Die Wahl geht in die Endphase — die großen Favoriten wurden und werden in detaillierten Einzelbeiträgen besprochen. Da wir uns aber immer zum Ziel setzen, allen Kandidaten, die die erste Runde überstanden haben, ein wenig Raum, ein bisschen Zeit und viel mediale Öffentlichkeit zu schenken, kommt heute eine Kurzbesprechung von Wörtern, denen wir zumindest bei dieser Wahl keine größeren Chancen ausgerechnet haben — einigen sogar zu Unrecht. Aber lesen Sie selbst.
Schlagwort-Archive: Anglizismus des Jahres 2012
Tablet [Anglizismus 2012]
Das Tablet ist ein Wiedergänger: Bereits letztes Jahr hat es Anspruch auf den Anglizismusdesjahrestitel erhoben. Wer sich für die ausführliche Besprechung interessiert, sollte sich daher den damaligen Blogbeitrag dazu anschauen – heute untersuche ich, wie sich das Wort seither gemacht hat und ob es 2012 eine Gewinnchance hat.
Rein subjektiv rechne ich mit einer enormen Frequenzzunahme, basierend auf der Beobachtung, dass die Geräte immer häufiger zu sehen und für viele Menschen zu einem Alltagsgegenstand geworden sind.
Ein Blick in die Zeitung bestätigt das:
Erstmals übertraf 2012 das blanke Wort Tablet (grüne Linie) verdeutlichende Zusammensetzungen wie Tablet-PC oder Tablet-Computer (blaue Linie). Das Konzept ist jetzt also fest genug bei der Zeitungsleserschaft verankert, es bedarf sprachlicher Hilfestellung nicht mehr unbedingt. Damit ist eingetreten, was ich letztes Jahr geradezu prophetisch prognostiziert habe – und zwar schneller als gedacht:
Ich wage zu behaupten, dass sich die Form Tablet, falls das Gerät überlebt, auf lange Sicht gegenüber Tablet-Computer durchsetzen wird. Ist kürzer, und wenn man weiß, was gemeint ist, braucht kein Mensch mehr eine deskriptive Benennung.
Diese Zusammensetzungen werden in den kommenden Jahren sicher noch weiter zurückgehen. ((Sag ich jetzt, damit ich bei der AdJ-2013-Nominierung erneut auf meine prophetischen Fähigkeiten verweisen kann.))
Im Gegenzug braucht man mittlerweile mehr Differenzierungsmöglichkeiten, um all die Tablets voneinander unterscheiden zu können: Komposita mit einem Erstglied, das das Tablet näher bestimmt (lila Linie) nehmen weiter zu. In fast allen Fällen wird hier Bezug auf den Hersteller oder Verkäufer (Apple, Aldi, Sony-Tablet, …) oder auf Leistungsfähigkeit und Größe genommen (Highend-, Full-HD-, Sieben-Zoll-, Riesen-Tablet, …).
Zwar war der Anstieg des Wortes Tablet von 2010 nach 2011 viel deutlicher (um 3,8 Prozentpunkte) als der von 2011 nach 2012 (um 2,2 Prozentpunkte) ((Eine Suche über Begriffe im Wandel der ZEIT liefert zwar für Die Zeit einen sprunghaften Anstieg 2012, hier in ich aber skeptisch, was die Datenbasis betrifft. Über den Bugfixing-Modus gelangt man an absolute Zahlen, das sind für 2012 genau 116 Treffer, die sich recht gleichmäßig über das Jahr verteilen (z.B. je 10 im November und Dezember). Hier muss also bei der Normalisierung etwas schiefgegangen sein.)), allerdings würde ich das nicht sofort als AdJ-Aus sehen. Das Tablet hat 2012 an Land gewonnen, besonders gegenüber bemutternden Bildungen, in denen es nur Erstglied ist. Es ist zwar sprachlich nicht besonders aufregend, aber man kann von so einem Anglizismus jetzt auch nicht alles erwarten.
posten [Anglizismus 2012]
Nachtwerker hat uns posten beschert, was zu seiner „eigenen Überraschung“ Runde 1 überstanden hat. Die Skepsis war nicht unbegründet: „Ach was, viel zu alt!“. Aber eine kontinuierliche Steigerung seit Jahren ist eine Möglichkeit, das Kriterium FREQUENZZUWACHS zu interpretieren: Und: posten ist wirklich nicht unspannend.
Ursprung & Integration
posten hat einen Eintrag im Duden (und steht natürlich auf sonem Anglizismenindex, aber der wächst erfahrungsgemäß schneller, als Sie fail! sagen können). Im DUDEN liest man zum Ursprung: „englisch to post, eigentlich = mit der Post verschicken, zu: post < französisch poste“. Die konzeptuelle und orthografische Parallele zur deutschen Post ist naheliegend, etymologisch nicht falsch und könnte dazu geführt haben, es besonders mit schreiben, aber auch den Alternativen senden oder schicken eindeutschen zu wollen (die ganz unerschütterlichen schlagen auch schon mal veröffentlichen, kommentieren oder einstellen vor).
Des Dudens Aussprachehilfe ist [poʊstn]
(mit [oʊ]
an nordamerikanische Varietäten angelehnt; im britischen Englisch ist es [əʊ]
). Weil mich das nicht überzeugt hat, habe ich vor der Bibliothek kurzerhand zwei hippen jungen Menschen [po:stn]
aus dem akustischen Jutebeutel geleiert und nehme das mal als heute gängigere Form an. Im Gegensatz zur deutschen Post (kurzer halboffener Vokal) liegt bei posten ein langer halbgeschlossener Vokal vor. Das ist wenig verwunderlich: /oʊ/
ist ein Laut (z.b. wie in go, low oder boat), den wir im Deutschen nicht haben und deshalb mit Bordmittel ersetzen. Das ist ein normaler Vorgang und ist bei Alt-Anglizismen wie Koks nicht mehr erkennbar ([ko:ks]
statt [kəʊks]
). ((Sie sehen, wir nähern uns der Fortsetzung der Keks-Trilogie.))
Auch morphologisch fügt sich posten nahtlos ins heimische Flexionsparadigma: ich poste, du postest, sie postet oder er hat gepostet. Anders als bei manchen Entlehnungen gibt’s bei posten kaum orthografische Verwirrung: gepostet ist mit über 5 Millionen Google-Treffern deutlich vor geposted mit etwa einer halben Million. Das könnte an der lautlich bereits erfolgten Integration liegen und/oder ist durch das <t> im Stamm von posten begünstigt (bei adden beispielsweise ist das Verhältnis etwa 2:1 für geadded). Auch im Teilkorpus „Wikipedia-Diskussionen 2003–2011“ im DeReKo liegt gepostet mit etwa 1,400 Treffern klar vor geposted mit 29.
Schreiben? veröffentlichen? Posten!
Wir posten Fotos, Statusmeldungen, Videos oder Links auf Facebook, Beiträge auf Blogs oder Kommentare und Tipps in Foren und Mailinglisten. Nun könnte man auch sagen, dass man einen Blogbeitrag schreibt, Fotos veröffentlicht, Nachrichten innerhalb einer Mailinglist sendet/verschickt oder in Foren kommentiert. Zu argumentieren, dass wir mit posten ein Wort für all diese Dinge haben, würde diesen Beitrag aber nur unnötig abkürzen und posten aus dem Rennen werfen.
Denn wir können keine Bücher posten (sehr wohl aber schreiben, veröffentlichen oder schicken), Lady Gaga postet keine neue Single (höchstens das dazugehörige Video), und ob ich einen Kommentar poste oder einen Kommentar kommentiere sind zwei verschiedene Dinge. Aber auch hier wäre die Diskussion eher langweilig.
Neben dem semantischen Unterschied, welche nicht-/realen Objekte ich posten kann oder nicht, liegt eine syntaktische Erklärung darin, mit welcher Argumentstruktur posten überwiegend assoziiert ist. Anders als viele potentielle Konkurrenten wie schicken/schreiben wird posten meist transitiv verwendet (das hat es mit veröffentlichen gemein), etwa ich poste ein Bild oder er postet seine Meinung (im Forum); seltener intransitiv (sie postet oft nachts) und noch seltener ditransitiv. Eine ditransitive Verwendung würde ein/e Empfänger/in und einen intendierten Transfer implizieren und braucht deshalb einen besonderen Interpretationskontext: ?ich poste dir morgen einen Link (auf die Wall) oder ??sie postet ihrem Profil ein Video.
Warum? Weil der Prozess des Postens bzw. das, was wir posten, keine/n lokalisierbare/n, bestimmte/n Empfänger/in hat oder haben muss. Zumindest liegt der Fokus überhaupt nicht darauf, den Transfervorgang zu jemandem abzuschließen oder zu betonen: ich könnte mir nen Wolf posten mit Bildern, Statusmeldungen, Links, Kommentare, Blogbeiträge und Videos — unabhängig davon, ob’s jemand sieht, hätte ich immer noch Bilder, Statusmeldungen, Links, Kommentare, Blogbeiträge und Videos gepostet (aber immer noch nicht geschickt).
Damit unterscheidet sich posten grundlegend von schreiben oder schicken (wer hat sich eigentlich und übrigens diese Alternativen aus welchem Ärmel gezogen?), die in ihrer prototypischen Verwendung ditransitiv sind und deshalb mit Prozessen von DINGEN/OBJEKTEN > EMPFÄNGER/INNEN assoziiert sind (ich schreibe dir einen Brief, er schickt mir ein Paket). Weil in transitiven Verwendungen wie bei posten das indirekte Objekt fehlt, fehlt natürlich auch der Fokus auf den Empfänger/innen.
Und bei schreiben und schicken (trans.) sonst so? Die Behauptung, diese beiden Alternativen werden überwiegend ditransitiv verwendet, fehlt ein Plausibilitätskern. Klar, denn sie können einen Kommentar schreiben, dessen Signale niemand wirklich empfängt (ich schreibe einen Beitrag). Aber schreiben Sie tatsächlich URLs und RAW-Daten in Ihre Statuszeile bei Facebook? Eben. Die These wäre dann ja noch zusätzlich, dass man mit posten üblicherweise das Verbreiten von Dingen und Gedanken bezeichnet, die gar keinen schreiberischen Charakter haben, oder, wenn das bei Statusmeldungen doch der Fall ist, der Fokus auf dem Gesamtkunstwerk liegt. Aber selbst wenn Sie URLs abtippen würden (nein, nein, es heißt nicht copy & post), bezeichnen wir den abgeschlossenen oder geplanten Vorgang mit posten, nicht den Prozess des, äh, Abtippens.
Gepostete Daten
Eine lose Belegsammlung aus den Wikipedia-Diskussionen (DeReKo):
Den Link zum Raubdruck-Verlag habe ich gepostet, falls du dir das Heft zum Nachlesen kaufen willst. [WDD11/A00.16711]
Sorry dass ich anonym poste, aber ich habe mich noch nicht angemeldet. [WDD11/A01.05660]
darf ich jetzt trotzdem was posten, auch wenn ich (noch) nicht auf alle argumente eingehe? [WDD11/A00.10032]
Ich wäre dir dankbar, wenn Du hier mal zu deinem Malesta entsprechende Links posten würdest. Vielleicht wirds dann ja klarer. [WDD11/A00.16711]
Im übrigen poste ich Beiträge wenn ich Zeit und Lust dazu habe und nicht wenn du es dir wünscht. [WDD11/A02.06862]
Er hat ihn einfach nur aus Prinzip gepostet … typisch. [WDD11/A02.82922]
Der Fokus liegt hier natürlich auf der interaktiven Kommunikation zwischen Wikipedia-Autor/innen mit erhofften Empfänger/innen, aber die transitive Verwendung überwiegt (Links, Quellen, Beiträge, Meinungen). Weil nach gut 100 Belegen keine ditransitive Verwendung zu finden war, habe ich auf Google explizit danach gesucht:
Like & ich poste dir was auf die pinnwand [Quelle]
ich poste dir meinen skypenamen privat. [aus einem Coaching-Forum]
Ich poste dir mal einen trigger mit dem man per auferstehung Helden wiederbelben kann, den musst du prinzipiell nur noch an deinen anpassen [aus einem Gaming-Forum, mit Code]
Im Unterschied zu kommentieren oder veröffentlichen ist die ditransitive Verwendung aber durchaus möglich (bei ?Ich veröffentliche ihr was auf die Pinnwand wär ich skeptisch). In diesen Beispielen tritt die Transferbedeutung in den Vordergrund: Intention und ein Fokus auf Empfang und Empfänger/in. Denn entweder ist posten in der Bedeutung von schicken/emailen zu verstehen (1 & 2, wobei in 2 eine eher untypische Verwendung vorliegt) oder, wie im letzten Beispiel, erfüllt das dir eine Funktion ‚hab ich mal extra für dich gemacht und eingestellt‘.
Vielleicht ist es ein quantitativ wackliger Versuch. Aber die Tendenz ist eindeutig: posten hat sich semantisch und konzeptuell und syntaktisch in genau die Lücke gesetzt, die das Web im deutschen Inventar gerissen hat. Von der Beschränkung auf einen irgendwie konkreten, aber irgendwie nicht-physikalischen Kontexts natürlich ganz zu schweigen.
Fazit (postende)
Bei soner Wahl sollte man sich immer überraschen lassen.
Blackfacing [Anglizismus 2012]
Das Wort Blackfacing ist abgeleitet vom Englischen blackface, der Bezeichnung für eine ursprünglich aus den USA stammende Theater- und Varieté-Tradition, bei der weiße Schauspieler/innen oder Sänger/innen auf meistens übertrieben stereotypisierte Weise als Schwarze geschminkt auftreten.
Einen soliden Einstieg in die Geschichte des Blackface bietet die englische Wikipedia. Für die Geschichte des Lehnworts Blackfacing ist zunächst entscheidend, dass diese Praxis in doppelter Weise rassistisch belegt ist: Erstens, weil die Tradition aus einem zutiefst rassistischen historischen Zusammenhang stammt, in dem ein Auftreten schwarzer Schauspieler/innen als inakzeptabel gegolten hätte, und zweitens, weil beim Blackface nicht nur das Make-Up selbst und die dazugehörige Mimik übertrieben stereotypisiert ist (dicke rote Lippen, struppige Haare, weit aufgerissene Augen, wie auf dem weiter unten abgebildeten zeitgenössische Plakat), sondern auch die Zusammenhänge, in denen es verwendet wurde (Schwarze als naive, immer fröhliche Unterhalter).
[Hinweis: Der folgende Beitrag enthält eine rassistische Abbildung.] Weiterlesen
Hipster [Anglizismus 2012]
Unser Cheflexikologe Michael vom lexikographieblog lehnte in diesem Jahr den Ruf in die Jury aus zeitlichen Gründen ab und wusste bereits bei der Nominierung von Hipster offenbar, warum: Wie will man das denn bitte definieren? Hipster fällt — begrifflich! — in die gleiche Kategorie wie Spießer und Yuppie: irgendwie hat man eine klare Vorstellung davon, was das sein soll, man will’s erkannt haben, wenn man’s sieht — aber natürlich will’s mal wieder keiner gewesen sein. Kurz: jenseits humoriger Selbstgeißelung ist Hipster als Eigenbezeichnung selten. Der Hipster ist ein kulturell nahezu undefinierbar amorphes urbanes Phänomen in klassischen Hipsterbiotopen (hier kartografiert).
Das wort
Hipster, eine Ableitung vom Adjektiv hip ‚hip‘, gebildet mit dem Agentivsuffix -ster, vergleichbar in Wortbildungen des Englischen wie trickster, drugster, jokester oder youngster. ((Besonders gut gefällt mir noch die Schöfpung Wimpster im DWDS aus der ZEIT 37/2006: „Bevorzugtes Objekt der Begierde: der ‚Wimpster‘, eine Mischung aus Trendsetter (Hipster) und Weichei (Wimp).“)) Der Oxford English Dictionary (OED) konstatiert für die frühere Phase des Frühneuenglischen (ab etwa 1500) eine erhöhte Produktivität. Das Suffix -ster ist aber älter und geht mindestens auf das Altenglische -estre oder -istræ zurück, wo es Berufsbezeichnungen für weibliche Personen ableitete, analog zum -er für Männer. Im Mittelenglischen wurde -estre durch das französische -eresse abgelöst — -ster wurde also zunehmend maskulin interpretiert und durch -eresse/-ess komplementiert. Mit der gestiegenen Produktivität von -ster ließ das Wortbildungsmuster im 16. Jahrhundert auch vereinzelt Bildungen mit Adjektiven oder Verben zu (z.B. youngster, 1589, oder rubster, 1537). ((„-ster, suffix“. OED Online. December 2012. Oxford University Press. 28 January 2013 <http://www.oed.com/view/Entry/189877?rskey=dbgDgC&result=1&isAdvanced=false>.))
Hipster liegt fürs Deutsche — vermutlich — ausnahmslos als Maskulinum vor. Versuche, nach femininen Formen zu suchen, sind zum Scheitern verurteilt, weil für Hipster die meisten Genus‑, Kasus- und Numeruskombinationen zusammenfallen und Suchergebnisse deshalb nicht auseinanderzuhalten, geschweigedenn vergleichbar sind (die Hipster für FEM.SG, MASK.PL und MASK.PL„generisch“, etc.). Der Hipster hat mit gerundet 39,000 Treffern gegenüber die Hipsterin mit 224 Treffern leicht die Nase vorn. Es ist unwahrscheinlich, dass hier 38,776 Fälle von Synkretismus vorliegen. Wahrscheinlicher ist, dass Hipster, obwohl genderbar, nicht gegendert wird. Abgeleitet von Hipster gibt es erste Versuche, hipstern als Verb zu etablieren.
Entlehnung & Aktualität
Hipster gibt es schon länger, auch in der deutschen Sprache. Die Existenz zweier voneinander relativ unabhängiger Wikipedia-Einträge zu Hipster (20. Jahrhundert) und Hipster (21. Jahrhundert) suggeriert, dass zeit- und kulturhistorisch Hipster1 und Hipster2 zu trennen sind. Einer der früheren verifizierbaren Belege stammt aus der ZEIT von 1962, der hipster als „unübersetzbar“ bezeichnet.
Während bei Hipster1 üblicherweise das Avantgardistische, Politische und Rebellische im Vordergrund steht und — gleichermaßen durch die retrospektive Brille — diesem deshalb eine gewisse Coolness zugestanden wird, wird Hipster2 Coolness als inhärentes Charakteristikum eines hippen Selbstbilds unterstellt (und damit abgesprochen). Zusätzliche zentrale Definitionsmerkmale sind neben einer Wohnung in Szenevierteln offenbar gänzlich unpolitische Chinohosen, Kaffeeschaumvariationen, Telefone mit Binnenmajuskeln, Nerdbrillen, Club Mate und Jutebeutel.
Halten wir fest: eine Neu- bzw. Wiederentlehnung. Denn obwohl Hipster so neu nicht ist, erfüllt es ein zentrales Kriterium: eine deutliche Zunahme 2012. (Man beachte die Karte der geografischen Verteilung der Suchanfragen. Etwas überraschen mag das hohe Interesse an Hipster für die der uncoolen Coolness unverdächtigen Städte Duisburg, Darmstadt, Mainz und Münster. Relativiert wird das, weil Hannover in der Liste nicht auftaucht.)
Aber Michael fragte ja auch danach, ob es heute noch neutral oder positiv verwendet wird. Das ist eher unwahrscheinlich, vor allem, weil der Begriff zu häufig in Texten über den Umbruch urbaner Gesellschaftsstrukturen (→Gentrifizierung) mit vielen negativen Begleitemotionen auftaucht:
Hass auf die Hipster in Kreuzberg und New York. [Tagesspiegel, 22. März 2012]
Der Hipster mit dem Jutebeutel — das neue Hassobjekt. [Die Welt, 10. März 2012]
Der Hipster — bärtig, cool, verachtet. [Tagesspiegel, 18. April 2012]
(Ein Gegenbeispiel zum „wir sind so nicht“ ist die taz, die den Hipster auffällig neutral als „Menschen wie du und ich“ beschreibt (taz, 18. November 2012).)
Das war nicht immer so: die spöttischen oder aufgeladenen Beschreibungen sind eine neuere Entwicklung. Im ZEIT-Archiv des DWDS finden sich ab den 1990er bis 2009 viele Belege mit neutraler(er) Szenezustandsbeschreibung:
Er war irgendetwas zwischen Häftling und Hartz IV, und nun stand er hier, mitten in Mitte, wo die Heimat der Hipster ist, vor einem Laden, der bräunliche Sweatshirtjacken und Jeans mit niedrigem Bund verkauft, stand dort wie ein Türsteher und verbreitete Angst. (ZEIT 7/2008)
Charlotte ist eine unterdrückte Hausfrau, die in dem schwärmerischen Hipster das Gegenprojekt ihres Establishments erkennt. Charlotte Hellekant singt sie mit einer dramatischen Durchlagskraft, in der stets die bürgerliche Angst vor dem Kontrollverlust mitflackert. (ZEIT 41/2002)
Und jenseits von Zeitungsbelegen, in denen die Gentrifizierungsdebatte meist auf ein unbekanntes Wesen projiziert wird? Eine kurze Analyse von etwa sechs Tagen Hipstertweets: einer von einem Menschen mit hipster im Alias, ein neutraler Meta-Tweet (mein eigener) und der Rest von der folgenden Sorte:
Twitter braucht dringend Warnhinweise: Verwahrloste Hipster sitzen auf der Parkbank mit nix außer ihrem Smartphone, das sie fest umklammern. @SoucieSpogk
hipster hipster gib mir mein berlin zurück @Mel61718
Vor einiger Zeit waren es ja sie Alt-68er, die hier die Politik prägten. Hab schon ein wenig Angst vor der Zeit, wenn die Hipster dran sind. @Zellmi
Fazit: wir sind alle ein bisschen Hipster
Bei vielen, vielen Tweets und Blogposts über den Hipster genügt ein Blick ins Profil derjenigen, um zu wissen, dass es mit Hipster eigentlich ganz ähnlich ist, wie mit Spießer: es sind immer die anderen und die haben auch noch an allem Schuld. Sie gehen nie bei Rot über eine unbekannte Kreuzung und spülen Butterdosen vor Wiederverwendung einmal heiß durch? Sehense.
Hipster, ein Wort, das tatsächlich unübersetzbar ist. Zur rekursiven Absurdität von Eindeutschungsversuchen: eine mögliche Alternative wäre Trendsetter (Antwort auf die unschuldige Frage: „Wie würdest du Hipster übersetzen?“), welches aber ebenfalls auf dem Index steht und wofür schon Schrittmacher, Vorreiter oder Wegbereiter vorgeschlagen wurden.
Eine Lücke gefüllt? Natürlich, auch wenn’s schon recht lange im Deutschen heimisch ist (lange vor der Hipsterdebatte aktueller Couleur). Aber man darf einwerfen, dass der Attributepool der Klasse „HipsterInnen“ so dermaßen tief und breit ist, dass die Definition schwer ist und der Begriff — in Abwesenheit identifizierbaren Referenzgruppe — irgendwie schwammig bleibt.
P.S.: Damit ich das Bild nicht umsonst gemacht habe: unlängst forderte die FU-Hochschulgruppe von DIE PARTEI die Zulassungsbeschränkung für Jutebeutelträger. ((Was machen wir jetzt mit Goodies auf Tagungen? Einlasskontrollen für Wissenschaftsverlage?)) Aber die wollen ja auch den Prenzlauer Berg endlagern.
[Anglizismus 2012] Mit gendern ändern?
Heute geht’s um den AdJ-Kandidaten gendern und ich will gleich vorausschicken, dass ich dem Monsterthema zwar einige Köpfe abschlagen konnte, aber immer neue nachgewachsen sind. Also: Anspruch auf Unvollständigkeit.
Nominiert wurde gendern von David, mit folgender Begründung:
Das Wort wird vor allem in der Bedeutung »in geschlechtergerechter Sprache schreiben« verwendet. In Englisch gibt es das Verb »to gender« nicht, und das Nomen »gender« in der Bedeutung »soziales Geschlecht« ist ebenfalls vergleichsweise jung. Das Wort zeugt also von einem kreativen Umgang mit Sprache, außerdem scheint es momentan Hochkonjunktur zu haben.
Für mich ist es aus mindestens zwei Gründen ein sehr spannendes Wort:
Zum einen kam es mir zunächst sehr etabliert vor, für den Anglizismus des Jahres schon viel zu lange viel zu verbreitet. Aber vielleicht ist das nur in meiner sehr geisteswissenschaftlich-universitär geprägten Welt so, wo geschlechtergerechte Sprache weitgehend Konsens ist?
Zum anderen trage ich, trotz der hohen Verwendungshäufigkeit in meinem Umfeld, noch immer leise Zweifel mit mir herum, was das Wort denn nun heißen kann. Die sind darin begründet, dass ich in einem Seminar einmal gelernt habe, gendern würde zunehmend falsch verwendet – es hieße nämlich nicht ‘etwas in geschlechtergerechte Sprache bringen’ sondern ‘geschlechterbasierte Unterschiede erzeugen’. Nach dieser Bedeutung wäre z.B. Babymode gegendert (rosa, Schmetterlinge und Blümchen für Mädchen – blau, Bagger und Flugzeuge für Jungs).
Diesen beiden Punkten werde ich in diesem Beitrag auch hauptsächlich nachgehen.
Was war das Vorbild?
Der Anglizismus des Jahres muss, logisch, aus dem Englischen stammen – was für unser deutsches Verb gendern mehr oder weniger direkt zutrifft. Es gibt zwei potenzielle Wortlieferanten: Zum einen das Substantiv gender, das David im Verdacht hat, und zum anderen das Verb to gender, das es nämlich sehr wohl gibt, wenn es auch im Gebrauch recht selten ist.
Das Substantiv haben wir auch als solches schon vor Längerem ins Deutsche entlehnt (Gender), wo es sich besonders in der Soziologie (und den relativ neuen Gender Studies) als ausgesprochen nützlich erwiesen hat. Bis dahin gab es nämlich nur Geschlecht, wo man auf Englisch zwei wichtige Aspekte unterscheiden konnte: Weiterlesen
Hashtag #adj2012
#Heute kümmern wir uns nach Fracken bzw. fracking gestern um den nächsten Kandidaten: Hashtag. Nominiert wurde es von Leser Analytiker. Eine Begründung dazu gab’s nicht (ab dem nächsten Jahr überprüfe ich die Hausaufgaben!). Erklärung offenbar überflüssig.
Deshalb erläutern wir Hashtag zunächst kurz für diejenigen, die Twitter bisher nur aus dem Fernsehen kennen ((Die Menge [Programmiersprachensprecher/innen]&!=[Twitter/innen] dürfte leer sein.)) und besonders für diejenigen, die sich kurz dachten, ich hätte vielleicht ein <c> in der Überschrift vergessen. Sodenn, Definition: Ein Hashtag ist so eine Art Schlagwort für den Zettelkatalog im Netz. Weiterlesen
Fracking/fracken [Anglizismus 2012]
In den nächsten Wochen diskutiert die Anglizismus-des-Jahres-Jury die Wortkandidaten, die es in die Endrunde geschafft haben. Heute das Substantiv Fracking und das dazugehörige Verb fracken.
Das Wort Fracking (machmal auch: Fracing) ist eine Kurzform des englischen Hydraulic Fracturing, der Bezeichnung für eine Technik zur Förderung von Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas. Dabei wird in die Gesteinsschichten, die die Rohstoffe umschließen, unter hohem Druck ein Gemisch aus Wasser und verschiedenen Chemikalien hineingepumpt, um auf diese Weise Risse zu erzeugen, durch die die Rohstoffe zur Bohrungsstelle fließen können.
Wer mehr über die Technik selbst erfahren will, dem sei dieser aktuelle Beitrag im Fischblog empfohlen; aus lexikografischer Perspektive sind zwei Dinge wichtig: In Deutschland lagert sehr viel Erdgas in Gesteinsschichten, an die ohne diese Technik derzeit kein Herankommen ist (weshalb die Energiekonzerne die Technik gerne in großem Maßstab anwenden möchten), und die Technik hat schwerwiegende Konsequenzen für die Umwelt (weshalb vor allem die Menschen in den potenziellen Fracking-Gebieten das unbedingt verhindern wollen). Das führt zu einer anhaltenden Debatte, die das Wort im letzten Jahr in den allgemeineren Sprachgebrauch gespült hat: Im Deutschen Referenzkorpus taucht es 2010 in nur zwei Texten auf, 2011 findet es sich bereits 70 Mal in 25 verschiedenen Texten, und bis Juli 2012 (weiter geht das Korpus derzeit noch nicht) waren es dann schon über 400 Treffer in mehr als 160 Texten. Weiterlesen