Am Ende des Tages

Von Anatol Stefanowitsch

Die Sprach­nör­gler haben vor kurzem eine neue Redewen­dung ent­deckt, die es auszumerzen gilt, näm­lich am Ende des Tages in der fol­gen­den Verwendung:

  1. Am Ende des Tages ste­ht für mich eine rena­turi­erte Ems“, sagt Nieder­sach­sens Min­is­ter­präsi­dent Chris­t­ian Wulff. [Finan­cial Times]
  2. Am Ende des Tages zählen Leis­tung und Zahlen“, sagt Peter Staab, zuständig für Investor Rela­tions… [Welt.de]
  3. Die deutsche Singspielin­dus­trie darbt. Am Ende des Tages kön­nen nur heiße Stoffe wie das Oba­ma-Musi­cal neue Hoff­nung brin­gen. [Finanztreff.de]

Schon 2006 hat Chefnör­gler Bas­t­ian Sick diese Phrase in ein­er Glosse als Beispiel für einen Anglizis­mus erwäh­nt: Weit­er­lesen

Von Standards und Abweichungen

Von Susanne Flach

Bevor ich den Krieg weit­er­führen kann, ein klein­er Exkurs.

Die Fest­stel­lung abwe­ichen­den Sprachge­brauchs hat fast auss­chließlich eine — aus lin­guis­tis­ch­er Sicht — selt­same, zumin­d­est aber prob­lema­tis­che Bezugs­größe: die Stan­dard­sprache. Mit dem Stan­dar­d­englisch ist es irgend­wie wie mit “vernün­ftigem Deutsch” — kein­er weiß, wo genau es ange­blich gesprochen wird.* Weit­er­lesen

Neblige Wirtschaftssprache

Von Anatol Stefanowitsch

Gestern lief im SWR 2 eine recht inter­es­sante Sendung zum The­ma „Wirtschaftssprache“, die man hier nach­hören kann.

Der Mod­er­a­tor Eber­hard Reuß disku­tiert mit Dag­mar Deck­stein (SZ-Wirstschaft­sredak­teurin), Lud­wig Eichinger (Direk­tor des Insti­tuts für Deutsche Sprache) und Gün­ter Gau­gler (SAP-Press­esprech­er) und ver­sucht mit aller Macht, seine Vorurteile ins Gespräch zu brin­gen: Wirtschaftssprache ist floskel­haft und inhalt­sleer, die Man­ag­er wollen damit unser Ver­ständ­nis vernebeln ohne sich auf irgen­det­was festzule­gen und Englisch dient dazu, alles noch weniger Ver­ständlich zu machen. Weit­er­lesen

The Article War II

Von Susanne Flach

Was die Sache zusät­zlich verkom­pliziert, ist die Tat­sache, dass der soge­nan­nte abwe­ichende Artikel­ge­brauch natür­lich nicht ein­fach so vom Him­mel gefall­en ist. Denn zu Kel­tizis­mus­the­o­rie und Kon­tak­t­the­o­rie kommt noch die Möglichkeit eines kon­servierten Überbleib­sels aus Mit­tel- und/oder Früh­neuenglisch. Weit­er­lesen

Schnee im Deutschlandradio

Von Anatol Stefanowitsch

Ich habe im Deutsch­landra­dio ein Inter­view zu den Eski­mo-Wörtern für Schnee gegeben: hier ist ein direk­ter Link zum Pod­cast des Inter­views auf der Web­seite von Deutsch­landra­dio-Kul­tur. Lei­der fehlt dort die Anmod­er­a­tion, der Pod­cast geht mit mein­er ersten Antwort los. Die Anmod­er­a­tion ging unge­fähr so (die Inter­view­erin hat sie mir vor­ab per E‑Mail geschickt, der tat­säch­liche Wort­laut war in der Sendung dann leicht anders):

Pul­ver­schnee — Papp­schnee — Harsch — es gibt in Deutsch­land eine ganze Rei­he von Beze­ich­nun­gen, für das, was ger­ade als Folge des Tiefs Daisy das ganze Land bedeckt. Und doch leben die meis­ten von uns im Bewusst­sein, dass wir im Ver­gle­ich zu den Eski­mos — oder Inu­it — nur ganz ganz wenige Begriffe für Schnee ken­nen. Die Bewohn­er der ver­schneit­en Land­stiche wür­den — so heißt es — bis zu 400 Wörtern für Schnee ken­nen. Es seien aber — so räumte die Süd­deutsche Zeitung mit diesem Mythos auf: in Wirk­lichkeit nur zwei: näm­lich das Wort Quanik — für den liegen­den Schnee und Aput für den fal­l­en­den. Haben die Inu­it oder Eski­mos also gar nicht viel mehr Wörter als wir für Schnee? Das habe ich den Sprach­wis­senschafts-Pro­fes­sor Ana­tol Ste­fanow­itsch von der Uni­ver­sität Bre­men gefragt.

Außer­dem gibt es hier eine Kurz­nachricht auf der Deutsch­landra­dio-Web­seite, die die Essenz des Beitrags unter der Über­schrift wiedergibt: „Lin­guist: Nicht viele Wörter für Schnee in den Eski­mo-Sprachen“. Das klingt, als sei es eine Neuigkeit (ist es nicht) und als habe ich das ent­deckt (habe ich nicht), aber natür­lich habe ich bere­its aus­führlich­er darüber geblog­gt, und zwar unter anderem hier: Weit­er­lesen

The Article War I

Von Susanne Flach

Jet­zt auch mal hier ans Eingemachte.

Mein Unter­suchungs­ge­gen­stand, der bes­timmte Artikel the, wird im irischen Englisch in bes­timmten Kon­tex­ten häu­figer benutzt, als im Stan­dar­d­englisch. Also beson­ders in Verbindung mit nicht­spez­i­fis­ch­er Ref­erenz wie in He’s at the school, wenn nicht das Gebäude, son­dern die Insti­tu­tion an sich gemeint ist; in Kon­struk­tio­nen mit Jahreszeit­en (in the spring), Krankheit­en (He died of the can­cer), Fest­ta­gen (the Christ­mas, the East­er); in Phrasen, in denen the die Prä­po­si­tio­nen per oder at oder Per­son­al­pronomen erset­zt (three pounds in the week ‘three pounds per week’, in the night, he left the wife behind); vor den Quan­tifika­toren both, half und most in of-Phrasen (and the both of them hun­gry, the one half of what you hear). Dazu kom­men erhöhte Gebrauchs­fre­quen­zen des bes­timmten Artikels in Phrasen mit unzählbaren Sub­stan­tiv­en (non-coun­t/­mass nouns), die im Stan­dar­d­englisch keinen Artikel haben (the gold is plen­ty, the bacon is high ‘bacon is expen­sive’). Weit­er­lesen

SpON produziert Parktickets

Von Kristin Kopf

Wenn sich Wörter im Deutschen und im Englis­chen for­mal sehr ähneln, führt das gele­gentlich dazu, dass man sie auch inhaltlich gle­ich­set­zt. Das ist mir bei Spiegel Online in den let­zten Tagen ein paar­mal aufgefallen:

Eve­lyn Bor­der, 56 Jahre alt, eine kleine runde Frau mit einem fre­undlichen run­den Gesicht, hat­te sich, so sagt sie es, stets bemüht, anständig durchs Leben zu gehen. Nicht mal ein Park­tick­et habe sie bekom­men, in 56 Jahren. (Quelle)

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Prosit Neujahr!

Von Kristin Kopf

Fro­hes 2010, Ihr alle! Aus gegeben­em Anlass habe ich für heute die Herkun­ft von Prost! im ety­mol­o­gis­chen Wörter­buch nachgeschlagen.

Das Wort kommt vom lateinis­chen prôdesse – das bedeutet laut Kluge ‘nützen’, mein Wörter­buch gibt als nachk­las­sis­che Bedeu­tung auch ‘helfen, wirk­sam sein’ im medi­zinis­chen Sinne an.

Der Kon­junk­tiv 3. Per­son Sin­gu­lar dieses Verbs ist prôsit, was am besten mit ‘es möge nüt­zlich sein’ wiedergegeben wird. Diese Form wurde so entlehnt (16. Jahrhun­dert) und bald tauchte auch die Kurz­form Prost! auf. Mit­tler­weile war den meiste Leuten nicht mehr klar, dass es sich eigentlich um eine Verb­form han­delte, das Wort wurde ein­fach als Aus­ruf benutzt – wie autsch! oder ey! oder heda! Für den Vor­gang des Prost-Sagens bastelte man sich dann das neue Verb (zu)prosten.

Hätte ich nicht ganz unglaubliche Neu­jahrsvorsätze, was meine Mag­is­ter­ar­beit anbe­t­rifft, würde ich jet­zt noch ein bißchen sam­meln, wie man in anderen Sprachen beim Anstoßen sagt – so hoffe ich ein­fach, dass der eine oder die andere in den Kom­mentaren was dazu zu sagen weiß!

Auch andere, nicht-alko­holis­che Neu­jahr­swün­sche sind natür­lich willkom­men! In Rumänien zum Beispiel, wo ich zweimal Neu­jahr gefeiert habe (und es keine Indus­trienorm für SprengsätzKnaller zu geben scheint), wün­scht man La mulţi ani! (gesprochen etwa la mulz an) ‘Auf viele Jahre!’. Das geht aber auch zu anderen Anlässen wie dem Geburtstag.

Tabuschilder

Von Anatol Stefanowitsch

Vor ein paar Monat­en habe ich am Flughafen von Bergen diese nett gestal­teten Toi­let­ten­türen gesehen:

Toilettentüren im Flughafen von Bergen

Toi­let­ten­türen im Flughafen von Bergen

Mit Sprache hat es nichts zu tun, aber aus semi­o­tis­ch­er Per­spek­tive sind die Darstel­lun­gen inter­es­sant. Weit­er­lesen

Frohe linguistische Weihnachten!

Von Kristin Kopf

Die Bescherung ist vorbei:

Heute Abend will ich noch schnell eine Frage klären, und zwar warum es Wei­h­nachten heißt. Das ist eine alte Plu­ral­form, aber der Plur­al müsste ja eigentlich *Wei­h­nächte laut­en.

Das Wort Nacht war ursprünglich (im Althochdeutschen) ein soge­nan­ntes “Wurzel­nomen” und hat­te über­haupt keine Plu­ral­en­dung. Es hieß also in Ein- und Mehrzahl diu naht. Das war natür­lich äußerst unprak­tisch, weil man wed­er am Sub­stan­tiv selb­st, noch an umgeben­den Adjek­tiv­en o.ä. erken­nen kon­nte, um welchen Numerus es sich handelte.

Im Mit­tel­hochdeutschen guck­te das Wort sich daher ein anderes Ver­fahren bei ein­er anderen Gruppe von Sub­stan­tiv­en ab: Die Kom­bi­na­tion von Umlaut und -e, die z.B. bei MachtMächte existierte. Viel prak­tis­ch­er. NachtNächte.

Das war aber nicht das einzige Vor­bild: In eini­gen Gegen­den schaute sich Nacht bei Wörtern wie Gaben die Endung -en ab. Die gab es damals aber noch nicht im kom­plet­ten Plur­al, son­dern nur im Gen­i­tiv und Dativ: Später verän­derte sich diese Gruppe weit­er, sodass es zur Endung -en im ganzen Plur­al kam, aber da war die Nacht schon nicht mehr mit von der Par­tie, sie hat­te sich in Nächte verwandelt.

Jet­zt stellt sich nur noch die Frage, warum es Wei­h­nacht­en heißt, wenn das -en doch nur im Gen­i­tiv und Dativ auf­tauchte. Die Antwort? Wei­h­nacht­en war ein­mal eine Kon­struk­tion, und zwar ze den wîhen nacht­en ‘zu/an den geweihten/heiligen Nächt­en’. Man feierte nicht nur eine Nacht lang! Die Prä­po­si­tion ze forderte, wie zu heute, den Dativ, und der besaß die Endung.

Diese Kon­struk­tion wurde so inten­siv gebraucht, dass die Wörter wîhen nacht­en zusam­men­wuch­sen und Wei­h­nacht­en bilde­ten (das nen­nt man “Uni­ver­bierung”). Dabei bewahrten sie den alten Dativ Plural.