Westerwave and The Aufschwung

Von Susanne Flach

Ich gehöre ganz bes­timmt zu den­jeni­gen, die sich jet­zt eins ins Fäustchen kich­ern — und genüßlich dabei zuse­hen, wie Jour­naille und Web‑2.0‑Gemeinde Gui­do West­er­welle im Wech­sel mit Häme über­schüt­ten. Mit sein­er lei­dlich geschick­ten Reak­tion auf die Anfrage eines BBC-Reporters beschäftigt sich unter einem sprach­wis­senschaftlichen Aspekt heute das Bre­mer Sprach­blog.

Schon machen Videos die Runde, die sich an West­er­welles schwachen Englis­chken­nt­nis­sen ergötzen: auf die Frage eines jun­gen Osteu­ropäers, was Osteu­ropa von der deutschen Erfahrung mit dem Frieden ler­nen kön­nte, antwortet West­er­welle:

The fall of the wall… There has been so much dynam­ic in the new mem­bers of the Euro­pean Union. And I do not mean only the eco­nom­ic dynam­ic, I mean the dynam­ic of the soci­ety. If I would com­pare this some­times to the old EU 50 [das sehen wir ihm nach, weil wir davon aus­ge­hen, dass auch ein FDP-Chef weiß, wieviele Mit­gliedsstaat­en die EU vor Mai 2004 hat­te], we could learn that the [queue] for a suc­cess­ful wel­fare state, a suc­cess­ful econ­o­my is the dynam­ic of the soci­ety is the will to reach very ambi­tious aims and per­haps this is some­thing what we in the last years lost in our men­tal­i­ty or lost too much in our men­tal­i­ty. For exam­ple, if I look to what we got today, we got today the new unem­ploy­ment rates and when I lis­ten to the gov­ern­ment and I hear there that 11 per­cent or 10.8 per­cent unem­ploy­ment rate and “Der Auf­schwung ist da”, this is not ambi­tious enough. The aim, for exam­ple for the Ger­man soci­ety, should not be to come from the last place with the growth rates in the Euro­pean Union to the sec­ond last or third last. Our aim, our issue should be to reach once again the top again. And this is what we can learn, I think, at the moment, much more.”

Diese Tran­skrip­tion — begün­stigt durch das stock­ende Englisch — kostete mich zwei Video­durch­läufe (und einen davon zum Kor­rek­turlesen). Und ver­mut­lich ist meine Inter­punk­tion auch ein wenig vorteilss­tif­tend für Her­rn West­er­welle. Das ist jet­zt zwar kein sprach­lich-kün­st­lerisch­er Erguss, aber bis auf ein paar gram­matikalis­che Patzer und ein­er oft­mals unglück­lichen Wort­wahl ist das nicht das schlecht­este, da gibt’s mehr Stoiberis­men in deutsch­er Sprache.

Und mal Hand aufs Herz — das ist lediglich die um polemis­che Phrasendrescherei bere­inigte Ver­sion eines Vor­trags in deutsch­er Sprache. Ihr glaubt doch nicht ern­sthaft, dass diese Pas­sage — hätte er die Frage auf Deutsch beant­wortet — nur einen Hauch mehr Inhalt gehabt hätte, als ein wahlkampfgeprägter Reflex der Marke Die gegen­wär­tige Regierung beschönigt die neuen Arbeits­mark­tzahlen. Die Antwort auf die Frage, was Osteu­ropa von Deutsch­land ler­nen kön­nte, war es so oder so nicht.

Außer­dem offen­bart es einen weit­eren Aspekt, der mir in mein­er neben­beru­flichen Über­set­zertätigkeit immer wieder begeg­net: Ein über­set­zter Text kann immer nur so gut sein, wie das Orig­i­nal. Das war jet­zt ernst gemeint — ver­mut­lich fällt vie­len, die sich über Her­rn West­er­welles Englisch amüsieren, erst jet­zt wirk­lich auf, welchen Müll er von sich gibt — wom­it ich nie­man­dem unter­stelle, West­er­welles polemis­ches Blafasel von der Leis­tungs­ge­sellschaft nicht auch auf Deutsch für aus­gemacht­en Blödsinn zu hal­ten. In Über­set­zun­gen habe ich das oft: schlechte Texte und sin­nentleerte Phrasen, schön­klin­gend und unübersetzbar.

Naja, und wenn ich mich aus dem Fen­ster lehnen wollte, würde ich auch die kühne Behaup­tung auf­stellen, dass einige der jet­zi­gen Hämekü­belum­dreher mit dem oben tran­skri­bierten Text ihre — nicht in West­er­welles Englisch fußen­den — Ver­ständ­nis­prob­leme hät­ten, aber das würde meinem Belus­ti­gungs­drang doch sehr ent­ge­gen­wirken. Obgle­ich sich die Webge­mein­schaft da uneins ist, ob’s Hel­mut Kohl zu Mag­gie Thatch­er oder Hein­rich Lübke zur Queen gesagt oder irgen­dein Kabaret­tist erfun­den hat — aber der amüsan­teste Sprach­panch­er ist ohne­hin bere­its belegt:

You can say you to me.

[Surftipp] L;nkolon

Von Kristin Kopf

Auf dem Lin­guis­tik-Serv­er Essen (LINSE) find­en sich eine Menge span­nende Dinge. Neben dem kür­zlich emp­fohle­nen Ety­molo­giekurs z.B. auch L;nkolon, ein Lin­guis­tik­grund­kurs mit zahlre­ichen Themenein­heit­en wie Seman­tik, Sozi­olin­guis­tik, Sprachgeschichte, … schön kompakt.

Linkolon

[Surftipp] Etymologie entdecken

Von Kristin Kopf

Ich habe einen tollen Onlinekurs in Ety­molo­gie ent­deckt – wer sich für die Herkun­ft von Wörtern inter­essiert, sollte ganz schnell hingehen:

2009-09-26-etym2

Alle Infor­ma­tio­nen sind in kleine, leicht ver­ständliche Ein­heit­en gegliedert. Es geht nicht nur um Einzel­wort­geschichte, son­dern um über­greifende Konzepte wie Bedeu­tungswan­del und auch um den Ein­fluss von Laut­wan­del. Wenn man Lust hat, kann man das Gel­ernte am Ende in einem kleinen Quiz testen. Super gemacht und präsentiert!

Wir haben die Kraft

Von Anatol Stefanowitsch

Um es gle­ich vor­wegzunehmen: Ich mag wed­er die CDU noch Angela Merkel. Die CDU mag ich nicht, weil ich mit kaum einem Punkt ihres Wahl­pro­gramms übere­in­stimme. Beim Wahl-O-Mat waren die CDU und ich uns nur in 7 der 38 Fra­gen einig, und das waren solche Offen­sichtlichkeit­en wie die Wiedere­in­führung der D‑Mark (dage­gen) und die Demokratie (dafür). Angela Merkel mag ich nicht, weil sie offen­sichtlich vor langer Zeit selb­st auf den ver­queren Per­so­n­enkult hereinge­fall­en ist, den ihre Wahlkampf­s­trate­gen um sie herum aufge­baut haben. „Ich wurde nicht als Kan­z­lerin geboren. Aber dann kam ein­er der größten Glücksmo­mente unseres Lan­des: Die Ein­heit. Ich wollte Deutsch­land dienen…“ — dieser egozen­trische Patri­o­tismus ist für mich weit jen­seits der Schmerz­gren­ze, da spielt ihre poli­tis­che und wirtschaftliche Inkom­pe­tenz kaum noch eine Rolle. Ich sage das so expliz­it, weil ich kurz vor der Wahl noch schnell die Wahlwer­bung der CDU aus sprach­lich­er Sicht kom­men­tieren möchte. So muss mir nie­mand vor­w­er­fen, ich wolle mit den fol­gen­den Bemerkun­gen impliz­it meine poli­tis­che Mei­n­ung kundtun.

Am Wahlslo­gan der CDU, „WIR HABEN DIE KRAFT“ fand ich vor allem das Pronomen WIR inter­es­sant. Weit­er­lesen

Es war einmal … das Althochdeutsche

Von Kristin Kopf

Ich werfe hier ja ständig mit Sprach­pe­ri­o­den­beze­ich­nun­gen wie Althochdeutsch, Indoger­man­isch oder Früh­neuhochdeutsch um mich. Wahrschein­lich kön­nen sich die meis­ten von Euch vorstellen, dass Althochdeutsch sehr alt ist, aber in welche Jahrhun­derte es konkret fällt, ist wohl kein Allgemeinwissen.

Diese Es-war-ein­mal-Rei­he will Abhil­fe schaf­fen: Ich ordne eine der Vorstufen des Deutschen zeitlich ein und erzäh­le ein bißchen was drüber. Los geht’s mit dem Althochdeutschen, weil das die älteste Form des Deutschen ist.

2009-09-24-AhdDas Althochdeutsche wird für die Zeit zwis­chen 500 und 1050 nach Chris­tus ange­set­zt, also für rund 550 Jahre. Das ist eine Menge Zeit, man kann sich also schon denken, dass man da nur schw­er von ein­er ein­heitlichen Sprache aus­ge­hen kann.

500/750? Hä?

Der Beginn des Althochdeutschen wird oft mit einem lusti­gen Schrägstrich angegeben. Das heißt nicht, dass man ihn sich aus­suchen kann – für bei­de Zahlen gibt es gute Gründe:

[Ich benutze jet­zt erst­mals diese Abschnitts­funk­tion um mehr als nur Fußnoten zu ver­steck­en. Für den Haupt­teil des Artikels also hier klicken:]

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Festival

Von Anatol Stefanowitsch

Vor ein paar Tagen habe ich fol­gende E‑Mail bekommen:

Seit eini­gen Jahren ärg­ere ich mich über das alberne neudeutsche Wort „Fes­ti­val“ mit dem heutzu­tage jedes Dorffest tit­uliert wird. Nun muss ich zu meinem Bedauern fest­stellen, dass Ihr Insti­tut hier mit schlechtem Beispiel Schule macht: Hät­ten Sie Ihr „Fes­ti­val der Sprachen“ nicht ein­fach „Sprach­fest“ nen­nen kön­nen? Das wäre nicht nur deutsch­er, son­dern auch kürz­er gewesen.

Erstens, das Fes­ti­val der Sprachen ist kein Dorffest, und ich habe auch nie erlebt, dass ein Dorffest sich als „Fes­ti­val“ beze­ich­net. Zweit­ens, mit diesem Fes­ti­val oder sein­er Benen­nung habe ich nichts zu tun, ich will mich deshalb auf die Ver­mu­tung beschränken, dass meine Kol­le­gen bei der Benen­nung nicht vor­rangig Sprach­puris­mus und Kürze im Sinn hat­ten. Weit­er­lesen

Versandende Sprache (Nachtrag)

Von Anatol Stefanowitsch

Der stel­lvertre­tende Chefredak­teur des Ham­burg­er Abend­blatts, Matthias Iken, hat auf meine Kri­tik an sein­er Glosse sportlich reagiert und mich ein­ge­laden, meine Mei­n­ung zu Lehn­wörtern direkt im Ham­burg­er Abend­blatt zu sagen.

Das Ergeb­nis find­et sich auf Seite 4 der Druck­aus­gabe von heute (18.9.2009) und online hier.

Nach­trag zum Nach­trag: Ein paar Leser­briefe gibt es hier.

Die Filosofie der Ih-Mehl

Von Anatol Stefanowitsch

In meinem Beitrag zur ver­sanden­den Sprache zitiere ich einen hypo­thetis­chen Satz, den Abend­blatt-Chefredak­teur Matthias Iken als Beispiel für die Über­frach­tung der deutschen Sprache mit Anglizis­men verwendet:

Wer heute beispiel­sweise durch das Inter­net surft, per Fla­trate Soft­ware down­load­et, seine E‑Mails checkt, in Dat­ing­clubs mit Sin­gles chat­tet, Hits in die Charts votet oder clever shoppt — er tut dies muttersprachbefreit.

Ich beze­ichne diesen Satz dort als einen „durch und durch … deutsche[n] Satz … von der Wort­stel­lung über die Flex­ion­sendun­gen der Lehn­wörter bin hin zu deren Bedeutung“.

In einem Kom­men­tar zu dem Beitrag weist mich mein Ham­burg­er Kol­lege (und ehe­ma­liger Pro­fes­sor) Wolf­gang Börn­er san­ft aber bes­timmt zurecht: Weit­er­lesen