DW, 25.6.2014.)) Neben diesen Einzel­ereignis­sen gab es auch Diskus­sio­nen um Black­fac­ing bei Sternsingern und im Karneval. ((Paul Wrusch, Ras­sis­tis­che Klis­chees im Karneval: Afro-Tuck­en und Zige­uner-Huren, taz.de, 5. Feb­ru­ar 2014.))

Die Bedeu­tungsausweitung ist nicht nur inhaltlich und kul­turgeschichtlich inter­es­sant, son­dern eben auch – und darum geht es bei unserem Wet­tbe­werb ja – sprach­wis­senschaftlich. Sie zeigt, dass Lehn­wörter nicht, wie von Kri­tik­ern oft angenom­men, pas­siv und ohne Nachzu­denken über­nom­men wer­den, son­dern dass die entlehnende Sprachge­mein­schaft sie aktiv in ihre eige­nen Diskus­sion­szusam­men­hänge integriert.

Die zunehmende Inte­gra­tion des Wortes Black­fac­ing in die deutsche Sprache zeigt sich nicht nur an dieser Bedeu­tungsen­twick­lung, son­dern auch an der Ver­schiebung der Form weg vom ursprünglichen englis­chen black­face und hin zum (schein­bar) englis­chen Par­tizip Präsens Black­fac­ing. Diese Form kommt zwar auch im Englis­chen vere­inzelt vor, wird im Deutschen aber ab 2011 die dom­i­nante Form. Damit liefert das Wort Black­fac­ing ein Beispiel für die Beobach­tung, dass die Nach­silbe ‑ing im Deutschen zwar (noch) auf Stämme englis­chen Ursprungs beschränkt ist, aber dur­chaus pro­duk­tiv angewen­det wird. ((Peter Eisen­berg, Anglizis­men im Deutschen, 2013.)) Vor allem wird sie von den Sprecher/innen des Deutschen als Mit­tel zur Bil­dung von Sub­stan­tiv­en aus Ver­ben erkan­nt, was umgekehrt die Möglichkeit eröffnet, aus einem Sub­stan­tiv mit ‑ing ein Verb abzuleit­en. Genau dies ist im Falle von Black­fac­ing geschehen: Ab 2011 find­et sich immer öfter auch in stan­dard­sprach­lichen Tex­ten das Verb black­facen (z.B. „Deswe­gen wollen wir weit­er black­facen dür­fen…“, taz, Feb­ru­ar 2014). Hier­bei han­delt es sich um ein gen­uin deutsches Verb, zu dem es im Englis­chen keine direk­te Entsprechung gibt (hier ver­wen­det man statt eines ein­fachen Verbs kom­plexe Prädikate wie to per­form in black­face oder to wear black­face oder auch schlicht to black up).

Natür­lich zwingt uns die Exis­tenz des Lehn­wortes Black­fac­ing nicht dazu, seine Bedeut­samkeit als gesellschaftlich­es Phänomen auch in der deutschsprachi­gen Welt anzuerken­nen. Aber es eröffnet uns die Möglichkeit, darüber nachzu­denken und zu disku­tieren. Das Wort Black­fac­ing ist in gewiss­er Weise eine Hypothese: dass all diese Einzelfälle in all diesen schein­bar so unter­schiedlichen Zusam­men­hän­gen möglicher­weise Aus­for­mungen eines gemein­samen ras­sis­tis­chen Grundgedankens sind: Weiße Men­schen müssen nicht auf schwarze Men­schen hören, wenn es um deren Lebenswel­ten geht.

Das ist keine angenehme Hypothese und das Wort Black­fac­ing ist kein angenehmes Wort. Aber wie auch immer die Bew­er­tung dieser Hypothese im Einzelfall aus­ge­hen mag, es ist ein Wort, das die deutsche Sprachge­mein­schaft schon lange hätte gebrauchen kön­nen. Dank der Möglichkeit, Wörter – und damit ver­bun­dene Ideen – von anderen Sprachge­mein­schaften zu übernehmen, haben wir es jet­zt. Was wir daraus machen, liegt ganz bei uns.

[Zur Pressemel­dung der Aktion Anglizis­mus des Jahres]

Lek­türe zum The­ma Blackface/Blackfacing

 

Sexting [Kandidaten für den Anglizismus 2014]

Von Anatol Stefanowitsch

Der let­ze Wortkan­di­dat auf der Short­list für unseren Anglizis­mus des Jahres 2014 beze­ich­net die schön­ste Neben­sache der Welt 2.0: Sex­ting – das Versenden von Tex­ten und ero­tis­chen Self­ies. Sehen wir uns an, ob dieses Wort den Ansprüchen unseres Wet­tbe­werbs stand­hält und vielle­icht sog­ar in let­zter Minute an Social Freez­ing, Phablet, Big Data, Inter­net of ThingsSmart­watch, Pho­to­bomb­ing, Black­fac­ing, Self­ie und Emo­ji vor­beizieht. Weit­er­lesen

Blackfacing (Kandidaten für den Anglizismus 2014)

Von Anatol Stefanowitsch

Das Wort Blackfacing/Blackface war 2012 schon ein­mal für den Anglizis­mus des Jahres nominiert. Die Beleglage war sein­erzeit aber zu dünn, um dieses anson­sten sehr inter­es­sante Wort in die engere Wahl zu ziehen (mein dama­liger Beitrag, aus dem ich im Fol­gen­den einzelne Pas­sagen übernehme, find­et sich hier [Hin­weis: dieser und andere hier ver­link­te Texte enthal­ten z.T. ras­sis­tis­che Sprache und/oder Abbil­dun­gen]). Heute werde ich unter­suchen, ob sich an der Häu­figkeit und vor allem Bre­ite der Ver­wen­dun­gen in der Zwis­chen­zeit geän­dert hat.

Zunächst zur all­ge­meinen Ori­en­tierung: Das Wort black­face (engl. black “schwarz” und face “Gesicht”) beze­ich­net ursprünglich eine im 19. und frühen 20. Jahrhun­dert in den USA prak­tizierte The­ater– und Vari­eté-Tra­di­tion, bei der weiße Schauspieler/innen oder Sänger/innen auf über­trieben stereo­typ­isierte Weise als Schwarze geschminkt auf­trat­en (einen Überblick bietet die englis­chsprachige Wikipedia). Die Bedeu­tung des Wortes hat sich über die Jahre aus­geweit­et und beze­ich­net inzwis­chen all­ge­mein Sit­u­a­tio­nen, in denen sich weiße Men­schen schminken, um schwarze Men­schen darzustellen. Das black­face ist in dop­pel­ter Weise ras­sis­tisch belegt: Erstens, weil die Tra­di­tion aus einem zutief­st ras­sis­tis­chen geschichtlichen Zusam­men­hang stammt, in dem ein Auftreten schwarz­er Schauspieler/innen als inakzept­abel galt, und zweit­ens, weil beim Black­face nicht nur das Make-Up selb­st und die dazuge­hörige Mimik über­trieben stereo­typ­isiert ist (dicke rote Lip­pen, strup­pige Haare, weit aufgeris­sene Augen), son­dern auch die Zusam­men­hänge, in denen es ver­wen­det wurde (Schwarze als naive, fröh­liche Unter­hal­ter). Weit­er­lesen

Kandidaten für den Anglizismus 2014: Internet of Things

Von Kristin Kopf

Wie jedes Jahr im Jan­u­ar beteili­gen wir uns an der Wahl zum Anglizis­mus des Jahres, indem wir die Kan­di­dat­en der Endrunde auf ihre Tauglichkeit zum Sieger abklopfen. Bere­its abge­han­delt haben wir Social Freez­ing, Phablet und Big Data, heute ist Inter­net of Things an der Reihe.

In meinem Fre­un­deskreis kur­siert seit Jahren ein irres Konzept: Mehmet, Maike und Amaru haben sich irgend­wann über­legt, dass man  zusam­menge­hörige Sock­en per RFID wiedervere­ini­gen kön­nte und dann gle­ich weit­er, dass auch die Auswahl passender Klei­dungsstücke darüber erfol­gen kön­nte. Das ging so weit, dass ein Ampel­sys­tem bei Wet­ter- oder Mode­un­tauglichkeit das Ver­lassen der Woh­nung ver­hin­derte (rot) oder hin­ter­fragte (gelb, “Wollen Sie das wirk­lich tun?”).

Irgend­wann fan­den die drei her­aus, dass das alles gar nicht so weit ab der Wirk­lichkeit war — und ich fand her­aus, dass es zum Inter­net of Things gehört, unseren heuti­gen Kan­di­dat­en für den Anglizis­mus des Jahres 2014: Weit­er­lesen