Geschichten vom Ferd

Von Kristin Kopf

Lietu­vis hat in einem Kom­men­tar zum Pfin­g­sten-Beitrag fol­gende Bemerkung gemacht:

Im Nord­deutschen ist anlau­t­en­des /pf/ auch zu /f/ gewor­den, ich kenne nie­man­den, der einen Unter­schied zwis­chen “Pfund” und “Fund” macht (bei­des /fund/), oder zwis­chen “Pferd” und “fährt” […]”

In dem Beitrag ging’s darum, dass west­ger­man­is­ches /p/ im Althochdeutschen zu /pf/ wurde. Allerd­ings haupt­säch­lich im Süden des Sprachge­bi­ets. In Mit­teldeutsch­land kon­nte sich in eini­gen Posi­tio­nen das /p/ hal­ten und im niederdeutschen Gebi­et sind dialek­tal über­haupt keine /pf/s zu find­en. (Wenn das zu ver­wirrend klingt: Im ange­sproch­enen Beitrag ist es noch ein­mal aus­führlich erklärt.)

Pferd oder Ferd? Oder Pony?

Pferd oder Ferd? Oder Pony?

Ich kenne das Ferd-Fänomen auch, habe allerd­ings noch nie darüber nachgedacht, wo und wie es ent­standen ist. Glück­lich- und zufäl­liger­weise kon­nte ich kür­zlich nach Monat­en der Suche der “Deutschen Mundartkunde” von Schir­mun­s­ki (1962) hab­haft wer­den und habe gle­ich mal nachgeblättert …

Wo? Das Ferbreitungsgebiet

Im ost­mit­teldeutschen Gebi­et (“hin­ter Kas­sel”) sagt man dialek­tal im Anlaut (und nur! im Anlaut) f-, wo man im Hochdeutschen pf- sagt. Nach Süden stellt die Lin­ie Meinin­gen – Rudol­stadt – Greiz – Zwick­au – Chem­nitz – Freiberg – Dres­den die Gren­ze zum pf-Gebi­et dar. Word­Press will nicht, dass ich hier eine Karte ein­füge, aber ich habe sie natür­lich trotz­dem gebastelt: Guckt hier! (Die Lin­ie im Osten ist die pf-vs.-f-Lin­ie, die im West­en die pf-vs.-p-Lin­ie, wobei ich bei let­zter­er keine beson­ders belast­baren Dat­en in Form von Ort­sna­men hat­te, das werde ich mod­i­fizieren, sobald ich wieder bei meinen Büch­ern bin.)

Aber auch im niederdeutschen Sprachge­bi­et, also ganz im Nor­den, kommt f- vor. Über den Orts­di­alekt von Stolzen­hain, also im Gren­zge­bi­et zwis­chen Ost­mit­teldeutsch und Niederdeutsch, schreibt (Schir­mun­s­ki 1962:291):

Das anlau­t­ende pf- wird in ein­er Rei­he von Wörtern, wie gewöhn­lich bei Ein­wirkung der hochdeutschen Norm auf eine niederdeutsche mundartliche Grund­lage (im gegebe­nen Fall aber vielle­icht auch unter unmit­tel­barem Ein­fluß der ost­mit­teldeutschen Aussprache), durch f- erset­zt, z.B. fen ‘pfeifen’ (neben dem alten pipen), fen­nik ‘Pfen­nig’, fund ‘Pfund’, féršike ‘Pfir­siche’, aber pef­fer.”

Das Phänomen scheint also beim Vari­etäten- bzw. Sprachkon­takt mit pf- vs. p- als Kom­pro­miss aufzutreten.

Lei­der habe ich keine aktuelle Karte gefun­den, die anzeigt, wie ver­bre­it­et das Phänomen im West­en ist – also ob es in der heuti­gen Umgangssprache bere­its im west­mit­teldeutschen Gebi­et ein­set­zt, oder erst weit­er nördlich, im niederdeutschen Gebi­et. Ich hoffe drauf, bei König im “Atlas zur Aussprache des Schrift­deutschen in der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land” was zu find­en, da werde ich rein­schauen, wenn ich das näch­ste Mal an der Uni bin.

Wie? Die Entstehung

Das ost­mit­teldeutsche Gebi­et war ursprünglich slaw­is­ches Sprachge­bi­et und wurde erst später von Sprech­ern deutsch­er Dialek­te besiedelt. Die kamen aus zwei Gegen­den: ein­mal aus Hes­sen (→ Thürin­gen → Sach­sen → Schle­sien) und ein­mal aus dem oberdeutschen Sprachge­bi­et (→ Main­tal → Vogt­land → Kur­fürsten­tum Meißen). Schir­mun­s­ki beze­ich­net das anlau­t­ende f- in diesem Gebi­et als “Merk­mal der Sied­lungsmis­chung”, also als Resul­tat aus der Ver­mis­chung der ver­schiede­nen Dialek­te. Ein Laut, den es so nicht gab, wurde durch einen ähn­lichen erset­zt. Her­aus­ge­fun­den hat das Herr Wrede, und Schir­mun­s­ki (1962:273) schreibt dazu:

[…] die den nördlichen deutschen Mundarten und damit einem Teil der Siedler fremde Affrikate pf- wurde durch den Reibelaut f- erset­zt, der in ihrem Laut­sys­tem jen­er am näch­sten stand. [Das] wird dadurch bestätigt, daß über­all auf dem Gebi­et der heuti­gen nieder- und mit­teldeutschen Mundarten, wo das mundartliche p- ver­drängt wird, sich in ursprünglich­er unvoll­ständi­ger Über­nahme der hochdeutschen lit­er­arischen Norm f- statt pf- aus­bre­it­et.”

Im niederdeutschen Gebi­et kön­nte am Gren­zge­bi­et zum Mit­teldeutschen die ost­mit­teldeutsche Aussprache an der Durch­set­zung des f- mit­gewirkt haben. Unab­hängig davon hat sich aber wahrschein­lich ein­fach der­selbe Prozess wie im Ost­mit­teldeutschen erneut vol­l­zo­gen, es wurde ein Kom­pro­miss zwis­chen dem Niederdeutschen und dem sich aus­bre­i­t­en­den Hochdeutschen geschlossen.

World of Voynich

Von Anatol Stefanowitsch

Das Voyn­ich-Manuskript ist ein geheimnisvolles Schrift­stück, das möglicher­weise aus dem 15. oder 16. Jahrhun­dert stammt. Es zeigt nicht-iden­ti­fizier­bare Pflanzen, Men­schen, Orte und möglicher­weise astrol­o­gis­che Dia­gramme und es ist in einem unbekan­nten Alpha­bet ver­fasst. Ob sich hin­ter diesem Alpha­bet eine unbekan­nte Sprache, ver­schlüs­sel­ter Text ein­er bekan­nten Sprache oder eine bedeu­tungslose Aneinan­der­rei­hung von Zeichen ver­birgt, darüber stre­it­et sich eine kleine Gruppe von Philolo­gen, Kryp­tolo­gen, Math­e­matik­ern, Infor­matik­ern und Lin­guis­ten seit fast hun­dert Jahren. Die Wikipedia hat einen schö­nen Überblick über die wichtig­sten Forsch­er und ihre The­o­rien, und wer ein biss­chen googelt, find­et noch viele mehr oder weniger vielver­sprechende Ansätze (z.B. Edith Sher­woods The­o­rie, dass der Text aus ital­ienis­chen Ana­gram­men besteht).

Meine per­sön­liche Mei­n­ung ist, dass es sich bei der „Sprache“ des Manuskripts entwed­er um bedeu­tungslose Zeichense­quen­zen han­delt und das ganze Manuskript eine Fälschung ist, oder, dass es eine ganz ein­fache Lösung gibt, die so offen­sichtlich ist, dass man sie als Experte über­sieht (Sher­woods Ansatz wäre ein Beispiel dafür). Aber auf die Lösung, die der unver­gle­ich­liche Ran­dall Munroe, a.k.a. xkcd, vorschlägt, wäre ich nicht gekom­men: Weit­er­lesen

Wir sind wir

Von Anatol Stefanowitsch

In einem Kom­men­tar zu meinem let­zten Beitrag wies Robert Jäger (#16) auf das indone­sis­che Pronomen kami hin und definierte dessen Bedeu­tung als „wir excl. des Sprech­ers“. Das war eigentlich nur ein Flüchtigkeits­fehler — das Pronomen sig­nal­isiert, wie mipela im Tok Pisin, den Auss­chluss des Hör­ers, nicht des Sprech­ers –, aber dieser Fehler hat eine inter­es­sante Diskus­sion darüber aus­gelöst, ob es tat­säch­lich eine Ver­wen­dung der ersten Per­son Plur­al geben kön­nte, die den Sprech­er auss­chließt. Weit­er­lesen

Heames trinkt Dajeeling

Von Kristin Kopf

2009-06-02-DababerAls der Empfänger des Amer­zon-Paketes und ich am Son­ntag Tee tranken, kon­nten wir noch nicht ahnen, was das Leben auf der Rech­nung für uns bere­i­thielt: Das Gegen­stück zum Hermes-Boten.

Wie bere­its erk­lärt, wird das /r/ im Deutschen oft fast wie ein [a] aus­ge­sprochen. Wenn vor dem /r/ aber bere­its ein [a] ste­ht, ver­schmilzt es qua­si mit ihm1:

(1) Rhabarber → Rhababer

Das nicht mehr hör­bare r wurde in diesem Fall entsprechend auch nicht geschrieben.

Ähn­lich, aber nicht ganz iden­tisch, ver­hält es sich mit

(2) Darjeel­ing → Dajeel­ing

Hier kön­nte wieder das deutsche Phänomen ver­ant­wortlich sein, es kann aber auch sein, dass wir die r-lose Aussprache schon mit dem Wort zusam­men entlehnt haben.

Der Name der Teesorte kommt von der gle­ich­nami­gen Region und Stadt in Indi­en (auf Deutsch <Dar­jil­ing> geschrieben). Die spricht man auch im Orig­i­nal, d.h. im Nepali, mit einem r-Laut aus: Bei Wikipedia hören. Auch ein amerikanis­chen Wörter­buch wie Mer­ri­am-Web­ster hat ein­deutig ein r dort.

Wir haben das Wort aber höchst­wahrschein­lich von den Briten über­nom­men – fragt sich also, wie es in Eng­land aus­ge­sprochen wurde und wird. Aha: ohne r (hier bei Youtube, 0:44).

Dafür gibt es einen ein­fachen Grund: “rho­tis­che” und “nicht-rho­tis­che” Vari­etäten. (Die Beze­ich­nung stammt vom griechis­chen Buch­staben Rho <ρ>, der unserem <r> entspricht.)

In rho­tis­chen Vari­etäten des Englis­chen wird das <r> immer aus­ge­sprochen, in nicht-rho­tis­chen Vari­etäten hinge­gen nur manch­mal. Und zwar immer dann, wenn es vor einem Vokal ste­ht, der zur sel­ben Silbe gehört: In rich wird es gesprochen (weil ein Vokal, das i, fol­gt), in guard aber nicht (weil ein Kon­so­nant, das d, fol­gt).

Dar­jeel­ing beste­ht nun aus drei Sil­ben: Dar|jee|ling. Das r ste­ht also am Sil­be­nende, nicht vor einem Vokal. Dementsprechend wird es in nicht-rho­tis­chen Vari­etäten des Englis­chen nicht aus­ge­sprochen. Und wie sind die jet­zt verteilt?

(Quelle: Wikipedia)

Es gibt zwar Gegen­den in den USA, wo man das /r/ nicht real­isiert (hier rot) … (Quelle: Wikipedia)

(Quelle: Wikipedia)

… und welche in Eng­land, wo man es real­isiert … (Quelle: Wikipedia)

… aber die Faus­tregel lautet: Im Stan­dard Amer­i­can Eng­lish über­all r, in der Received Pro­noun­ci­a­tion (dem Stan­dard­bri­tisch) nicht, genau­sowenig im aus­tralis­chen Englisch.

Man spricht davon, dass das r in Eng­land “ver­loreng­ing”. Die Amerikan­er hat­ten qua­si Glück, sie sind vor dem r-Ver­lust aus­ge­wan­dert und haben es entsprechend behal­ten. Die Sprech­er der US-Regio­nen ohne r haben es wahrschein­lich aus Pres­tige­grün­den abgelegt.

Viele Aus­tralier in spe hinge­gen kon­nten kein r mehr exportieren – sie stammten in erster Lin­ie aus Lon­don und Umge­bung, wo der Dialekt schon nicht mehr rho­tisch war. Durch die enge Bindung Aus­traliens an Großbri­tan­nien wurde die britis­che Aussprache als Norm ange­se­hen, wodurch das r natür­lich erst recht nicht mehr Fuß fassen konnte.

Alles klar?

Was ist jet­zt also mit dem Tee? Egal ob wir ihn britisch oder deutsch aussprechen, es wird ein Dajeel­ing draus und der Schreibfehler liegt auf der Hand. Nur die amerikanis­che Aussprache kön­nte sich­er davor schützen – ob sie einen Stil­bruch darstellt, soll aber lieber jemand anders entscheiden.

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Von Pentekoste zu Pfingsten: Die 2. Lautverschiebung schlägt zu

Von Kristin Kopf

Ah, endlich wieder ein kirch­lich­er Feiertag, der der Erläuterung bedarf. Fro­he Pfingsten!

Das Wort kommt von griechisch pen­tēkostē ‘fün­fzig­ster (Tag nach Ostern)’. Im Althochdeutschen gibt es keine belegten For­men davon, son­dern nur die Form fim­fchusti. Bei ihr wurde der erste Bestandteil der griechis­chen Zahl, das pent-, ein­fach über­set­zt: fimf ‘fünf’. Es muss aber auch das entlehnte Wort schon gegeben haben, denn im Mit­tel­hochdeutschen stoßen wir auf pfin­geste(n), einen Nach­fol­ger des griechis­chen Wortes ohne über­set­zte Teile.

Warum kann das Wort nicht zweimal entlehnt wor­den sein? Ein­mal, mit der hal­ben Über­set­zung, im Althochdeutschen, und dann noch ein­mal unüber­set­zt im Mit­tel­hochdeutschen? Dafür gib es einen guten Grund: die “Zweite Lautverschiebung”.

Die “Zweite Lautverschiebung” schlägt zu

Die “Zweite Lautver­schiebung” ist ein Prozess, infolgedessen bes­timmte Laute sich in andere Laute ver­wan­del­ten. An seinem Ende ste­ht der Beginn der deutschen Sprache: Das Althochdeutsche.

Was da im Detail passiert, ist ziem­lich kom­plex. Abhängig von ihrer Posi­tion im Wort und ihrer laut­lichen Umge­bung ver­wan­deln sich die ger­man­is­chen Laute p, t und k sowie das d:

2009-06-01-2LV

Die genauen Bedin­gun­gen ers­pare ich Euch heute, sie sind aber prob­lem­los ergooglebar.

Deutsch vs. Englisch: Pfffff!

Die Zweite Lautver­schiebung passierte nur im Hochdeutschen. Alle anderen ger­man­is­chen Sprachen haben sie nicht mit­gemacht.1 Entsprechend find­et man z.B. im Englis­chen noch die “alten” Laute:

Englisch(ohne 2. LV)Deutsch(mit 2. LV)

p: pound Pfund
ship Schiff
t: to zu
to eat essen
k: cook Koch
d: daugh­ter Tochter

Woher kommt die Pistazie?

Cle­vere Sch­plock-LeserIn­nen wer­den sich natür­lich sofort fra­gen, wie es sein kann, dass wir heute den Laut /p/ im Deutschen haben, wenn doch immer entwed­er /pf/ oder /f/ draus wurde. Die logis­che Antwort: In der Regel sind das Fremd­wörter. Viele stam­men aus dem Niederdeutschen (das kein hochdeutsch­er Dialekt ist!), wie Stapel, viele aus dem Lateinis­chen, wie Pistazie, und eine Menge natür­lich auch aus dem Englis­chen, wie Computer.

Eines haben sie dabei alle gemein­sam: Sie kamen erst nach der Zweit­en Lautver­schiebung ins Deutsche. Wären sie schon vorher dagewe­sen, hätte die Ver­schiebung sie gnaden­los ver­wan­delt, ohne Rück­sicht auf ihre Herkun­ft. Pfaffe z.B. geht auf lateinisch papa zurück, wan­derte aber so früh ein, dass es von der Zweit­en Lautver­schiebung ergrif­f­en wurde.

Pinksteren, Pentecost und Päischten

Und damit sind wir bei Pfing­sten: Wir wis­sen, dass es auf ein griechis­ches Wort mit p zurück­ge­ht (pentēkostē). Da heute kein p mehr im Wort zu find­en ist, son­dern ein pf, muss das Wort schon vor der Zweit­en Lautver­schiebung entlehnt wor­den sein. Also vor dem Althochdeutschen. Entsprechend muss es die Form im Althochdeutschen schon gegeben haben – wahrschein­lich hat sich nur kein­er die Mühe gemacht, es aufzuschreiben.

Wie oben vorherge­sagt, hat das Wort in allen anderen ger­man­is­chen Sprachen sein p behal­ten:

  • Englisch: Pente­cost (auch: Whit­sun­day ‘weißer Son­ntag’)
  • Nieder­ländisch: Pinksteren
  • Afrikaans: Pinkster
  • Lux­em­bur­gisch: Päis­cht­en, Péngscht­en
  • Dänisch: Pinse
  • Nor­wegisch (Nynorsk & Bok­mål): Pinse
  • Schwedisch: Pingst
  • Färöisch hat nicht entlehnt, son­dern nutzt: hví­tusun­na ‘weißer Sonntag’
  • Isländisch genau­so: Hví­ta­sun­nudagur ‘weißer Sonntag’

Luxemburgisch???

Komisch, ne? Lux­em­bur­gisch ist doch fast ein deutsch­er Dialekt? Warum ben­immt es sich nicht wie das Hochdeutsche?

Ich habe Euch oben nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ich habe behauptet, dass die vier Laute im kom­plet­ten Althochdeutschen zu den sieben neuen Laut­en wur­den. Nun ist das Althochdeutsche aber ein Kon­strukt. Das gab es so gar nicht. Es gab ganz viele ver­schiedene ger­man­is­che Dialek­te, alle eng ver­wandt, aber es gab keinen Stan­dard. Und diese Dialek­te haben sich nicht alle gle­ichzeit­ig auf die gle­iche Weise verändert.

Das deutsche Sprachge­bi­et lässt sich in drei große Unterge­bi­ete ein­teilen: Oberdeutsch (braun), Mit­teldeutsch (türkis) und Niederdeutsch (gelb).

2009-06-01-Heutige_deutsche_Mundarten-Ausschnitt

Michael Post­mann (Wikipedia)

Die Zweite Lautver­schiebung tobte nur im ober- und mit­teldeutschen Sprachraum, dem hochdeutschen Gebi­et. Dabei war sie aber unter­schiedlich erfol­gre­ich. Die Ver­schiebung von p, t und k erfol­gte näm­lich mit abnehmender Inten­sität von Süden nach Nor­den. In Ben­rath bei Düs­sel­dorf ver­siegte sie ganz, daher nen­nt man die Gren­ze zwis­chen Türkis und Gelb die “Ben­rather Lin­ie”. Nördlich davon sprach man ursprünglich kein Hochdeutsch mehr.

Der Rheinische Fächer

Das langsame Ver­sick­ern der Lautver­schiebung im west­mit­teldeutschen Raum führt zu einem inter­es­san­ten Phänomen: Man kann das Gebi­et in Längsstreifen ein­teilen, und je nördlich­er der Streifen liegt, desto weniger macht sich die Zweite Lautver­schiebung bemerk­bar. Wenn man das auf ein­er Karte einze­ich­net, entste­ht eine Art Fäch­er­struk­tur, daher nen­nt man das auch den “Rheinis­chen Fäch­er”. Hier eine schema­tis­che Darstel­lung von mir:

2009-06-01-Rheinischer-Fächer-Tutorium

Eine viel schönere Karte gibt’s z.B. hier: Uni Tri­er [9.8.16: Link ersetzt].

Dialek­t­ge­bi­et A hat also mehr Ver­schiebung als B, B mehr als C, und so weit­er. Jen­seits von D hat die Zweite Lautver­schiebung so wenig gewirkt wie in den anderen ger­man­is­chen Sprachen.

Unter den Lin­i­en­na­men seht ihr Beispiel­wörter: Südlich der Ger­m­er­sheimer Lin­ie heißt es also Pfund, nördlich davon Pund. Das Lux­em­bur­gis­che ist nun his­torisch eng ver­wandt mit den mosel­fränkischen Dialek­ten. Manche Leute sagen auch, es sei ein­er, aber da werde ich mich nicht in ide­ol­o­gis­che Grabenkämpfe stürzen. Es liegt auf jeden Fall nördlich der Lin­ien 1, 2 und 3, man sagt dort also Pond ‘Pfund, Apel ‘Apfel und dat (ohne 2. LV), aber Duerf ‘Dorfund maachen (mit 2. LV).

Ihr seht also, dass p im Anlaut p bleibt, denn alle Wörter, die wie Pfund gehen, ver­hal­ten sich auch so. Die p>pf-Regel hat es also nicht ins Mit­teldeutsche geschafft.

Und so bleibt Pfin­g­sten Päis­cht­en.

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Pluralis avaritiae

Von Anatol Stefanowitsch

Vor dem Landgericht Hildeshiem wurde heute der trau­rige Fall von drei Lot­tospiel­ern ver­han­delt, die jahre­lang gemein­sam in ein­er Tippge­mein­schaft waren. In ein­er Son­derziehung hat­ten sie dann im let­zten Jahr 1,7 Mil­lio­nen Euro gewon­nen. Statt den Gewinn zu teilen, behaupteten dann aber zwei der Spiel­er, der dritte habe just an diesem Spiel nicht teilgenommen.

Der dritte, der zu dem Zeit­punkt der Ziehung im Urlaub war, verk­lagte seine bei­den Mit­spiel­er daraufhin. Er habe den Kol­le­gen seinen Anteil an den Kosten für das Tipp­spiel vor seinem Urlaub gegeben und müsse deshalb auch am Gewinn beteiligt werden.

Wie ich vorhin im Radio gehört habe, führte er als Beweis für seine Sichtweise unter anderem an, dass ihn ein­er der Angeklagten im Urlaub angerufen habe und fol­gen­den Satz gesagt habe: „Wir haben gewon­nen, Sechser mit Zusatzzahl“.

Und hier wird der Fall lin­guis­tisch inter­es­sant. Für den Kläger ist das Tele­fonge­spräch ein klar­er Hin­weis darauf, dass er mit den bei­den anderen am Spiel beteiligt gewe­sen sei. Weit­er­lesen

Unförmige Gurken und zusammengewachsene Kirchen

Von Kristin Kopf
Rhein-Neckar-Zeitung, 28.5.2009

Rhein-Neckar-Zeitung, 28.5.2009

Na also! Es kann doch nicht sein, dass man jeden Mor­gen einen Press­espiegel erstellt und dabei nie auf bemerkenswerte Spracheigen­heit­en stößt! Diese hier wurde zwar im Sch­plock schon lang und bre­it besprochen, aber dass zusam­mengewach­sene Kirchen auf dem Lebens­mit­tel­markt auf Ablehnung stoßen, ist dur­chaus eine Mel­dung wert:

Kopie von gurken-groß

Guten Appetit und fro­he Mittagspause!

Pippi Langstrumpf, N****prinzessin

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn die Bewohn­er ein­er Süd­seein­sel in einem Kinder­buch aus den vierziger Jahren mit einem krassen ras­sis­tis­chen Aus­druck beze­ich­net wer­den, muss man das dann hin­nehmen oder darf man bei ein­er Neuau­flage sprach­lich ein­greifen? Wäre es eine zeit­gemäße Mod­ernisierung, solche Wörter durch neu­trale Begriffe zu erset­zen, oder wäre das über­triebene „Polit­i­cal Cor­rect­ness“, Zen­sur, ein Ein­griff in ein unan­tast­bares Kunstwerk?

[Hin­weis: Der fol­gende Text und die Kom­mentare enthal­ten Beispiele ras­sis­tis­ch­er Sprache]
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Heames kauft bei Amerzon

Von Kristin Kopf

Fol­gende Paket­be­nachrich­ti­gung erwartete uns am Sonntag:

2009-05-19-amerzon

Ein genauer­er Blick:

2009-05-19-amerzonklein

Amer­zon? Nicht so dumm, wie man im ersten Moment vielle­icht denkt. Hier haben wir einen klas­sis­chen Zusam­men­prall von Aussprache und Schrei­bung: Das vokalisierte r, in IPA: [ɐ].

Im Deutschen wird -r nach Vokal oft a-ähn­lich ausgesprochen: 

  • mir wird zu mia,
  • Kirche zu Kiache,
  • Uhr zu Ua.

Bedin­gung ist allerd­ings, dass der Vokal und das r zur sel­ben Silbe gehören: 

  • O-ra‑to-ri-um bleibt Ora­to­ri­um,
  • Ge-rüst bleibt Gerüst.

Auch die Kom­bi­na­tion -er als Ganzes wird häu­fig vokalisiert: 

  • Kinder zu Kinda,
  • Gärtner zu Gärtna,
  • hier zu hia.

Am Wor­tan­fang wird nicht das ganze er- zu [ɐ], son­dern nur das r:

  • Erwach­sene zu Eawach­sene.

Diese Aussprache führt dazu, dass beson­ders beim Schreiben­ler­nen häu­fig ein <a> geschrieben wird, wo eigentlich ein <r> oder ein <er> ste­hen müsste. Irgend­wo bei meinen Eltern liegt noch ein Bild, auf dem ich den “KINDAGEBUATSTAK BEI EMANUEL” dargestellt habe. Scanne ich euch bei Gele­gen­heit mal.

Was der Her­mes-Bote hier getan hat, ist qua­si das Gegen­teil: Er weiß, dass er häu­fig ein a spricht, wo eigentlich ein <er> ste­hen muss und kor­rigiert sich entsprechend – in diesem Fall zu viel: die Hyper­ko­r­rek­tur hat mal wieder zugeschla­gen. Wo er bei Ama­zon ein a spricht, ste­ht auch eines.

Der Fehler scheint gerne gemacht zu wer­den, immer­hin hat sich jemand die Mühe gemacht, www.amerzon.de zu reg­istri­eren. Die Seite sagt:

Bitte über­prüfen Sie Ihre Schreib­weise und ver­suchen Sie es erneut.”

(Ob der Besitzer der Seite etwas mit amazon.de zu tun hat, weiß ich nicht, bezwei­fle es aber. Er besitzt auch noch die Domain amanzon.de, die densel­ben Text bietet. Andere Leute treiben mit der Ähn­lichkeit richtig Schind­lud­er, die ver­linke ich jet­zt aber nicht.)

Ich habe die Schreib­weise auch mal gegooglet:

Suche dvd von der bun­deslade doku­men­ta­tion bitte nicht von amer­zon?” (Quelle)

Eine andere Frage bei BOD heist es in der Hil­fe nach der Freiga­be dauert es 14 Tage bis es bei Amer­zon erscheint, nun die Freiga­be ist 9 Tage her und es ist noch nicht mal auf der HP von BOD?? Ist das nor­mal?” (Quelle)

Ger­ade bei Amer­zon geschaut 19,95 €” (Quelle)

So bat Wern­er M. HELP um Hil­fe, doch auch uns gegenüber betonte Amer­zon, dass das Buch über den Ama­zon-Mar­ket­place gekauft wurde.” (Quelle)

Über­raschend daran finde ich, dass der Fehler gemacht wird, obwohl Ama­zon ein Name ist, den man ja in erster Lin­ie aus einem schriftlichen Medi­um kennt.

Und damit melde ich mich für den Rest der Woche ab, um auf die StuTS zu fahren – vielle­icht sehen wir uns da ja?