Legosexismus

Von Anatol Stefanowitsch

Ich wollte heute für meine Töchter Legomän­nchen kaufen, und musste die erschreck­ende Fest­stel­lung machen, dass diese mit über­wälti­gen­der Mehrheit genau das sind: Män­nchen. Es gab über­haupt nur drei weib­liche Legofig­uren: eine junge Dame in einem spießi­gen geblümten Oberteil, die auf ein­er Bank sitzt und Musik aus einem Ghet­to­blaster hört (Erde an Lego: Bitte ein­mal „iPod“ googeln), eine Tochter aus gutem Hause, die auf einem Pferd neben einem lan­drover­ar­ti­gen Auto mit Pfer­dean­hänger sitzt, und eine Milch­magd mit ein­er Kuh auf einem Bauern­hof. Let­ztere ist im Lego-Uni­ver­sum — oder dem Teil, der ger­ade beim näch­sten Karstadt herum­ste­ht — die einzige Frau, die ein­er Beschäf­ti­gung nachge­ht. Alle anderen Beruf­stäti­gen sind Män­ner: von Sach­bear­beit­ern mit Aktenkof­fer über Piloten, Inge­nieure, Polizis­ten, Feuer­wehrmän­ner, Bauar­beit­er und Müllmän­ner bis zu Pirat­en und futur­is­tis­chen „Pow­er Miners.“

[Hin­weis: Der fol­gende Text enthält Beschrei­bun­gen ras­sis­tis­ch­er Stereo­type und (durch Sternchen entschärfte) Beispiele ras­sis­tis­ch­er Sprache. Einige Kom­mentare enthal­ten Beispiele ras­sis­tis­ch­er Sprache.] Weit­er­lesen

[Lesetipp] Mein Name ist Hasentochter

Von Kristin Kopf

Bei der FAZ gab’s am Dien­stag einen schö­nen Artikel zu Namenge­bung in Island: Egils Töchter und Hel­gas Sohn.

In Island trägt man näm­lich nor­maler­weise keinen Fam­i­li­en­na­men, son­dern einen Vaters- oder Mut­ter­sna­men. An den Vor­na­men eines Eltern­teils (früher war es immer der Name des Vaters, mit­tler­weile ist auch der der Mut­ter möglich) wird ein­fach -dót­tir ‘-tochter’ bzw. -son ‘-sohn’ ange­hängt. Einen solchen Namen beze­ich­net man als “Beina­men”.

Zur all­ge­meinen Ver­wirrung habe ich ein Schema gebastelt, das die möglichen Kom­bi­na­tio­nen darstellt. Oben die Eltern (der Über­sichtlichkeit hal­ber ohne Beina­men), unten die Kinder (Hel­ga und Rag­nar sind ihre Ruf­na­men). Die Pfeile von den Vor­na­men der Kinder aus zeigen an, dass das Zweit­glied des Beina­mens durch das Geschlecht bes­timmt wird (was ja eigentlich logisch ist):

2009-05-isl

Im Tele­fon­buch sind die Islän­der unter ihren Vor­na­men zu find­en. Möglich ist das natür­lich nur, weil Island so über­schaubar ist – Fam­i­li­en­na­men ent­standen näm­lich in den meis­ten Län­dern als Reak­tion auf die wach­senden Bevölkerungszahlen.

Der Artikel erk­lärt auch, was passiert, wenn Aus­län­der Islän­der wer­den wollen, warum manche Islän­der doch einen Fam­i­li­en­na­men haben und was es mit den “Mit­tel­na­men” auf sich hat. Lesenswert!

Kreuzchentests

Von Anatol Stefanowitsch

Ich bin mit mein­er monatlichen Würdi­gung der Aktion Lebendi­ges Deutsch und dem Wort des Monats dies­mal spät dran. Die vier alten Her­ren haben ihre Auf­gabe dies­mal bess­er bewältigt als man es in let­zter Zeit von ihnen gewohnt war. Die vorgeschla­ge­nen Alter­na­tiv­en sind nicht völ­lig daneben und das aktuelle Such­wort ist eins, bei dem einem wenig­stens nicht gle­ich eine offen­sichtliche deutsche Entsprechung in den Sinn kommt: Weit­er­lesen

Ein Rohling muss kein Wüstling sein

Von Kristin Kopf

Das ver­sproch­ene zweite Com­put­er­wort − dies­mal viel alltäglich­er: Rohling. Eine unbeschriebene CD oder DVD. Ich kenne das Wort schon ewig und habe noch nie darüber nachgedacht, aber kür­zlich war mir med­i­ta­tiv zumute:

Rohling ist eine Wort­bil­dung auf -ling wie Abkömm­ling, Erstling, Son­der­ling, Gün­stling, Däum­ling, Schädling, Flüchtling

Wen mögen die Linge?

Das Suf­fix -ling sorgt dafür, dass das Wort, an das es ange­hängt wird, ein Sub­stan­tiv wird. Dabei ist die Aus­gangs­ba­sis ziem­lich egal, das -ling gibt es bei vie­len Wortarten:

Sub­stan­tiv Hof Höfling
Adjek­tiv schwach Schwäch­ling
Verb saugen Säugling

(Wie man sieht, gibt es in der Regel Umlaut, wegen dem [i] in -ling.)

Wirklich jeden?

Jein. Sub­stan­tivierun­gen mit -ling gibt es zwar zu ver­schiede­nen Wor­tarten, aber ganz wichtig für die Zunei­gung der Linge ist natür­lich, welche Wor­tarten sie heute noch mögen. Neu­bil­dun­gen nach dem Muster von Häuptling oder Lehrling gibt es heute qua­si nicht mehr1, die Schwäch­linge hinge­gen blühen auf: Das Suf­fix kann mit­tler­weile (fast) nur noch an Adjek­tive treten. Der Duden-Newslet­ter gibt z.B. Naivling und Prim­i­tivling als Neuschöp­fun­gen an.

Und wer sind sie überhaupt?

Die Linge sind viel­seit­ig. Es gab sie schon im Althochdeutschen und sie bilde­ten damals laut Kluge “Zuge­hörigkeitssub­stan­tive”. Der Häftling gehört also in die Haft, der Hän­fling in den Hanf, der Fremdling in die Fremde und der Fäustling an die Faust. Jagut. Sehr allgemein.

Die Bil­dun­gen gehen auf ein -ing zurück, z.B. in edil+ing, lant­sidil+ing ‘Land­sasse’. Das l im Aus­laut solch­er Wörter wurde dann als Teil der Endung reanalysiert, -ing wurde zu -ling.

Die ent­stande­nen Sub­stan­tive sind größ­ten­teils Men­schen (Sprössling, Liebling, Fremdling, Ein­drin­gling, Zögling), es sind aber auch Tiere dabei (Schmetter­ling, Frischling, Nestling, Sper­ling), gele­gentlich Pflanzen (Pfif­fer­ling < mhd. pfef­fer­linc zu Pfef­fer, Schößling, Schier­ling < ahd. sker­il­ing zu *skar­na- ‘Mist’) und sog­ar Dinge (Schilling, Fäustling) und Abstrak­ta (Früh­ling).

Linge sind doof!

Die heute noch pro­duk­tiv­en Sub­stan­tive auf -ling sind i.d.R. abw­er­tende Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen (fast auss­chließlich für Män­ner ver­wend­bar), meis­tens sucht man sich für sie auch gle­ich neg­a­tive Basen aus, wie Aggres­sivling, Auf­drin­gling, …

Diese neg­a­tive Wer­tung ist sehr stark, es gibt keine pos­i­tiv­en neuen Linge. Das böse Vorurteil wird aber natür­lich nicht von allen älteren Bil­dun­gen geteilt, die Beze­ich­nun­gen für Nicht-Men­schen sind neu­tral, die für Men­schen kön­nen neg­a­tiv sein, müssen es aber nicht. (Ein net­ter Dia­log zum The­ma.) Vielle­icht ist die abw­er­tende Bedeu­tung über den Zwis­chen­schritt der Verkleinerung ent­standen (wie bei Säugling oder auch den Tier­jun­gen – Frischling – oder kleinen Tieren – Sper­ling, Bläul­ing). Wein­rich et al. (2003) sind der Mei­n­ung, dass die neg­a­tive Bedeu­tung zunächst nur im neg­a­tiv­en Adjek­tiv steck­te und von dort aus qua­si auf die Endung überg­ing, die sich dann auch an neu­trale Wörter hän­gen kon­nte, um sie schlecht zu machen: Schreiber­ling. Lei­der erschöpfen sich meine kur­sorischen Nach­forschun­gen aus Zeit­grün­den hier.

Ist ein Rohling brutal?

Jet­zt aber endlich zur unbeschriebe­nen CD! Das Wort Rohling gab es schon lange vor den CDs in Nicht-Com­put­erbe­deu­tung, und zwar gle­ich doppelt:

  1. ein bru­taler Mensch
  2. Guß- oder Schmiede­teil, der zum Werk­stück weit­er­ver­ar­beit­et wird.” (aus: Das neue Taschen­lexikon in 20 Bän­den, 1992)

Hier ist schön zu erken­nen, dass das Wort ein­mal neg­a­tiv ist (wenn es einen Men­schen beze­ich­net) und ein­mal neu­tral (bei einem Ding).

Ob die bei­den Bedeu­tun­gen auf eine Ursprungs­form zurück­ge­hen (d.h. von einem Objekt auf einen Men­schen über­tra­gen), kon­nte ich nicht her­aus­find­en, sie kön­nen dur­chaus unab­hängig voneinan­der gebildet wor­den sein. Grimms Wörter­buch ken­nt nur den groben Men­schen (und gle­ich­namige Pilze und Frösche), was aber wegen der tech­nis­cheren Beze­ich­nung des Met­all­teils nicht viel heißen muss:

RÖHLING, m., auch rohling, homo rud­is, gebildet wie frischling, neul­ing. bei MAALER der ihm eige­nen form rouw entsprechend röuwl­ing (der) ferus (vgl. roh I): die witwe merk­te wohl, wo es den rohling drück­te. KLINGER 6, 215;

Trotz Unergiebigkeit der Lit­er­atur (Das Taschen­lexikon ken­nt ihn noch nicht, Wikipedia ist ungewöhn­lich kurz ange­bun­den und Kluge gibt erst recht nichts her) wage ich es zu behaupten, dass der CD-Rohling wohl von der zweit­en Bedeu­tung herkommt. Eben­so wie das Met­all­teil ist die unbeschriebene CD für unsere Zwecke “form­bar” und erhält erst so ihre Bedeu­tung. Erscheint mir sehr plau­si­bel. Auch wenn die gewalt­tätige Erk­lärung irgend­wie schön­er wäre.

Welche Linge ken­nt Ihr?

Weit­er­lesen

Viermal Anglizismen

Von Anatol Stefanowitsch

Die Neue West­fälis­che hat das Wort Back-Fac­to­ry ent­deckt:

Noch ver­rück­ter, wenn Deutsch und Englisch ver­mis­cht wer­den zu Denglisch. So hat der Mann lange Zeit an ein­er großen Bäck­erei in einem Nach­barort den Namen Back­fac­to­ry gele­sen. Im Laden hat er nach der „Rück­en­fab­rik“ gefragt. Kopf­schüt­teln war das Ergebnis.

Kopf­schüt­teln auch von mir, darüber, dass die Neue West­fälis­che jeman­den bezahlt, um diese olle Kamelle der Sprach­nör­gler zum drei­hun­dert­sten Mal zu ver­wursten. Weit­er­lesen

Ein paar Krümel …

Von Kristin Kopf

… fürs Sch­plock. Ich mache momen­tan ein Prak­tikum und bin kaum noch zuhause, geschweige denn in der Bib­lio­thek, was alle laufend­en Sch­plock-Pro­jek­te etwas verzögert.

Heute nur ein Wort, das ich bei der Arbeit aufgeschnappt habe: Brotkru­menpfad, eine direk­te Über­set­zung von bread­crumb trail. Was wiederum inspiri­ert vom deutschen Vor­bild ist, auch wenn der Aus­druck im Märchen nicht auf­taucht (“Wart nur, Gre­tel, bis der Mond aufge­ht, dann wer­den wir die Brot­bröck­lein sehen, die ich aus­gestreut habe, die zeigen uns den Weg nach Haus”).

Wenn man den Kon­text berück­sichtigt − es ging um eine Inter­net­seite − erschließt sich ziem­lich leicht, was gemeint ist:

2009-05-07-brotkrumen1Selt­sam nur, dass die Brotkru­menpfade als sin­nvolle Nav­i­ga­tion gese­hen wer­den, im Märchen ging das ja voll daneben.

Die englis­che Wikipedia weiß übri­gens, dass die Grimm­schen Märchen auch im englis­chen Sprachraum nicht mehr so oft gele­sen zu wer­den scheinen:

Some com­men­ta­tors and pro­gram­mers alter­na­tive­ly use the term “cook­ie crumb” (or some vari­ant) as a syn­onym to describe the pre­vi­ous­ly men­tioned nav­i­ga­tion tech­nique, but this usage is con­sid­ered incor­rect and most like­ly rep­re­sents a lin­guis­tic cor­rup­tion of the orig­i­nal ‘bread­crumb’ metaphor.”

Hät­ten die Eltern von Hänsel und Gre­tel Geld für Kekse gehabt, wäre das ja alles eh nie passiert …

Das näch­ste Mal geht es um einen weit­eren Begriff aus der Com­put­er­welt. Aber vorher muss ich meine Ken­nt­nisse in deutsch­er Wort­bil­dung noch etwas auffrischen.

[Lesetipp] Rudi Keller über Sprachwandel

Von Kristin Kopf

Rudi Keller, seines Zeichens Entlehn­er der The­o­rie der unsicht­baren Hand in die Lin­guis­tik, hat der Süd­deutschen vor fast einem Jahr ein Inter­view gegeben. (Gefun­den hier.) Es geht, natür­lich, um Sprach­wan­del. Ich finde es eher so lala, vieles wird nur angeris­sen und bleibt dann kon­text­los ste­hen, aber die Grund­hal­tung ist mir sym­pa­thisch. Nur dass er davon spricht, dass die Sick-Leser i.d.R. nicht dazu in der Lage sind, das, was sie lesen, “umzuset­zen”, jagt mir einen kalten Schauer den Rück­en hin­unter. Herr bewahre uns!

Schade übri­gens, dass bei vie­len Leuten nur wenig angekom­men zu sein scheint, viele Kom­mentare klin­gen so, als seien nur die Zwis­chenüber­schriften gele­sen worden …

2009-05-04

Der ange­sproch­ene Auf­satz Kellers (von 2004) find­et sich übri­gens hier, darin wer­den fast alle im Inter­view ange­sproch­enen Punk­te aus­führlich­er behan­delt, dies­mal ohne die Ele­mente, die mir am Inter­view mißbe­ha­gen. Wis­senschaftlich gese­hen ist es Fast Food (leicht ver­daulich & nichts Neues), aber als all­ge­mein­ver­ständliche Darstel­lung ist es abso­lut zu empfehlen.

Pink und Rosa

Von Anatol Stefanowitsch

Gestern auf dem Spielplatz. Eine Unte­hal­tung zwis­chen einem Mäd­chen und einem Jun­gen, bei­de etwa acht Jahre alt:

Sie: Find­est du ein pinkes Fahrrad bess­er, oder ein rosanes?

Er: Pink ist das­selbe wie Rosa.

Sie: Äh-äh, ist es über­haupt nicht.

Er: Doch, pink ist nur das englis­che Wort für „Rosa“.

Sie: Ja, aber es ist trotz­dem nicht dasselbe.

Er: Was ist denn der Unterschied?

Sie: Es sind zwei ver­schiedene Farben.

Er: Welche denn?

Sie: Pink ist so ’ne Art Neon­dunkel­rosa. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll.

(Zeigt auf ihren Gürtel)

Pink und Rosa

Pink und Rosa

Hier, das hier ist Pink (zeigt eine Farbe, die unge­fähr Bild 1 entspricht), und das hier ist Rosa (zeigt eine Farbe, die unge­fähr Bild 2 entspricht).

Er: Hä? Das ist doch bei­des Rosa.

Dieses Gespräch (das ich hier etwas verkürzt drama­tisiert wiedergegeben habe) war aus gle­ich drei Grün­den inter­es­sant. Weit­er­lesen

[Lesetipp] Luca und Leonie in Love

Von Kristin Kopf

2009-05-01-lucaleonieHeute mal wieder ein Link- und Lesetipp, dank einem Offline-Tipp von Luise: Luca und Leonie in Love.
Es geht um die Androg­y­nisierung von Ruf­na­men1 im Deutschen, d.h. das Phänomen, dass sich männliche und weib­liche Vor­na­men immer ähn­lich­er wer­den. Frau Nübling (Vor­name: Damaris) hat es unter­sucht und ein Jour­nal­ist (Vor­name: Alfons) hat einen wirk­lich lesenswerten Artikel draus gemacht, Respekt! Es wer­den sog­ar Dinge wie die Sonorität­shier­achie erklärt

(So sieht sie Vokale und Kon­so­nan­ten auf einem phonetis­chen Kon­tin­u­um, auf dem stimmhafte Dauer­laute wie „l“, „m“, „n“, „j“, weil sie weich­er klin­gen, den Vokalen näher ste­hen als die stimm­losen Plo­sive „p“, „t“, „k“),

und ansatzweise2 auch Silbenstrukturen

(Die lieblichen Laute ste­hen auch nicht mehr so oft neben anderen Kon­so­nan­ten (wie das „l“ in Elke), son­dern kön­nen sich zwis­chen Vokalen (wie das „l“ in Julian) oder vor Vokalen (wie das „l“ in Leah) laut­lich viel freier ent­fal­ten. […] Zudem bestätigt die Liste, dass Kon­so­nan­ten­clus­ter — wie bei den ersten bei­den Buch­staben von Brigitte — am Ausster­ben sind).

Nach all den lang­weili­gen Top-Ten-des-Jahres-Artikeln, die ich im Laufe meines Lebens lesen musste, ist das echt mal was anderes.

Weit­er­lesen

Von Dongeln und Deppen

Von Anatol Stefanowitsch

Wer dachte, nur die lang­weili­gen alten Män­ner vom VDS wür­den sich über neu­modis­che Anglizis­men aufre­gen, hat sich getäuscht: auch die lang­weili­gen alten Män­ner von der Britis­chen „Plain Eng­lish Cam­paign“ regen sich über Wörter auf, die sie nicht ver­ste­hen. Und die lang­weili­gen alten Män­ner von der BBC schreiben einen ver­wirrten Artikel darüber: Weit­er­lesen