[Surftipp] Müller, Meier, Hassdenteufel

Von Kristin Kopf

Müller, Meier, Has­s­den­teufel – Was unsere Namen ver­rat­en” ist ein Radiobeitrag über Fam­i­li­en­na­men, gemacht von Studieren­den des jour­nal­is­tis­chen Sem­i­nars der Uni Mainz. Gesendet wurde er zwar schon im Jan­u­ar, aber die Inhalte sind auch im Inter­net abruf­bar. Inter­viewt wur­den vor allem die Mitar­bei­t­erin­nen des DFG-Pro­jek­ts Deutsch­er Fam­i­li­en­na­me­nat­las, und wenn man noch nichts über Namenkunde weiß, ist das auf jeden Fall sehr span­nend. Alle Beiträge kön­nen hier gehört und geschaut werden:

2009-04-17-hassdenteufel

Wortarten (Teil 2): „Namenswörter“

Von Anatol Stefanowitsch

Nach­dem ich den Semes­ter­an­fang und das Ostereierge­suche über­standen habe, hier nun Folge 2 der „Gespräche über Wor­tarten“. Ich freue mich über die inter­es­san­ten Kom­mentare zum ersten Teil und werde die auch auf­greifen, wenn ich mit der Wieder­gabe mein­er Gespräche mit mein­er Tochter fer­tig bin (es fol­gt noch ein drit­ter Teil über „Wiewörter“).

Dieses Gespräch fand gle­ich am Tag nach unser­er Diskus­sion über „Tuwörter“ statt. Weit­er­lesen

Werbehefter für Motogrossrennen

Von Kristin Kopf

Neues aus Schut­ter­tal … nach­dem wir alles über am Pas­cal seine Mut­ter wis­sen, geht es heute um Frau Schwab und das, was sie so macht:

Näm­lich Wer­be­hefter.

Im Hochdeutschen gibt es zwar das Wort der Hefter (Plur­al: die Hefter), das eine Mappe zum Ein­heften beze­ich­net (oder gele­gentlich einen Tack­er). Wahrschein­lich wurde es aus dem Verb­stamm von heften und der Endung -er gebildet, so wie Bohrer aus bohren+er, Steck­er aus stecken+er, und so weiter.

Dieses Wort ist hier aber nicht gemeint, es geht vielmehr um Prospek­te, also Werbehefte. Der Plur­al auf -er bei diesem Wort ist eine dialek­tale Eigen­heit: KindKinder, LiedLieder, GliedGlieder, … im Hochdeutschen gibt es eine ganze Gruppe von Wörtern mit Plur­al auf -er.

In Dialek­ten gibt es zwar meist diesel­ben (oder sehr ähn­liche) Arten der Plu­ral­bil­dung, aber es müssen nicht unbe­d­ingt diesel­ben Wörter in diese Grup­pen gehören. Im Schut­ter­tal gehört HeftHefter ganz reg­ulär zur Gruppe mit -er-Plur­al, während es im Hochdeutschen zur Gruppe mit -e-Plur­al gehört (wie Beete, Stifte, Wege, …). Auch mit dabei: StickSticker ‘Stücke’.1

Gut möglich, dass die Ver­wen­dung von Hefter als Plur­al von Heft noch zusät­zlich durch das vorhan­dene hochdeutsche Wort Hefter gestärkt wird, das ja auch eine sehr ähn­liche Bedeu­tung hat.

[23.4.09: Zu diesem Beitrag gibt es eine Ergänzung.]

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Kulturköpfe

Von Anatol Stefanowitsch

Nor­maler­weise vergesse ich, Wer­bung für mich selb­st zu machen. Dieses Por­trait in der taz habe ich völ­lig vergessen, obwohl die Druck­ver­sion mit einem ganz­seit­i­gen Por­trait bebildert war, das irgend­wann Samm­ler­w­ert haben wird.

Aber dieses Mal passiert mir das nicht: Diesen Sam­stag (18. April) bin ich von 11–13 Uhr bei den „Kul­turköpfen“ auf Radio Weser.TV zu Gast. Wer Lust hat, mir zwei Stun­den lang dabei zuzuhören, wie ich mich mit der Mod­er­a­torin und Kul­tur­man­agerin Gabriele Koch über alles unter­halte, was uns ger­ade in den Kopf kommt, kann die Sendung in Bre­men auf UKW 92,5 MHz oder weltweit als Livestream hören. Neben­bei erfährt man dabei etwas über meinen Musikgeschmack und natür­lich reden wir auch über Sprache und das Bre­mer Sprach­blog. Infos zur Sendung und einen Link zum Livestream gibt es hier.

[Ostern] Ostern

Von Kristin Kopf

Ostern ist nicht nur ety­mol­o­gisch inter­es­sant, son­dern auch vom Wort­ma­te­r­i­al her: Es gab ein­mal einen Sin­gu­lar, die Oster, heute ist aber nur noch der Plur­al Ostern gebräuch­lich. Den man gele­gentlich auch wieder als Sin­gu­lar ver­wen­den kann: das Ostern.

Ostern 1987 - noch kein Interesse an Etymologien

Ostern 1987 – noch kein Inter­esse an Etymologien

Woher das Wort kommt, ist nicht so ein­deutig. Es ist auf jeden Fall ver­wandt mit Osten als dem Ursprung der Sonne und bezieht sich wahrschein­lich auf eine vorchristliche Got­theit der Mor­gen­röte, auf jeden Fall aber auf das Länger­w­er­den der Tage und den Früh­ling. Mor­gen­röte, Aufer­ste­hung, der Weg war nicht weit und die Über­tra­gung auf das christliche Fest schnell erledigt. Im Althochdeutschen hieß das Fest ôst(a)râ, im Mit­tel­hochdeutschen ôster. Der Monat April hieß übri­gens früher ein­mal ôster­mânôth, ange­blich so benan­nt durch Karl den Großen. (Zu den Monat­sna­men auch: Wun­der­land Deutsch.)

Die europäis­chen Sprachen sind, was Ostern ange­ht, nicht so variantenreich:

  • Das Englis­che hält es mit dem Deutschen (East­er).
  • Die meis­ten Sprachen haben aus dem Hebräischen/Aramäischen entlehnt (ich zitiere keine Urform, da ich keine zuver­läs­sige Quelle habe), und zwar die Beze­ich­nung des jüdis­chen Pes­sach-Festes, mit dem Ostern nicht von unge­fähr zeitlich und kausal in Bezug ste­ht: Dänisch (Påske), Spanisch (Pas­cua), Finnisch (Pääsiäi­nen), Franzö­sisch (Pâques), Ital­ienisch (Pasqua), Nieder­ländisch (Pasen), Nor­wegisch (Påske), Rumänisch (Paşti), Rus­sisch (Пасха), Schwedisch (Påsk)
  • Ungarisch (Húsvét): hús heißt auf jeden Fall ‘Fleisch’, die Zusam­menset­zung wahrschein­lich ‘Fleisch nehmen/kaufen’, aber die Bedeu­tung stammt nur aus dem Inter­net, also wer weiß. Wäre aber logisch, die Fas­ten­zeit ist da näm­lich vorbei.
  • Mit Bezug auf die Nacht, wie an Wei­h­nacht­en auch, gibt es ‘große Nacht’ im Pol­nis­chen (Wielka­noc) und Tschechis­chen (Velikonoce). Im Let­tis­chen (Liel­d­ien­as) ist hinge­gen der Tag groß.

Hier gibt es übri­gens eine ganze Samm­lung von Oster­beze­ich­nun­gen in ver­schiede­nen Sprachen.

[Ostern] Karfreitag

Von Kristin Kopf

Hier haben wir doch noch einen Tag, der den Kum­mer aus­drückt, mit dem es am Grün­don­ner­stag nichts wurde. Kar- geht auf althochdeutsch kara ‘Kum­mer, Sorge’ zurück (übri­gens ver­wandt mit dem englis­chen care). Ein Blick in Grimms Wörter­buch zeigt aber, dass das Wort Kartag ursprünglich nicht all­ge­mein einen trau­ri­gen Tag beze­ich­nete, son­dern einen ganz bes­timmten trau­ri­gen Tag: den “tag an welchem ein ver­stor­ben­er unter klaggeschrei beerdigt und dann das leichen­mahl gehal­ten wird” (DWB). Im Zim­brischen, ein­er deutschen Sprachin­sel in Ital­ien, hat es diese Bedeu­tung noch heute.

Quelle: Wikipedia

Quelle: Wikipedia

Der Kar­fre­itag ist also ein­fach der Tag, an dem Jesus dem christlichen Glauben nach starb und prompt beerdigt wurde. Im Mit­tel­hochdeutschen hieß der Tag karvrî­tac oder schlicht kar­tac.

Auch heute habe ich mich ein bißchen im restlichen Europa umgesehen:

  • heiliger Fre­itag’: Spanisch (Viernes San­to), Franzö­sisch (Ven­dre­di saint), Ital­ienisch (Ven­erdì San­to)
  • guter Fre­itag’: Nieder­ländisch (Goede Vri­jdag), Englisch (Good Fri­day) – Zumin­d­est im Englis­chen kommt es von der ursprünglichen Bedeu­tung ‘heilig’.
  • großer Fre­itag’: Rus­sisch (Великая пятница), Tschechisch (Velký pátek), Pol­nisch (Wiel­ki Piątek), Ungarisch (Nagypén­tek), Est­nisch (Suur reede), Rumänisch (Vinerea Mare)
  • Lei­dens­fre­itag’: Rumänisch (Vinerea Patim­ilor)
  • langer Fre­itag’: Schwedisch (Långfreda­gen), Dänisch (Langfredag), Nor­wegisch (Langfredag), Finnisch (Pitkäper­jan­tai) – Im Englis­chen scheint es auch ein­mal einen Long Fri­day gegeben zu haben, “due to the long fast imposed upon this day”.  Ob das die richtige Ety­molo­gie ist, weiß ich allerd­ings nicht.

Hat tip to … & Stephen Fry

Von Kristin Kopf

Oft find­et man am Ende eines englis­chsprachi­gen Blo­gein­trags die Wen­dung “Hat tip to NAME”. Sie dient dazu, darauf hinzuweisen, dass das Gepostete (Link, Video, Nachricht, Bild …) in einem anderen Blog gefun­den wurde oder man einen Hin­weis darauf per Mail/in den Kommentaren/… bekom­men hat. Es ist also eine Art von Urhe­ber­hin­weis, auch wenn er eher auf Find­erIn­nen denn auf wirk­liche Urhe­berIn­nen ver­weist. Oft wird der “Hat tip” aber auch ein­fach als Dank verwendet.

Ein paar Beispiele:

  • Für einen Comic­strip: “Hat tip to Greg Pou­los. (Lan­guage Log)
  • Für eine tech­nis­che Erk­lärung: “Hat tip to problogdesign.com for spelling this method out so clear­ly!” (Smit­ten Kitchen)
  • Für ein Foto: “Hat tip to Eric Kinzel” (Lan­guage Log)
  • Für eine Nachricht: “hat-tip Matt Wedel again (Tetra­pod Zool­o­gy)
  • Für einen Auf­satz: “hat tip to Mar­i­lyn Mar­tin” (Lan­guage Log)

Und woher kommt der Aus­druck? Vom Grüßen indem man einen Fin­ger an die Hutkrempe legt. Von da aus ging’s wohl vom reinen Gruß zur Anerken­nung zum Dank.

Und im Deutschen? Wir haben zwar Den Hut vor jeman­dem ziehen, aber das passt nicht wirk­lich auf solche Sit­u­a­tio­nen, weil es ein­fach zu viel Ehrerbi­etung und Respekt aus­drückt. Soooo viel haben die Hin­weis­ge­berIn­nen jet­zt auch nicht geleistet.

Bei Leser­hin­weisen lässt sich das meist recht gut regeln mit “Danke für den Link/Hinweis/… an NAME” o.ä.:

Was ist aber mit Hin­weisen aus anderen Blogs, die man selb­st gefun­den hat – dafür kann man sich doch nicht wirk­lich bei der Per­son bedanken? Das klingt ja dann, als wäre sie aktiv auf einen zugekommen?

Ein bißchen Googlen zeigt, dass der Hat tip ganz gerne über­nom­men wird:

  • Hat tip to Neu­roskep­tic: Ein satirisch­er Seit­en­hieb auf die Ver­hal­tensneu­ro­bi­olo­gie. (Varia & Even­tu­alia)
  • Und Hat Tip an Chris­t­ian But­ter­bach für den Hin­weis auf diesen erfrischen­den Post! (Eine neue Frei­heit)

Eine etwas nüchterne Alter­na­tive habe ich auch gefun­den, ganz ohne das dank­ende Element:

Lei­der ist es recht schw­er, nach Hat tips zu googlen, die Hat tip nicht ver­wen­den. Falls also jemand Hin­weise hat … ich werde auch weit­er ergänzen, falls ich noch andere For­mulierun­gen finde.

So. Und wie kam ich drauf? Genau: Ich wollte ein Video posten, in dem Stephen Fry über Sprache spricht. (Mal wieder.) Und dabei nicht unter­schla­gen, dass ich es nicht selb­st gefun­den habe, son­dern in der Linksamm­lung des Bre­mer Sprach­blogs, wo es “Zetter­berg” gepostet hat:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=wzMIKsrjcOI&hl=de&fs=1&rel=0]

(Im vorherge­hen­den Teil geht’s um andere Dinge.)

[Ostern] Gründonnerstag

Von Kristin Kopf

So, jet­zt wird hier mal wieder ein bißchen ety­mol­o­gisiert! Die Kar­woche bietet dafür ja wirk­lich mehr als genug Gele­gen­heit – los geht’s mit dem Grün­don­ner­stag. In mein­er Kind­heit wurde immer behauptet, das Erst­glied gehe auf mit­tel­hochdeutsch grî­nen ‘den Mund weinend/knurrend/winselnd/lachend verziehen’ zurück und drücke qua­si die Trau­rigkeit über die Gefan­gen­nahme Jesu aus. Weil greinen im Ale­man­nis­chen heute noch ein das Wort für ‘weinen’ ist, erschien mir diese Erk­lärung immer sehr einleuchtend.

2009-04-09-grunDoch Kluge hat eine Über­raschung parat: Im Mit­tel­hochdeutschen gab es die Fügung der grüene don­er­stac bere­its und somit einen ein­deuti­gen Bezug zur Farbe Grün. Aber was hat das Grün mit diesem Tag zu tun? Kluge und die Grimms sagen: In religiös­er Hin­sicht kaum etwas.

die deu­tung von gr. bleibt umstrit­ten, doch ist der name sichtlich eher volk­sthüm­lichen als kirch­lichen gepräges (DWB)

Bei­de bieten als mögliche Erk­lärung an, dass es Brauch war, an diesem Tag (grüne) Kräuter zu essen:

das reich und vielfältig entwick­elte brauchthum am gr., der genusz heil­brin­gen­der kräuter, das grün­don­ner­stag­sei (ant­laszei), der gr. als ter­min der säens und pflanzens u. s. w., […], läszt wie bei ostern an einen nach­hall vorchristlich­er übung denken; ob ihm, wie HOLTZMANN […] ver­mutet, ein Donars­fest im mai zugrunde liegt, bleibt uner­weis­lich (DWB)

Ist die schöne The­o­rie vom Greinen also wirk­lich nicht zu ret­ten? Muss der Grün­don­ner­stag den Hei­den über­lassen wer­den? In den kryp­tis­chen Lit­er­at­u­rangaben Kluges find­et sich doch noch ein Mini­hin­weis auf eine alter­na­tive Ety­molo­gie mit einem ganz ähn­lich klin­gen­den Wort – momen­tan habe ich aber keine Zeit (Habe ich erwäh­nt, dass ich sche­in­frei bin?), die entsprechen­den Zeitschriften und Büch­er herauszusuchen:

HWDA 3 (1931), 1186 f. Anders (Umdeu­tung von ahd. grun stm./stf. ‘Jam­mer, Unglück’): H. Jeske SW 11 (1986), 82–109; LM 4 (1989), 1752 f.”

Let­ztlich bleibt also rät­sel­haft, wie der Tag zu sein­er Farbe kam. Ich habe mich mal in anderen Sprachen Europas umge­se­hen um her­auszufind­en, was noch als Benen­nungsmo­tiv dienen kann:

  • ‘heiliger Don­ner­stag’: Spanisch (Jueves San­to), Ital­ienisch (giovedì san­to), Franzö­sisch (jeu­di saint), Rus­sisch (свято́й четве́рг)
  • großer Don­ner­stag’: Pol­nisch (Wiel­ki Czwartek), Ungarisch (Nagyc­sütörtök), Est­nisch (Suur nel­japäev), Rumänisch (Joia Mare)
  • weißer Don­ner­stag’: Nieder­ländisch (Witte Don­derdag) – wahrschein­lich wegen der litur­gis­chen Farbe Weiß.
  • Fußwaschungs­don­ner­stag’: Englisch (Maun­dy Thurs­day)
  • Reini­gungs­don­ner­stag’: Schwedisch (Skär­tors­da­gen), Nor­wegisch (Skjær­tors­dag), Dänisch (Skær­tors­dag) – schwed. skära und seine Entsprechun­gen heißen eigentlich ‘schnei­den’, haben hier aber wohl eine andere Bedeu­tung.

Aber der grüne Don­ner­stag ist doch nicht ganz einmalig:

  • Tschechisch: Zelený čtvrtek. Die tschechis­che Wikipedia sug­geriert irgen­deine Art von deutschem Ein­fluss (inklu­sive greinen), aber mehr kon­nte ich nicht errat­en. Wenn hier jemand Tschechisch kann … [break­ing news: Meine Fre­undin Esther hat’s über­set­zt: Der zitierte Bischof behauptet tat­säch­lich, es käme vom deutschen Grein­don­ner­stag, der durch Lautver­tauschung zum Grün­don­ner­stag gewor­den sei. Quellen gibt er dazu aber keine an, es ist also Vor­sicht geboten. Auch lustig: In Tschechien scheint man am Grün­don­ner­stag tra­di­tionell Spinat zu essen.]
  • Rumänisch: Joia Verde. Ist neben Joia Mare (s.o.) in meinen Wörter­buch angegeben. Ich kön­nte mir einen deutschen Ein­fluss über die Sieben­bürg­er Sach­sen gut vorstellen, will mich aber nicht zu weit aus dem Fen­ster lehnen.

Beze­ich­nun­gen in weit­eren Sprachen her­zlich willkom­men! Jens ja Lin­da, wie ist es mit Finnisch? Ich bilde mir ein, die Wort­gren­ze gefun­den zu haben (Kiiras|torstai), komme aber man­gels Struk­tur­wis­sen nicht auf die Nen­n­form des Erstglieds.

[Surftipp] Duden-Newsletter

Von Kristin Kopf

Die Duden-Sprach­ber­atung schreibt alle zwei Wochen einen Newslet­ter zu ver­schiede­nen sprach­be­zo­ge­nen The­men – seien es Gram­matik, Ety­molo­gie, Zweifels­fälle, Sprach­wan­del, Redewen­dun­gen, … eine unter­halt­same Mis­chung, die zudem den Vorteil hat, nicht täglich die Mail­box zu ver­stopfen (deshalb habe ich z.B. das “Word of the day” des OED wieder abbestellt). 2009-04-07-dudennewsletter1

O Herz Jesu, meine Kasus!

Von Kristin Kopf

Lateinis­che Wörter im Deutschen wer­den oft gnaden­los assim­i­liert. Zwar beste­hen Sprach­fa­natik­er häu­fig auf den “kor­rek­ten” Plur­al (Prak­ti­ka, Visa, oder aus meinem All­t­ag – und ich muss zugeben, dass ich da auch ein bißchen präskrip­tiv ver­an­lagt bin – Tem­po­ra, Kasus, Gen­era, Sim­plizia, …), aber was bet­rifft die anderen Kasus? (Ja, Kasus. Mit langem uuu­u­uu. Eigentlich vol­lkom­men abar­tig, so etwas im Deutschen beizubehalten.)

Wie gut, dass ich das “Studi­um Lat­inum” im Som­mer 2005 in mein­er ersten Euphorie nicht direkt verkauft habe. Ein bißchen was zu lateinis­chen Sub­stan­tivk­lassen. Ich mach’s kurz, versprochen!

Stimuli für Tempora

Also … jedes lateinis­che Sub­stan­tiv gehört in eine “(Deklinatinons-)Klasse”, auch oft verkürzt “Dek­li­na­tion” genan­nt. Diese Klasse bes­timmt über die Flex­ion­sendun­gen in den Kasus, also Nom­i­na­tiv, Gen­i­tiv und­soweit­er. Alle Sub­stan­tive ein­er Klasse ver­hal­ten sich gle­ich. Es gibt die a‑, i‑, u‑, e- und o‑Deklination (let­ztere gle­ich dop­pelt, ein­mal für Maskuli­na, ein­mal für Neu­tra), die kon­so­nan­tis­che, die gemis­chte und die aus aus Par­tizip­i­en beste­hende (wie amâns ‘Lieben­der’).

Und es gibt ein Prob­lem: Viele der Flex­ions­for­men ähneln sich sehr. Die beliebte lat. Endung -us, eine Endung für masku­line Wörter, find­et sich z.B. im Nom­i­na­tiv dreier Klassen.

Betra­chtet man daher Wörter wie Tem­pus, Genus, Kasus, Jesus, Exo­dus, Exi­tus, Koi­tus, … sehen sie ober­fläch­lich betra­chtet alle gle­ich aus – aber dahin­ter lauert das Grauen: Sie gehören alle zu unter­schiedlichen Klassen. Seht und staunt (vor allem, dass ich HTML-Tabellen machen kann!):

kons. Dekl. o‑Dekl. (m) u‑Dekl.
Sg. Nom. genus genius casus
Gen. generis geniî casûs
Dat. generî geniô cas
Akk. genus genium casum
Abl. genere geniô casû
Pl. Nom. genera geniî casûs
Gen. generum geniôrum casuum
Dat. generibus geniîs casibus
Akk. genera geniôs casûs
Abl. generibus geniîs casibus

-us und -i forever

Beson­ders beliebt scheint die o‑Klasse zu sein: Dass man aus lateinis­chen Wörtern, die auf -us enden, Plu­rale machen kann, die auf -i enden, weiß jedes Kind. (Modus Modi, Alum­nusAlum­ni, Stim­u­lusStim­uli, …) Vielle­icht wird dieser i‑Plural auch zusät­zlich noch durch ital­ienis­che Wörter gestärkt, die eine ziem­lich feste Kor­re­spon­denz oi aufweisen (Cel­loCel­li, Espres­soEspres­si, …) – aber das ist jet­zt freie Spekulation.

Auf jeden Fall wird das Wis­sen um den i-Plur­al häu­fig über­gen­er­al­isiert und es entste­hen Geni, Kasi oder Tem­pi – let­zteres gibt es sog­ar, aber als Plur­al zu Tem­po (aus dem Ital­ienis­chen). Um solche Bil­dun­gen zu umge­hen, muss man für jedes lateinis­che Wort extra den Plur­al ler­nen. Das gelingt uns zwar bei deutschen Wörtern ziem­lich prob­lem­los, aber die Wörter lateinis­ch­er Herkun­ft sind so infre­quent, dass ihre Plu­rale ein­fach zu sel­ten vorkom­men um sie sich wirk­lich zu merken. Wir müssten ja nicht nur die drei erwäh­n­ten Klassen ler­nen, son­dern auch noch alle anderen oben erwäh­n­ten. Und dann muss man natür­lich auch noch wis­sen, für welche Wörter lateinis­chen Ursprungs das nicht mehr gilt, denn viele haben ja mit­tler­weile einen “deutschen” Plur­al erhal­ten, wie Globus Globen.

Men­schen, die bei lateinis­chen Wörtern falsche Plu­rale bilden, wer­den oft verspot­tet und für min­der intel­li­gent gehal­ten. Das ist natür­lich Quatsch. Eigentlich ist das, was sie machen, viel span­nen­der als das, was wir braven Pro­duk­te bil­dungs­bürg­er­lich-human­is­tis­ch­er Erziehung nach­plap­pern: Sie suchen Muster und wen­den sie an. Das nen­nt man “Analo­gie”, und sie war und ist ein treiben­der Fak­tor in vie­len, vie­len Sprachwandelprozessen.

Warum nur ein lateinischer Plural?

Außer­dem, und jet­zt komme ich zum eigentlichen The­ma, ist die Gren­ze, die wir da ziehen, ziem­lich willkür­lich. Wie viel Latein braucht ein Wort lateinis­chen Ursprungs? Wir benutzen den Nom­i­na­tiv Sin­gu­lar für alle Sin­gu­lar­for­men und den Nom­i­na­tiv Plur­al für alle Pluralformen:

(1) Das Genus des Genus ist kein Genuss. [Nom, Gen]

(2) Ich helfe Dir mit dem Genus. [Dat]

(3) Ich kenne das Genus von Genus nicht. [Akk]

(4) Die Gen­era sind mir unbekan­nt. [Nom]

(5) Ich bedi­ene mich der Gen­era, weil ich es kann. [Gen]

(6) Mit den Gen­era tue ich mich schw­er. [Dat]

(7) Ich kenne die Gen­era viel­er Wörter nicht. [Akk]

Gin­ge es nicht noch orig­i­naler? Warum sollte man sich darauf beschränken, den lateinis­chen Plur­al zu benutzen, kann man nicht auch die anderen Kasus verwenden?

(1) Das Genus des Generis ist kein Genuss. [Nom, Gen]

(2) Ich helfe Dir mit dem Generi. [Dat]

(3) Ich kenne das Genus von Genus nicht. [Akk]

(4) Die Gen­era sind mir unbekan­nt. [Nom]

(5) Ich bedi­ene mich der Gen­erum, weil ich es kann. [Gen]

(6) Mit den Gen­eribus tue ich mich schw­er. [Dat]

(7) Ich kenne die Gen­era viel­er Wörter nicht. [Akk]

Dass das nicht passiert, ist irgend­wo erk­lär­lich: Es würde zu unseren nor­malen Sub­stan­tivk­lassen noch viele weit­ere hinzufü­gen, die wir extra für Fremd­wörter ler­nen müsste. So ein Stress! Das Sprach­sys­tem würde unglaublich aufge­bläht, der prak­tis­che Nutzen wäre aber gering.

Es gibt im Deutschen viele ver­schiedene Möglichkeit­en der Plu­ral­bil­dung (Hüte, Tage, Hämmer, Lämmer, Autos, Wagen, Pfannen, …), da fällt es nicht so auf, wenn noch ein paar lateinis­che Endun­gen dazus­toßen, das Sys­tem ist eh schon zer­split­tert. Zur Dek­li­na­tion von Sub­stan­tiv­en hinge­gen gibt es nur sehr begren­zte Mit­tel: Entwed­er sie ist stark (der Hut, des Huts, dem Hut, den Hut) oder schwach (der Löwe, des Löwen, dem Löwen, den Löwen). Es gibt ein paar Unregelmäßigkeit­en, aber die sind kaum der Rede wert. Ein Sys­tem also, in dem sich irgendwelche anderen Flex­ion­sendun­gen viel schlechter ver­steck­en können.

Christi Ausnahmeregelung

Aber … es gibt ein Gegen­beispiel. In einem Bere­ich hängt man ganz enorm an den lateinis­chen Flex­ion­sendun­gen. Na wo schon? Klar, in der Kirche! Ganz beson­ders in fes­ten Aus­drück­en sind sie beina­he Pflicht:

(8) Christi Him­melfahrt, Pas­sion Christi, Herz Jesu, Mariä Verkündi­gung, Mariä Him­melfahrt1, Lob sei dir, o Christe!

Aber auch in der son­sti­gen Ver­wen­dung tauchen sie immer wieder auf. Jesus ist u‑Deklination, Chris­tus o‑Deklination:

(9) Gen­i­tiv

a) Leben, Tod und Aufer­weck­ung Jesu (Quelle)

b) Christi Him­melfahrt […] beze­ich­net im Chris­ten­tum den Glauben an die Rück­kehr Jesu Christi als Sohn Gottes zu seinem Vater in den Him­mel. (Quelle)

(10) Dativ2

a) Erlö­sung von Jesu Chris­to (ein Buchti­tel von 1957 – Quelle)

b) die Wiederkehr und per­sön­liche Erschei­n­ung Jesu Chris­to mit seinen Heili­gen und den Engeln sein­er Macht auf die Erde. (in einem Lehrbuch von 1924 Quelle)

(11) Akkusativ

a) in Jesum Chris­tum wurde uns die Möglichkeit gegeben die [Ur]Sünde zu über­winden um dem Kreis­lauf von Tat und Tat­nach­folge zu entkom­men (Quelle) (wahrsch. ist in hier die lat. Präposition)

b) nicht das Seinige getan hat zur Erhal­tung des Glaubens an Jesum Chris­tum als Sohn Gottes. (1938, Quelle)

Während die Dek­li­na­tion in den anderen Kasus eher sel­ten genutzt wird und es ziem­lich schwierig war, einiger­maßen aktuelle Beispiel­sätze zu find­en, ist sie für den Gen­i­tiv extrem üblich. Mein Duden (1996) gibt Jesu Christi sog­ar als einzig möglichen Gen­i­tiv an, für Dativ und Akkusativ lässt er Alter­na­tiv­en offen.

Alte Kirchen­lieder und Gebete sind eine wahre Fund­grube, dort gibt es sog­ar den Voka­tiv wie bei Lob sei dir, o Christe!3 Das ist ein Extraka­sus zur Anrede, so etwas gibt es im Deutschen eigentlich über­haupt nicht.

Dass sich das Kirchen­deutsch so ver­hält, ist aber nicht ver­wun­der­lich: Viele der Lied­texte, Gebete und auch die Bibelüber­set­zung selb­st sind viele hun­dert Jahre alt und wur­den meist kaum verän­dert weit­ergegeben. Da sie Vor­bilder für weit­ere Textpro­duk­tion und auch die gesproch­ene Sprache waren, wurde die lateinis­che Flex­ion lange Zeit beibehal­ten. Bes­timmt mit­ge­holfen hat auch die hohe Fre­quenz von Jesus Chris­tus, denn bei Wörtern, die sehr oft benutzt wer­den, behält man Unregelmäßigkeit­en eher bei als bei sel­te­nen Wörtern. Und ist ja auch irgend­wo cool, die zen­trale Per­son ganz anders zu behan­deln, auch sprachlich.

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