Die typische Form, den Wandel der Sprache wahrzunehmen, scheint darin zu bestehen, ihn als Verfall zu erleben. Ist es nicht merkwürdig, daß unterscheidliche Verfallstheoretiker seit mehr als 2000 Jahren immer wieder den zunehmenden Verfall ihrer jeweiligen Muttersprache beklagen, ohne je ein Beispiel für eine tatsächliche verfalllene Sprache vorweisen können? Es scheint auch niemanden zu geben, der bereit wäre, den Verfall seiner e i g e n e n individuellen Sprache zu bedauern: “Ach, was schreibe ich für ein verkommenes Deutsch im Vergleich zu meinen Großeltern!” Sprachverfall ist immer Verfall der Sprache der anderen. Das sollte stutzig machen.
Rudi Keller. 2003. Sprachwandel. Tübingen: UTB. S. 23
Sprache dient menschlicher Kommunikation. Das scheint auf den ersten Blick trivial, ist aber ungleich wichtiger, wenn es um die Sprachverfallsdebatten geht. Jeder Sprachpfleger, der ja den Verfall unserer Sprache heraufbeschwören will, brächte sich in höchste Erklärungsnot, wenn er mit der Sprache Walther von der Vogelweides, um’s mal auf die Spitze zu treiben, in die nächste Kneipe zöge.
Gut, mögen jetzt einige sagen, was ist dann mit Irish, einer gestorbenen Sprache? Weiterlesen