Lietuvis hat in einem Kommentar zum Pfingsten-Beitrag folgende Bemerkung gemacht:
“Im Norddeutschen ist anlautendes /pf/ auch zu /f/ geworden, ich kenne niemanden, der einen Unterschied zwischen “Pfund” und “Fund” macht (beides /fund/), oder zwischen “Pferd” und “fährt” […]”
In dem Beitrag ging’s darum, dass westgermanisches /p/ im Althochdeutschen zu /pf/ wurde. Allerdings hauptsächlich im Süden des Sprachgebiets. In Mitteldeutschland konnte sich in einigen Positionen das /p/ halten und im niederdeutschen Gebiet sind dialektal überhaupt keine /pf/s zu finden. (Wenn das zu verwirrend klingt: Im angesprochenen Beitrag ist es noch einmal ausführlich erklärt.)
Ich kenne das Ferd-Fänomen auch, habe allerdings noch nie darüber nachgedacht, wo und wie es entstanden ist. Glücklich- und zufälligerweise konnte ich kürzlich nach Monaten der Suche der “Deutschen Mundartkunde” von Schirmunski (1962) habhaft werden und habe gleich mal nachgeblättert …
Wo? Das Ferbreitungsgebiet
Im ostmitteldeutschen Gebiet (“hinter Kassel”) sagt man dialektal im Anlaut (und nur! im Anlaut) f-, wo man im Hochdeutschen pf- sagt. Nach Süden stellt die Linie Meiningen – Rudolstadt – Greiz – Zwickau – Chemnitz – Freiberg – Dresden die Grenze zum pf-Gebiet dar. WordPress will nicht, dass ich hier eine Karte einfüge, aber ich habe sie natürlich trotzdem gebastelt: Guckt hier! (Die Linie im Osten ist die pf-vs.-f-Linie, die im Westen die pf-vs.-p-Linie, wobei ich bei letzterer keine besonders belastbaren Daten in Form von Ortsnamen hatte, das werde ich modifizieren, sobald ich wieder bei meinen Büchern bin.)
Aber auch im niederdeutschen Sprachgebiet, also ganz im Norden, kommt f- vor. Über den Ortsdialekt von Stolzenhain, also im Grenzgebiet zwischen Ostmitteldeutsch und Niederdeutsch, schreibt (Schirmunski 1962:291):
“Das anlautende pf- wird in einer Reihe von Wörtern, wie gewöhnlich bei Einwirkung der hochdeutschen Norm auf eine niederdeutsche mundartliche Grundlage (im gegebenen Fall aber vielleicht auch unter unmittelbarem Einfluß der ostmitteldeutschen Aussprache), durch f- ersetzt, z.B. fīfen ‘pfeifen’ (neben dem alten pipen), fennik ‘Pfennig’, fund ‘Pfund’, féršike ‘Pfirsiche’, aber peffer.”
Das Phänomen scheint also beim Varietäten- bzw. Sprachkontakt mit pf- vs. p- als Kompromiss aufzutreten.
Leider habe ich keine aktuelle Karte gefunden, die anzeigt, wie verbreitet das Phänomen im Westen ist – also ob es in der heutigen Umgangssprache bereits im westmitteldeutschen Gebiet einsetzt, oder erst weiter nördlich, im niederdeutschen Gebiet. Ich hoffe drauf, bei König im “Atlas zur Aussprache des Schriftdeutschen in der Bundesrepublik Deutschland” was zu finden, da werde ich reinschauen, wenn ich das nächste Mal an der Uni bin.
Wie? Die Entstehung
Das ostmitteldeutsche Gebiet war ursprünglich slawisches Sprachgebiet und wurde erst später von Sprechern deutscher Dialekte besiedelt. Die kamen aus zwei Gegenden: einmal aus Hessen (→ Thüringen → Sachsen → Schlesien) und einmal aus dem oberdeutschen Sprachgebiet (→ Maintal → Vogtland → Kurfürstentum Meißen). Schirmunski bezeichnet das anlautende f- in diesem Gebiet als “Merkmal der Siedlungsmischung”, also als Resultat aus der Vermischung der verschiedenen Dialekte. Ein Laut, den es so nicht gab, wurde durch einen ähnlichen ersetzt. Herausgefunden hat das Herr Wrede, und Schirmunski (1962:273) schreibt dazu:
“[…] die den nördlichen deutschen Mundarten und damit einem Teil der Siedler fremde Affrikate pf- wurde durch den Reibelaut f- ersetzt, der in ihrem Lautsystem jener am nächsten stand. [Das] wird dadurch bestätigt, daß überall auf dem Gebiet der heutigen nieder- und mitteldeutschen Mundarten, wo das mundartliche p- verdrängt wird, sich in ursprünglicher unvollständiger Übernahme der hochdeutschen literarischen Norm f- statt pf- ausbreitet.”
Im niederdeutschen Gebiet könnte am Grenzgebiet zum Mitteldeutschen die ostmitteldeutsche Aussprache an der Durchsetzung des f- mitgewirkt haben. Unabhängig davon hat sich aber wahrscheinlich einfach derselbe Prozess wie im Ostmitteldeutschen erneut vollzogen, es wurde ein Kompromiss zwischen dem Niederdeutschen und dem sich ausbreitenden Hochdeutschen geschlossen.